Die Geburtswehen einer dänischen Königin

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Bo-ehd

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Sie sitzen in Büschen und Bäumen, meist auf der Unterseite von Blättern, die sie vor dem Sonnenlicht schützen. Dort ist es im Sommer angenehm kühl und vor allem feucht, dort dienen Blätter dem Schutz vor Regen und starkem Wind. Fluginsekten wie Libellen und Eintagsfliegen, Köcher- und Steinfliegen schätzen die Ufervegetation. Sie ist ihre Geburtsstelle in der Natur, ihr Kreisssahl aus Halmen, Ästchen, Rinde und dem grünen Laub von Erlen, Birken und Buchen, Liguster und Haselnuss. Doch alles beginnt auf dem Grund des Flusses.

Es ist schon Mai, wenn die Larven der Eintagsfliege Ephemera danica nach einem zwei- oder dreijährigen Leben im Wasser das Stadium der Reife erreicht haben, in dem sie als Nymphe bezeichnet werden. Sie sind gut genährt, stark und von dem unwiderrufbaren Drang beseelt, ihre sicheren Grab- und Wohnröhren im Gewässerboden zu verlassen. Dazu benötigen sie nicht nur die warme Witterung des Mai oder Juni, sondern auch ein besonderes Signal der Sonne. Denn ihre Wehen vor der Verwandlung zur Subimago, dem Jugendstadium als flugfähiges Insekt, werden durch Sonnenstrahlung ausgelöst. Nicht irgendwelche, sondern besondere, denn die drei Zentimeter langen Larven warten ungeduldig, bis das entscheidende Lichtsignal kommt. Und das ist in unseren Breiten um den 10. Juni herum. Entomologen rätseln sich die Köpfe heiß, was genau denn nun den Impuls auslöst, und das werden sie in hundert Jahren wohl auch noch tun.

Derweilen steigt die Larve auf – ein höchst abenteuerliches Unterfangen, denn das wehrlose Tier durchschwimmt mit delphinartigen Bewegungen seines Hinterleibes das freie Wasser. Immer schön gegen die Strömung wegen des Sauerstoffs und des Auftriebs. Die Reise ist nicht nur mühsam, sondern auch lebensgefährlich, denn die Signale des Schlupfes sind auch ihren Jägern und Fressfeinden nicht verborgen geblieben. Äschen, Forellen, Döbel und all die Kleinfische nutzen die Gelegenheit, sich mit den Abertausenden aufsteigender Larven die Bäuche vollzuschlagen.

Es sind dennoch genug, die die Wasseroberfläche erreichen. Erschöpft versuchen sie, diese zu durchbrechen, sich einen Augenblick von der strapaziösen Reise aus der Tiefe und gegen die Strömung zu erholen, um dann in einem unglaublichen Kraftakt mit ihrer Atemluft Muskeln und Eingeweide gegen ihre Außenhaut zu pressen, dass diese der Länge nach aufreißt. Jetzt, immer noch auf der Wasseroberfläche treibend, entsteigt eben dieser aufgerissenen Hülle ein flugfertiges Insekt. Da geschieht das Wunder: Aus einer von einem Chitinpanzer geschützten etwa drei mal zwei Millimeter kleinen Kammer presst das Insekt vier zusammengefaltete Flügel ins Freie, die es unverzüglich entfaltet. Es sind zwei kleine Flügel, die nicht einmal beim Fliegen eine Bedeutung haben und wahrscheinlich nur bei ihren archaischen Vorfahren eine Funktion gehabt haben. Das andere Flügelpaar indes hat es in sich.

Es entfaltet sich zu der unglaublichen Größe von dreißig mal zwanzig Millimetern, also zehn mal mehr als in zusammengefaltetem Zustand. Doch die Größe allein nützt dem Tier nichts. Die graugelben, fast farblos wirkenden Flügel sind noch viel zu weich und unbelastbar – ein Ballast für das Tier. Mit pumpenden Bewegungen presst es fortan Blut in die Adern, die die Flügel schließlich wie eine Flusslandkarte zieren. Das macht sie steif und widerstandsfähig. Den Rest besorgen die Luft und die wärmenden Strahlen der Sonne. Noch ein paar Flügelschläge zum Trocknen und zur Probe, um die Muskeln geschmeidig zu machen, dann ist Ephemera danica startbereit.

Das alles spielt sich innerhalb weniger Sekunden ab, und nun verlässt sie mit hektischem Flügelschlag ihre Schlüpfstätte. Inzwischen hat die Strömung sie einige Meter stromab getrieben. Doch das macht nichts, solange Büsche und Bäume das Ufer säumen. Puh, die erste Hürde ist genommen. Mit der Entfaltung der Flügel ist die erste Geburt vollzogen. Mit schnellem Flügelschlag steigt sie auf und lässt die lebensgefährlich Wasseroberfläche unter sich.

Doch das mühsame Leben geht erst einmal weiter, bevor das Tier seinen Lebenszweck erfüllen kann. Eine weitere Entfaltung steht bevor. Der wenig geschickte Flieger mit den blassgelben Flügeln hat jetzt nur ein Ziel: das Erreichen der Ufervegetation. Hier sucht es die schattige Unterseite von Blättern und verweilt einen, höchstens zwei Tage lang, um seine Muskeln auszubilden. Wie, noch einmal? Das ist jetzt der Weg zur Geschlechtsreife. Die Arterhaltung steht an. Für eine Eintagsfliege wie Ephemera danica gibt es keine Freizeit, um sich in der neuen Welt über Wasser erst einmal einzurichten.

Die Zeit drängt, aber sie hilft auch bei ihrem Vorhaben. Es kommt zu einer weiteren Entfaltung, die mehr einer Häutung entspricht. Mit einem leisen Knacken, als würde man ein trockenes, höchstens ein Millimeter starkes Zweiglein zerbrechen, platzt die Rückseite des Fliegenkörpers auf. Ihr entsteigt das fertige, geschlechtsreife Insekt. Es bekommt sogar für dieses Stadium einen neuen Namen: Imago. Das Sub..... aus dem Vorstadium wurde der zweiten Geburt geopfert.

Die Flügel härten weiterhin aus, sind jetzt klar und irisierend, stabil und tauglich für größere Flugmanöver. Ein solches findet am nächsten Abend statt, wenn weibliche wie männliche Tiere zum Paarungsflug aufsteigen, sich beim Aufsteigen und Niederschweben finden und paaren. Doch das ist nicht ganz so einfach. Um das gezielte Auf und Ab während des Fluges und das gleichzeitige Anfliegen des Partners zu bewerkstelligen, bedarf es eines komplizierten Steuergerätes. Das bestand im Zustand der Larve aus drei unbrauchbaren, stummelartigen Borsten am Hinterleib. Die werden jetzt entfaltet, nein, entrollt: Aus zehn Millimeter kurzen Schwanzfäden werden so unvorstellbare vierzig Millimeter. Erst jetzt startet sie zum Schwarmflug.

Die Fischer bezeichnen ihn als Hochzeitstanz der Maifliegen.
 
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Rachel

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Danke, lieber Bo-ehd! Eine wunderbar informativ, bilderreich und spannend erzählte Geschichte live aus der Natur.
Es wird einem wieder klar, wie unglaublich reich und schützenswert alles Leben um uns ist. Ein feiner Genuss - allein der Titel.
Sehr interessant, die geheimnisvolle Sache mit dem Licht. Und vieles vieles mehr!

LG
 

Bo-ehd

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Liebe Rachel,
danke für deine anerkennenden Worte und die vielen Sternchen. Ja, die Natur - wir leben in ihr und übersehen diese phantastischen kleinen Dinge, die um uns herum tagtäglich passieren. Jedes für sich ein kleines Wunder; hoffentlich können wir an ihnen noch lange teilhaben.
Gruß
Bo-ehd
 



 
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