Walther
Mitglied
Die Erscheinung
Ralf ist eigentlich ein ganz netter Typ – wenn da nicht ein paar Seiteneffekte wären, die ihm das Leben schwermachen. Besser: Mit denen er sich selbst und der Umwelt das Leben mit ihm schwerer macht als nötig. Erstens: Er ist vorlaut, weiß alles besser (was meistens richtig ist, aber darauf kommts nunmal nicht wirklich an), spricht laut (dass dem Rest im Raum die Ohren dröhnen), macht dauernd ungebeten Verbesserungsvorschläge (auch Chefinnen und Chefs in Anwesenheit Dritter, was ein No-Go ist, das ihm scheinbar am A. vorbeigeht) und ist immer schon fertig mit seinen Jobs, wenn die Kolleg*innen noch den Kaffee trinken, den sie sich geholt haben, als die morgendliche Befehlsausgabe in der Teambesprechung vorbei war.
Kurz: Niemand mag Ralf. Eigentlich (jedenfalls gibts keiner zu, obgleich er fast jeder und jedem schon einmal selbstlos geholfen und damit den Kragen gerettet hat; aber wer gibt sowas schon gerne zu, oder?) ist das unfair. Such is life, man.
Das Schlimme ist: Ralf mag sich selbst nicht.
Ralf mag nicht, dass er aus lauter Unsicherheit alles falsch macht. Seine vorlaute Lautstärke ist eine Folge seiner mangelnden Selbsteinschätzung und der Einschätzung seiner Wirkung auf andere. Er mag nicht, dass die anderen hintenrum über ihn lachen und dumme Witze reißen (er ist weder blöd noch taub). Er mag nicht, dass sie ihn immer wegen seiner Wampe und seinen verknitterten Schlabberklamotten foppen (er lebt allein, hasst Bügeln und ist reinlicher als eine Katze, sogar seine Unterwäsche wechselt er täglich, ebenso seine T-Shirts). Er mag seine Haare nicht, nicht die dicke Brille, nicht die breiten Latschen (er hat einen hohen Spann und einen breiten Fuß, also sieht jeder Schuh nach dreimal Tragen aus, als wäre ein Panzer drübergerollt).
Eigentlich ist alles in Butter, weil Ralfs Umwelt und er sich einig sind, Ralf nicht zu mögen. Könnte man meinen. Nur kann Ralf damit nicht leben. Denn das kann auf die Dauer keiner.
Zum Glück weiß die Riege höher, was sie an Ralf hat. Ralf ist ein Crack in dem, was er tut. Er schraubt Apps und Programme in einer Geschwindigkeit und mit einer Klasse zusammen, dass es dem Rest der Welt den Atem verschlägt. Er ist einfach nur gut und auf GitHub ein Guru. Das hält ihn am und im Leben und verhindert, dass er ex- und implodiert, und das zeitgleich.
Aber glücklich ist er nicht. Jedenfalls nicht wirklich. Auch wenn er richtig gute Kohle macht, also gut verdient, und die beste Rechnerausstattung der ganzen Firma hat (zuhause hat er noch eine bessere, aber wer hätte das nicht gedacht, oder? Ist doch klar. Nerd bleibt Geek und umgekehrt).
Ralf wird deshalb immer unleidlicher und nerdiger. Einmal ist er wie eine Auster, sagt tagelang nichts, haut in die Tasten und seinen Code raus, dass die virtuellen Maschinen im Keller Schnappatmung kriegen, kommt spät morgens und geht noch viel später abends. Dann wieder platzt es aus ihm heraus, wenn technischer Mist geredet wird, und er maßregelt alle samt Teamleiterin, dass die Tür wackelt. Danach steht er schnaufend auf, vergräbt sich hinter seinen vier Monstermonitoren und klickert vor sich.
Man sieht ihn aufs Klo huschen. Seine Pizzaboxen und den Dönerabfall entsorgen. Seine leeren Cola- und Wasserflaschen in seine große Aldi-Tüte packen, um diese nach der Mittagspause gefüllt wieder aus dem Aufzug zu wuchten, durch den Gang zu schleppen und unter seinen Gigaschreibtisch mit Hydraulik (der Arzt hat’s verordnet) zu verstauen.
Weiter oben ist man sich einig, dass sich Nutzen und Kosten gerade schlecht für Ralf entwickeln. Schließlich kann man ihn nicht einfach wegschließen, damit er keinem mehr auf die Schlappen tritt.
Eines Tages kommt Severine. Sie hat ein Einser-Magister-Examen als Software-Designerin von einer renommierten Medienhochschule und ist eine echte Nummer mit Preisen, Auszeichnungen etc. pp. So wird sie angekündigt.
Als die Tür in der Teambesprechung aufgeht, um sie vorzustellen, haut es die anderen im Raum um. Bis auf Ralf. Der ist gedanklich auf einem anderen Planeten, vulgo, er ist bereits in der siebenundzwanzigsten If-Schleife einer ziemlich komplexen KI-Formel und versucht gerade nachzuvollziehen, warum dieses verdammte Mistding nicht das tut, was man von ihm mit Fug und Recht erwarten darf. Schließlich hat er das Teil selbst programmiert, und ein KI-Code-Gott wie Ralf macht einfach keine Fehler, vor allem dann nicht, wenn die Sache so knifflig ist wie die vorliegende.
Severine ist eine echte Erscheinung. Wenn man weibliche Schönheit mit Hirn, Witz und exquisitem Geschmack, was das Outfit und Make-up angeht, kombiniert, hat man bzw. frau als Ergebnis das, was gerade im Raum steht. Der männliche Teil des Teams, so hetero, hat Stielaugen und eine Hormonausschüttung. Der kleinere weibliche Teil des Teams, so hetero, hat einen Anfall von Neid, der sich gewaschen hat. Der männliche Teil des Teams, der keine Hormonausschüttung hat, ist geflasht von der Ausstrahlung, und der weibliche Teil, der nicht hetero ist, hat ebenfalls eine hormonelle Wallung.
Nur Ralf ist außen vor. Das heißt, er ist körperlich da, aber geistig eben nicht. Weil niemand neben ihm sitzen will, ist dort ein Stuhl frei. Als ihn eine Frauenstimme, sehr warm- und wohlklingend, fragt, ob der Platz denn frei wäre, nickt er abwesend. Sie setzt sich hin. Der Oberchef und die Teamleiterin erzählen, was alles anliegt. Ralf denkt immer noch.
Severin schaut interessiert dabei zu, als er mit seinen Händen kleine Bewegungen macht, die in freien Raum irgendetwas lokalisieren. Schließlich fährt die Rechte mit dem Zeigefinger an die Lippen, und Ralf nickt. Auf einmal ist er wieder von dieser Welt und sagt halblaut: „Verdammt, da liegt der Hase im Pfeffer!“
Alles hörts. Alles lacht. Und klatscht. Ralf läuft rot an und will sich wehren, als sich eine kühle linke Hand auf seine rechte Hand stiehlt, die nach oben schießen will. Er sieht sich um, blickt in ein Gesicht mit großen braunen Augen, die ihn einfach nur anschauen, dann schüttelt diese Elfe leicht den Kopf, nur andeutungsweise, und legt ihrerseits den rechten Zeigefinger an ihren wunderbaren Mund.
Ralf sagt nichts. Und lächelt. Strahlend. Sie sagt nichts. Und lächelt. Strahlend.
Seit diesem Tag sind Ralf und Severin unzertrennlich. Sie kommunizieren auf einer Ebene, die der Umwelt verschlossen ist. Es reichen Gesten aus, Handzeichen, ein bisschen Mimik.
Ralf ist verliebt. Das Gefühl ist ihm nicht unbekannt. Aber er kann damit nichts anfangen. Er weiß nicht damit umzugehen. Und er weiß schon gar nicht, was Severin fühlt.
Er macht intuitiv das Richtige. Bringt seiner Severin einen Kaffee, schwarz. Holt in der Mittagspause einen Döner für sie. Hilft ihr bei der Einrichtung der Rechner. Umsorgt sie, als wäre sie aus Porzellan. Spielt genau den Gentleman, der er eigentlich ist.
Das geht ein paar Wochen so, aus denen Monate werden. Und ein Jahr. Eines Tages lädt sie ihn abends zu sich ein, weil es ihr zu bunt wird. Am nächsten Morgen frühstücken sie miteinander. Und das halten sie dann so. Bis auf weiteres.
Ralf ist eigentlich ein ganz netter Typ – wenn da nicht ein paar Seiteneffekte wären, die ihm das Leben schwermachen. Besser: Mit denen er sich selbst und der Umwelt das Leben mit ihm schwerer macht als nötig. Erstens: Er ist vorlaut, weiß alles besser (was meistens richtig ist, aber darauf kommts nunmal nicht wirklich an), spricht laut (dass dem Rest im Raum die Ohren dröhnen), macht dauernd ungebeten Verbesserungsvorschläge (auch Chefinnen und Chefs in Anwesenheit Dritter, was ein No-Go ist, das ihm scheinbar am A. vorbeigeht) und ist immer schon fertig mit seinen Jobs, wenn die Kolleg*innen noch den Kaffee trinken, den sie sich geholt haben, als die morgendliche Befehlsausgabe in der Teambesprechung vorbei war.
Kurz: Niemand mag Ralf. Eigentlich (jedenfalls gibts keiner zu, obgleich er fast jeder und jedem schon einmal selbstlos geholfen und damit den Kragen gerettet hat; aber wer gibt sowas schon gerne zu, oder?) ist das unfair. Such is life, man.
Das Schlimme ist: Ralf mag sich selbst nicht.
Ralf mag nicht, dass er aus lauter Unsicherheit alles falsch macht. Seine vorlaute Lautstärke ist eine Folge seiner mangelnden Selbsteinschätzung und der Einschätzung seiner Wirkung auf andere. Er mag nicht, dass die anderen hintenrum über ihn lachen und dumme Witze reißen (er ist weder blöd noch taub). Er mag nicht, dass sie ihn immer wegen seiner Wampe und seinen verknitterten Schlabberklamotten foppen (er lebt allein, hasst Bügeln und ist reinlicher als eine Katze, sogar seine Unterwäsche wechselt er täglich, ebenso seine T-Shirts). Er mag seine Haare nicht, nicht die dicke Brille, nicht die breiten Latschen (er hat einen hohen Spann und einen breiten Fuß, also sieht jeder Schuh nach dreimal Tragen aus, als wäre ein Panzer drübergerollt).
Eigentlich ist alles in Butter, weil Ralfs Umwelt und er sich einig sind, Ralf nicht zu mögen. Könnte man meinen. Nur kann Ralf damit nicht leben. Denn das kann auf die Dauer keiner.
Zum Glück weiß die Riege höher, was sie an Ralf hat. Ralf ist ein Crack in dem, was er tut. Er schraubt Apps und Programme in einer Geschwindigkeit und mit einer Klasse zusammen, dass es dem Rest der Welt den Atem verschlägt. Er ist einfach nur gut und auf GitHub ein Guru. Das hält ihn am und im Leben und verhindert, dass er ex- und implodiert, und das zeitgleich.
Aber glücklich ist er nicht. Jedenfalls nicht wirklich. Auch wenn er richtig gute Kohle macht, also gut verdient, und die beste Rechnerausstattung der ganzen Firma hat (zuhause hat er noch eine bessere, aber wer hätte das nicht gedacht, oder? Ist doch klar. Nerd bleibt Geek und umgekehrt).
Ralf wird deshalb immer unleidlicher und nerdiger. Einmal ist er wie eine Auster, sagt tagelang nichts, haut in die Tasten und seinen Code raus, dass die virtuellen Maschinen im Keller Schnappatmung kriegen, kommt spät morgens und geht noch viel später abends. Dann wieder platzt es aus ihm heraus, wenn technischer Mist geredet wird, und er maßregelt alle samt Teamleiterin, dass die Tür wackelt. Danach steht er schnaufend auf, vergräbt sich hinter seinen vier Monstermonitoren und klickert vor sich.
Man sieht ihn aufs Klo huschen. Seine Pizzaboxen und den Dönerabfall entsorgen. Seine leeren Cola- und Wasserflaschen in seine große Aldi-Tüte packen, um diese nach der Mittagspause gefüllt wieder aus dem Aufzug zu wuchten, durch den Gang zu schleppen und unter seinen Gigaschreibtisch mit Hydraulik (der Arzt hat’s verordnet) zu verstauen.
Weiter oben ist man sich einig, dass sich Nutzen und Kosten gerade schlecht für Ralf entwickeln. Schließlich kann man ihn nicht einfach wegschließen, damit er keinem mehr auf die Schlappen tritt.
Eines Tages kommt Severine. Sie hat ein Einser-Magister-Examen als Software-Designerin von einer renommierten Medienhochschule und ist eine echte Nummer mit Preisen, Auszeichnungen etc. pp. So wird sie angekündigt.
Als die Tür in der Teambesprechung aufgeht, um sie vorzustellen, haut es die anderen im Raum um. Bis auf Ralf. Der ist gedanklich auf einem anderen Planeten, vulgo, er ist bereits in der siebenundzwanzigsten If-Schleife einer ziemlich komplexen KI-Formel und versucht gerade nachzuvollziehen, warum dieses verdammte Mistding nicht das tut, was man von ihm mit Fug und Recht erwarten darf. Schließlich hat er das Teil selbst programmiert, und ein KI-Code-Gott wie Ralf macht einfach keine Fehler, vor allem dann nicht, wenn die Sache so knifflig ist wie die vorliegende.
Severine ist eine echte Erscheinung. Wenn man weibliche Schönheit mit Hirn, Witz und exquisitem Geschmack, was das Outfit und Make-up angeht, kombiniert, hat man bzw. frau als Ergebnis das, was gerade im Raum steht. Der männliche Teil des Teams, so hetero, hat Stielaugen und eine Hormonausschüttung. Der kleinere weibliche Teil des Teams, so hetero, hat einen Anfall von Neid, der sich gewaschen hat. Der männliche Teil des Teams, der keine Hormonausschüttung hat, ist geflasht von der Ausstrahlung, und der weibliche Teil, der nicht hetero ist, hat ebenfalls eine hormonelle Wallung.
Nur Ralf ist außen vor. Das heißt, er ist körperlich da, aber geistig eben nicht. Weil niemand neben ihm sitzen will, ist dort ein Stuhl frei. Als ihn eine Frauenstimme, sehr warm- und wohlklingend, fragt, ob der Platz denn frei wäre, nickt er abwesend. Sie setzt sich hin. Der Oberchef und die Teamleiterin erzählen, was alles anliegt. Ralf denkt immer noch.
Severin schaut interessiert dabei zu, als er mit seinen Händen kleine Bewegungen macht, die in freien Raum irgendetwas lokalisieren. Schließlich fährt die Rechte mit dem Zeigefinger an die Lippen, und Ralf nickt. Auf einmal ist er wieder von dieser Welt und sagt halblaut: „Verdammt, da liegt der Hase im Pfeffer!“
Alles hörts. Alles lacht. Und klatscht. Ralf läuft rot an und will sich wehren, als sich eine kühle linke Hand auf seine rechte Hand stiehlt, die nach oben schießen will. Er sieht sich um, blickt in ein Gesicht mit großen braunen Augen, die ihn einfach nur anschauen, dann schüttelt diese Elfe leicht den Kopf, nur andeutungsweise, und legt ihrerseits den rechten Zeigefinger an ihren wunderbaren Mund.
Ralf sagt nichts. Und lächelt. Strahlend. Sie sagt nichts. Und lächelt. Strahlend.
Seit diesem Tag sind Ralf und Severin unzertrennlich. Sie kommunizieren auf einer Ebene, die der Umwelt verschlossen ist. Es reichen Gesten aus, Handzeichen, ein bisschen Mimik.
Ralf ist verliebt. Das Gefühl ist ihm nicht unbekannt. Aber er kann damit nichts anfangen. Er weiß nicht damit umzugehen. Und er weiß schon gar nicht, was Severin fühlt.
Er macht intuitiv das Richtige. Bringt seiner Severin einen Kaffee, schwarz. Holt in der Mittagspause einen Döner für sie. Hilft ihr bei der Einrichtung der Rechner. Umsorgt sie, als wäre sie aus Porzellan. Spielt genau den Gentleman, der er eigentlich ist.
Das geht ein paar Wochen so, aus denen Monate werden. Und ein Jahr. Eines Tages lädt sie ihn abends zu sich ein, weil es ihr zu bunt wird. Am nächsten Morgen frühstücken sie miteinander. Und das halten sie dann so. Bis auf weiteres.