Die Gablung

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Walther

Mitglied
Die Gablung


Du stehst an einer Gablung: Abschied, Ende.
Der Weg hierher war staubig, voller Löcher.
Die Pfeile, die du trägst im Lederköcher,
Sind stumpf und fast verschossen. Eine Wende:

Die Schlachten sind geschlagen. Friede wartet.
Doch einer muss beginnen ein zu halten.
Er muss den Mut entwickeln, zu gestalten,
Statt zu zerstören. Jeder Krieg entartet.

Du zögerst, denn du weißt: Ich muss entscheiden.
Ein Wolkenband malt einen dunklen Schatten
Ins grüne Tal, in dem die Kühe weiden.

Die Wahl, die sie dir vorgegeben hatten,
Vernichtete die Hoffnung, hieße Leiden.
Und dann nimmst du den schweren Weg von beiden.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Das Dilemma herrscht immer dort, wo man noch eine Wahl hat.
Nicht immer sieht man, dass man bereits an einer Gabelung ist, die in etwas völlig anderes führt. Und oft leitet dabei die Angst.
Manchmal ist es aber auch die Vorstellung, einen Weg beenden zu müssen.
Oft habe ich solche Entscheidungen in Märchen gelesen. Immer der, der den schwierigen Weg suchte, meisterte ihn.
Manchmal ist ein Weg berechenbar, oft aber nicht.
Und so stellt das Sonett zunächst das Dilemma auf, und dann löste es es. Aber die Lösung ist: Es ist der schwierigere Weg.
 

Walther

Mitglied
Die Gablung


Du stehst an einer Gablung: Abschied, Ende.
Der Weg hierher war staubig, voller Löcher.
Die Pfeile, die du trägst im Lederköcher,
Sind stumpf und fast verschossen. Eine Wende:

Die Schlachten sind geschlagen. Friede wartet.
Doch einer muss beginnen einzuhalten.
Er muss den Mut entwickeln, zu gestalten,
Statt zu zerstören. Jeder Krieg entartet.

Du zögerst, denn du weißt: Ich muss entscheiden.
Ein Wolkenband malt einen dunklen Schatten
Ins grüne Tal, in dem die Kühe weiden.

Die Wahl, die sie dir vorgegeben hatten,
Vernichtete die Hoffnung, hieße Leiden.
Und dann nimmst du den schweren Weg von beiden.
 

Walther

Mitglied
hi Bernd,

danke fürs drübernach- und weiterdenken. in der tat ist oft der schwere weg der richtigere. aber wir menschen sind eben bequem.

der unterzeichner hält sich gerade einen spiegel vor. :)

in der tat habe ich in diesem wie in http://www.leselupe.de/lw/titel-Altweibersommer-am-Fuss-der-Alb-119772.htm Altweibersommer am Fuß der Alb wieder auf archaische metaphern zurückgegriffen. die sprache ist älter, als wir uns dessen bewußt sind. die archetypen haben zum teil einen fast makellosen glanz behalten, sie sind bei weitem nicht so verschmutzt und benutzt wie manche aktuelle bilder.

ich hoffe sehr, daß form, sprache, inhalt und die vortragbarkeit einigermaßen gelungen sind und würde mich über weitere wortmeldungen freuen.

lg w.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Die meisten Wörter, die wir verwenden, sind einst Metaphern gewesen, heute sind sie tote Metaphern.

Ich versuche mal, ein wenig die Metaphern (in der ersten Ebene, also nicht über alles) zu finden, darunter auch alte, nicht mehr als Metaphern zu erkennende "tote Metaphern". Ich mache es aber "volksethymologisch", also nicht unbedingt völlig korrekt in historischem Sinn, eher, wie meine Mutter mir die Wörter erklärt hat oder hätte.

Du stehst an einer Gablung - Die Gablung des Weges ist selbst bereits eine Metapher, von der Gabel des Zweige, denke ich.


: Abschied, Ende.
Abschied (scheiden, trennen)
Ende - (keine Ahnung. Also doch Grimm. goth: anþeis "erwarten" http://woerterbuchnetz.de/DWB/?sigle=DWB&mode=Vernetzung&lemid=GE04223#XGE04223 )

Ich erwarte das Ende - in gewisser Hinsicht auch heute noch doppelt gemoppelt.
Wahrscheinlich mit "ent..." verwandt.


Der Weg - Art und Weise, Mittel ( http://woerterbuchnetz.de/DWB/?sigle=DWB&mode=Vernetzung&lemid=GW10890#XGW10890 )

Jedes Wort enthält eine ganze Geschichte, die meist nicht völlig verschwunden ist.

hierher war staubig, -- (warscheinlich mit "rauchig" verbunden, aber auch Sternenstaub.)

voller Löcher.
Es ist ein eine Metapher für Vertiefungen. Löcher sind es ja nur im übertragenen Sinne.

Die Pfeile, die du trägst im Lederköcher,
Sind stumpf und fast verschossen.

Hier verstoße ich mal gegen mein Ziel. Pfeile sind verbunden mit Amor und mit Zenon. Armors Pfeil brauche ich nicht zu erklären. Zenons enthält eine Paradoxie. Ein Pfeil kann nie sein Ziel erreichen, denn vorher muss er die Hälfte der Strecke zurücklegen, von dieser wieder die Hälfte usw. - aber bei keiner der Hälften erreicht er je sein Ziel, dem er immer näher kommt.

Eine Wende:


Die Schlachten sind geschlagen. Friede wartet.
Doch einer muss beginnen einzuhalten.
Er muss den Mut entwickeln, zu gestalten,
Statt zu zerstören. Jeder Krieg entartet.

Her gehe ich noch weniger ins Detail der Wörter, auch wenn "schlagen" und "Schlachten" auf alte Methoden der Kriegführung verweisen, hier aber eine Metapher für Wortgefechte und für Überwinden von Schwierigkeiten im Leben sind.

Du zögerst, denn du weißt: Ich muss entscheiden.
Ein Wolkenband malt einen dunklen Schatten
Ins grüne Tal, in dem die Kühe weiden.

Hier sieht man direkt die Metaphern.

Die Wahl, die sie dir vorgegeben hatten,
Vernichtete die Hoffnung, hieße Leiden.
Und dann nimmst du den schweren Weg von beiden.

Diese Strophe enthält lauter "tote" Metaphern, ist aber selbst eine.
Es ist eine Metapher auf die Wahl und das Wissen, zugleich paradox, da nicht erkennbar ist, wie man feststellen kann, was schwerer ist. Du nimmst den einfachen Weg und es ist der schwerere.


---

Ich habe hier das Gedicht nicht zerpflückt, eher verwendet, vielleicht missbraucht, um die Metaphern selbst zu beschreiben.

Jetzt folgt die Schleichwerbung:
Metapher: Ich bin etwas anderes. "I am another". Das ist ein Buchtitel eines sehr interessanten Werkes. (James Geary: I Is an Other: The Secret Life of Metaphor and How It Shapes the Way We See the World)
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo Walther,
Du freust Dich über weitere Wortmeldungen? Nun denn. Wie Du vielleicht schon gemerkt hast beurteile ich ein Gedicht in erster Linie nach der lyrischen Musik und erst in zweiter Linie nach Wort-Kompositionen und Metaphern. Und in dieser Hinsicht hat Dein Sonett (sorry) etwas zu wenig. Zu viele Hauptsätze, Abbrüche, zu wenig Enjambements, die das Ganze etwas fließender, melodischer machen. Dein stärkster Satz ist der letzte: "Und dann nimmst du den schweren Weg von beiden". Durch das "und dann..." werden all die etwas nüchtern aufgezählten Statements zumindest inhaltlich aufgelöst in einen weiterführenden Fluss.
Insgesamt aber gern gelesen.
Hermann
 

Walther

Mitglied
Hi Bernd,

fangen wir mit der metapher "Feile im Köcher" an. das ist ein bild aus der jagd, auch dem kampf. nur jemand mit feilen im köcher kann auch schießen (mit dem bogen / der armbrust). für den erfolg des schusses, also der tötung, ist die pfeilspitze von entscheidender bedeutung.

"Die Schlachten sind geschlagen." der kampf ist ausgefochten, das ergebnis steht fest.

beide bilder sind hier im übertragenen sinne zu verstehen. die entscheidung ist letztlich: halte ich den nichtkrieg aufrecht, bleibe ich verfeindet, oder gehe ich den weg der übereinkunft, des aussöhnens.

lg w.


hallo Hermann,

in der tat sind bei einem sonett aussage, form, metaphern, rhythmik, melodie mit einander verwoben. dir sagt der raue ton, die harte, abgehackte sprache nicht zu, du empfindest den text nicht rundherum gelungen.

diese einschätzung ist dein gutes recht. in der tat ist der text nicht glatt geschliffen. das sujet paßt ja auch nicht zu einer quasi polierten oberfläche. der protagonist ist müde, abgekämpft und steht vor einer nicht einfachen entscheidung. sein gang ist nicht mehr geschmeidig, sein haltung nicht mehr jugendlich straff. seine kleidung ist abgenutzt, das schuhwerk alt und benutzt, der köcher verschmutzt und halbleer. díe haare sind verfilzt, die wange eingefallen.

genau das spiegelt die sprache wieder. sie ist der situation im ton und in der formulierung angepaßt und gemäß.

wie du richtig erkennst, unterscheiden sich die beiden terzette von den quartetten. hier gibt es passagen, in denen die sprache gefällig ist und fließt.

man kann also, wie du siehst, dein monitum auch als kunstgriff des autors verstehen. wie gesagt: oftmals hat das, was man sieht, nicht nur die seite, die man wahrnimmt.

danke für deinen freundlichen eintrag!

lg w.
 



 
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