Die Fabiansuppe

Uwe Janning

Mitglied
17:52 Uhr
Schavan, Schanitzel. Schnitzel! Essen?! Abendessen?! Einkaufen! Ich dummer Hund!
Ich verlasse die Wohnung, als hätte mir jemand eine Handgranate durchs Fenster geworfen. Auf dem Flur, direkt vor meiner Tür renne ich Sophie über den Haufen. Sie fällt rückwärts, setzt sich hart auf ihren Allerwertesten und fängt an zu plärren. Aber sie ist in der Lage, mir ein „boah, bist Du doof“ hinterher zu schreien, also wird mit ihr alles in Ordnung sein.
Glücklicherweise ist der Supermarkt nicht weit entfernt. Das müsste in acht Minuten zu schaffen sein. Beim Überqueren der Straße müssen zwei Autofahrer für mich schwer in die Eisen gehen. Ich sehe wie sie brüllen und fluchen und unterschiedliche Gesten für „Du Vollidiot“ benutzen. Für eine Auseinandersetzung habe ich jetzt leider keine Zeit.

17:54 Uhr

Vor der Fleischtheke ist nicht viel los. Nur eine ältere Dame um die Achtzig mit Rollator, die mit der Fleischereifachverkäuferin ein Fleischverkaufsfachgespräch führt. Es wird recht schnell deutlich, dass sie zu Hause ein Bataillon Panzergrenadiere zu versorgen hat, die gerade aus der Schlacht in die Heimat zurückgekehrt sind.
Schweinskopfsülze, grobe Leberwurst und Corned Beef (wie in dieser Gegend üblich, sagt sie ‚Kornetbeff‘), Rouladen bitte, aus der Oberschale?, ja aus der Oberschale, Tafelspitz bitte, ach, das müssen Sie extra bestellen, das ist aber ärgerlich, so was gab’s früher nicht, dann kaufe ich es eben bei Bellerbecks, Kalbsleber dann noch, ist doch frisch oder?‘
Sie hört nicht auf. Meine Kaumuskulatur arbeitet schwer und sorgt bei meinen Backenzähnen für einen Abrieb, der mich irgendwann mal teuer zu stehen kommen wird. Ich starre die alte Dame mordlüstern an, was sie jedoch völlig kalt lässt.
Während des zweiten Weltkrieges sind ihr wahrscheinlich Kinderschuhe samt Inhalt, vom Luftdruck detonierender Fliegerbomben getrieben um die Ohren geflogen, ist durch zerfetzte Körper auf der Suche nach Nahrung gestapft und hat auch noch die Massenvergewaltigungen der Roten Armee ertragen, da kann ich Hampelmann so böse gucken, wie ich will.
17:59 Uhr
Die eiskalte Kriegsveteranin wird gefragt, ob es sonst noch was sein dürfe. Sie überlegt. Sie überlegt weiter. Dann holt sie ihren Einkaufszettel hervor und prüft noch einmal gewissenhaft, ob die Truppenversorgung gewährleistet ist.
18:00 Uhr
Nein, sie ist es nicht. Sie will noch Hackfleisch haben. Halb und halb. Dass ich das Einkaufen verpennt habe, die einzige Aufgabe des Tages, kann ich jetzt sowieso nicht mehr vor Hilde verheimlichen. Ich sehe sie schon an mir verzweifelnd und kopfschüttelnd in der Küche stehen. Aber ich wäre kein Fabian, wenn ich keine Fabian-Idee hätte. Ich werde die Schnitzel in meinem Mantel verstecken und zusätzlich Zigaretten kaufen. Zigaretten zu besorgen war nicht meine Aufgabe heute. Ich kann also rotzfrech behaupten, dass ich noch mal raus in diese feindliche, kalte Welt gegangen bin, damit auch Hilde heute Abend was zu rauchen hat. Dann stehe ich nicht als der letzte Idiot da, sondern als fürsorglicher Freund. Danke Kopf.

18:08 Uhr
Ich treffe Hilde unten vor dem Hauseingang und gebe planmäßig vor, Zigaretten geholt zu haben. Zum Beweis wedele ich mit einer Schachtel vor ihrer Nase herum. Ich sehe ihrem Gesicht an, dass sie mir nicht glaubt. Soweit also keine Überraschung. „Ich habe verpennt einzukaufen, obwohl das die einzige Aufgabe für mich heute war“, würde sie mir natürlich auf der Stelle abkaufen. Auch: „Ich habe seit vier Jahren eine Geliebte und die wohnt im Affengehege“, würde von ihr ohne Zögern als wahre Aussage durchgewunken.
„Wie viel hast Du denn heute wieder geraucht?“ fragt sie. „Wir hatten doch noch vier volle Schachteln.“
„Wo?“ frage ich saublöd zurück.
„Wie? Wo? Na, da, wo sie immer sind.“
„Habe ich nicht gesehen, komisch.“ Mir ist unheimlich warm.
Ich schließe die Haustür auf und Hilde drängt sich an mir vorbei. Sie geht viel schneller als sonst, nimmt zwei Treppenstufen auf einmal. Das hat sie noch nie gemacht! Ich weiß es: sie will vor mir am Kühlschrank sein! Sie sagt nicht, dass sie mir nicht glaubt und gibt mir damit die Chance, mit einem charmanten Lächeln meine Schusseligkeit einzuräumen, was dann mit etwas – oder auch viel gutem Willen als „süß“ durchgegangen wäre. Nein, sie sagt nichts und will mich eiskalt der Lüge überführen. Vor dem schnitzelfreien Kühlschrank als Corpus Delicti. Die Frau ist charakterlich total verkommen.
Hilde schließt schwer atmend die Wohnungstür auf.
„Ich habe ja so einen Durst“, lügt sie und stürmt durch den Flur in die Küche, ohne den Mantel aufzuhängen. Sie hat gewonnen. Ich stehe zwar direkt hinter ihr, aber sie hat den Griff der Kühlschranktür in der Hand. Sie wirft mir einen Blick voll listiger Überlegenheit, voll offenen Triumphes zu. Dann reißt sie die Kühlschranktür so heftig auf, als wolle sie der Küche damit Luft zufächeln.

18:10 Uhr

Hilde kniet auf dem Boden vor dem Kühlschrank und betastet vor Schmerzen leicht stöhnend, ihre Stirn. Das Maggifläschchen hat sie mit beachtlicher Geschwindigkeit genau zwischen die Augen getroffen. Sie hebt es wortlos auf und starrt es an.
„Alles gut, Hilde? Soll ich Dir ein Schnitzel auf die Stelle legen, das hilft ja auch angeblich bei blauen Augen?“ Sie schüttelt stumm den Kopf.
„Komm, setz‘ Dich.“ Ich helfe ihr auf den Stuhl und gebe ihr ein Glas Wein. „Wirklich alles ok, Purzel?“ Sie nickt und trinkt einen großen Schluck.
„Da hat sich also dieses doofe Maggifläschchen versteckt. Seltsam, dass wir es gestern nicht gefunden haben.“ Sie nickt wieder.
„Erhol Dich erst mal. Ich paniere die Schnitzel.“
Hilde neigt ihren Kopf und betastet noch einmal vorsichtig die Maggidelle zwischen ihren geschlossenen Augen.
Ich lege die Schnitzel vor mich auf die Arbeitsplatte. Salz, Pfeffer, Paprikapulver, Mehl, Eier, Semmelbrösel. Ich summe leise vor mich hin, während ich paniere. Hilde nähert sich von hinten, legt mir ihr Kinn auf die Schulter und schaut meinem Treiben auf der Arbeitsplatte eine Weile zu. Dann stimmt sie in mein gesummtes Liedchen ein und wiegt sich leicht mit mir im Takt. Immer gebe ich mir die Schuld, wenn sie schlechte Laune hat, da freut es mich umso mehr, wenn sie guter Stimmung ist und mich auch noch daran teilhaben lässt. Sie gibt mir noch ein Küsschen auf die Wange, geht zurück zum Küchentisch und schenkt sich noch ein Glas Wein ein. Ich drehe mich kurz zu ihr um - sie lächelt mich an. Ich lächle zurück und paniere weiter. Das war aber ein komisches Lächeln. Ich halte in meinen Bewegungen inne. Erstarre. Vor mir liegt die Plastiktüte der Fleischtheke – samt angetackertem Beleg. Schweineschnitzel 427 Gramm; 3,12 Euro; bla bla bla; Uhrzeit: 18:05 Uhr. Es bediente Sie Frau Bödecker.

18:50 Uhr

Hilde isst ihr Schnitzel mit Genuss, ist gut drauf und erzählt lustige Geschichten aus der Onkologie. „Lecker“, lobt sie zwischendurch mit etwas vollem Mund, schluckt und lupft ihre Augenbrauen. „Teuer?“
„Weiß nicht.“
„Guck doch mal auf den Bon.“
Ich kenne sie. Die Sticheleien werden den ganzen Abend so weiter gehen. Dabei bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich das verdient habe. Schließlich lag sie ja gestern mit dem Maggi falsch und heute mit den Schnitzeln richtig. Meine männliche Einfalt sagt mir, dass wir damit quitt sind, meine Erfahrung sagt mir, dass ich blöd bin.

19:23 Uhr

Meine männliche Einfalt soll wider Erwarten doch recht behalten, zumindest für heute. Hilde sitzt in der Küche am Laptop und schreibt wieder über Leute, die Lord Henry Puffington und Lady Jane Hayworth oder Emma und George heißen. Charakter eins: reich, gemein, ekelig, Stiefvater einer betörend hübschen Tochter. Charakter zwei: Arm, nett, wahnsinnig sexy, wird von Charakter eins von der betörend hübschen Tochter ferngehalten.
Immerhin muss ich zugeben, dass diese beiden fein gewobenen Charaktere mir mein Abendessen bezahlt haben. Wir beide leben also von der Denkfäule einer Masse, die nichts anderes will, als den Realitäten dieser Welt mit Hilfe eines Romans zu entfliehen. Deutschlehrer nennen so etwas Eskapismus und verziehen dabei angewidert das Gesicht. Unsere Währung heißt Dummheit. Eine Schachtel Zigaretten kostet fünf Dummheit, fünfzig. Wir sind keinen Deut besser als diese Toffifee Werbetexter. Hilde, weil sie es schreibt, ich, weil ich das Schnitzel esse. Dabei habe ich gar nichts gegen Eskapismus, der kann nämlich richtig gut gemacht sein. „Der Herr der Ringe“ ist nun auch nicht gerade sozialkritisch und trotzdem ein fantastischer Roman. Nur die Kritiker, insbesondere die der achtundsechziger Generation, bekommen davon Magenkrämpfe. Wenn es nach denen ginge, gäbe es nur Böll, Brecht und Grass. Schon widersprüchlich, dass diese Freiheitskämpfer-generation nur Autoren gelten lässt, die den ganzen Tag mit erhobenem Zeigefinger und Aufruf zum Klassenkampf durch die Leserwelt latschen. Die Mahner. Die Wächter der Volksmeinung. Die Clique, die weiß, was gut für den Pöbel ist. Linksintellektuelle Hennen die Meinungen ausbrüten. Wer sie nicht mag, ist per definitionem doof. Rechtsintellektuelle Hennen gibt’s ja nicht, nur Thilo Sarrazin, aber der hält sich auch nur dafür.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Uwe Janning, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq

Feine Geschichte mit bösen Seitenhieben auf den Alltag. Für die Metzgertheke empfiehlt sich sowieso immer die Mitnahme eines Messers - für die anderen Kunden ... :)


Viele Grüße von DocSchneider

Redakteur in diesem Forum
 



 
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