Et contra nubes
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Nach unserem Kurzurlaub an der Mosel, begann für mich wieder meine Arbeit und die Abendrealschule, in der ich mich, bis auf die Mathematik, verbessert hatte und es keine bedrohlichen Beanstandungen mehr gab. Trotzdem gab es für mich einen Aufreger, den ich bis heute nicht vergessen habe.
Im Fach Deutsch, in dem ich mich zu Hause fühlte, alleine schon wegen der vielen klassischen Stücke die wir nachspielten, weil jeder aus den Reclam Heftchen eine Rolle übernehmen musste, und ich mich mit allem Eifer in diese Rolle stürzte und Spaß daran fand sie so präsent wie möglich darzustellen.
So kam es, dass unser Lehrer ein Stück von Carl Zuckmayer vorschlug: „Des Teufels General.“ Wir nahmen den Text durch, dann übernahm jeder seine Sprechrolle und in den nächsten Tagen vertieften wir uns immer mehr in die Wirren und Abgründe des Dritten Reiches, in seine Protagonisten, den Verführern, den Intriganten, Verfemten und den Fanatikern.
Wenn ich den Text las, kam es mir vor, als tauchte ich ein in dunkle Nebel, in eine Welt fast ohne Licht, in der nur Angst herrschte. Gleichzeitig aber war diese fremde Welt faszinierend und spannend und so unwahrscheinlich, dass ich manches Mal glaubte, alles das habe es in der Realität nicht gegeben.
Aber natürlich holte mich die Erinnerung ein, aus meinen Kindertagen, als Mutter und Vater mir von dieser Zeit erzählten, alles hatte sich tatsächlich so abgespielt.
Als das Stück besprochen und durchgespielt war, verlangte der Lehrer von uns eine Stellungnahme zum Stück in schriftlicher Form, denn die entscheidende Frage, um die es ging lautete, war die Sabotage an den Flugzeugen der Deutschen Wehrmacht gerechtfertigt oder nicht?
Das Hauptmotiv des Stückes handelte genau davon, dass die neuen Flugzeuge, die an die russische Front geschickt wurden, ein Leitwerkproblem aufwiesen, von dem der leitende Ingenieur wusste, es aber niemanden berichtete, weil er die Nazis hasste.
Wir sollten unsere Meinung in schriftlicher Form verfassen und so machten wir uns an die Arbeit. Ich sprach mit meiner Frau darüber. "Monika, schaue dir doch bitte die Interpretation meines Stückes an, was sagst du dazu?"
Als sie es las, wusste ich, weil sie dabei ihren Kopf hin und her bewegte, dass es schwierig werden würde. "Weißt du, dass ist kein leichtes Thema. Zuckmayer hat es ja nicht ohne Grund so geschrieben, er wollte, dass sich die Menschen daran reiben, du wirst dich wappnen müssen, das ist Diskussionsstoff, mache dich auf einiges gefasst."
Aber für mich gab es keinen Zweifel, dass es nicht gerechtfertigt war, einem Soldaten, der an der Front Dienst tun musste, eine Waffe in die Hand zu geben, mit der er sich nicht verteidigen konnte.
"Sieh mal Monika, er hat Kinder und Familie und in diesem Wahnsinnskrieg, den er ja nicht zu verantworten hatte, musste er zumindest eine gewisse Chance haben, mit heiler Haut aus diesem Krieg zurückzukehren."
"Ja, das verstehe ich doch, aber man muss das natürlich auch im Kontext sehen, das 3. Reich war ein Verbrecherregime, Menschenleben spielten doch bei denen keine Rolle, jeden Tag starben tausende an der Front, da war es doch das reine Glück, wenn man ungeschoren davon kam."
"Aber das ist es doch gerade, was ich meine, sagte ich zu ihr. "Mit einer Waffe, mit der man nichts anfangen kann, oder wie im Falle des Flugzeuges, mit dem man in den sicheren Tod flog, kann doch von Chancengleichheit keine Rede sein, deshalb lehne ich diese Art der Sabotage ab." Sie schaute mich an und zuckte mit den Schultern.
Nach Abgabe meiner Darlegungen vergingen noch ein paar Tage bis zum nächsten Deutschunterricht. Die eingegangenen Berichte wurden von einzelnen Schülern vorgetragen und zu meiner Überraschung, hatten fast alle Mitschüler eine andere Meinung zu den Sabotageakten als ich.
Diesem Regime musste das Handwerk gelegt werden hieß es da, der Krieg musste abgekürzt werden und wenn es auch um den Preis von Menschenleben ging, die eigentlich mit den Umständen nichts zu tun hatten.
Diesen Blutzoll musste man mit einkalkulieren, denn, so die Meinung der Mitschüler, ging es um mehr als nur um ein paar Menschenleben, hier ging es darum, das verbrecherische System von innen heraus zu infiltrieren, weitere Verbündete zu finden und den Machtapparat in die Knie zu zwingen.
Ich argumentierte aus der Sichtweise des Soldaten, der sich zu Hause verabschiedete und seiner Familie versprach auf sich aufzupassen, er würde bald wieder zu Hause sein. Er wusste ja nicht, dass er keine Chance hatte, dass er eigentlich schon tot war, als er das Haus verließ.
Es mussten andere Sabotagemöglichkeiten geben, ohne Einsatz von Menschenleben unter den Soldaten, sollte sie doch die Produktionsmaschinen zerstören oder Dampfkessel, in die Luft sprengen. Die Transportmittel, wie Schiffe oder Eisenbahnen, lahmlegen.
So gingen die leidenschaftlich geführten Debatten hin und her und es passierte, dass uns die Putzfrau tief in der Nacht rausschmiss, weil wir noch immer im Klassenzimmer saßen und heiß diskutierten.
Wieder vergingen Tage und längst hatten wir uns dem Schimmelreiter zugewandt, das war ein ganz anderer Stoff und so verschwand der düstere Nebel, der die Geschichte des Teufelsgenerals umgab, meinem Gedächtnis.
Aber dann, wieder einige Tage später, bekamen wir die Benotung unserer geschriebenen Darlegungen. Meine Benotung war von einer Zwei auf eine Vier zensiert worden, was mich erstaunte. Der Lehrer hatte auch gleich eine Erklärung zur Hand. Die Nachbenotung sei vom Direx persönlich vorgenommen worden.
Auf meine Frage, was denn der Grund für diese Benotung sei, druckste der Lehrer herum, gab dann aber zu, dass der Rektor mit meiner Ansicht nicht einverstanden sei. Ich glaubte, ich träumte, was war das doch für ein Idiot, ging es mir durch den Kopf.
Die Aufgabenstellung war doch eindeutig und vom Lehrer vorgegeben worden, wie konnte er sich erdreisten meine freie Meinung so zu missachten? Er konnte doch nicht seine persönliche Einstellung als Maßstab benutzen ? Ich beriet mich mit meinem Lehrer, was konnte ich tun?
Eines war klar, ich würde die Sache auf keinen Fall auf sich beruhen lassen.
Der Lehrer riet mir, mich an den Pfarrer zu wenden, er sollte mich unterstützen und mit mir gemeinsam beim Direx vorsprechen. So richtig ging mir die Sache nicht ein, an einen Pfarrer wenden, ich hatte mit der Kirche nicht zu tun und was sollte der Pfarrer schon großartiges an Argumenten ins Feld führen können, was mir helfen sollte?
Eigentlich wollte ich die Sache selber erledigen. Doch der Klassenlehrer meinte nur: „Sie brauchen jemanden als Fürsprecher, beim Rektor der Schule kommen sie ohne einen Verteidiger nicht weiter und das Wort des Pfarrers hat bei ihm Gewicht, sie werden schon sehen.“
So kam es also, dass ich, den Pfarrer im Schlepptau, mit dem ich tags zuvor gesprochen und ihm die Situation geschildert hatte, auf dem Flur vor dem Direktorat wartete.
Zu meine Überraschung hatte sich der Pfarrer als ein verständiger Mensch offenbart, er konnte meinen Argumenten folgen und mit der Zeit schien dieser Funke übergesprungen zu sein, der beim Pfarrer ein kleines Feuer entfachte und ihn veranlasste, wie ein Hochspringer, der sich an eine neue Höhe heranwagte, nach Bestätigungen zu suchen, mit der er die Rechtfertigungen des Rektors überwinden konnte.
Ich hatte tatsächlich ein wenig das Gefühl, die richtige Wahl getroffen zu haben.
So saßen wir beide einträchtig auf der Bank, im Flur vor dem Rektorat, und warteten auf Einlass. Als wir dem Direktor dann gegenüber saßen, Endfünfziger, korrekt gekleidet, blasses Gesicht, volles dunkles Haar, markante Züge und Augen, die sich, was schulische Belange anging, sicherlich schon vieles hatten ansehen müssen, wurde die Trennlinie zwischen uns durch den breiten Schreibtisch, auf dem sich Unterlagen in unterschiedlichen Höhen stapelten, überdeutlich.
Da begrüßte er uns freundlich, reichte uns die Hand, lehnte sich dann zurück, hielt in der linken Hand sein Brille in Augenhöhe, blickte uns abwechselnd an, bereit wie ein Jäger der sich noch einmal die Lichtung anschaute, um dann sein Gewehr in Anschlag zu nehmen.
Er lächelte, und mit einer gefälligen Handbewegung überließ er uns den „Aufschlag.“
Der Pfarrer übernahm die Ansprache und verwies auf den Grund unseres Hierseins, kam dann auf das leidige Thema zu sprechen, der Darstellung über „Des Teufels General“ und ich bemerkte, je länger er sprach, in der Form wie er meine Position in diesem Szenario darbrachte, dass er sich von mir zu entfernen schien, ja, wie er sich langsam aus der Verantwortung, die er doch hatte übernehmen wollen, wegzustehlen versuchte.
Grund mochte wohl der Blick des Rektors gewesen sein der ihn unverwandt anschaute, ruhig, souverän, überlegen. Fast schien es so, als wollte sich der Pfarrer entschuldigen, dafür, dass wir ihn, den Direx, in dieser Angelegenheit überhaupt angesprochen hatten. Schließlich war der Schreibtisch voll mit unerledigter Arbeit und wir saßen hier und stahlen diesem bedauernswerten Menschen die Zeit, mit irgendwelchen Darlegungen einer unbedeutenden Klassenarbeit.
Der Direx hatte jetzt das Wort übernommen, er bedankte sich höflich für die Einleitung beim Pfarrer und begann dann mit seiner Darlegung des Sachverhaltes.
„Sehen sie meine Herren, um auf das Thema „Des Teufels General“ sprechen zu kommen, also grundsätzlich ist ja zu ihrer Darlegung erst einmal nichts einzuwenden." Er lehnte sich zurück, schlug die Beine übereinander.
"Was mich dazu bewogen hat ihre Benotung zu revidieren, gehört alleine der Gedanke, dass sie sich, was die Situation des Dritten Reiches angeht, in diese Thematik, meiner Meinung nach, nicht tief genug eingearbeitet haben." Ich sah ihn erstaunt an. "Entschuldigng, aber das war meine Klassenarbeit, mit der habe ich mich tagelang beschäftigt", erwiderte ich. Der Direx ließ sich von meinem Einwand nicht beirren und fuhr fort.
„Sehen sie sich doch die erste Szene an, als General Harras von einem jungen Fliegeroffizier gefragt wird: „Glauben Sie an Gott?“, Harras entgegnet: „Er ist mir nie begegnet, aber das lag an mir, ich wollte ihm nicht begegnen. Er hätte mich vor Entscheidungen gestellt, denen ich ausweichen wollte.“
Die Brille in seiner Hand vollführte leichte Drehbewegungen. „Herr Pfarrer, sie werden mir Recht geben, Gott kann man aber nicht außen vorlassen.“
Der Pfarrer nickte wohlwollend und in mir wuchs die Wut. „Sehen sie junger Mann“, begann er von neuem, „General Harras ist ein Besessener, er ist kein Mann der Entscheidungen, er will nur seiner Leidenschaft frönen und die heißt fliegen.“
Ich schaute ihn an und entgegnete: „Meines Erachtens nach geht es darum eigentlich nicht, es geht doch letztendlich um die Frage, ob der Zweck die Mittel heiligt, kann ich es verantworten, dass Unschuldige sterben um ein Regime zu stürzen?“
Er sah mich an und ich erkannte seine Überlegenheit, er war geschult in Dialogen wie diese, in tausenden von Gesprächen, wenn es um die Versetzung eines Pennälers ging oder bei Bestrafungen von Schülern, die sich nicht an die Hausordnung hielten. In meinen Gedanken sah ich weinende Mütter, die um den Verbleib ihres Sohnes an der Schule bettelten, Ohrfeigen verteilende Väter, die sich von ihm hatten einseifen lassen, er war starrköpfig und unbeugsam, zu keinem Kompromiss bereit.
„Sehen Sie junger Mann, Harras erkennt, dass sein bester Freund, Ingenieur Oderbruch ein Saboteur ist, um ihn zu schützen und in der Erkenntnis seiner Mitschuld und mit den Worten: “Wer auf Erden des Teufels General wurde und mit ihm die Bahn gebombt hat – der muss ihm auch Quartier in der Hölle machen, besteigt er eine der defekten Maschinen und fliegt in den Tod.“
Er saß da, noch immer die Brille an einem Henkel hin und her wedelnd, rezitierte aus dem Gedächtnis. „Meiner Meinung nach hätten sie das besser herausarbeiten müssen, dann wären sie sicherlich auch zum gleichen Ergebnis wie ihre Mitschüler gekommen, entschuldigen sie mich bitte meine Herren, aber ich habe noch zu arbeiten.“
Er stand auf, ein unweigerliches Zeichen, dass unsere Audienz beendet war, ich wusste, erreicht hatte ich gar nichts. Der Pfarrer war ein Weichei, sein bestätigendes Kopfnicken, bei jedem zweiten Satz des Direx, konnte ja nur Bekräftigung sein.
Wir verlaießen nach dem Händeschütteln den Raum, die Vier unter meiner Klassenarbeit blieb bestehen. Ich war missgestimmt, nicht wegen der Vier, die würde ich locker wegstecken, aber der Direx, als Pädagoge, der meine freie Meinung missachtete, hatte mich sehr enttäuscht.
Im Fach Deutsch, in dem ich mich zu Hause fühlte, alleine schon wegen der vielen klassischen Stücke die wir nachspielten, weil jeder aus den Reclam Heftchen eine Rolle übernehmen musste, und ich mich mit allem Eifer in diese Rolle stürzte und Spaß daran fand sie so präsent wie möglich darzustellen.
So kam es, dass unser Lehrer ein Stück von Carl Zuckmayer vorschlug: „Des Teufels General.“ Wir nahmen den Text durch, dann übernahm jeder seine Sprechrolle und in den nächsten Tagen vertieften wir uns immer mehr in die Wirren und Abgründe des Dritten Reiches, in seine Protagonisten, den Verführern, den Intriganten, Verfemten und den Fanatikern.
Wenn ich den Text las, kam es mir vor, als tauchte ich ein in dunkle Nebel, in eine Welt fast ohne Licht, in der nur Angst herrschte. Gleichzeitig aber war diese fremde Welt faszinierend und spannend und so unwahrscheinlich, dass ich manches Mal glaubte, alles das habe es in der Realität nicht gegeben.
Aber natürlich holte mich die Erinnerung ein, aus meinen Kindertagen, als Mutter und Vater mir von dieser Zeit erzählten, alles hatte sich tatsächlich so abgespielt.
Als das Stück besprochen und durchgespielt war, verlangte der Lehrer von uns eine Stellungnahme zum Stück in schriftlicher Form, denn die entscheidende Frage, um die es ging lautete, war die Sabotage an den Flugzeugen der Deutschen Wehrmacht gerechtfertigt oder nicht?
Das Hauptmotiv des Stückes handelte genau davon, dass die neuen Flugzeuge, die an die russische Front geschickt wurden, ein Leitwerkproblem aufwiesen, von dem der leitende Ingenieur wusste, es aber niemanden berichtete, weil er die Nazis hasste.
Wir sollten unsere Meinung in schriftlicher Form verfassen und so machten wir uns an die Arbeit. Ich sprach mit meiner Frau darüber. "Monika, schaue dir doch bitte die Interpretation meines Stückes an, was sagst du dazu?"
Als sie es las, wusste ich, weil sie dabei ihren Kopf hin und her bewegte, dass es schwierig werden würde. "Weißt du, dass ist kein leichtes Thema. Zuckmayer hat es ja nicht ohne Grund so geschrieben, er wollte, dass sich die Menschen daran reiben, du wirst dich wappnen müssen, das ist Diskussionsstoff, mache dich auf einiges gefasst."
Aber für mich gab es keinen Zweifel, dass es nicht gerechtfertigt war, einem Soldaten, der an der Front Dienst tun musste, eine Waffe in die Hand zu geben, mit der er sich nicht verteidigen konnte.
"Sieh mal Monika, er hat Kinder und Familie und in diesem Wahnsinnskrieg, den er ja nicht zu verantworten hatte, musste er zumindest eine gewisse Chance haben, mit heiler Haut aus diesem Krieg zurückzukehren."
"Ja, das verstehe ich doch, aber man muss das natürlich auch im Kontext sehen, das 3. Reich war ein Verbrecherregime, Menschenleben spielten doch bei denen keine Rolle, jeden Tag starben tausende an der Front, da war es doch das reine Glück, wenn man ungeschoren davon kam."
"Aber das ist es doch gerade, was ich meine, sagte ich zu ihr. "Mit einer Waffe, mit der man nichts anfangen kann, oder wie im Falle des Flugzeuges, mit dem man in den sicheren Tod flog, kann doch von Chancengleichheit keine Rede sein, deshalb lehne ich diese Art der Sabotage ab." Sie schaute mich an und zuckte mit den Schultern.
Nach Abgabe meiner Darlegungen vergingen noch ein paar Tage bis zum nächsten Deutschunterricht. Die eingegangenen Berichte wurden von einzelnen Schülern vorgetragen und zu meiner Überraschung, hatten fast alle Mitschüler eine andere Meinung zu den Sabotageakten als ich.
Diesem Regime musste das Handwerk gelegt werden hieß es da, der Krieg musste abgekürzt werden und wenn es auch um den Preis von Menschenleben ging, die eigentlich mit den Umständen nichts zu tun hatten.
Diesen Blutzoll musste man mit einkalkulieren, denn, so die Meinung der Mitschüler, ging es um mehr als nur um ein paar Menschenleben, hier ging es darum, das verbrecherische System von innen heraus zu infiltrieren, weitere Verbündete zu finden und den Machtapparat in die Knie zu zwingen.
Ich argumentierte aus der Sichtweise des Soldaten, der sich zu Hause verabschiedete und seiner Familie versprach auf sich aufzupassen, er würde bald wieder zu Hause sein. Er wusste ja nicht, dass er keine Chance hatte, dass er eigentlich schon tot war, als er das Haus verließ.
Es mussten andere Sabotagemöglichkeiten geben, ohne Einsatz von Menschenleben unter den Soldaten, sollte sie doch die Produktionsmaschinen zerstören oder Dampfkessel, in die Luft sprengen. Die Transportmittel, wie Schiffe oder Eisenbahnen, lahmlegen.
So gingen die leidenschaftlich geführten Debatten hin und her und es passierte, dass uns die Putzfrau tief in der Nacht rausschmiss, weil wir noch immer im Klassenzimmer saßen und heiß diskutierten.
Wieder vergingen Tage und längst hatten wir uns dem Schimmelreiter zugewandt, das war ein ganz anderer Stoff und so verschwand der düstere Nebel, der die Geschichte des Teufelsgenerals umgab, meinem Gedächtnis.
Aber dann, wieder einige Tage später, bekamen wir die Benotung unserer geschriebenen Darlegungen. Meine Benotung war von einer Zwei auf eine Vier zensiert worden, was mich erstaunte. Der Lehrer hatte auch gleich eine Erklärung zur Hand. Die Nachbenotung sei vom Direx persönlich vorgenommen worden.
Auf meine Frage, was denn der Grund für diese Benotung sei, druckste der Lehrer herum, gab dann aber zu, dass der Rektor mit meiner Ansicht nicht einverstanden sei. Ich glaubte, ich träumte, was war das doch für ein Idiot, ging es mir durch den Kopf.
Die Aufgabenstellung war doch eindeutig und vom Lehrer vorgegeben worden, wie konnte er sich erdreisten meine freie Meinung so zu missachten? Er konnte doch nicht seine persönliche Einstellung als Maßstab benutzen ? Ich beriet mich mit meinem Lehrer, was konnte ich tun?
Eines war klar, ich würde die Sache auf keinen Fall auf sich beruhen lassen.
Der Lehrer riet mir, mich an den Pfarrer zu wenden, er sollte mich unterstützen und mit mir gemeinsam beim Direx vorsprechen. So richtig ging mir die Sache nicht ein, an einen Pfarrer wenden, ich hatte mit der Kirche nicht zu tun und was sollte der Pfarrer schon großartiges an Argumenten ins Feld führen können, was mir helfen sollte?
Eigentlich wollte ich die Sache selber erledigen. Doch der Klassenlehrer meinte nur: „Sie brauchen jemanden als Fürsprecher, beim Rektor der Schule kommen sie ohne einen Verteidiger nicht weiter und das Wort des Pfarrers hat bei ihm Gewicht, sie werden schon sehen.“
So kam es also, dass ich, den Pfarrer im Schlepptau, mit dem ich tags zuvor gesprochen und ihm die Situation geschildert hatte, auf dem Flur vor dem Direktorat wartete.
Zu meine Überraschung hatte sich der Pfarrer als ein verständiger Mensch offenbart, er konnte meinen Argumenten folgen und mit der Zeit schien dieser Funke übergesprungen zu sein, der beim Pfarrer ein kleines Feuer entfachte und ihn veranlasste, wie ein Hochspringer, der sich an eine neue Höhe heranwagte, nach Bestätigungen zu suchen, mit der er die Rechtfertigungen des Rektors überwinden konnte.
Ich hatte tatsächlich ein wenig das Gefühl, die richtige Wahl getroffen zu haben.
So saßen wir beide einträchtig auf der Bank, im Flur vor dem Rektorat, und warteten auf Einlass. Als wir dem Direktor dann gegenüber saßen, Endfünfziger, korrekt gekleidet, blasses Gesicht, volles dunkles Haar, markante Züge und Augen, die sich, was schulische Belange anging, sicherlich schon vieles hatten ansehen müssen, wurde die Trennlinie zwischen uns durch den breiten Schreibtisch, auf dem sich Unterlagen in unterschiedlichen Höhen stapelten, überdeutlich.
Da begrüßte er uns freundlich, reichte uns die Hand, lehnte sich dann zurück, hielt in der linken Hand sein Brille in Augenhöhe, blickte uns abwechselnd an, bereit wie ein Jäger der sich noch einmal die Lichtung anschaute, um dann sein Gewehr in Anschlag zu nehmen.
Er lächelte, und mit einer gefälligen Handbewegung überließ er uns den „Aufschlag.“
Der Pfarrer übernahm die Ansprache und verwies auf den Grund unseres Hierseins, kam dann auf das leidige Thema zu sprechen, der Darstellung über „Des Teufels General“ und ich bemerkte, je länger er sprach, in der Form wie er meine Position in diesem Szenario darbrachte, dass er sich von mir zu entfernen schien, ja, wie er sich langsam aus der Verantwortung, die er doch hatte übernehmen wollen, wegzustehlen versuchte.
Grund mochte wohl der Blick des Rektors gewesen sein der ihn unverwandt anschaute, ruhig, souverän, überlegen. Fast schien es so, als wollte sich der Pfarrer entschuldigen, dafür, dass wir ihn, den Direx, in dieser Angelegenheit überhaupt angesprochen hatten. Schließlich war der Schreibtisch voll mit unerledigter Arbeit und wir saßen hier und stahlen diesem bedauernswerten Menschen die Zeit, mit irgendwelchen Darlegungen einer unbedeutenden Klassenarbeit.
Der Direx hatte jetzt das Wort übernommen, er bedankte sich höflich für die Einleitung beim Pfarrer und begann dann mit seiner Darlegung des Sachverhaltes.
„Sehen sie meine Herren, um auf das Thema „Des Teufels General“ sprechen zu kommen, also grundsätzlich ist ja zu ihrer Darlegung erst einmal nichts einzuwenden." Er lehnte sich zurück, schlug die Beine übereinander.
"Was mich dazu bewogen hat ihre Benotung zu revidieren, gehört alleine der Gedanke, dass sie sich, was die Situation des Dritten Reiches angeht, in diese Thematik, meiner Meinung nach, nicht tief genug eingearbeitet haben." Ich sah ihn erstaunt an. "Entschuldigng, aber das war meine Klassenarbeit, mit der habe ich mich tagelang beschäftigt", erwiderte ich. Der Direx ließ sich von meinem Einwand nicht beirren und fuhr fort.
„Sehen sie sich doch die erste Szene an, als General Harras von einem jungen Fliegeroffizier gefragt wird: „Glauben Sie an Gott?“, Harras entgegnet: „Er ist mir nie begegnet, aber das lag an mir, ich wollte ihm nicht begegnen. Er hätte mich vor Entscheidungen gestellt, denen ich ausweichen wollte.“
Die Brille in seiner Hand vollführte leichte Drehbewegungen. „Herr Pfarrer, sie werden mir Recht geben, Gott kann man aber nicht außen vorlassen.“
Der Pfarrer nickte wohlwollend und in mir wuchs die Wut. „Sehen sie junger Mann“, begann er von neuem, „General Harras ist ein Besessener, er ist kein Mann der Entscheidungen, er will nur seiner Leidenschaft frönen und die heißt fliegen.“
Ich schaute ihn an und entgegnete: „Meines Erachtens nach geht es darum eigentlich nicht, es geht doch letztendlich um die Frage, ob der Zweck die Mittel heiligt, kann ich es verantworten, dass Unschuldige sterben um ein Regime zu stürzen?“
Er sah mich an und ich erkannte seine Überlegenheit, er war geschult in Dialogen wie diese, in tausenden von Gesprächen, wenn es um die Versetzung eines Pennälers ging oder bei Bestrafungen von Schülern, die sich nicht an die Hausordnung hielten. In meinen Gedanken sah ich weinende Mütter, die um den Verbleib ihres Sohnes an der Schule bettelten, Ohrfeigen verteilende Väter, die sich von ihm hatten einseifen lassen, er war starrköpfig und unbeugsam, zu keinem Kompromiss bereit.
„Sehen Sie junger Mann, Harras erkennt, dass sein bester Freund, Ingenieur Oderbruch ein Saboteur ist, um ihn zu schützen und in der Erkenntnis seiner Mitschuld und mit den Worten: “Wer auf Erden des Teufels General wurde und mit ihm die Bahn gebombt hat – der muss ihm auch Quartier in der Hölle machen, besteigt er eine der defekten Maschinen und fliegt in den Tod.“
Er saß da, noch immer die Brille an einem Henkel hin und her wedelnd, rezitierte aus dem Gedächtnis. „Meiner Meinung nach hätten sie das besser herausarbeiten müssen, dann wären sie sicherlich auch zum gleichen Ergebnis wie ihre Mitschüler gekommen, entschuldigen sie mich bitte meine Herren, aber ich habe noch zu arbeiten.“
Er stand auf, ein unweigerliches Zeichen, dass unsere Audienz beendet war, ich wusste, erreicht hatte ich gar nichts. Der Pfarrer war ein Weichei, sein bestätigendes Kopfnicken, bei jedem zweiten Satz des Direx, konnte ja nur Bekräftigung sein.
Wir verlaießen nach dem Händeschütteln den Raum, die Vier unter meiner Klassenarbeit blieb bestehen. Ich war missgestimmt, nicht wegen der Vier, die würde ich locker wegstecken, aber der Direx, als Pädagoge, der meine freie Meinung missachtete, hatte mich sehr enttäuscht.