Die Gene

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Matula

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Mama ist jetzt mit Leo zusammen. Papa meint, ich soll mich lieber nicht an ihn gewöhnen. Mama wird noch mit vielen Männern zusammen sein. Ich mag es nicht, wenn er so etwas sagt. Leo studiert schon lange Medizin, aber er ist jünger als Mama. Zuerst hat er mir immer Süßigkeiten mitgebracht. Jetzt sagt er, dass ich zu viele Süßigkeiten esse. Seine Schwester kommt öfter zu Besuch. Dann kocht Mama für alle. Leos Schwester heißt Carina und ist sehr hübsch. Sie hat langes blondes Haar und ist sehr dünn. Einmal habe ich zu ihr gesagt, dass ich später so wie sie aussehen möchte. Da hat sie gelacht und gesagt, dass sie andere Gene hat als ich. Ich weiß nicht, was Gene sind, aber sie wusste es auch nicht,

Papa ist seit der Scheidung mit Valerie zusammen. Manchmal wünsche ich mir, dass sie sich in Leo verliebt und Papa dann allein ist. Valerie tut, als würde sie mich mögen, aber sie sagt mir immer, dass ich zu dick bin. Ich soll mir ein Beispiel an Manuel nehmen. Manuel ist ihr Sohn. Er ist schon vierzehn. Er wohnt abwechselnd bei seinem Vater und bei Papa und Valerie. "Na, Mopsi", sagt er, wenn er mich sieht. Wenn wir in seinem Zimmer sitzen, erzählt er mir, was für ein Arsch mein Papa ist. "Warte nur, bis du so alt bist wie ich. dann wirst du sehen, dass er ein Arsch ist." Manuels Vater sagt, dass er gar nicht auf den alten Trottel hören soll. Bevor ich heimgehe, gibt mir Manuel manchmal einen Schokoriegel und sagt: "Bleibt aber alles unter uns!"

Mama will, dass ich zu allen nett bin, weil alle zur Familie gehören. "Wenn ich krank werde oder einen Unfall habe," sagt sie "hast du viele Leute, die sich um dich kümmern. Das ist doch schön?" - Ich weiß nicht. Ich würde dann am liebsten zu meiner Oma gehen. Sie sagt nie, dass ich zu dick bin, nur, dass ich weniger reden soll. "Dein Papa muss nicht wissen, mit wem Mama zusammen ist, und bei Mama sollst du nicht über Valerie schimpfen. Mit Manuel brauchst du dich nicht abzugeben, und mit Leo erst recht nicht."

Wenn ich einige Tage bei meiner Oma war, fürchte ich mich vor anderen Leuten, außer vor Mama und Papa. Vielleicht ist das auch nicht gut. Mir fallen dann komische Sachen auf. Zum Beispiel, dass sich Leo manchmal mit Carina im Badezimmer einsperrt, wenn Mama nicht da ist. Ich würde gern wissen, was sie dort machen, aber dann fällt mir ein, dass ich nicht so viel reden soll.

Über die Gene muss ich viel nachdenken. Ich stelle sie mir wie hungrige kleine Tiere vor, die in meinem Körper wohnen. Vielleicht werden sie krank und sterben, wenn sie keine Süßigkeiten bekommen. Sie können ja nicht hinaus, um welche zu kaufen, weil sie ganz tief in mir sitzen. Dort, wo niemand hinkommt. - Da fällt mir ein, dass Valerie ein Baby erwartet. Manuel hat es mir verraten. Mein Papa freut sich schon riesig.
 
Zuletzt bearbeitet:
Kindermund tut Erschröckliches kund und ich habe es auch noch genossen, Schande über mich. Jetzt fehlt nur noch, dass auch Carina schwanger wird ... Ich frage mich, wie alt die kleine Plaudertasche hier sein mag. Vielleicht etwa zehn?

Freundliche Grüße an Matula
Arno Abendschön
 

Matula

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Hallo Arno Abendschön,

danke für Deine Bewertung - ich hab mich sehr gefreut. Das Mädchen ist ein bisschen jünger, etwa acht. Soviel Familie macht altklug. Und lachen darf man ruhig, weil es ja sonst zum Weinen wäre.

Herzliche Grüße,
Matula
 
Zwar kann ich nach einer Lektüre dieser Kindermund-Geschichte das Personal noch nicht übersehen, aber das ist vielleicht auch gar nicht nötig. Jedenfalls hat es mich köstlich amüsiert, quirlig, wie es hier zugeht. Ja, so kann es gehen, wenn versucht wird, das genetische Risiko bestmöglich zu streuen! Und, was mir auch sehr gut gefällt: Ohne auch nur einen Hauch von moralischem Zeigefinger erzählt!

Freundliche Grüße
Binsenbrecher
 

Matula

Mitglied
Guten Abend Inge,

danke für die Anerkennung ! Ja, heute könnte es jeden treffen. Meine Generation blieb von so einem Wust von Familie noch weitgehend verschont.

Herzliche Grüße,
Matula
 

Matula

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Danke, Binsenbrecher, für das Lob. Was den "moralischen Zeigefinger" betrifft ... nun ja, ich bemühe mich.

Herzliche Grüße,
Matula
 

Tonmaler

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Mama ist jetzt mit Leo zusammen. Papa meint, ich soll mich lieber nicht an ihn gewöhnen, weil Mama noch mit vielen Männern zusammen sein wird.
Super Einstieg! Allerdings fänd ich es noch stärker, wenn du den Nebensatz weglässt oder als eigenen Satz absetzt:
Mama ist jetzt mit Leo zusammen. Papa meint, ich soll mich lieber nicht an ihn gewöhnen [Punkt]
-- Den Grund fügt der Leser ja im Kopf hinzu, das ist noch köstlicher.

(Wenn's sein muss, kann der aber dann auch noch kommen, als eigener Satz).



Leo studiert schon lange Medizin, aber er ist jünger als Mama
Hehe, super der Gedankengang!


"Na, Mopsi," sagt er
Mopsi", sagt


Wenn wir in seinem Zimmer sitzen, erzählt er mir, was für ein Arsch mein Papa ist. "Warte nur, bis du so alt bist wie ich. dann wirst du sehen, dass er ein Scheißer ist."
Hier würd ich tatsächlich bei Arsch bleiben.

Wenn wir in seinem Zimmer sitzen, erzählt er mir, was für ein Arsch mein Papa ist. "Warte nur, bis du so alt bist wie ich, dann wirst du sehen, dass er ein Arsch ist."


Zum Beispiel, dass sich Leo manchmal mit Carina im Badezimmer einsperrt, wenn Mama nicht da ist.
Wird ja immer besser noch!

<>
Ich muss allerdings, trotz dem ich mich an dem Text gefreut habe, anmerken: Leicht war's nicht. Ich hätt mir fast ne Mindmap gemalt, um den Überblick zu bekommen, wer mit wem was macht und wohin gehört -- ein wahrer Namensoverkill auf solcher Kurzstrecke. Ist aber natürlich schlüssig, schließlich brauchen Kinder ein übersichtliches System von Bezugspersonen *lach, sonst kriegen die Angst? und das Gefühl der Überforderung induzierst du damit 1:1 beim Leser.


Gelungen!

Gruß
T.
 

Matula

Mitglied
Guten Morgen Tonmaler !
Danke fürs Lesen und Deine Verbesserungsvorschläge, die ich übernommen habe.
Es freut mich sehr, dass Dir der Text gefallen hat. Er versammelt einen Gutteil meiner Vorbehalte gegen Familie.

Schöne Grüße,
Matula
 



 
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