Die glatte Schicht

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Papiertiger

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„Darf ich die glatte Schicht?“.

Als Kind war das eine große Sache für mich. Wenn auf dem samstäglichen Frühstückstisch ein brandneues Glas Nutella stand, dann durfte entweder meine Schwester oder ich als erster mit dem Messer ins Glas hineintauchen und die oberste Schicht der braunen Süßigkeit herausnehmen und auf unser Brötchen streichen. Das war rein rational betrachtet kein anderer Geschmack als der restliche Nuss-Nugat-Pamp, aber es fühlte sich toll an.

Daran musste ich gerade denken, nachdem ich meinen Tag mit mehreren Tassen Milchkaffee, der täglichen Tagebuchroutine und einem Blick aus dem Fenster begonnen habe. Da draußen sieht es schön aus: windstill, kein Regen, blauer Himmel und ein unverplanter, komplett freier Samstag liegt noch vor mir. Was nun? Die begonnenen Bücher weiterlesen, den angefangenen Film zu Ende gucken, Videospiele, Sport, zum Supermarkt? Egal, wofür ich mich entscheiden werde, ganz rasch ist die glatte Schicht des neuen Tages aufgebraucht und wenn es schlecht läuft, dann wird es ein Tag der so wenig gehaltvoll ist und so abstoßend aussieht wie ein verschmiertes Nutella-Glas. Spricht da die Depression? Nein. Eher der Frust, der sich nach zu vielen mittelmäßigen Tagen eingeschlichen hat. Zu viel grau. Zu viel Monotonie. Zu lange Pandemie ohne die schönen Dinge, die mich sonst begeistert haben, wie Konzerte, Kino oder zumindest mal mit anderen Menschen weggehen.

Ich schätze Hemingway hätte sein Leben nicht mit Nutella verglichen, eher mit rohem Fleisch und Alkohol. Obwohl: Truman Capote soll Babybrei mit Whisky gelöffelt haben, wie mir der sehenswerte Film „Capote“ von 2005 beibrachte und der war anerkanntermaßen ein guter Autor.

Mein Leben ist momentan eher Vollkornbrot mit Käse – vernünftig, nahrhaft, aber auch recht langweilig und nicht berichtenswert. Ich war mal Lachs und Eier mit Kaviar, damals habe ich ziemlich mit dem Geld um mich geschmissen, das hat geholfen, nicht so viel zu grübeln. Dafür folgte später der Kater.

Ich glaube, ich wäre gerne Brunch. Mehr herzhaftes, mehr Warmes und etwas mondäner, aber auch nicht dekadent. Einfach eine gute Mischung.

So. Was mache ich nun, nach diesem Frühstück in Textform? Weiter. Ich mache weiter. Immer weiter bis mir entweder nichts mehr oder etwas besseres einfällt.
 

Pola Polanski

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Toll, den Lebensstil mit Essen zu vergleichen. Ich erinnere mich noch, wie ich in meiner Kindheit, wenn meine Eltern weg waren, bei Winnetou meinem Bruder Nutellabrote schmierte. Heute bin ich eher Lachs, Meeresfrüchte und Salat... :D
 

Papiertiger

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Toll, den Lebensstil mit Essen zu vergleichen. Ich erinnere mich noch, wie ich in meiner Kindheit, wenn meine Eltern weg waren, bei Winnetou meinem Bruder Nutellabrote schmierte. Heute bin ich eher Lachs, Meeresfrüchte und Salat... :D
Dank für die freundliche und persönliche Rückmeldung. Ich hoffe, dass Du ganz viele Gourmet und sehr seltene Pfälzer-Leberwurst-Tage hast. :)
 



 
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