Die Gedanken eines Landwirts

Coolromeo

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Mit sorgenvollem Blick, die Stirn mit tiefen Falten, die Augen müd` vor fehlendem Schlaf, richtete ein Landwirt mit verbranntem Gesicht, seinen Kopf den Himmel entgegen. Er betrachtete die Sonne umgeben von hellem Blau mit zugekniffenen Brauen. Keine einzige Wolke war zu sehen. Die Hitze brannte auf seiner Haut.

Der Landwirt, den alle im Dorf Willi nannten, der rund 65 Hektar sein Eigen nannte und der sich auf den Anbau von Weizen spezialisierte, legte den Hut ab und strich mit seinem behaarten Arm die Feuchtigkeit des Gesichtes ab. Es hatte seit Wochen nicht mehr geregnet. Nachdem die Perlen auf der Stirn beseitigt waren, platzierte er den Hut wieder auf seinen kahlen Schädel, dem nur noch ein zarter Haarkranz geblieben war.

Er stampfte durch das Feld. Der trockene Boden, so hart und uneben, barg die Gefahr, mit den Knöcheln umzuknicken, sich Bänder und Sehnen zu reißen oder sich die Knochen zu brechen. In seinem Alter, um die 60 Jahre, er sprach nicht gern darüber, musste er auf sich Acht geben. Er wollte mobil bleiben und nicht wie sein Vater nach einem Arbeitsunfall, den Rest seines Lebens an einem Rollstuhl gefesselt und von anderen abhängig sein.

Willi liebte seinen Beruf. Landwirt war seine Berufung, seine Bestimmung, es wurde ihm in die Wiege gelegt. Schon als kleiner Junge half er dem Vater die Ernte einzuholen. Er mochte die Arbeit an der frischen Luft, das Leben im Einklang und dem Rhythmus der Natur, fernab von Städten mit ihrem Lärm, Dreck und den großen Menschenansammlungen. Dennoch strapazierte die harte Arbeit Willis Körper. Die langen und anstrengenden Tage der Vergangenheit, manchmal bis in die Nacht hinein, er spürte sie zunehmend morgens, wenn er aus seinem Bett kroch, sich langsam aufrichtete, um den Rücken gerade zu drücken und abends, wenn er erschöpft nach Hause kam, mit seiner Frau einen Happen einnahm und anschließend nur noch das Bedürfnis verspürte, die Glieder auszustrecken.

Er blieb stehen, beugte sich zu einer verkümmerten Pflanze und riss sie aus dem Boden. Der Weizen war halb so groß wie er im Juni sein musste, statt grün war er bereits goldgelb . Willi knickte die Weizennähre von den restlichen Teilen der Pflanze ab, zog zwei Körner ab, biss auf ein Korn und spuckte es wieder aus. Er schüttelte mit dem Kopf. Die Qualität des Weizens war, wie zu erwarten, unbefriedigend. Würde er seinen Weizen überhaupt verkaufen können?

Der nachdenkliche Landwirt ging weiter. Er musste plötzlich an die Worte seiner Frau denken, die ihm vor zwei Jahren geraten hatte, das Land an eine Genossenschaft zu verkaufen. Alle seine Nachbarn, selbst der sture Schubert, der seinen Berufsstand zu verteidigen wusste, hatte das Angebot der Großen angenommen. Zu gering waren in den vergangenen Jahren die Erträge, zu groß die Konkurrenz auf den Weltmärkten, zu klein die Erlöse. Willi war der Einzige aus dem Dorf, der nicht aufgab. Er konnte es nicht, doch so langsam wurde auch ihm klar, dass er vielleicht die falsche Entscheidung getroffen hatte.

Nein! Was dachte er nur? Nein! Er hatte richtig entschieden. Er hatte es seinem Vater versprochen, das Land, auf dem sein Großvater und dessen Vater bereits Getreide anbauten, um keinen Umstand zu verkaufen. Willi musste es am Sterbebett versprechen.

Die Ernte von diesem Jahr sollte ihn finanziell sanieren, aber bedingt durch die Trockenheit, würde die schlechte Ernte ihn sein finanzielles Grab schaufeln. Zu viele Kredite mussten bezahlt werden. Erst vor einem Jahr investierte er in eine gebrauchte Zugmaschine. Die Alte ließ sich zum Bedauern Willis, weil sie ihn an seine glücklichen Kindertage mit dem Vater erinnerte, nicht mehr starten. Willi grübelte und suchte krampfhaft nach einer Lösung.

Einen weiteren Kredit konnte er sich nicht leisten, soviel war klar. Er kam schon so kaum mit den Zahlungen der bestehenden Forderungen hinterher.

Aber vielleicht könnte er mit etwas Einschränkungen, den wenigen Erlösen der Ernte, den Subventionen und staatlichen Hilfen über die Runden kommen und nächstes Jahr gut Geld verdienen. Aber würde es auch zur Tilgung der Kredite reichen? Und überhaupt, wie würde es weitergehen? Die Nachfolge war keineswegs geklärt. Sein Sohn Joseph entschied sich gegen den Beruf des Landwirts. Ihn zog es in die Stadt, in der er mit Frau und Kind seinen Lebensunterhalt als Verwaltungsangestellter bestritt.

Auch keinen seiner Mitarbeiter traute er es zu seine Nachfolge anzutreten. Nicht, dass er ihren Fleiß und ihre Ausdauer, gerade an den Erntetagen nicht zu schätzen wusste, aber geistig fehlte es ihnen, die Ernte auch wirtschaftlich tragbar zu veräußern. War es nun doch zu Ende? Aber das Versprechen?

So ging es über Stunden. Er dachte hin, er dachte her. Willi wollte erst nach Hause kehren, wenn er eine Lösung gefunden hat, auch wenn er ab und zu kleine Sterne vor Augen sah. Er trank seinen letzten Schluck Wasser aus der Flasche und schlenderte weiter durch sein Feld, mit der prallen Sonne über ihn.

Der folgende Tag begann dunkel, denn es versperrten graue Wolken die Sicht auf die Sonne. Sie entluden sich mit Blitz und Donner und endlich regnete es. Die Luft schwül mit hoher Feuchtigkeit, wurde von Stunde zu Stunde kühler. Die Menschen atmeten nach dem Gewitter auf. Die angenehme Brise, die wohltuend auf der Haut kitzelte und das offene Haar der Frauen leicht nach oben und zur Seite schwang, bereitete den Dorfbewohnern ein wohliges und angenehmes Gefühl.

Währenddessen sich das Grau in Grau zunehmend verabschiedete, umarmten sich Mutter und Sohn innig in der Küche. Träne für Träne wie die Tropfen die vom Himmel fielen, zogen sich langsam an den Wangen der Frau entlang. Ihr Mann Willi wurde am Morgen, nach mehrstündiger Suche, tot auf seinem Feld gefunden.
 



 
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