Die Fruktarierin

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Hagen

Mitglied
Hallo liebe Frau Languedoc,

ich möchte Dir wieder mal ausführlich antworten, leider gibst Du mir keinen Ansatzpunkt dafür.
Bedeutet Dein ‚Servus‘, dass unsere nette Unterhaltung per Mail nun ein Ende gefunden hat?

Also dann, ich hoffe, wir lesen uns!
Yours Hagen
__________________
Egal was schief geht,
tue so als wäre es Absicht!
 

Languedoc

Mitglied
Bedeutet Dein ‚Servus‘, dass unsere nette Unterhaltung per Mail nun ein Ende gefunden hat? Das bedeutet es ganz und gar nicht, lieber Herr Hagen. Ein Servus ist in jenem Teil Österreichs, wo ich sozialisiert wurde, ein kameradschaftliches Allerwelts-Grußwort von der Begrüßung bis zur Verabschiedung. Leider bin ich mit dem norddeutschen Äquivalent nicht vertraut.

Ich beherrsche auch noch den Ausruf: "Na seavas!", was soviel bedeutet: "Ach du meine liebe Güte!", - was Dich eventuell interessieren könnte.

Ich wollte mich mit meinem letzten Posting lediglich vorsichtig zurückziehen von der Diskussion, die sich um Deine Geschichte "Die Fruktarierin" zu entspinnen schien, und den Platz freimachen für jene Textarbeit, für die die Leselupe eigentlich da ist.

Ich fühlte mich vor die Entscheidung gestellt, entweder den Text "Die Fruktarierin" zu kritisieren, oder mein eigenes schwachbrüstiges aktuelles Schreibprojekt mit dem Arbeitstitel "Arbeitstitel". Ich tat letzteres.

Anders gesagt, die schwere Pflicht ruft. Aber zwischendurch gönne ich mir LL-Anmerkungen aus leichter Feder. Ich werde mich also hin und wieder melden auf den grünen Seiten hier.

Servus und bis bald,
Languedoc
 

Hagen

Mitglied
Na seavas!, liebe Frau Languedoc,

aber für die Arbeit an eigenen Texten habe ich mehr als Verständnis!
Ich habe auch immer diverse Romanprojekte in Arbeit, aber kein Händchen fürs Vermarkten.
Die Druckkostenzuschussverlage reißen sich zwar drum, aber Geld dafür ausgeben will und kann ich, als aufstrebender Rentner, nicht.
Da meine Romantrilogie von irgendwie mystischen Frauen handelt (Phoebes Rache, Fluch der Semiramis und Nächte der Lilith), hat mich eine Caligynephobie erfasst, die ich mit ‚Tage und Nächte mit Lydia‘ niederzukämpfen versuche. Nebenbei laufen noch die ‚schönsten Darenweder Geschichten‘. (Darenwede ist ein Fantasieort)
So, jetzt muss ich aber zum Seniorenbreakdance, um meiner Gerascophobie entgegen zu wirken.


Also dann, ich hoffe, wir lesen uns bald mal wieder!

Yours Hagen

P.S.
Denk‘ beim Schreiben dran:

1. Die guten Ideen hatten schon die anderen.

2. Erzähle niemandem dass Du einen Roman/eine Geschichte/Gedichte/Deine Memoiren oder was auch immer schreibst. Innerhalb der nächsten 14 Tage wird ein Bestseller von Dir erwartet!

3. Sollte trotzdem etwas durchsickern, behaupte, Du seiest der Ghostwriter von Waiser, Adler-Olsen, Kinney, Landorff etc. (Wichtig ist über die Bestseller-Liste informiert zu sein.)

4. Die Geschichte oder der Roman, den Du selbst gut findest und für die oder den Du lange recherchiert, geschrieben und Herzblut eingebracht hast, wird von der Kritik verrissen werden.
Solltest Du allerdings mit besoffenem Kopf in der Kneipe einen Zweizeiler auf einem Bierdeckel verfassen, den Du selber nicht verstehst und diesen Text Du völlig verkatert am nächsten Morgen versehentlich veröffentlichst, wirst Du von der Kritik hochgelobt werden.

5. Alles, was Du zu Papier zu bringen versuchst, wird länger dauern und mehr Zeit und Nerven kosten, als Du dachtest.

6. Wenn Du für ein Projekt die Zeit x (eine Woche) annimmst, wirst Du nach der halben Zeit feststellen, dass Du die Zahl x mit 10 zu multiplizieren hast (10 Wochen). Nach der Zeit 5x wirst Du feststellen, dass Du nur die Wochen durch Monate ersetzen brauchst, um der Realität in Etwa gerecht zu werden.
(Behaupte stets, das hättest Du schon immer so geplant.)

7. Man hat niemals Zeit, es richtig zu machen, aber immer Zeit, es noch einmal zu schreiben.

8. Nichts ist so leicht wie es aussieht.

9. Alles Einfache ist schwierig, alles Schwierige unmöglich.

10. Früher oder später wird die schlimmstmögliche
Verkettung von Umständen eintreten.

11. "Früher" tritt in dem Fall meist sofort ein, so dass "später" fast auszuschließen ist.

12. Wenn alles auf einmal schiefgeht, und Du freust Dich, dass Du Dich nur einmal ärgern musst, wirst Du feststellen, dass es noch nicht alles war.

13. Droht ein Projekt auf mehrere Arten schief zu gehen, wird es auf die Art schief gehen, die bei Dir den größtmöglichen Schaden physischer und psychischer Natur anrichtet.

14. Jeder Fehler der sich beim Schreiben an einem größeren Projekt einschleichen kann, wird dies mit Sicherheit tun, und zwar immer genau so, dass man völlig von vorn beginnen muss.

15. Immer wenn etwas nicht mehr schlimmer werden kann, so wird es noch schlimmer.

16. Früher oder später wird sich das Schlimmste ereignen.

17. Wenn sich eine schlechte Lage verschlechtert hat, beginnt der Zyklus von vorne.

18. Keine Geschichte ist so schlecht, als dass sie sich nicht weiter verschlechtern könnte.

19. Alles, was gut beginnt, endet schlecht.

20. Alles was schlecht beginnt, endet furchtbar.

21. Wenn etwas einfach aussieht, ist es schwierig.

22. Wenn etwas schwierig aussieht, ist es unmöglich.

23. Wenn etwas unmöglich aussah, wird sich im Nachhinein rausstellen, dass es ganz einfach gewesen wäre.

24. Wenn Du des Nachts eine gute Idee hast und aufstehst, um diese zu notieren, wirst Du stattdessen versehentlich die Texte löschen, von denen keine Sicherheitskopien existieren.

25. Kippt eine Tasse Kaffee um, fließt ihr Inhalt stets dorthin, wo er den größtmöglichen Schaden anrichten kann, z.B. die Festplatte Deines Computers.



P.S. Das Licht am Ende des Tunnels wird sich als Scheinwerfer eines D-Zuges herausstellen.
Das wirst Du aber erst feststellen, nachdem Du ihm entgegengegangen bist und eine Rückkehr unmöglich ist.

Merke: In Eisenbahntunnels sind selten Notfallbuchten vorgesehen!

In diesem Sinne weitermachen mit Schreiben.

_____________________
Nichts endet wie geplant; -
Egal was schief geht, tue so als wäre es Absicht!
(Al Murphy)
 

Languedoc

Mitglied
Mon cher Hagen,

Werde Deine 25 Punkte meiner persönlichen Löffelliste hinzufügen und, derart gerüstet, weitermachen mit dem Schreiben, wie von Dir anempfohlen, - und auf den Himmel hoffen.

Es grüßt
Languedoc
und wünscht wonnige Stunden allen freien Lebens- und Wortkünstlern.
Vive le savoir-vivre!
 

Hagen

Mitglied
Hallo liebe Frau Languedoc,

Der französische Begriff savoir-vivre bedeutet wörtlich ‚verstehen, zu leben‘. Im Französischen wird savoir-vivre ausschließlich im Sinne von ‚gutem Benehmen‘ oder ‚guten Umgangsformen‘ gebraucht. Im Deutschen wird er im Sinne von „Lebenskunst“ (französisch l’art de vivre) verwendet.
Ich hoffe, ich liege damit richtig, weil ich der französischen Sprache nicht so recht mächtig bin, da ich nur die mittlere Reife habe.
Wie spricht schon der olle Geheimrat Goethe?:
„Die Allegorie verwandelt die Erscheinung in einen Begriff, den Begriff in einen Text, doch so, dass der Begriff im Text immer noch begrenzt und vollständig zu halten und zu haben und an denselben auszusprechen ist.
Die Symbolik verwandelt die Erscheinung in eine Idee, die Idee in einen Text, und so, dass die Idee im Text immer unendlich bleibt und, selbst in allen Sprachen ausgesprochen, doch unaussprechlich bliebe.“

Jetzt, da ich Rentner bin, versuche ich so allerhand nachzuholen.
Meine Güte, jetzt habe ich mich schon zum Square-Dance angemeldet. Das lässt sich in Krachledernen nicht so gut machen, aber der Hut beim Square-Dance ist so geil; - wenn nur das blöde Rumgehopse nicht wäre!
Dabei fällt mir ein: Als ich noch Blechspielzeug gesammelt habe, hat meine Ex-Frau mir immer ein Auto platt gehämmert, wenn wir uns gestritten haben.
Von Hölderlin stammt zudem der stolze Satz: „Was bleibt stiften die Dichter.“
Das Bleibende zu schaffen, ist aber die Funktion eines jeden von uns.
Ich habe das Gedächtnis zuweilen mit in einer inneren Bibliothek verglichen. Dieser Vergleich hinkt insofern, als meine „Kopfbibliothek“ teilweise besser funktioniert. Sie enthält nämlich auch nutzloses, veränderbares Wissen, welches von irgendwelchen Texteten, auch den Deinen, liebe Frau Languedoc, laufend modifiziert wird.
Ich habe lange an meinen Phobien gearbeitet; - dabei ist herausgekommen, dass sich meine Angst vor Schafen gelegt hat, stattdessen habe ich Angst vor Spiegeln. Zudem kann ich keine Wärme von Elektrogeräten vertragen.
Alles ein bisschen doof.
Ich bin auf Töpfern gekommen, aber muss es unbedingt Töpfern sein?
Dem ‘Material Ton hab ich bereits sinnlich nachgegeben‘, damals mit meiner Ex, aber das ist eine andere Geschichte, und als sie mich zum Pulloverstricken in eine sogenannte Männergruppe schicken wollte, war die Trennung perfekt!
Nein, nein, ich dachte daran, etwas bei Dir zu lernen, was man auch im täglichen Leben gebrauchen kann; - Dynamitfischen z.B. oder Porsche kurzschließen.
Meine Oma ist leider nicht mehr dazu gekommen, mir zu erklären, wie man eine Flak abfeuert. Sie ist leider beruflich stark eingespannt gewesen, die alte Dame, weil sie Schutzgelder eigetrieben hat. Aber zwischen Pokerabenden und Schnaps brennen wäre noch Zeit gewesen.
So, jetzt versuche ich es mal mit Buddelschiffbau, kann ich das bei Dir lernen?

Also dann, ich hoffe, wir lesen uns recht bald mal wieder!
Yours Hagen
 

Hagen

Mitglied
Hallo liebe Frau Languedoc,

Donc si vous avez la chance de plonger dans un submersible, je vous en prie, allez-y et plongez.
Oder was?
Premièrement, si vous voulez faire une opération militaire pour me délivrer, allez -y, mais faites attention!
Oder so ähnlich.
Ich bin, wie gesagt, der französischen Sprache nicht so recht mächtig, weil ich nur mittlere Reife habe.
Leider verselbstständigt sich mein Roman mit dem Titel ‚Abschied von Guinevere‘. Den Schluss habe ich schon,

Schwarzbraun angerostet lag die Bombe vor uns, wie schlafend in grausiger Erwartungshaltung, sie ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, als Leonhard unwirsch seinen Spaten darauf stieß.
„Und vor so was hast du Angst? Los, wo sind die anderen Orden?“
Ich hatte Angst, eine teuflische Angst während ich etwas an dem kleinen Propeller drehte; - er ließ sich leicht drehen, wie im Luftstrom der fallenden Bombe...
Ich stellte sie mir vor, die zerfetzten menschlichen Organe ... wie sie in den Bäumen hingen, wie das Blut träge abtropfte ... nach der Explosion...
„Vielleicht etwas tiefer“, sagte ich mühsam.
„Wie, tiefer? Wer vergräbt denn sein Zeugs so tief?“
„Weiß ich nicht. Ich hab’ dir nicht versprochen, dass hier ganz viel liegt.“
„Du hast gesagt, hier liegt noch mehr!“
„Ich glaube, da ist noch mehr, habe ich gesagt. - Aber wenn du meinst, können wir ja nach Hause fahren.“
Lustlos grub er weiter, noch einen Spatenstich, und er würde die Nahkampfspange finden; - noch ein einzige Spatenstich. Er hätte sich wundern müssen, dass der Boden unter der Bombe so locker war, es hätte ihm auffallen müssen, aber er war blind vor Gier; - tödlich in unserem Metier!
Jetzt war er drauf und dran aufzugeben, kurz davor, den Spaten wegzulegen.
„Dein Fehler ist, dass du zu früh aufgibst“, sagte ich, „Heinz-Robert Kracht ist auch der Ansicht. Ich hätte die Sache mit ihm durchziehen sollen.“
„Welcher Ansicht ist der Bum-Bum-Bob?“
„Dass du zu früh aufgibst! Außerdem versteht Heinz-Robert mehr von Sprengstoff und Bomben als wir beiden zusammen. Wenn du die Klatten hinschmeißt, mach’ ich es mit ihm, und du guckst der Kuh hinten rein.“
„Untersteh’ dich!“, wild entschlossen hieb er den Spaten erneut in den Boden, noch mal und noch mal, bis er die Nahkampfspange fand. Sein Verlangen nach den Preziosen unter der Bombe war neu entfacht.
„Schönes Stück! Bringt zwar nicht soviel wie das EK I, aber immerhin. Wofür kriegte man das eigentlich?“
Wie in Gedanken wischte ich mit den Arbeitshandschuhen über Stiel und Griff des Spatens, den ich angefasst hatte.
„Wenn man es dreimal überlebt hatte, mit aufgepflanztem Seitengewehr in einen feindlichen Schützengraben gestürmt zu sein.“
„Ach so, also nichts Tolles.“
„Ich glaube, du machst dir keine Vorstellung davon, wie gering die Überlebenschancen dabei waren. - Willst noch ‘n Kaffee?“
„Nee, lass’ man. ‘muss den von vorhin mal eben wegbringen.“
Er trat an einen Baum und öffnete den Reißverschluss seiner Hose. Ich sprang in die Mulde zu der Bombe; - zu dem Propeller!
Und ich drehte. Die gestanzten Propellerblätter waren korrodiert und scharfkantig, ich drehte, vorsichtig und schnell.
Der ’Schöne Leonhard’ stand mit dem Rücken zu mir am Baum und plätscherte auf die Wurzeln.
In dem Moment, in dem der ’Schöne Leonhard’ die letzten Tropfen abschüttelte, verspürte ich einen leichten Widerstand beim Drehen des Propellers und vernahm ein leises Knirschen im Inneren der Bombe.
War nicht ein leises, brodelndes Zischen im Inneren der Bombe zu hören, das Geräusch der Säure, die begann, die Bakelitscheibe zu zerfressen, die den Schlagbolzen für den Zünder hielt?
Wie dick mochte diese Scheibe sein?
Wie lange wird die Säure brauchen, sie zu zerfressen?
Eine Stunde? Fünf Minuten?
Was hatte die Zeit bewirkt?
Zeit ... die vierte zu den drei Raumkoordinaten, eine nicht vom Menschen beeinflussbare Größe; - noch nicht, vorläufig noch subjektiv empfunden...
„Na, dann wollen wir mal wieder!“
Der ’Schöne Leonhard’ griff nach dem Spaten und stieß ihn gegen die Bombe.
Ich zuckte zusammen, Säurezünder sind nicht genau zu dimensionieren, man weiß nie, wann genau sie ihren Zweck erfüllen. Und sie sind empfindlich, sie reagieren äußerst sensibel auf Erschütterungen.
„Na, du scheinst mir ja ein ziemlicher Angsthase zu sein! Sind alle Arbeitslosen so ängstlich?“
Noch vor Kurzem hätten sie mich wütend gemacht, seine ewigen Sticheleien, aber jetzt wollte ich nur noch weg und irgendwo in sicherer Entfernung warten, bis die Bombe ihn zerfetzen würde...
„Ich geh’ uns mal eben Bier holen“, sagte ich möglichst cool, „ohne Bier läuft keine Schatzsuche. Ich habe hier in der Nähe eine Tanke gesehen. Hoffentlich hat die noch auf. Willst du auch ein Six-pack?“
„Kannst mir ja eins mitbringen.“
Ich zog die Arbeitshandschuhe aus und warf sie ins Moos.
Im fahlen Mondlicht war sein Grinsen zu sehen, ein ‘wenn ich was finde, brauche ich wenigstens nicht mit dir zu teilen’ - Grinsen.
Bald würde er das Flotten-Kriegsabzeichen finden, es einstecken und weiter graben, buddeln, schaufeln, schippen ... ich ging los, langsam über die Wiese, mit den Händen in den Taschen, ich kickte noch einen Zweig weg und pfiff das Lied von Lili Marleen, stets bereit mich hinzuwerfen auf den Boden, sollte die Bombe in meinem Rücken explodieren - aber ich wusste auch, dass ich keine Chance hatte - noch nicht.
Der Druckwelle der Explosion wird die Schallwelle folgen, etwas später; - sie ist etwas langsamer, die Druckwelle von hundert Kilo Sprengstoff walzt auf freiem Gelände alles nieder, bohrt sich in die Lungen und lässt sie platzen ... hilflos auf dem Boden wälzen, keine Luft, kein Sauerstoff, elendiglich verrecken...
„... hinter der Kaserne vor dem großen Tor
steht eine Laterne, und steht sie noch davor ...“
Nur noch wenige Schritte zum Waldrand, zu den Bäumen. Die Druckwelle wird auch die ersten Bäume niederreißen und sich ringförmig fortsetzen bis sie schwächer werdend ausklingt.
Metallisch klirrte der Spaten des ’Schönen Leonhard’ an die Bombe, er grub noch, buddelte wie besessen.
„... unser beider Schatten sah wie einer aus
dass wir so lieb uns hatten ...“ wie zur Hölle ging das Lied weiter?
Ich pfiff trotzdem, irgendetwas. Und ich ging ruhig, cool und gesetzt.
„... hinter der Kaserne vor dem großen Tor
steht eine Laterne, und steht sie noch davor ...“
Im Krieg haben sie dieses Lied fast jeden Tag im Rundfunk gespielt, und die Soldaten haben die Kampfhandlungen in der Zeit eingestellt, sie haben die Waffen schweigen lassen, und manche Träne soll aus harten Landseraugen gequollen sein, aus Augen, die zu viel Leid gesehen hatten ...
„... unser beider Schatten sah wie einer aus
dass wir so lieb uns hatten ...“, ich erreichte den Waldrand, die ersten Bäume, pfiff noch einige Töne und begann zu rennen ...
Ich rannte stolperte, stand wieder auf, durch den nächtlichen Wald, weg hier, weit weg, ich rannte weiter, stolperte über irgendeine Baumwurzel und sah einen Igel an.
Der Igel stutzte und trollte sich davon, als hätte er keine Angst, es sah aus, als hätte er statt Beinen Rollen unter seinem Körper, so gleichmäßig glitt er über den Boden ... Herrgott, die Tiere!
Die Rehe, die Füchse, die Vögel des Waldes, Käfer, Schnecken ... viele werden sterben; - ich hätte daran denken und anders planen sollen!
Nur um einen einzigen Menschen zu töten, werden auch zahlreiche unschuldige Tiere sterben müssen.
„Lauf, kleiner Igel, lauf weit weg!“, und er lief schneller, als hätte er mich verstanden.
Ich stand auf und rannte, wieder rannte ich, mit pfeifendem Atem und schmerzenden Lungen davon, um vor der Explosion weit weg zu sein...
Aufrecht, kontinuierlich wie beim Joggen, ich stieß auf den Waldweg, folgte den Markierungen des Wanderwegs, überquerte die Straße und erreichte die Tankstelle.
Ein Merzedes stand neben den Zapfsäulen, mein alter Golf auf dem Parkplatz des Gasthofs nebenan.
Verdammt, der 200 D! Leonhard hatte ihn zu nahe an der Bombe abgestellt! Ich hatte es mir so schön vorgestellt, anschließend mit ihm nach Hause zu fahren. In den nächsten Tagen wäre ich mit ihm und dem Brief sowie einem Kaufvertrag bei der Zulassungsstelle vorgefahren. Schade um den Youngtimer!
Eine ähnliche Stimmung wie auf Edward Hoppers sentimentalem Bild Nachtschwärmer ruhte sich in der Tankstelle aus; - nur dass Edmund kein weißes Käppi trug, und an Stelle des einsamen Mannes mit Hut stand Jennifer mit dem Rücken zu mir und einem Kaffeebecher neben sich an einem kleinen Tischchen. Aber das Paar an dem anderen Tisch schien wie aus Hoppers Bild geschnitten; - sie mit rotem Kleid und kastanienfarbenem Haar, er mit Hut und dunkelblauem Anzug, beide hatten weiße Kaffeebecher vor sich stehen und schwiegen, als gäbe es auf dieser Welt nichts mehr zu sagen.
Jennifer drehte sich um, als ich eintrat, ich fing ihren fragenden Blick auf. Ich nickte ihr zu, kaum merklich. Sie schloss kurz die Augen und atmete erleichtert aus, ein flüchtiges Lächeln umspielte ihre Lippen.
Das Paar an dem anderen Tischchen warf mir kurze, abschätzende Blicke zu.
„Ach, kommt der Herr auch noch mal?“, Jennifer schlüpfte ruckartig in die Rolle, die wir abgesprochen hatten.
„’hab mich ein wenig verbaselt, im Wald.“
„Das sieht man“, Jennifer pflückte mit leicht zittrigen Fingern einen Tannenzweig von meiner Schulter, „wie kann man auch nachts im Wald rumrennen!?“
„Ich wollte meinen Kopf klar kriegen nach unserem Streit und hab’ mich verlaufen.“
„Das kann schon mal vorkommen“, Edmund hob die Kanne aus der Kaffeemaschine, „willst du auch einen?“
„Lieber was kaltes. Hast du auch ‘ne Cola?“
„Klar!“, er stellte mir eine Dose aus dem Kühlschrank und einen Becher hin, „es kommt hier öfter vor, dass sich jemand verläuft. Auch bei Tage.“
Ich riss die Dose auf und ließ die braune Flüssigkeit brodelnd in den Becher laufen. So ähnlich müsste es sich jetzt im Inneren der Bombe anhören, wenn die Säure an der Bakelitscheibe arbeitet.
Wie lange noch?
Seichte Musik tropfte aus dem Kofferradio neben der Kaffeemaschine.
Ich kramte mein Zigarettenpäckchen aus der Tasche, das Feuerzeug auch, eine Zigarette heraus, nahm sie zwischen die Lippen und zündete sie an. Der Mann aus Hoppers Bild tat es mir nach, rauchte einen Zug und schwieg wieder in den Raum.
Bedrückende gemeinsame Einsamkeit.
Kaffee, Cola, Zigarettenrauch ... und Warten.
Die Frau im roten Kleid ließ sich von Edmund den Toilettenschlüssel geben.
Ich empfand Jennifer neben mir, sie tat mir gut, das herb-toughte Odeur ihres Parfums, hinein mischte sich der süßliche Duft der Frau in Rot als sie an uns vorbei nach draußen ging.
„Ich glaube nicht, dass Frauen grundsätzlich klüger sind als Männer“, nahm der Mann mit Hut einen offenbar unterbrochenen Gesprächsfaden wieder auf, nachdem die Tür sanft ins Schloss geglitten war, „dann säßen sie längst an den Schalthebeln der Machtzentralen.“
Edmund stimmte ihm etwas halbherzig zu, er sah mich an, als könne er nicht verstehen, dass ich mich mit Jennifer gestritten hatte. Jennifer lächelte ein wenig und sagte: „Wir sollten unseren Streit vergessen. Es ist sinnlos, vor dem, was war und was kommt, davon laufen zu wollen ...“
Sie küsste mich, wie sich zwei Menschen küssen, die schon seit Ewigkeiten zusammen sind, und die sich durch einen kleinen Streit nicht in ihrer Liebe erschüttern lassen, durch nichts und durch niemanden.
„Stimmt, vielleicht bin ich auch umsonst gelaufen, vielleicht war alles sinnlos“, ich dachte an den ’Schönen Leonhard’, der sicherlich das Flotten-Kriegsabzeichen gefunden hatte und nun unermüdlich weiter buddelte. Unter der Bombe, in deren Inneren die Säure nahezu geräuschlos an der Bakelitscheibe des Zünders fraß.
Jeden Moment müsste die Druckwelle der Explosion heran rollen; - hoffentlich waren wir weit genug weg, oder schon zu weit?
Vielleicht war die Bombe bereits explodiert, hatte den ’Schönen Leonhard’ zerfetzt und einen Krater sowie den süßlichen Geruch des Sprengstoffs, der seine Arbeit getan hat, hinterlassen. Vielleicht näherten sich schon die ersten neugierigen Füchse dem Krater um nachzusehen, was sich mit dem Knall geändert hatte.
Draußen glitt die rotgekleidete Frau vorbei. In dem Moment, in dem sie die Tür öffnete, bebte der Boden kurz, einige Flaschen im Regal schepperten klirrend aneinander, einen Lidschlag später rollte ein dumpfes Grollen zu uns herein, es brachte Blätter und Papierfetzen mit.
Das rote Kleid der Frau wehte hoch. Wie bei Marilyn Monroe über dem Lüftungsschacht der U-Bahn in - verdammt, wie hieß dieser Film noch gleich?
Egal! Marilyn trug dereinst ein weißes Kleid mit einem weißen Slip darunter. Die Frau in dem roten Kleid trug einen schwarzen Slip unter ihrem roten Kleid. Aus klassischer, dramaturgischer Sicht passte es auf irgendeine Weise nicht; - das richtige Leben hat seine eigenen dramaturgischen Regeln.
„Huch“, sie hielt das Kleid herunter, der Schlüssel klirrte zu Boden, sie hob ihn wieder auf, „was war das denn?“
„Vielleicht ist ein Tanklastzug explodiert“, sagte der Mann mit Hut, „dahinten auf der Autobahn. Wir müssten eigentlich den Lichtschein sehen.“
Er stand auf und spähte aus dem Fenster.
„Vielleicht ist ja auch eine Bombe explodiert.“ Edmund sah mich an, als wüsste er alles.
Ich schaute auch nach draußen. Der Wald ruhte in sanfter Schwärze, kein Lichtschein eines brennenden Tanklastzugs.
„Na, dann wollen wir mal wieder“, der Mann mit Hut legte in demonstrativer Ruhe einen Geldschein neben seinen Kaffeebecher, „Gudrun, kommst du dann?“
„Natürlich“, die Frau in Rot legte den Toilettenschlüssel neben die Kasse, der Mann kam an ihr vorbei, ging durch die Tür, sie hinterher und sie stiegen in den Merzedes. Der stand einen Moment, schüttelte sich kurz, die Scheinwerfer flammten auf, er wendete über die Straße und einen Atemzug später wurde der Wagen von der Dunkelheit verschluckt.
Irgendwie hatte sich die Stimmung etwas entkrampft, Edmunds fragender Blick loderte mir entgegen.
In mir breitete sich Erschöpfung aus; - seelische Erschöpfung.
„Gut“, ich trat an das Spirituosenregal und nahm eine Flasche heraus. Blended Whisky, drei Jahre alt. Älterer war nicht da, aber er würde seinen Zweck erfüllen.
„Ich denke, wir sollten auch mal wieder.“ Ich stellte die Flasche neben den Zahlteller auf der Theke und legte einen Zwanziger daneben. „Ist Okay so.“
„Danke.“ Edmund sah mich an, als wüsste er alles.
„Tja, wir haben eine Ausfahrt gemacht und wollten mal kurz bei dir reinschauen, dann haben wir uns gestritten. - Jetzt haben wir uns aber wieder lieb.“
Ich nahm Jennifer in den Arm.
„Na, dann ist ja alles wieder gut“, sagte Edmund, „kommt doch demnächst mal wieder vorbei.“
„Das machen wir gerne“, sagte Jennifer.
Allgemeines Händeschütteln, Jennifer und ich gingen eng umschlungen raus.
„Warum sollte ich mitten in der Nacht hier auf Dich warten? Warum bist Du bis hierher gerannt?“, fragte Jennifer nachdem sich die Tür der Tankstelle hinter uns geschlossen hatte, „Warum sollte ich so tun, als ob wir uns gestritten hätten?“, Jennifers Fragen trafen mich glashart, „nichts liegt mir ferner, als mich mit Dir zu streiten!“
„Bist Du so nett und fährst uns nach hause?“ fragte ich. Meine Stimme klang etwas spröde. Es ging nicht spurlos an mir vorüber, als ich mir vorstellte, wie der ‘Schöne Leonhard’ von der Bombe zerrissen wurde, und viele Tiere mit ihm.

„Ich erzähle Dir die ganze Geschichte während ich mich betrinke,
und damit möchte ich gleich anfangen ...“

und momentan eine Schreibblockade, zudem eine Hippopotomonstrosesquippedaliophobie und eine Logophobie. Zudem weiß ich den Anfang meines Romans nicht.
Kannst Du mir helfen?

Also dann, ich hoffe, wir lesen uns recht bald mal wieder!
Yours Hagen

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Auf alle Fälle solltest Du niemals ein Klavier in nassem Zustand stimmen!
 

Languedoc

Mitglied
Also, mein lieber Herr Hagen, das Potential für einen Roman sehe ich jedenfalls gegeben ;), und seinen Anfang würde ich noch vor den ersten Weltkrieg setzen, damit sich die Geschichte auch recht üppig entfaltet.

Ich bin zwar schnell für Schandtaten bereit (= österreichisch), aber bei Deinem Projekt muss ich meine Mithilfe leider absagen. Bin ausgebucht, sozusagen.
Sollte mir über das Wochenende etwas Knackiges zum Beispiel betreffs Bomben in den Sinn kommen, schreib ich's Dir sogleich.

Bon weekend
wünscht
Languedoc
 

Hagen

Mitglied
Hallo liebe Frau Languedoc,

Malheureusement, le Conseil n’ a pas passé un très bon week-end, comme nous le savons tous.
Oder was?
Aber nun mal Spaß beiseite.

Ich lasse jetzt mal was von meinem nutzlosen Wissen ab: Zu Beginn des ersten Weltkrieges besaß das deutschkaiserliche Heer für seine Flugzeuge keine Abwurfmunition. Die Artillerie-Prüfungs-Kommission (APK)) hatte Bomben für Luftschiffe konstruiert, die alle Nachteile der längst aussortierten Glattrohr-Artillerie aufwiesen; Hohlkugeln aus Gußeisen, die tief im Erdboden verschwanden und dort wirkungslos verpufften.
Die ersten Bomben für Flugzeuge waren umgebaute Werfergranaten und zu einer geballten Ladung zusammengebundene Stielhandgranaten.
Ab 1915 lieferten die Carbonit-Werke ihre tropfenförmigen Bomben, ab 1916 die Prüfanstalt und Werft (P.u.W.) den neuen Bombentyp, die torpedoförmigen Bomben, mit denen sich genauer zielen ließ.
Die Bomben der WASAG Reinsdorf, wieder tropfenförmig gebaut, wurden nicht in großen Mengen hergestellt, da sie den Modellen der P.u.W. technisch weit unterlegen waren.
An den deutschen Bomben und ihren Zündern wurde bis 1944 immer weiter konstruiert und verbessert, obwohl die Luftwaffe kaum noch über strategische Bombenflugzeuge verfügte. An Flächenbombardierungen, wie sie die Alliierten täglich auf viele europäische Länder durchführten, war ab 1941 nicht mehr zu denken.
Hatte man zu Beginn des Weltkrieges I nur auf eine behelfsmäßige Bewaffnung der Flugzeuge gesetzt – mit Fliegerpfeilen und umgebauten Granaten, zum Abwurf gegen Bodenziele verwendet – die in der Vorkriegszeit entwickelte kugelförmige APK-Bombe mit 5 bis 10 kg erwies sich als nicht feldverwendungsfähig – kamen bald darauf die nach ihrem Hersteller Carbonit AG benannten Carbonit-Bomben mit 4, 5, 10 und 20 kg Gewicht zum Abwurf, wenn auch deren birnenförmige und damit aerodynamisch ungünstige Form zu großer Zielungenauigkeit führte.
Erst die auf genaue Spezifikation durch die Prüfanstalt und Werft der Fliegertruppe (P.u.W.-Anstalt) vom Unternehmen Goertz in Friedenau konstruierte P.u.W.-Bombe in den Gewichten 12, 50 und 100 kg mit Sprengwirkung ermöglichte dank ihrer Torpedoform mit zur Rotation leicht gedrehten Stabilisierungsflächen bessere Zielgenauigkeit und verursachte zudem mit ihrem Rotationszünder weniger Blindgänger. Als Luftminen mit 300 und sogar 1000 kg Gewicht konnten sie ganze Häuserblocks zum Einsturz bringen. Neben den gegen Personenziele eingesetzten Sprengbomben kamen später auch Brandbomben zum Einsatz.
Dagegen nutzten Infanterie- und Schlachtflieger Handgranaten, ab 1918 auch kleinere „Ifl-Bomben“ oder „Ifl-Mäuse“ zur Bekämpfung von Bodentruppen. Daneben wurden mit Fallschirm versehene Wasser- oder Proviantbomben über eigenen Stützpunkten abgeworfen.
Von Zeitzünderbomben war man vor den ersten Weltkrieg noch weit entfernt.
In Deutschland wurden 1912/13 von der Artillerie-Prüfungskommission kugelförmige fünf-und zehn-kg-Sprengbomben aus Stahlguss mit Aufschlagzünder entwickelt und übungsmäßig erprobt. Wegen ihrer geringen Wirkung wurden sie ab Anfang 1914 durch so genannte Carbonitbomben der Sprengstoff AG "Carbonit"-Schlebusch ersetzt. Diese Bomben hatten eine Masse von vier, fünf, zehn, 20 und 50 kg und bestanden aus einem birnenförmigen Stahlgusskörper mit einem am oberen Ende angebrachten ringförmigen Stabilisator. Pendeln und Abdrift beeinträchtigten jedoch die Treffgenauigkeit beträchtlich. Ab 1916 wurde daher eine von der Prüfanstalt und Werft der Fliegertruppe mit der Firma Goerz konstruierte Fliegerbombe (so genannte P. u. W.-Bombe) an der Front eingesetzt.
Die Bomben dieses Typs waren torpedoähnlich geformt und am oberen Ende mit Stabilisierungsflächen versehen. Sie wurden als 12,5-, 50-, 100-, 300- und 1000-kg-Bomben hergestellt. Die auch von Schlachtfliegern zur Bekämpfung von Flächenzielen verwendete 12,5-kg-Bombe erreichte bei dickwandigem Gehäuse starke Splitterwirkung. Die von den Bombenfliegern verwendeten schweren Fliegerbomben waren als Minenbomben konstruiert. Sie enthielten bei geringer Wandstärke einen hohen Sprengstoffanteil. Seit 1914 wurden auch Brandbomben von fünf und zehn kg hergestellt, die mit Brandmassen aus Benzol, Petroleum, flüssigem Teer oder Thermit gefüllt waren.'

Das Perfide an chemisch bezünderten Bomben aus dem Weltkrieg II ist der Chemisch-mechanische Langzeitzünder. Bei mir handelt es sich um eine SAP 1000 lbs mit chemisch-mechanischem Langzeitzünder M125, verdeckt von einem Leitwerkhaltering. Die Gesamtlänge mit Leitwerk beträgt 1.765 mm, die Körperlänge ohne Leitwerk misst 1.455 mm, bei einem Durchmesser von 384 mm. Die Bombe hat ein Gesamtgewicht von 451,3 Kg und ist mit 145 Kg TNT (Sprengstoff) gefüllt.
Sie gehen nicht beim Aufprall hoch, sondern oft erst Stunden oder Tage danach. So sollte auch nach dem Angriff noch Angst und Schrecken verbreitet werden. Allerdings gab es bei diesen Bomben auch ungleich mehr Blindgänger – aufgrund des komplizierteren Mechanismus: Ein kleines Windrad (andere Quellen sprechen von einem ‚Propeller‘) am hinteren Ende der Bombe, angetrieben durch den Luftzug im freien Fall, lässt im Innern eine Spindel rotieren. Diese zerdrückt eine Ampulle, gefüllt mit Aceton (andere Quellen sprechen von einer speziellen Säure), einer zersetzend wirkenden Chemikalie. Das Aceton wiederum beginnt nun einen Sicherungsring aus Zelluloid (andere Quellen sprechen von Bakelit) aufzulösen. Je nachdem, wie dick dieser Ring ist, dauert es Minuten oder Stunden, bis der Zündmechanismus zuschnappt.
Damit niemand eine solche abgeworfene Bombe rechtzeitig entschärfen konnte, hatten ihre Konstrukteure zusätzlich eine Ausbausperre eingebaut. Jeder Versuch, den Zünder herauszuschrauben, führte zur sofortigen Detonation. Auch heute noch haben Kampfmittelräumer bei der Entschärfung mit diesem Mechanismus zu kämpfen. Zwar haben deutsche Bombenräumer Wege gefunden, diese „Ausbausperre“ zu überlisten, unkalkulierbar bleibt indes der Zustand des Aceton-Zeitzünders. Man sieht ihm nicht an, wie weit der Auslöseprozeß bereits fortgeschritten ist. Deshalb gibt‘s beim Entschärfen immer wieder Tote.

Im Sommer 1940, begann der alliierte Luftkrieg gegen das Deutsche Reich. Nach den Bombardements der Wehrmacht in Polen, den Niederlanden und England flog die Royal Air Force erste Angriffe auf das Ruhrgebiet. Die Kampfpiloten starteten bei Nacht, und da sie kleinere Ziele im Dunkeln kaum präzise treffen konnten, bombardierten sie großflächig.
Die Demoralisierung der Zivilbevölkerung war bald das erklärte Ziel der Einsätze.
1942 begann die US-Luftwaffe zusätzlich mit "Präzisionsangriffen" bei Tag, während die Briten bei Nacht gewaltige Bombenlasten abluden. Nach Essen, Lübeck, Rostock und Köln traf es im Juli 1943 Hamburg, mehr als 30.000 Menschen starben in den Flammen. Die Bombardierung Dresdens im Februar 1945 kostete bis zu 25.000 Menschenleben.
Allein auf Hamburg fielen bei 216 Angriffen rund 107.000 Spreng- und 3,5 Millionen Brandbomben.
Thomas Otto, Leiter des Referats Gefahrenerkundung Kampfmittelverdacht der Hamburger Feuerwehr , kennt die Zahlen auswendig. Er hat die Beladungslisten der britischen Bomber studiert und die Statistiken der Bombenräumung seit Kriegsende. Die Blindgängerquote kann er recht genau bestimmen: Etwa 12,5 Prozent der über Hamburg abgeworfenen Sprengbomben – mit einem Gewicht von 50 Kilogramm bis zu zwei Tonnen – sind nicht detoniert. Abzüglich der bereits geräumten Blindgänger bleiben 2900 Sprengkörper. In Berlin vermutet man ebenfalls noch rund 3000 Fliegerbomben im Boden. Geht von ihnen eine Gefahr aus?
"Ja", sagt Thomas Otto, jede Bombe sei gefährlich. Aber man müsse nun nicht in Panik verfallen: "Eine Selbstdetonation hat es in Hamburg noch nicht gegeben."

… bis Hagen kam und versuchte, einen Roman daraus machen, was natürlich im Vorfeld ebenso dringender wie aufwändiger Recherche bedarf … dabei sind mir Informationen zugelaufen, die ich in einer anderen Geschichte verwerten konnte.

Vor geraumer Zeit habe ich mal was von ‚Abwurfmunition‘ in ‚Tage und Nächte mit Lydia‘ geschrieben nachzulesen in ‚als die Bombe im Flur stand‘:

Falk baute einen Joint und Oberstleutnant Guntram Greulich meinte, dass er noch einige Exponate aus seiner Bombensammlung dazustellen könnte, wäre ja noch Platz genug da.
„Wie, Bombensammlung?“, fragte ich.
„Na, ich sammel doch Deutsche Abwurfmunition des Zweiten Weltkrieges“, meinte Oberstleutnant Guntram Greulich mit toternstem Gesicht, „Briefmarken sammelt schließlich jeder. – Habe da gerade ein sehr interessantes Exponat hereinbekommen, eine SC 250 mit Trialenfüllung.“
„Was?“
„Wie, WAS? - Trialene sind Sprengstoffmischungen aus TNT, Hexogen und Aluminiumpulver, das weiß doch jedes Kind.“
„Ich nicht.“
„Kein Wunder, wenn du nicht zu deinem Weltbestseller kommst, bei deiner geringen Allgemeinbildung. – Meine SC 250 ist zudem im Besitz einer Prallscheibe!“
„Wie Prallscheibe?“
„Hier nimm mal einen Zug“, sagte Falk, der seinen Joint inzwischen fertig gebaut hatte, „ist guter Stoff! - Hört sich interessant an, was dieser Fliegerleitoffizier erzählt!“
Obwohl ich seit den 68gern keinen Joint mehr angerührt hatte, nahm ich doch einen Zug, während Oberstleutnant Guntram Greulich gar munter erzählte: „Bei Einsätzen von Bomben aus geringeren Höhen, so aus 40 bis 100 Metern gegen Schiffsziele, erfolgte durch die ogivale Bombenspitze oftmals ein unkontrolliertes Abprallen von der Wasseroberfläche, teilweise sogar vom Blech des Decks, so dass die Bombe sogar über das Schiff hinaussprang und dem werfenden Flugzeug nacheilte, es somit durch die Detonation gefährdete. Durch den Anbau von Prallscheiben an die Bombenspitze der SC 250 wurde zwar das Abprallen von der Wasseroberfläche nicht verhindert, aber die Bomben wurden derart stark abgebremst, dass sie sich über der Wasseroberfläche der Länge nach überschlugen und entweder gegen die Bordwand des angegriffenen Schiffes prallten und dort durch den Aufschlagzünder sofort detonierten oder nach kurzer Flugstrecke von 25 bis 35 Metern neben dem Schiff versanken und dann über die Verzögerungsfunktion des Zünders unter Wasser detonierten. Bei Aufschlägen auf das Deck sollte die Prallscheibe das Abprallen verhindern und die sofortige Detonation auslösen.“
„Sag bloß“, sagte Falk, zeigte sich interessiert und ich bekam nur noch rudimentär etwas von einem Jericho-Gerät mit, sowie irgendwas mit dem Sowjetischen Satelliten METEOR 44M, und dann war da noch irgendwas mit einer Wette.
…und so weiter, es kommt aber noch was:
Nun, ich gab den Trägern ein angemessenes Trinkgeld, sie murmelten, „Danke Cheffe“, und wandte mich wieder meiner Arbeit zu, weil ich ausnutzen wollte, dass die liebe Lydia in die Kohlenhandlung, auf den Wochenmarkt und anschließend zu einem Fräulein Gerda gehen wollte, um Rommé zu spielen.
Doch kaum hatte ich ein paar Sätze geschrieben, ich tue mich mit den Anfangssätzen immer unheimlich schwer, erschien Oberstleutnant Guntram Greulich und wollte wissen, ob die ‘SC 250 mit Trialenfüllung‘ im ‘Transportbehälter 250‘ auch ordnungsgemäß geliefert worden war.
„Was? Hier ist keine SC 250 geliefert worden.“
„Doch! Da steht sie doch auf dem Flur! Augenscheinlich ist alles in Ordnung, du hast ‘ein Stück Abwurfmunition‘ also eine Bombe doch bei einer Wette gewonnen, und ich habe sie geliefert. Ein Mann, ein Wort. Ehrensache.“
„Wie, Wette?“
„Mann, du hast bei unserer Wette in der Kohlenhandlung eine Bombe gewonnen! Erinnerst du dich nicht mehr?“
„Ach du je. Das kommt dabei raus, wenn man bekifft ist. Das erste Mal seit ‘68 fass ich einen Joint an und dann gleich sowas! Kein Wort zu der lieben Lydia, die frikassiert mich, wenn sie mitbekommt, dass ich am Joint genuckelt habe, und dass in unserer Wohnung eine Bombe rumsteht. Sei gut und nimm die Bombe wieder mit, ich schenke sie dir.“
„Geht nicht.“
„Warum nicht?“
„Ich hab’s im Kreuz und meine Leute haben schon Feierabend gemacht. – Man so ein Stück Abwurfmunition wiegt um die 250 Kilo ohne den Transportbehälter! Daraus leitet sich auch die Bezeichnung SC 250 ab.“
„Ist da etwa noch Sprengstoff drin?“
„Natürlich! Wir haben schließlich nicht um einen Dummy gewettet.“
„Ach du Scheiße. Ist die eigentlich scharf?“
„Nein, aber ich kann sie dir mal eben scharf machen. Die beiden Zünder vom Typ 38 sind mit in dem Transportbehälter. Der Elektroaufschlagzünder Typ 38 wurde übrigens für den Einsatz in Low-Level-Bereich eingesetzt. Interessant nicht wahr?“
„Wie, die beiden Zünder?“
„Na, die SC 250 hat Einbaubuchsen für zwei Zünder, seitlich angebracht. Ich zeige es dir mal eben.“
„Um Gotteswillen, mach die Kiste nicht auf! Ich will damit nichts zu tun haben! Elektroaufschlagzünder vom Typ 38, sag mal spinnst du?“
„Ich könnte dir natürlich auch einen Dinort-Stab besorgen, wenn dir der Elektroaufschlagzünder Typ 38 nicht gefällt.“
„Guntram, du machst mich wahnsinnig! Ich habe nichts lieber, als eine ausgeglichene Gemütslage. Die erreiche ich aber nicht, wenn in unsere Wohnung irgendwelche funktionstüchtige Abwurfmunition rumsteht, weil das von der lieben Lydia nicht sonderlich gerne gesehen wird. Da ändern auch die ausgebauten Elektroaufschlagzünder vom Typ 38 oder dieser dämliche Dinortstab nichts.“
„Wieso das denn? Die nach dem Stuka-Piloten Oskar Dinort benannten Stäbe wurden an die Bombenspitze geschraubt. Dinort-Stäbe dienten dazu, dass die Bombe schon beim Auftreffen der Spitze des Dinortstabes durch Auslösung des normalen Bombenzünders ansprach. Dadurch erreichst du einen gewissen Abstandszünder-Effekt, der eine optimale Verteilung der Splitter verspricht.“
„Guntram. Bitte, ich will die Bombe hier nicht haben.“
„Wieso? Ist doch ein sehr schönes Stück, ein funktionstüchtiges Exponat! Du könntest damit einen ganzen Häuserblock wegsprengen.“
„Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich weder die Splitter optimal verteilen, noch einen Häuserblock wegsprengen will.“
„Natürlich nicht! Aber du könntest! Das ist doch ein starkes Gefühl!“
„Stake Gefühle habe ich lieber mit der lieben Lydia.“
Es gibt da so ein schönes Sprichwort, das besagt: ‚Wenn du vom Esel sprichst, dann kommt er gleich um die Ecke gelaufen‘, oder so ähnlich, jedenfalls kam die liebe Lydia statt um die Ecke die Treppe rauf, und wir absolvierten unser Begrüßungsritual.
„Du“, sagte sie anschließend, „Gerda ist mit ihrem neuen Freund etwas überstürzt nach Portofino aufgebrochen, Urlaub machen und streifenlos braun werden. – Du musst nur aufpassen, dass er weder verfettet noch zu dünn wird.“
„Warum soll ich denn Aufpassen, dass der neue Freund Fräulein Gerdas weder verfettet noch zu dünn wird?“
„Den Goldfisch meine ich! – Futter musst du ihm allerdings noch beschaffen, habe ich in der Eile vergessen.“
Sie hatte um zu unserer Begrüßungszeremonie die Hände frei zu haben, ein Glas nebst Goldfisch auf den Transportbehälter für die SC 250 gestellt.
„Das ist Agamemnon“, sagte die liebe Lydia, “ich habe ihn in Pflege genommen, während Gerda mit ihrem neuen Freund im Urlaub in ist. Er könnte doch solange in deinem Arbeitszimmer auf dem Tisch stehen.“
„Das geht gar nicht“, sagte ich, „ein Goldfisch bring zu viel Hektik in mein Arbeitszimmer! Aber der Herr Oberstleutnant Greulich hat uns wieder eine Kiste gebracht. Wunderhübsch, nicht wahr? Wir legen erst ein Deckchen drauf und dann den Goldfisch. Ist ja nur für kurze Zeit, dann nimmt der Herr Oberstleutnant Greulich die Kiste bestimmt wieder mit, und wir geben Agamemnon zurück. In meinem Arbeitszimmer will ich jedenfalls keinen Goldfisch haben; - diese hektischen Viecher kann ich in meinem Arbeitszimmer nicht ertragen!“
Das sah die liebe Lydia ein, legte ein handgehäkeltes Deckchen aus lichtblauem Baumwollgarn mit Hohlsaum Umhäckelung auf den Transportbehälter für und mit der SC 250, stellte das Glas mit Agamemnon darin darauf und ging, weil Katrin auch noch kam, in die Küche um Tee zu kochen.

Du siehst also, Recherche ist der halbe Roman, ich achte auch beim Lesen aufs Detail. Wenn dieses so einfließt, dass der geneigte Leser es nicht merkt, ist mein Ziel erreicht.
Wenn nämlich im Roman der Kommissar Fingerabdrücke von einer Unterhose nimmt, oder der Mörder einen großen Revolver, natürlich eine Smith & Wesson Model 500, in der Satteltasche seines Fahrrads versteckt, stimmt irgendwas nicht.

Puh, mir ist aufgefallen, dass ich, gegen meine Natur, diesmal ernsthaft war.
Entschuldige, soll nicht wieder vorkommen.

Also dann, ich hoffe, wir lesen uns recht bald mal wieder!
Yours Hagen

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Auf alle Fälle solltest Du niemals ein Klavier in nassem Zustand stimmen!
 
G

Gelöschtes Mitglied 16391

Gast
Nett erzählt, aber für mich ohne wirkliche Pointe. Den Taxifahrer als Typen umschreibst du sehr gut, eindringlich, nachvollziehbar und humorvoll. Die Fruktarierin bleibt ein wenig blass.
 

Hagen

Mitglied
Hallo CPMan,

zunächst einmal vielen Dank für die Beschäftigung mit meinem Text.
Ich war unter Anderem mal Taxifahrer, wie Du meinem Profil entnehmen kannst. Aus dieser Zeit habe ich eine Episode aus meinem Leben verarbeitet, sie ist sozusagen eine ‚Geschichte, die das Leben schrieb‘, wobei die Dame nicht nur blass aussieht, sondern in dieser Episode genauso erscheint!
Da jeder weiß, dass ich niemals lüge, habe ich die Geschichte so aufgeschrieben, wie sie war.
Ich stimme Dir zu und finde, dass sich das Leben mal anständige Schluss-Pointen ausdenken sollte.
Aber dafür sind wir Schreiberlinge ja da.
Anständige Schluss-Pointen findest Du in den anderen meiner Geschichten, die teilweise von mir erarbeitet wurden.

also dann, wir lesen uns
Yours Hagen

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nichts endet wie geplant!
 



 
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