Die Firma (Sonett)

SánchezP

Mitglied
Im kleinen Nachbarland, da gibt es viele Firmen
Die Leute hierzuland', die zieht es hin in Scharen
Angeblich ist der Lohn dort höher als beim Zaren
Doch geistlos sitzt man nur gestresst vor Flachbildschirmen.

Indes ist Leben mehr als Leere in den Birnen
Betrachten wir doch mal zum Beispiel die Kanaren
Siesta, Sonne, Meer sind hier die besten Waren
Gesundheit, Freude, Glück, statt sich nur abzuschirmen.

Mein Job erlaubt es mir, den Süden zu bereisen
In diesem tollen Flair zu weilen und zu speisen
Doch gibt es keine Jobs, die kognitiver wären?

Ach hätte ich gesetzt, ganz ohne Wachs die Firma
An andrer Stelle bloß – 'ne Uni als mein Schirmherr!
So würd' ich schweben nun, beseelt in andren Sphären.
 
Zuletzt bearbeitet:

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, SánchezP,

herzlich willkommen in der Leselupe.
Es ist ein merkwürdiges Sonett und erinnert mich in seiner "unfreiwilligen" Komik etwas an die schlesische Nachtigall, Friederike Kempner. Locker und flüssig geschrieben, enthält es auch "reim dich, oder ich fress dich"-Reime.

Eine Besonderheit ist die Verwendung von Alexandrinern (6-hebig, mit Mittel-Zäsur), die hier die Komik verstärkt.
 

SánchezP

Mitglied
Hallo Bernd,

vielen Dank für die Aufnahme in der Leselupe, das Lesen meines Sonetts und deine Anmerkungen!

"Die Firma" ist das erste Gedicht überhaupt von mir; von Hause aus bin ich theoretischer Mathematiker. Mit dem Gedicht wollte ich meine Gefühle einige Jahre nach dem Wechsel der Arbeitsstelle vom universitären in den privatwirtschaftlichen Sektor zum Ausdruck bringen.

Über weitere konstruktive oder destruktive Kritiken würde ich mich sehr freuen:).
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, danke für die Antwort.
Ich sehe daraus, dass die unfreiwillige Komik tatsächlich unbeabsichtigt war.

Zunächst konzentriere ich mich auf die Reime:
Ich markiere die unsauberen:

Im kleinen Nachbarland, da gibt es viele Firmen
Die Leute hierzuland, die zieht's dorthin in Scharen
Angeblich ist der Lohn dort höher als bei Zaren
Doch geistlos sitzt man nur, gleichgültig vor Bildschirmen. (unterschiedliche Betonung.)

Indes ist's Leben mehr als Leere in den Birnen
Die Lebensfreude zeigt's, etwa auf den Kanaren
Siesta, Sonne, Meer sind hier die besten Waren
Gesundheit, Glück und Freud statt sich nur abzuschirmen. (Assonanz, kein Reim)

Natürlich braucht's nen Job, die Möglichkeit zu haben
Zu reisen südwärts oft, sich in der Sonn' zu laben
Doch hätt ich nur nen Job, der kognitiver wäre.

Hätt ich bewusst gesetzt, doch im Vertrag die Firma
An andrer Stelle bloß – ne Uni als mein Schirmherr! (Zwei Einzelverse, ohne Reim, nur leichte Assonanz)
So würd ich schweben nun, beseelt in andrer Sphäre.


---
Firmen Schirmen
aber: Bildschirmen Betonung wechselt zu "Bild", deshalb reimt es sich nicht.

Birnen
Schirmen n-m


---

Das Problem: Wenn Du Reime verwendest, sollten sie im Sonett möglichst durchgehend sein.
Unreine Reime müssen eine Bedeutung haben. Ich hatte vermutet, Komik.
Für das erste Gedicht passt es aber nicht so gut.

Deshalb die erste Aufgabe: Verbessere die Reime.


PS: Mathe ist eins meiner Hobbys, leider auf niedrigem Niveau.

Zum Vergleich mit Mathe: Reime haben etwas mit Symmetrie zu tun. In einigen Deiner Reime tritt ein Symmetriebruch auf.
Verboten ist das nicht, jedoch ist es eher nicht Ziel des ersten Gedichtes.

Anregung: https://www.reimlexikon.net/
 

SánchezP

Mitglied
Hallo Bernd,

vielen Dank für deine Anregungen.

Im ersten Quartett könnte ich sowohl die Reim- als auch die Betonungsproblematik ggf. wie folgt umgehen:

Im kleinen Nachbarland, da gibt es viele Firmen
Die Leute hierzuland, die zieht's dorthin in Scharen
Angeblich ist der Lohn dort höher als bei Zaren
Doch geistlos sitzt man nur, gelangweilt vor zig Schirmen.

Bin mir nur nicht so sicher, ob man beim Lesen von "Schirmen" tatsächlich zuerst an Bildschirme denkt (ggf. in Verbindung mit dem Wort "Firmen" am Ende des ersten Verses).

Bzgl. der Assonanz im zweiten Quartett ("Birnen" <--> "schirmen"): Das Reimlexikon liefert hier an reinen Reimen tatsächlich nur "Firmen" <--> "Schirmen" und allerlei Varianten davon – von daher wird eine sinngemäße Umstellung hier wohl schwierig. Allerdings kann ich mit dieser Assonanz ganz gut leben, da es sich zumindest in meinen Ohren fast nach einem Reim anhört.

Nun zum vielleicht interessantesten Punkt, der leichten Assonanz "Firma" <--> "Schirmherr" im dritten Vers. Da du geschrieben hast, dass unreine Reime eine Bedeutung haben müssen, habe ich hier noch etwas Hoffnung. Das Sonett heißt ja "Die Firma", und dieser Titel ist bewusst gewählt: Hier geht es nicht nur um kommerzielle Firmen, sondern auf Spanisch bedeutet "firma" Unterschrift. Dies war auch der Ausgangspunkt der Idee zum Verfassen des Gedichts. Persönlich habe ich einen Bezug zu Spanien, da ich dort mal ein halbes Jahr lang gelebt und gearbeitet habe. Aus diesem Grunde habe ich versucht, schon in der zweiten und dritten Strophe mit den Wörtern "Kanaren" (nicht nur um des Reimes Willen ;-)) und "südwärts" in diese Richtung zu lenken. Als ich das Gedicht meiner Frau gezeigt habe, meint sie, dass sie daher das Wort "Firma" im letzten Terzett entweder kursiv oder klein schreiben würde. Ich hatte mich aber dagegen entschieden, da ich dem Leser hier nichts aufdrängen will (ohne die spanische Übersetzung ist der Text an dieser Stelle – zugegebenermaßen etwas holprig – ja auch zu verstehen). Kurz und gut: Ist die obige Begründung eine angemessene Rechtfertigung für die nur sehr leichte Assonanz "Firma" <--> "Schirmherr", und würdest du (würdet ihr) das Wort "Firma" hier klein/kursiv oder anderweitig hervorheben?
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich denke, es funktioniert. Eventuell auch "Fernsehschirmen" falls es keine Computerschirme sind. (Aber das sind es ja.)
Die Assonanz kannst Du lassen. Sie wirkt nicht komisch, wenn das "Schirmen"-Problem gelöst ist.
"Firma-Schirmherr" kannst Du lassen. Die echt schlimme stelle waren die Bildschirme.

---
Prüfe jetzt bitte Verkürzungen:

Indes ist's Leben mehr als Leere in den Birnen (Reicht hier Indes ist Leben mehr als Leere in den Birnen ?)

sich in der Sonn' zu laben

Das geht zwar, klingt aber nicht sehr gut.

Prüfe dann bitte die Zeichensetzung. Sie erscheint mir teilweise uneinheitlich zu sein.


Ist es ok, so schrittweise vorzugehen?
 

SánchezP

Mitglied
Hallo Bernd,

vielen Dank für deine weiteren Anmerkungen. Ich finde es super, dass du dir so viel Zeit nimmst, um mein Gedicht schrittweise zu verbessern, danke:).

Zuerst habe ich die erste Strophe doch nochmals umgebaut, da mir die "Schirme" nicht so gut gefallen haben. Mit "Flachbildschirmen" sollten es sowohl inhaltlich als auch mit der Betonung und dem Reim klappen:

Im kleinen Nachbarland, da gibt es viele Firmen
Die Leute hierzuland, die zieht's dorthin in Scharen
Angeblich ist der Lohn dort höher als bei Zaren
Doch geistlos sitzt man nur, gestresst vor Flachbildschirmen.

Passt das so, oder würdest du zur vorherigen Variante " Doch geistlos sitzt man nur, gelangweilt vor zig Schirmen." zurückkehren?


Bzgl. der Verkürzungen:

  • Du hast recht: Mit "Indes ist Leben mehr als Leere in den Birnen" spare ich mir die Verkürzung bei gleichem Sinn.
  • "sich in der Sonn' zu laben": Dies könnte ich durch "im Warmen sich zu laben" ersetzen.

Bzgl. der Zeichensetzung:

Hier war ich mir von Anfang an unsicher. Meine Recherchen habe ergeben, dass es im Allgemeinen keine Norm diesbezüglich gibt. Daher habe ich mich für die Variante "normale Groß-/Kleinschreibung und Zeichensetzung + Großbuchstaben am Versanfang + Punkt am Strophenende + keine Punkte an Versenden, die kein Strophenende sind" entschieden.
Sollten an Versenden, die Satzenden aber kein Strophenenden sind, auch Punkte gesetzt werden? Ansonsten fehlte wohl noch ein Komma im Vers " Gesundheit, Glück und Freud, statt sich nur abzuschirmen".
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Zur Zeichensetzung: Sie ist in Lyrik relativ frei. Vorteilhaft ist aber, wenn sie konsistent ist.

Ein Kriterium: Hilft sie dem Leser?
Ein anderes: Hilft sie dem Vorleser?

Deine Zeichensetzung ist konsistent. Es funktioniert im Prinzip. Es ging darum, das nochmal zu prüfen.

Hier wird sie durch eine Singularität durchbrochen: ne Uni als mein Schirmherr!
Das ist nicht falsch. Es hebt den Teil mit "Schirmherr" aber sehr hervor. Ist das beabsichtigt?

---

Wie wäre: "sich in der Sonne laben" - passt das inhaltlich?
 

SánchezP

Mitglied
Vielen Dank für die Anmerkungen!

Der Gedankenstrich im vorletzten Vers ist durchaus als Betonung beabsichtigt.

"sich in der Sonne laben" passt hervorragend, danke! Die Umsetzung aller oben erwähnter Punkte ergibt nun folgende Version:


Die Firma

Im kleinen Nachbarland, da gibt es viele Firmen
Die Leute hierzuland, die zieht's dorthin in Scharen
Angeblich ist der Lohn dort höher als bei Zaren
Doch geistlos sitzt man nur, gestresst vor Flachbildschirmen.

Indes ist Leben mehr als Leere in den Birnen
Die Lebensfreude zeigt's, etwa auf den Kanaren
Siesta, Sonne, Meer sind hier die besten Waren
Gesundheit, Glück und Freud, statt sich nur abzuschirmen.

Natürlich braucht's nen Job, die Möglichkeit zu haben
Zu reisen südwärts oft, sich in der Sonne laben
Doch hätt ich nur nen Job, der kognitiver wäre.

Hätt ich bewusst gesetzt, doch im Vertrag die Firma
An andrer Stelle bloß – ne Uni als mein Schirmherr!
So würd ich schweben nun, beseelt in andrer Sphäre.


Hast du (habt ihr) noch weitere Verbesserungsvorschläge?
 



 
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