Die Esoterikerin

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Frau Bergner ging nun auf die sechzig zu. Als Endvierzigerin hatte sie der Gewerkschaft ade gesagt und sich den Anthroposophen angeschlossen. Ihr Bürozimmer lag schräg gegenüber von unserem. Ab und zu besuchte sie uns, den jungen Kollegen und mich, um eine Viertelstunde zu verplaudern. Wir sahen das gern, oft heiterte sie uns auf.

Eines Tages bringt sie die Rede aufs Rauchen, ein unverfängliches Thema, keiner von uns greift noch zur Zigarette. Frau Bergner hat es früher getan, jetzt rechnet sie damit ab. Wenn sie so bei der Sache ist, wippt sie eurythmisch auf Zehen und Fußballen.

„Wissen Sie“, verkündet Frau Bergner, „was man jetzt herausgefunden hat? Bei Rauchern ist die Körpertemperatur im Durchschnitt um acht Grad niedriger als bei Nichtrauchern.“

Der junge Kollege kräht sofort los: „Aber dann müssen sie ja schon beinahe tot sein!“

Ich versuche zu vermitteln: „Na ja, wenn die Wissenschaft so etwas herausgefunden hat, dann können es vielleicht null Komma acht sein, aber doch nicht ganze acht Grad. Oder, Frau Bergner?“

Wir wollen ihr die Bandbreite der Körpertemperatur vermitteln. Unmut kräuselt schon ihre Stirn. Gleich wird er sich Luft machen. Sie sagt laut und vorwurfsvoll: „Sie wissen doch beide, dass ich kein Zahlenmensch bin! Warum nageln Sie mich dann auf so etwas fest?“ Offenbar zürnt sie uns, nicht sich selbst.

Das Thema Rauchen wird aufgegeben, ein neues kommt nicht in Gang. Frau Bergner verlässt uns bald. Wir sehen uns an, lachen noch mal kurz und arbeiten weiter.
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Arno,

solche Frau Bergners sind gerade viele im Internet unterwegs, die irgendwelche Halbwahrheiten von sich geben.
Leider finden sich dann immer Menschen, die ihnen glauben.
Gerne gelesen!

Liebe Grüße
Manfred
 
solche Frau Bergners sind gerade viele im Internet unterwegs, die irgendwelche Halbwahrheiten von sich geben.
Ist mir auch aufgefallen, Manfred. Nur zum Hintergrund: Die kleine Geschichte wurde jetzt nicht eigens erfunden, sondern hat sich vor langer Zeit tatsächlich so vor meinen Augen und Ohren abgespielt. Sie kam mir neulich in den Sinn, da habe ich sie niedergeschrieben.

Bei allen, die hier so freundlich bewertet haben, bedanke ich mich.

Schönen Morgengruß
Arno Abendschön
 



 
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