Die Fliege

3,50 Stern(e) 4 Bewertungen

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Mittags setzte er sich an den Küchentisch und las die Stellenanzeigen. Wie immer fand er nicht eine einzige, die für ihn in Frage kam. Resigniert faltete er die Zeitung zusammen. In der nächsten Woche hatte er wieder einen Termin beim Arbeitsamt. Der wievielte? Es hatte ja doch alles keinen Sinn mehr für ihn. Wer nahm ihn schon mit 46?
Ein Geräusch störte ihn, ein beständiges Brummen und er erblickte eine dicke schwarze Fliege, die taumelnd gegen das Küchenfenster flog, ihr Spiegelbild gleichsam liebkosend und er ärgerte sich über ein so dummes Tier, das den Weg zwar hinein, aber nicht mehr heraus fand. Immer wieder und wieder berührte das Tier die glatte, glänzende Fläche des Fensters und nervte ihn mit ihrem Gebrumm. Außerdem hasste er diese schwarzen, fetten Fliegen. Wozu gab es sie überhaupt?
Die Stunden schlichen dahin, es gab nichts für ihn zu tun. Die Wohnung war sauber und aufgeräumt, so wie sie es gerne hatte und wie sie es ihm auftrug, bevor sie zu ihrer Arbeit aufbrach. Sie würde gegen 17 Uhr zurückkehren, sich frisch machen und anschließend würden sie zu Abend essen, bevor sie den Fernseher einschalteten. Alles war vorhersehbar. Das Einzige, was heute anders war, war diese blöde Fliege mit ihren Geräuschen. Im Moment war nichts zu hören. Er bemerkte, dass die Fliege auf der Scheibe saß, ihre Beine putzte und ihn anzusehen schien. Kurz überlegte er, sie mit seinem Hausschuh zu erschlagen, aber die Fenster waren erst gestern von ihm mühsam geputzt worden, streifen frei, und er wollte sich diese kleine Freude nicht selbst zunichte machen.
Er schlug die Fernsehzeitung auf und versuchte, ein Kreuzworträtsel zu lösen. Es gelang ihm mäßig, und als er gerade über Lebensform mit drei Buchstaben grübelte, hörte er den Schlüssel in der Tür. Sie betrat die Wohnung, ließ Mantel und Tasche beinahe fallen und streckte den Kopf durch die Tür. "Hallo.....hast du alles gemacht, was ich gesagt habe?" "Natürlich", antwortete er, "alles gesaugt, gewischt und den Müll entsorgt. Essen ist vorbereitet....". Sie ging in die Küche, inspizierte kurz den Kühlschrank und kam wieder ins Wohnzimmer. "Gut", sagte sie, "ich bin kaputt, nehme ein Bad. In der Küche ist übrigens eine Fliege, eklig, hau sie doch kaputt, aber so, dass die Fenster nicht leiden!" Sie verschwand im Bad und er hörte das Wasser in die Wanne rauschen.
Er ging in die Küche und betrachtete die Fliege, die wieder wie blöd gegen das Fenster flog. Kurz überlegte er, ihr nun den Garaus zu machen oder das Fenster weit zu öffnen, um sie in die Freiheit zu entlasssen, verwarf den Gedanken aber wieder. Wieso sollte es für sie Freiheit geben, wenn sie ihm verwehrt war? Wenn er auch gefangen in dieser Küche saß.
Er spürte, dass er sich erleichtern musste und ging vorsichtig ins Bad. Sie lag in der Wanne, die Augen geschlossen, und reagierte nicht, als er die Toilette benutzte. Er hasste es, vor ihr Wasser zu lassen, das machte man nicht, das war zu intim, aber es ging nicht anders in dieser Wohnung. Als er fertig war, wandte er sich um und warf einen Blick auf seine Frau. Ihre Augen waren noch immer geschlossen, feine Schweißperlen zierten die Stirn, das Haar kräuselte sich um ihre Schläfen. Sein Blick glitt über ihre gewaltigen, hängenden Brüste, die nicht vom Wasser und Schaum bedeckt waren. Den Rest ihres Körpers konnte er sich vorstellen: Der schwabbelige Bauch, der an Wellfleisch erinnerte, das dunkle unrasierte Ypsilon ihres Schoßes, die von Orangenhaut überzogenen Oberschenkel, die strammen Waden. Nein, er begehrte sie schon lange nicht mehr.
"Warum kommst du nicht rein?", hörte er plötzlich ihre Stimme und er erschrak, denn so ein Angebot machte sie nie. Unsicher starrte er sie an. Verweigerte er dies, würde sie den restlichen Abend kein Wort mehr an ihn richten. Auf der anderen Seite - was wollte er denn von ihr in der Wanne? Nichts. Und was wollte sie? Etwa ihn? Nach ewiger Zeit?
Schließlich entschied er sich für das kleinere Übel und zog sich rasch aus, stieg in die Wanne, sorgsam darauf bedacht, kein Wasser überschwappen zu lassen. Er legte sich so hin, dass sich nur ihre Beine schwach berührten und sah seinen Körper mit dem gleichen Abscheu an, mit dem er den ihren betrachtet hatte. Seine eingefallene Brust mit den inzwischen grau gewordenen Haaren, seinen Bauchansatz, seinen kleinen Penis, der wie eine verschrumpelte rote Wurst durch das Wasser schimmerte, seine schlaffen, untrainierten Beine. Nein, mit ihm war auch kein Staat zu machen.
"Na, wie wäre es, mal hier in der Wanne....haben wir doch noch nie oder ich kann mich nicht erinnern...", sie brach ab und sah ihn herausfordernd an. Er schwieg. Er dachte, die fehlende Reaktion seines Körpers sagte doch wohl genug. Er schaute sie an und sah den Hass in ihren Augen. "Ach du", sagte sie, "Versager auf der ganzen Linie" und ließ die Liddeckel herunterklappen.
Er stieg aus der Wanne, trocknete sich ab und zog sich an, alles in Windeseile. Bloß weg hier, raus aus dieser, warmen erstickenden Enge. Als er in die Küche ging, in der die Fliege wieder brummte, rief sie ihm hinterher: "Mach wenigstens das Essen schon fertig, du......Schlappschwanz!"
Er verharrte in der Bewegung, den Kühlschrank öffnen zu wollen und fühlte sein Herz schlagen, heftig, ungleichmäßig, zu schnell. Es reicht, schrie es, es reicht! Er ergriff den nächstbesten Gegenstand und schlug zu. Er schlug und schlug und schlug, wie von Sinnen, konnte nicht mehr aufhören, hörte das Blut in seinen Ohren rauschen. Dann hielt er inne.
"Wurde aber auch Zeit, dass du dieses Scheißvieh erledigt hast, geht einem ja tierisch auf den Wecker mit seinem Gebrumm. Aber das frische Tuch musstest du dafür nicht ruinieren, und das saubere Fenster ist im Eimer, musst du morgen putzen", sagte sie, als sie aus dem Bad in die Küche kam. Er starrte sie an, starrte das Fenster an, an dem die verendende Fliege eine hässliche Schleimspur hinter sich her zog und starrte auf das Küchentuch, von ihm gestern erst sorgsam gebügelt.
Nach dem Abendessen sahen sie Forsthaus Falkenau. Alles war wie immer. Das Tuch war in der Wäsche. Die Abendsonne warf ihren Schein auf das von der Fliege verschmierte Fenster.
 

ThomasStefan

Mitglied
Hallo Doc
Schon lustig, dass wir unter gleichem Titel eine Story eingestellt haben.
Zum Text: Ein ziemlich triste Geschichte mit unsympathischen Protagonisten, mit denen man sich nicht identifizieren will. So hast du es gewollt, aber vielleicht fand die Story deshalb kaum Wiederhall. Manches ist mir zu deutlich, unnötig ausgesprochen, Andeutungen wären besser. Etwa, dass sie auf seinen reaktionslosen Penis starrt. Da braucht man nichts mehr sagen, das spricht doch für sich, oder? Überhaupt, warum setzt er sich überhaupt ins Bad, wenn er gar keine Lust hat? Und warum ist das das kleinere Übel?
Auch seine Gefühlswelt als Hausmann wider Willen würde ich eher indirekt darstellen, eher noch mehr Analogien zu der gefangenen Fliege zeigen, zu ihren sinnlosen Versuchen, auszubrechen und dass sie sich halt sich immer wieder „putzt“ (wie er den Haushalt).
Wenn es eine Schluß-Pointe geben soll, so muss die Story m.M.n. punktgenau damit enden, hier ist das Ende zu lang gezogen, da verpufft die Überraschung. Viell. könnte man eine weitere Pointe anschließen: Er, stimuliert durch den Fliegentod, schwankt zw. Mordlust und Mutlosigkeit, und wieder mal spuckt sie ihm in die Suppe - egal, in welche Richtung.
Schöne Grüße, Thomas
 

ThomasStefan

Mitglied
Die 4er-Wertung stammt nicht von mir, das möchte ich klar stellen, damit wird man m.E. der Story nicht gerecht.
Gruß zur Nacht
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Thomas, danke, dass Du den Text wachgeküsst hast - ich habe es nicht als negativ empfunden, dass er nicht so wahrgenommen wurde, immerhin gab es eine 8 und auch zahlreiche Klicks. Damals war ich hier nicht sehr aktiv, vielleicht liegt es daran.
Oder an der Geschichte. Ich wollte ein Paar zeigen, dass dazu verdammt ist, in bitterer Konsequenz miteinander weiterzuleben. Deshalb der Schluss.
Allerdings ist Dein Einwand berechtigt, dass man mit dem Vergleich Fliege-Hausmann noch mehr rausholen kann. Werde darüber nachdenken.

Für ihn es das kleinere Übel, in die Wanne zu steigen als es nicht zu tun, da er sonst riskiert, dass sie den ganzen Abend beleidigt schweigt. Also riskiert er es - gut war das dann auch nicht.

Ich habe nicht angenommen, dass die 4 von Dir ist. :) Trotzdem danke an denjenigen, denn er hat den Text immerhin gelesen.

LG Doc
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Mittags setzte er sich an den Küchentisch und las die Stellenanzeigen. Wie immer fand er nicht eine einzige, die für ihn in Frage kam. Resigniert faltete er die Zeitung zusammen. In der nächsten Woche hatte er wieder einen Termin beim Arbeitsamt. Der wievielte? Es hatte ja doch alles keinen Sinn mehr für ihn. Wer nahm ihn schon mit 46?
Ein Geräusch störte ihn, ein beständiges Brummen und er erblickte eine dicke schwarze Fliege, die taumelnd gegen das Küchenfenster flog, ihr Spiegelbild gleichsam liebkosend und er ärgerte sich über ein so dummes Tier, das den Weg zwar hinein, aber nicht mehr heraus fand. Immer wieder und wieder berührte das Tier die glatte, glänzende Fläche des Fensters und nervte ihn mit ihrem Gebrumm. Außerdem hasste er diese schwarzen, fetten Fliegen. Wozu gab es sie überhaupt?
Die Stunden schlichen dahin, es gab nichts für ihn zu tun. Die Wohnung war sauber und aufgeräumt, so wie sie es gerne hatte und wie sie es ihm auftrug, bevor sie zu ihrer Arbeit aufbrach. Sie würde gegen 17 Uhr zurückkehren, sich frisch machen und anschließend würden sie zu Abend essen, bevor sie den Fernseher einschalteten. Alles war vorhersehbar. Das Einzige, was heute anders war, war diese blöde Fliege mit ihren Geräuschen. Im Moment war nichts zu hören. Er bemerkte, dass die Fliege auf der Scheibe saß, ihre Beine putzte und ihn anzusehen schien. Kurz überlegte er, sie mit seinem Hausschuh zu erschlagen, aber die Fenster waren erst gestern von ihm mühsam geputzt worden, streifen frei, und er wollte sich diese kleine Freude nicht selbst zunichte machen. Es erschien ihm makaber, dass die Fliege mit ihrer Putzarbeit seine zunichte machen konnte. Sie war tatsächlich in der Lage, das Fenster zu verunstalten, und das erfüllte ihn mit Wut. Er beschloss, sich abzulenken.

Er schlug die Fernsehzeitung auf und versuchte, ein Kreuzworträtsel zu lösen. Es gelang ihm mäßig, und als er gerade über Lebensform mit drei Buchstaben grübelte, hörte er den Schlüssel in der Tür. Sie betrat die Wohnung, ließ Mantel und Tasche beinahe fallen und streckte den Kopf durch die Tür. "Hallo.....hast du alles gemacht, was ich gesagt habe?" "Natürlich", antwortete er, "alles gesaugt, gewischt und den Müll entsorgt. Essen ist vorbereitet....". Sie ging in die Küche, inspizierte kurz den Kühlschrank und kam wieder ins Wohnzimmer. "Gut", sagte sie, "ich bin kaputt, nehme ein Bad. In der Küche ist übrigens eine Fliege, eklig, hau sie doch kaputt, aber so, dass die Fenster nicht leiden!" Sie verschwand im Bad und er hörte das Wasser in die Wanne rauschen.
Er ging in die Küche und betrachtete die Fliege, die wieder wie blöd gegen das Fenster flog. Kurz überlegte er, ihr nun den Garaus zu machen oder das Fenster weit zu öffnen, um sie in die Freiheit zu entlasssen, verwarf den Gedanken aber wieder. Wieso sollte es für sie Freiheit geben, wenn sie ihm verwehrt war? Wenn er auch gefangen in dieser Küche saß.
Er spürte, dass er sich erleichtern musste und ging vorsichtig ins Bad. Sie lag in der Wanne, die Augen geschlossen, und reagierte nicht, als er die Toilette benutzte. Er hasste es, vor ihr Wasser zu lassen, das machte man nicht, das war zu intim, aber es ging nicht anders in dieser Wohnung. Als er fertig war, wandte er sich um und warf einen Blick auf seine Frau. Ihre Augen waren noch immer geschlossen, feine Schweißperlen zierten die Stirn, das Haar kräuselte sich um ihre Schläfen. Sein Blick glitt über ihre gewaltigen, hängenden Brüste, die nicht vom Wasser und Schaum bedeckt waren. Den Rest ihres Körpers konnte er sich vorstellen: Der schwabbelige Bauch, der an Wellfleisch erinnerte, das dunkle unrasierte Ypsilon ihres Schoßes, die von Orangenhaut überzogenen Oberschenkel, die strammen Waden. Nein, er begehrte sie schon lange nicht mehr.
"Warum kommst du nicht rein?", hörte er plötzlich ihre Stimme und er erschrak, denn so ein Angebot machte sie nie. Unsicher starrte er sie an. Verweigerte er dies, würde sie den restlichen Abend kein Wort mehr an ihn richten. Auf der anderen Seite - was wollte er denn von ihr in der Wanne? Nichts. Und was wollte sie? Etwa ihn? Nach ewiger Zeit?
Schließlich entschied er sich für das kleinere Übel und zog sich rasch aus, stieg in die Wanne, sorgsam darauf bedacht, kein Wasser überschwappen zu lassen. Er legte sich so hin, dass sich nur ihre Beine schwach berührten und sah seinen Körper mit dem gleichen Abscheu an, mit dem er den ihren betrachtet hatte. Seine eingefallene Brust mit den inzwischen grau gewordenen Haaren, seinen Bauchansatz, seinen kleinen Penis, der wie eine verschrumpelte rote Wurst durch das Wasser schimmerte, seine schlaffen, untrainierten Beine. Nein, mit ihm war auch kein Staat zu machen.
"Na, wie wäre es, mal hier in der Wanne....haben wir doch noch nie oder ich kann mich nicht erinnern...", sie brach ab und sah ihn herausfordernd an. Er schwieg. Er dachte, die fehlende Reaktion seines Körpers sagte doch wohl genug. Er schaute sie an und sah den Hass in ihren Augen. "Ach du", sagte sie, "Versager auf der ganzen Linie" und ließ die Liddeckel herunterklappen.
Er stieg aus der Wanne, trocknete sich ab und zog sich an, alles in Windeseile. Bloß weg hier, raus aus dieser, warmen erstickenden Enge. Als er in die Küche ging, in der die Fliege wieder brummte, rief sie ihm hinterher: "Mach wenigstens das Essen schon fertig, du......Schlappschwanz!"
Er verharrte in der Bewegung, den Kühlschrank öffnen zu wollen und fühlte sein Herz schlagen, heftig, ungleichmäßig, zu schnell. Es reicht, schrie es, es reicht! Er ergriff den nächstbesten Gegenstand und schlug zu. Er schlug und schlug und schlug, wie von Sinnen, konnte nicht mehr aufhören, hörte das Blut in seinen Ohren rauschen. Dann hielt er inne.
"Wurde aber auch Zeit, dass du dieses Scheißvieh erledigt hast, geht einem ja tierisch auf den Wecker mit seinem Gebrumm. Aber das frische Tuch musstest du dafür nicht ruinieren, und das saubere Fenster ist im Eimer, musst du morgen putzen", sagte sie, als sie aus dem Bad in die Küche kam. Er starrte sie an, starrte das Fenster an, an dem die verendende Fliege eine hässliche Schleimspur hinter sich her zog und starrte auf das Küchentuch, von ihm gestern erst sorgsam gebügelt.
Nach dem Abendessen sahen sie Forsthaus Falkenau. Alles war wie immer. Das Tuch war in der Wäsche. Die Abendsonne warf ihren Schein auf das von der Fliege verschmierte Fenster.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Mittags setzte er sich an den Küchentisch und las die Stellenanzeigen. Wie immer fand er nicht eine einzige, die für ihn in Frage kam. Resigniert faltete er die Zeitung zusammen. In der nächsten Woche hatte er wieder einen Termin beim Arbeitsamt. Der wievielte? Es hatte ja doch alles keinen Sinn mehr für ihn. Wer nahm ihn schon mit 46?
Ein Geräusch störte ihn, ein beständiges Brummen und er erblickte eine dicke schwarze Fliege, die taumelnd gegen das Küchenfenster flog, ihr Spiegelbild gleichsam liebkosend und er ärgerte sich über ein so dummes Tier, das den Weg zwar hinein, aber nicht mehr heraus fand. Immer wieder und wieder berührte das Tier die glatte, glänzende Fläche des Fensters und nervte ihn mit ihrem Gebrumm. Außerdem hasste er diese schwarzen, fetten Fliegen. Wozu gab es sie überhaupt?
Die Stunden schlichen dahin, es gab nichts für ihn zu tun. Die Wohnung war sauber und aufgeräumt, so wie sie es gerne hatte und wie sie es ihm auftrug, bevor sie zu ihrer Arbeit aufbrach. Sie würde gegen 17 Uhr zurückkehren, sich frisch machen und anschließend würden sie zu Abend essen, bevor sie den Fernseher einschalteten. Alles war vorhersehbar. Das Einzige, was heute anders war, war diese blöde Fliege mit ihren Geräuschen. Im Moment war nichts zu hören. Er bemerkte, dass die Fliege auf der Scheibe saß, ihre Beine putzte und ihn anzusehen schien. Kurz überlegte er, sie mit seinem Hausschuh zu erschlagen, aber die Fenster waren erst gestern von ihm mühsam geputzt worden, streifen frei, und er wollte sich diese kleine Freude nicht selbst zunichte machen. Es erschien ihm makaber, dass die Fliege mit ihrer Putzarbeit seine zunichte machen konnte. Sie war tatsächlich in der Lage, das Fenster zu verunstalten, und das erfüllte ihn mit Wut. Er beschloss, sich abzulenken.

Er schlug die Fernsehzeitung auf und versuchte, ein Kreuzworträtsel zu lösen. Es gelang ihm mäßig, und als er gerade über Lebensform mit drei Buchstaben grübelte, hörte er den Schlüssel in der Tür. Sie betrat die Wohnung, ließ Mantel und Tasche beinahe fallen und streckte den Kopf durch die Tür. "Hallo.....hast du alles gemacht, was ich gesagt habe?" "Natürlich", antwortete er, "alles gesaugt, gewischt und den Müll entsorgt. Essen ist vorbereitet....". Sie ging in die Küche, inspizierte kurz den Kühlschrank und kam wieder ins Wohnzimmer. "Gut", sagte sie, "ich bin kaputt, nehme ein Bad. In der Küche ist übrigens eine Fliege, eklig, hau sie doch kaputt, aber so, dass die Fenster nicht leiden!" Sie verschwand im Bad und er hörte das Wasser in die Wanne rauschen.
Er ging in die Küche und betrachtete die Fliege, die wieder wie blöd gegen das Fenster flog. Kurz überlegte er, ihr nun den Garaus zu machen oder das Fenster weit zu öffnen, um sie in die Freiheit zu entlasssen, verwarf den Gedanken aber wieder. Wieso sollte es für sie Freiheit geben, wenn sie ihm verwehrt war? Wenn er auch gefangen in dieser Küche saß.
Er spürte, dass er sich erleichtern musste und ging vorsichtig ins Bad. Sie lag in der Wanne, die Augen geschlossen, und reagierte nicht, als er die Toilette benutzte. Er hasste es, vor ihr Wasser zu lassen, das machte man nicht, das war zu intim, aber es ging nicht anders in dieser Wohnung. Als er fertig war, wandte er sich um und warf einen Blick auf seine Frau. Ihre Augen waren noch immer geschlossen, feine Schweißperlen zierten die Stirn, das Haar kräuselte sich um ihre Schläfen. Sein Blick glitt über ihre gewaltigen, hängenden Brüste, die nicht vom Wasser und Schaum bedeckt waren. Den Rest ihres Körpers konnte er sich vorstellen: Der schwabbelige Bauch, der an Wellfleisch erinnerte, das dunkle unrasierte Ypsilon ihres Schoßes, die von Orangenhaut überzogenen Oberschenkel, die strammen Waden. Nein, er begehrte sie schon lange nicht mehr.
"Warum kommst du nicht rein?", hörte er plötzlich ihre Stimme und er erschrak, denn so ein Angebot machte sie nie. Unsicher starrte er sie an. Verweigerte er dies, würde sie den restlichen Abend kein Wort mehr an ihn richten. Auf der anderen Seite - was wollte er denn von ihr in der Wanne? Nichts. Und was wollte sie? Etwa ihn? Nach ewiger Zeit?
Schließlich entschied er sich für das kleinere Übel und zog sich rasch aus, stieg in die Wanne, sorgsam darauf bedacht, kein Wasser überschwappen zu lassen. Er legte sich so hin, dass sich nur ihre Beine schwach berührten und sah seinen Körper mit dem gleichen Abscheu an, mit dem er den ihren betrachtet hatte. Seine eingefallene Brust mit den inzwischen grau gewordenen Haaren, seinen Bauchansatz, seinen kleinen Penis, der wie eine verschrumpelte rote Wurst durch das Wasser schimmerte, seine schlaffen, untrainierten Beine. Nein, mit ihm war auch kein Staat zu machen.
"Na, wie wäre es, mal hier in der Wanne....haben wir doch noch nie oder ich kann mich nicht erinnern...", sie brach ab und sah ihn herausfordernd an. Er schwieg. Er dachte, die fehlende Reaktion seines Körpers sagte doch wohl genug. Er schaute sie an und sah den Hass in ihren Augen. "Ach du", sagte sie, "Versager auf der ganzen Linie" und ließ die Liddeckel herunterklappen.
Er stieg aus der Wanne, trocknete sich ab und zog sich an, alles in Windeseile. Bloß weg hier, raus aus dieser, warmen erstickenden Enge. Als er in die Küche ging, in der die Fliege wieder brummte, rief sie ihm hinterher: "Mach wenigstens das Essen schon fertig, du......Schlappschwanz!"
Er verharrte in der Bewegung, den Kühlschrank öffnen zu wollen und fühlte sein Herz schlagen, heftig, ungleichmäßig, zu schnell. Es reicht, schrie es, es reicht! Er ergriff den nächstbesten Gegenstand und schlug zu. Er schlug und schlug und schlug, wie von Sinnen, konnte nicht mehr aufhören, hörte das Blut in seinen Ohren rauschen. Dann hielt er inne.
"Wurde aber auch Zeit, dass du dieses Scheißvieh erledigt hast, geht einem ja tierisch auf den Wecker mit seinem Gebrumm. Aber das frische Tuch musstest du dafür nicht ruinieren, und das saubere Fenster ist im Eimer, musst du morgen putzen", sagte sie, als sie aus dem Bad in die Küche kam. Er starrte sie an, starrte das Fenster an, an dem die verendende Fliege eine hässliche Schleimspur hinter sich her zog und starrte auf das Küchentuch, von ihm gestern erst sorgsam gebügelt.
Nach dem Abendessen sahen sie Forsthaus Falkenau. Alles war wie immer. Das Tuch war in der Wäsche. Die Abendsonne warf ihren Schein auf das von der Fliege verschmierte Fenster.
 



 
Oben Unten