DIE FÜNF - Kaufhausdetektive in eigener Sache

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jimKaktus

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Wenn du einen Polio-Pullover anhast, klärte uns Tim auf, rennen dir die Schnitten - oder auch Typen, sagte er zu Verona - nur so nach. "So schnell kannst du nicht laufen, wie sie dir die Sachen vom Leib reißen."

Ehrfurchtsvoll betrachteten wir den Tisch mit den Pullovern. Darauf lagen noch genau vier Stück, in Blau, in Rot und zwei in Weiß. "Ich will zu den Eisenbahnen", maulte Veronas kleiner Bruder Max. "Justin geht dann mit dir", versprach Verona. "Sehr lustig", fand Justin und fand es gar nicht lustig. Er wurde immer damit aufgezogen, dass er erst zwölf, also noch kein Teenager, war. Außerdem wollte er lieber zu den Videospielen.

"Also", sagte Tim mit gedämpfter Stimme. "Ihr greift euch einen Pullover und noch einen anderen Pullover, den ihr um den Pullover rumwickelt. So geht ihr zur Umkleidekabine. Ihr geht sozusagen mit einem Pullover in der Hand rein und kommt mit einem Pullover in der Hand wieder raus. Dass ihr den zweiten drunterhabt, sieht keiner. Ich zuerst ..."

"Warum gehst du nicht?", fragte Verona. "Ich warte noch einen günstigen Moment ab", antwortete Tim genervt. "Verhaltet euch unauffällig." Wir verhielten uns unauffällig. "Hör auf zu pfeifen, Justin", flüsterte Tim ärgerlich.

Die Polio-Pullover lagen auf dem Tisch und glänzten. Dahinter fing die Schmuckabteilung an, lauter Vitrinen, die auch strahlten und glänzten, allerdings nicht so sehr wie die Polio-Pullover. Ein Jugendlicher mit schwarzen gegeelten Haaren und einer Goldkette sah sich dort schon die ganze Zeit um. Wir hatten überlegt, ob er uns gefährlich werden könnte. Aber er schien uns gar nicht zu bemerken. Er sah immer nur in die Vitrinen. Wahrscheinlich wollte er sich eine dickere Halskette kaufen.

Er war sehr gut gekleidet, trug Tommy-Hilfiger-Jeans und die teuersten Nikes, die es derzeit gab. Aber keinen Polio-Pullover, sondern einen roten Pulli mit Kapuze, über den er ein Basketball-Trikot der Toronto Raptors gezogen hatte. Sein Oberkörper und Kopf versanken darin wie in einer bunten Mönchskutte.

Tim holte tief Luft, so als müsste er in kaltes Wasser springen. In dem Moment hörten wir es klirren. Eine Sirene heulte schrill, und auf uns zu stürzte der Vitrinenkucker, mit schreckgeweiteten Augen. In der Hand hielt er einen Nothammer wie er in Bussen hängt.

Noch bevor wir begriffen, kam er an den Tisch mit den Polio-Pullovern, der zwischen ihm und uns stand. Er sah die vier Pullover liegen, raffte sie mit den Armen zusammen und rannte nach links.

Tim stand verdattert. Verona rief: "Der hat unsere Pullover! Hinterher!" Und rante los. Der Dieb mit der Nummer 15 verschwand in einer Tür. Wir rannten ihm nach. Es war ein Notausgang.

In ein Treppenhaus kamen wir, wo durch kleine Luken nur wenig Licht eindrang. Es hallte und wir hörten den Dieb unter uns schnaufen und die Treppen herunterspringen. Wir fühlten uns stark. Wir jagten ihn. Er rannte vor uns davon und wir waren zu fünft, darunter dreieinhalb Männer! Wir waren in Rage, und er hatte die Polio-Pullover. Wir jagten ihn, die Treppen herunter, bis zu einer Doppeltür, die nach draußen führte (denn sie hatte ebenfalls kleine Sichtfenster, durch die man Tageslicht sah).

Ein Arm warf Tim, Justin und mich um. Verona, die uns mit Max an der Hand dicht auf den Fersen gewesen war, schrie wie eine Furie: "Gib unsere Pullover her!"

"Halt's Maul!" fauchte Toronto 15 und spähte durch die Fenster in der Tür. Die Pullover lagen hinter ihm vor der Wand.

Tim, Justin und ich waren mächtig eingeschüchtert, als wir aufstanden. "Ich stech euch ab!" zischte Toronto. Er sprach die schnelle, ratternde Sprache türkischer Jugendlicher. Justin legte sich wieder hin. Und wir andern passten fortan auf unsere Oberschenkel auf.

Als Toronto 15 keine Anstalten machte, uns abzustechen und immer nur aus den Guckfenstern der Tür sah, wurden wir mutiger. Tim sagte: "Äh, hi ..."

"Wenn ihr zu irgendwem was sagt, stech ich euch ab. Ich finde euch. Und eure Eltern auch", fauchte und zischte wieder Toronto.

"Wir sagen nichts", sagte Justin auf dem Boden.

"Ok. Aber gib uns die Pullover", entgegnete Tim herausfordernd.

"Max, davon erzählst du nichts Mutti, verstanden?" wies Verona ihren Bruder zurecht und Max blickte ängstlich.

Toronto 15 sah Tim überrascht an.

"Wir kennen übrigens Mohammed", erwähnte wie beiläufig Tim. Tims Bruder, der Polizist war, hatte uns geraten: "Wenn ihr Stress mit türkischen Jugendgangs habt, sagt einfach, dass ihr Mohammed kennt." Denn es gebe immer irgend einen Mohammed, den die sie kennen würden und vor dem sie Respekt hätten. Und wenn nicht, solle man es mit "Yassin" weiter probieren.

"Na und? Mohammed kann mich mal", brüstete sich Toronto. "Ich kenn Yassin." Und Tim sagte daraufhin nichts mehr.

"Hast du ein Messer?", fragte Max, dem Messer imponierten.

"Klar hab ich eins."

"Ist es groß?", wollte Max wissen.

"Richtig groß. So." Toronto zeigte eine Spanne von dreißig Zentimetern.

"Kannst du's mal zeigen?" bohrte Max weiter.

"Warum gehst du nicht raus?" fiel Verona ein, die wohl vom Thema Messer ablenken wollte. Toronto zögerte. "Draußen sind Bullen", raunte er schließlich halb verschwörerisch.

Wir anderen knabberten an dem auch für uns irgendwie unangenehmen Wort "Bullen". Inzwischen fühlte Max mit seiner gnadenlosen Direktheit dem in die Enge Getriebenen weiter auf den Zahn: "Heißt das, du sitzt in der Falle?"

"Nein, ich warte nur", log Toronto, der schwitzte. "Sollen wir deine Geiseln sein?" schlug Verona vor. Zum Glück fand auch Toronto 15 den Vorschlag höchst uncool. "Bist du bescheuert? Weißt du, wieviel auf Geiselnahme steht??"

"Sollen wir ... vielleicht einfach verschwinden?" bot Tim an und zeigte E.T.-mäßig mit dem Finger hinauf ins Treppenhaus. Da hörten wir Schritte, Schritte von genau dort, wo Tim hinzeigte. Toronto 15 lauschte angespannt und schlüpfte mit einem Fluch aus der Tür hinaus in die Gasse, wo ihn sofort zwei patroullierende Polizisten ansprachen und mitnahmen. Er tat uns ein bisschen leid. Aber wir selbst taten uns viel mehr leid, obwohl wir auch froh waren.

Wer denkt, dass wir zum Dank vom Kaufhaus die Polio-Pullover geschenkt gekriegt hätten, ist ein Träumer. Einen 10-Euro-Einkaufsgutschein haben wir jeder gekriegt und fotografiert wurden wir, für die Betriebszeitung. Verona war so beleidigt, dass sie den Gutschein zurück geschickt hat. Und Sachen können wir uns in dem Kaufhaus auch nicht mehr holen, auch wenn das eine angemessene Entschädigung wäre. Denn leider begrüßt uns nun der stille Anzugträger vom Eingang bei jedem Besuch mit dem freundlichsten Grinsen, das seine schiefen Raubtierzähne hergeben. Mit dem Rest des Personals ist es ähnlich. Echt dumm gelaufen.
 

jimKaktus

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da vermutlich jemand (ein wenig auch zu recht), die political correctness verletzt sah, hab ich die story noch mal unter diesem gesichtspunkt überarbeitet. ich wollte bestimmt nicht ausdrücken, dass alle jungen männlichen türkischen mitbürger diebe seien (die kinder klauen ja auch). ich sehe klauen oder "abziehen" von markenklamotten, messerstechereien, vergewaltigungen usw. mehr als sozialpolitisches problem in sozialen randgebieten denn als personen(-gruppen-)bezogene verbrechen. (mangel an bildung usw.)

jim
 

Heidrun

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Hallo jimKaktus

Ich finde Deine Idee gut, den eigenen Wunsch zum klauen als Hintergrund zu bringen.
Wenn man nicht empfindlich gegen Ausländerfeindlichkeit ist ,dann ist es so ok, und wen das stört der kann sich das ja auch umgekehrt denken.
Immerhin kommen ja bei der Geschichte alle schlecht weg.
Übrigens finde ich auch die Dialoge gut gemacht.
Gruß Heidrun

"Das Universum ist erfüllt von grenzenloser Kreativität.
Ich ziehe sie an wie ein Magnet.
Mein Geist und meine Träume öffnen sich ihr.
Sie fließt in mich wie ein Strom klaren Wassers."
 



 
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