Die Grabrede

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Blumenberg

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Farngeflüster

Wann genau Stickels Geschichte begann ist gar nicht so leicht zu bestimmen. Für uns mag es genügen, dass er eines Tages seinen Briefkasten leerte und darin einen Umschlag mit unbekanntem Absender vorfand. Diesem entnahm Stickel eine etwas altmodische Büttenpapierkarte mit einem leichten Cremestich, die ihn aufforderte der Beerdigung eines Herrn T. beizuwohnen und zu dem traurigen Anlass um einen Redebeitrag seinerseits bat. Der Namen des Verstorbenen vertiefte die Verwirrung nur noch, ging es doch um den letzten Weg eines Mannes bei dem er sich zunächst nicht sicher war gewesen war, ihm überhaupt zuvor begegnet zu sein. Etwas später entsann sich Stickel eines ehemaligen Nachbarn gleichen Namens, zu dem er, außer ein paar Gesprächen über den Zaun hinweg, nie engeren Kontakt gepflegt hatte. Der Mann war ihm damals äußerst verschroben vorgekommen.

Der Karte lag ein Brief bei, den der Verstorbene kurz vor seinem Tod aufgesetzt hatte, mit dem Wunsch, diesen nach seinem Hinscheiden umgehend an Stickel weiterzuleiten. Darin bat T. um eine Rede und forderte ihn auf, ein bestimmtes Thema zu verhandeln, welches ihm, dem Verstobenen, schon länger am Herzen gelegen, sich aber im Ausgang seines Lebens mehr und mehr zum bestimmenden Inhalt entwickelt habe. Seine anstehende Transformation in das in seinen und Gottes Augen ohne Zweifel nobelste Geschöpf der Erde, einen echten Farn. Neben ihrer langen Ahnenreihe zeichne sich die Familie der Polypodiopsida vor allem durch Robustheit und Anpassungsfähigkeit aus, Eigenschaften die den Verstorbenen, in seiner Wesensart so trefflich beschreiben würden, so dass dieser sich umgehend mit dem Gedanken habe anfreunden können, es müsse sich bei diesem um seine Seelenpflanze handeln. Abseits solcher, wie der Autor des Briefes freimütig einräumte, romantischer und sentimentaler Verstrickungen, gebe es aber noch einen handfesteren Grund. Als Farn wolle er der Gesellschaft etwas zurückgeben, da besonders die, durch seine lebenslange Pendlertätigkeit verursachten Co2 Emissionen schwer auf seinem Gewissen lasten würden, ganz besonders nachdem er habe erkennen müssen, dass der Klimawandel, entgegen seiner ersten Einschätzung doch realer sei, als sich selbst ein Mann vom Kaliber des Hingeschiedenen, der in seinem Leben, dass könne Stickel gerne glauben, einiges gesehen habe, auszumalen vermocht hätte.

T. habe, wie er schrieb, in den letzten Jahren seines Lebens vor allem die Sorge um das große und wunderbare Haus der Menschheit umgetrieben und er sei glücklich, dass ihm, bevor es endgültig zu spät gewesen sei, noch dieser tröstliche Ausweg aus seinen Seelenqualen offenbart wurde. Er sei fest entschlossen den nachfolgenden Generationen durch seine Transformation zu besserer Luft zu verhelfen und mittels Photosynthese wenigstens einen Teil der durch ihn verursachten Schäden zu beheben.

Er habe danach sein ganzes Leben auf den Übergang ins Pflanzliche ausgerichtet. Habe sich ausschließlich von Fleisch ernährt und hoffe durch diese Tat von Beginn an die Anerkennung der neuen Gemeinschaft zu finden, da er sich um die Bekämpfung des größten Fressfeindes vegetativen Lebens verdient gemacht habe. Daneben seien vor allem die Phasen regelmäßigen Sonnens und Gießens ein bestimmender Teil seines Tagesablaufs geworden. Bei letzterem, und das sei gar nicht so einfach wie es zunächst klingen könnte, sei es essentiell Staunässe zu vermeiden, diese bekomme ihm mit seinen rheumatischen Beschwerden überhaupt nicht, wie er bei den ersten Versuchen der Selbstbewässerung schmerzlich habe erfahren müssen.

Stickel war hin und hergerissen. Einerseits schien es ihm vollkommen unsinnig überhaupt daran zu denken, tatsächlich auf eine solch abstruse Bitte einzugehen. Andererseits stellte ihm der Verschiedene am Ende des Briefes bei Annahme eine nicht eben kleine Summe als Aufwand für die Mühe in Aussicht und die konnte Stickel gut gebrauchen. So entschloss er sich nach langem Ringen auf die Bitte des Verstorbenen einzugehen und kündete in einem kurzen Schreiben sein Kommen an. Er sei gerne zu einem Redebeitrag bereit, auch wenn ihn, dass mochte er nicht verhehlen, das Anliegen von Herrn T, wegen der mehr als flüchtigen Bekanntschaft etwas überrumpelt habe.
Stickel studierte den Brief noch etliche Male und versuchte sich der spärlichen Begegnungen mit T. zu erinnern, um ein Gefühl für den Verblichenen zu bekommen. Anschließend begann er mit der Recherche über die ihm bis dato herzlich gleichgültige Welt der Farne. Er lieh sich in der Bibliothek die einschlägigen Titel aus und mit zunehmender Dauer der Arbeit wuchs sein Ehrgeiz. Wenn man ihn schon dafür bezahlte eine solche Rede zu halten, wollte er sich nicht nachsagen lassen seine Aufgabe nur halbherzig oder gar lustlos erledigt zu haben. Stickel fand sogar ein wenig Freude am abschließenden Ausformulieren der Rede, die er, zu den besten zählte, die er jemals verfasst zu haben glaubte.

Am Tag der Beerdigung holte Stickel seinen Anzug aus der Reinigung, setzte sich ins Auto und fuhr die etwa zweihundert Kilometer in Eile. Er musste sich eingestehen, dass er, obwohl sonst ein geübter Redner, aufgeregt wie lange nicht mehr war. Da eine kirchliche Beisetzung nicht in Frage kam, der Verstorbene wollte schließlich ins Pflanzliche und nicht ins Paradiesische, hatte sich die Trauergemeinde direkt am Grab versammelt. Als Stickel eintraf, drehte sich die Handvoll Gäste zu ihm und sah ihn erwartungsvoll an. Eine ältere Dame löste sich von der Gruppe, trat ihm entgegen und gab ihm die Hand. Sie sei sehr froh gewesen, als sie seine Zusage erhalten habe und freue sich, dass er es tatsächlich geschafft habe. Er sei der einzige vom Verblichenen gewünschte Redner und eine schweigende Beisetzung als Folge seines Fernbleibens hätte sie als grausam empfunden. Zumal der Verstorbene auch noch ausdrücklich verlangt habe, dass das Grab leerzulassen sei damit nichts seine Entwicklung in ein prachtvolles Farnexemplar behindere. Erst nach der Entfaltung sei es gestattet ihm einen Gefährten zuzupflanzen.

Stickel war ein wenig betreten und beeilte sich ihr zu versichern, dass Ganze sei ihm eine außerordentliche Ehre und er hätte nicht einen Augenblick gezögert, als er den Brief seines ehemaligen Nachbarn erhalten habe. Sie lächelte und teilte ihm mit, die Trauergemeinde sei mit seinem Erscheinen komplett und bereit anzufangen, wann immer er sich soweit fühle.

Stickel nickte und trat an das Grab heran, um sich neben dem Sarg aufzustellen. Nach anfänglicher Nervosität fand er schnell in seine Routine, lobte Tugenden des Verstorbenen, und wies dabei ausdrücklich auf die augenfällige Wesensverwandtheit mit der Gattung der echten Farne, nicht der Farngewächse im Allgemeinen hin, hier gelte es unbedingt sorgfältig zu unterscheiden. Er fand anerkennende Worte für T.´s Wunsch der Gemeinschaft noch im Tod etwas zurückzugeben. Die Trauergäste lauschten seinen Worten mit feierlichem Ernst. Mit einer kleinen Episode am Gartenzaun gelang es ihm sogar, seiner Rede den richtigen Grad persönlicher Anteilname beizugeben um die Anwesenden zu Tränen zu rühren. Er versäumte nicht damit zu schließen, dass er nach dem Studium einer Pflanze, die, dass gebe er zu, vorher nicht mit der nötigen Beachtung bedacht habe, dem Urteil T.´s, den echten Farn als Meisterwerk in Gottes Schöpfungsplan anzusehen, nur zustimmen könne.

Zufrieden ließ er sich, nachdem er mit einem feierlichen letzten Gruß an den Verstorbenen geendet hatte, von den Anwesenden die Hand schütteln und versicherte jeden seiner persönlichen Anteilnahme an diesem Schicksalsschlag. Die Einladung zu Kaffee und Gedenken lehnte er freundlich aber bestimmt ab und bedankte sich bei der alten Frau die ihn in Empfang genommen hatte dafür, ihm die Möglichkeit gegeben zu haben, seinem alten Freund T. bei seinem letzten Weg zur Seite stehen zu können. Er sei sicher, dass der Verstorbene ihre so detailgetreue Umsetzung seiner Wünsche zu schätzen gewusst hätte.

Wochen später fuhr Stickel auf dem Weg zu einem Geschäftstermin noch einmal an jenem Ort vorbei, in dem er seine sonderbare Grabrede gehalten hatte und ihn plagte, wegen der erhaltenen großzügigen Summe ein schlechtes Gewissen. Schon einmal in der Gegend beschloss er, dem Toten seine Aufwartung zu machen und fand das Grab so vor, wie er es nach seiner Rede verlassen hatte. Ein schlichter Hügel Muttererde; unbewachsen, aber vor nicht allzu langer Zeit frisch bewässert und von allem Unkraut befreit. Ein wenig enttäuscht wandte sich Stickel ab und wollte seinen Weg fortsetzen, als er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Die alte Dame, die ihn auf der Beisetzung begrüßt hatte näherte sich langsam der Grabstelle. Stickel verspürte nicht die geringste Lust auf das Gespräch in das ihn die Frau unweigerlich verwickeln würde, wenn sie seiner ansichtig würde und versteckte sich hastig hinter einem Busch. Bestimmt war sie es, die das Grab regelmäßig wässerte und mit liebevoller Gründlichkeit von anderen Pflanzen befreite. Die alte Dame blieb vor dem Grab stehen und sah sich verstohlen nach allen Seiten um. Sicher, dass niemand sie beobachtete entnahm sie ihrer mitgebrachten Tasche einen gemeinen Tüpfelfarn und pflanzte ihn sorgfältig auf das Grab. Nach getaner Arbeit warf sie einen prüfenden Blick auf das Resultat und drückte den Farn vorsichtig noch ein wenig an. Noch einmal blickte sie sich um ohne von Stickel Notiz zu nehmen, dann ging sie.
 

poetix

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Hallo Blumenberg,
eine durchaus amüsante kleine Geschichte, flüssig und gekonnt erzählt. Hat mir Spaß beim Lesen gemacht.
Beste Grüße
poetix
 

Blumenberg

Mitglied
Hallo poetix,

vielen Dank für das kurze Feedback. Ich freue mich das die Geschichte dir flüssig geschrieben erscheint und beim Lesen nicht die große Langweile ausgebrochen ist. Ich wollte mal etwas anderes versuchen.

Beste Grüße

Blumenberg
 

Blumenberg

Mitglied
Farngeflüster

Wann genau Stickels Geschichte begann ist gar nicht so leicht zu bestimmen. Für uns mag es genügen, dass er eines Tages seinen Briefkasten leerte und darin einen Umschlag mit unbekanntem Absender vorfand. Diesem entnahm Stickel eine etwas altmodische Büttenpapierkarte mit einem leichten Cremestich, die ihn aufforderte der Beerdigung eines Herrn T. beizuwohnen und zu dem traurigen Anlass um einen Redebeitrag seinerseits bat. Der Namen des Verstorbenen vertiefte die Verwirrung nur noch, ging es doch um den letzten Weg eines Mannes bei dem er sich zunächst nicht sicher war gewesen war, ihm überhaupt zuvor begegnet zu sein. Etwas später entsann sich Stickel eines ehemaligen Nachbarn gleichen Namens, zu dem er, außer ein paar Gesprächen über den Zaun hinweg, nie engeren Kontakt gepflegt hatte. Der Mann war ihm damals äußerst verschroben vorgekommen.

Der Karte lag ein Brief bei, den der Verstorbene kurz vor seinem Tod aufgesetzt hatte, mit dem Wunsch, diesen nach seinem Hinscheiden umgehend an Stickel weiterzuleiten. Darin bat T. um eine Rede und forderte ihn auf, ein bestimmtes Thema zu verhandeln, welches ihm, dem Verstobenen, schon länger am Herzen gelegen, sich aber im Ausgang seines Lebens mehr und mehr zum bestimmenden Inhalt entwickelt habe. Seine anstehende Transformation in das in seinen und Gottes Augen ohne Zweifel nobelste Geschöpf der Erde, einen echten Farn. Neben ihrer langen Ahnenreihe zeichne sich die Familie der Polypodiopsida vor allem durch Robustheit und Anpassungsfähigkeit aus, Eigenschaften, die den Verstorbenen, in seiner Wesensart so trefflich beschreiben würden, so dass dieser sich umgehend mit dem Gedanken habe anfreunden können, es müsse sich bei diesem um seine Seelenpflanze handeln. Abseits solcher, wie der Autor des Briefes freimütig einräumte, romantischer und sentimentaler Verstrickungen, gebe es aber noch einen handfesteren Grund. Als Farn wolle er der Gesellschaft etwas zurückgeben, da besonders die durch seine lebenslange Pendlertätigkeit verursachten Co2 Emissionen schwer auf seinem Gewissen lasten würden, ganz besonders nachdem er habe erkennen müssen, dass der Klimawandel, entgegen seiner ersten Einschätzung doch realer sei, als sich selbst ein Mann vom Kaliber des Hingeschiedenen, der in seinem Leben, das könne Stickel gerne glauben, einiges gesehen habe, auszumalen vermocht hätte.

T. habe, wie er schrieb, in den letzten Jahren seines Lebens vor allem die Sorge um das große und wunderbare Haus der Menschheit umgetrieben und er sei glücklich, dass ihm, bevor es endgültig zu spät gewesen sei, noch dieser tröstliche Ausweg aus seinen Seelenqualen offenbart wurde. Er sei fest entschlossen den nachfolgenden Generationen durch seine Transformation zu besserer Luft zu verhelfen und mittels Photosynthese wenigstens einen Teil der durch ihn verursachten Schäden zu beheben.

Er habe danach sein ganzes Leben auf den Übergang ins Pflanzliche ausgerichtet. Habe sich ausschließlich von Fleisch ernährt und hoffe durch diese Tat von Beginn an die Anerkennung der neuen Gemeinschaft zu finden, da er sich um die Bekämpfung des größten Fressfeindes vegetativen Lebens verdient gemacht habe. Daneben seien vor allem die Phasen regelmäßigen Sonnens und Gießens ein bestimmender Teil seines Tagesablaufs geworden. Bei letzterem, und das sei gar nicht so einfach wie es zunächst klingen könnte, sei es essentiell, Staunässe zu vermeiden, diese bekomme ihm mit seinen rheumatischen Beschwerden überhaupt nicht, wie er bei den ersten Versuchen der Selbstbewässerung schmerzlich habe erfahren müssen.

Stickel war hin- und hergerissen. Einerseits schien es ihm vollkommen unsinnig, überhaupt daran zu denken, tatsächlich auf eine solch abstruse Bitte einzugehen. Andererseits stellte ihm der Verschiedene am Ende des Briefes bei Annahme eine nicht eben kleine Summe als Aufwand für die Mühe in Aussicht und die konnte Stickel gut gebrauchen. So entschloss er sich nach langem Ringen, auf die Bitte des Verstorbenen einzugehen und kündete in einem kurzen Schreiben sein Kommen an. Er sei gerne zu einem Redebeitrag bereit, auch wenn ihn, dass mochte er nicht verhehlen, das Anliegen von Herrn T, wegen der mehr als flüchtigen Bekanntschaft etwas überrumpelt habe.
Stickel studierte den Brief noch etliche Male und versuchte, sich der spärlichen Begegnungen mit T. zu erinnern, um ein Gefühl für den Verblichenen zu bekommen. Anschließend begann er mit der Recherche über die ihm bis dato herzlich gleichgültige Welt der Farne. Er lieh sich in der Bibliothek die einschlägigen Titel aus und mit zunehmender Dauer der Arbeit wuchs sein Ehrgeiz. Wenn man ihn schon dafür bezahlte eine solche Rede zu halten, wollte er sich nicht nachsagen lassen, seine Aufgabe nur halbherzig oder gar lustlos erledigt zu haben. Stickel fand sogar ein wenig Freude am abschließenden Ausformulieren der Rede, die er zu den besten zählte, die er jemals verfasst zu haben glaubte.

Am Tag der Beerdigung holte Stickel seinen Anzug aus der Reinigung, setzte sich ins Auto und fuhr die etwa zweihundert Kilometer in Eile. Er musste sich eingestehen, dass er, obwohl sonst ein geübter Redner, aufgeregt wie lange nicht mehr war. Da eine kirchliche Beisetzung nicht in Frage kam, der Verstorbene wollte schließlich ins Pflanzliche und nicht ins Paradiesische, hatte sich die Trauergemeinde direkt am Grab versammelt. Als Stickel eintraf, drehte sich die Handvoll Gäste zu ihm und sah ihn erwartungsvoll an. Eine ältere Dame löste sich von der Gruppe, trat ihm entgegen und gab ihm die Hand. Sie sei sehr froh gewesen, als sie seine Zusage erhalten habe und freue sich, dass er es tatsächlich geschafft habe. Er sei der einzige vom Verblichenen gewünschte Redner und eine schweigende Beisetzung als Folge seines Fernbleibens hätte sie als grausam empfunden. Zumal der Verstorbene auch noch ausdrücklich verlangt habe, dass das Grab leerzulassen sei damit nichts seine Entwicklung in ein prachtvolles Farnexemplar behindere. Erst nach der Entfaltung sei es gestattet ihm einen Gefährten zuzupflanzen.

Stickel war ein wenig betreten und beeilte sich ihr zu versichern, dass Ganze sei ihm eine außerordentliche Ehre und er hätte nicht einen Augenblick gezögert, als er den Brief seines ehemaligen Nachbarn erhalten habe. Sie lächelte und teilte ihm mit, die Trauergemeinde sei mit seinem Erscheinen komplett und bereit anzufangen, wann immer er sich soweit fühle.

Stickel nickte und trat an das Grab heran, um sich neben dem Sarg aufzustellen. Nach anfänglicher Nervosität fand er schnell in seine Routine, lobte Tugenden des Verstorbenen, und wies dabei ausdrücklich auf die augenfällige Wesensverwandtheit mit der Gattung der echten Farne, nicht der Farngewächse im Allgemeinen hin, hier gelte es unbedingt sorgfältig zu unterscheiden. Er fand anerkennende Worte für T.´s Wunsch der Gemeinschaft, noch im Tod etwas zurückzugeben. Die Trauergäste lauschten seinen Worten mit feierlichem Ernst. Mit einer kleinen Episode am Gartenzaun gelang es ihm sogar, seiner Rede den richtigen Grad persönlicher Anteilname beizugeben, um die Anwesenden zu Tränen zu rühren. Er versäumte nicht, damit zu schließen, dass er nach dem Studium einer Pflanze, die, das gebe er zu, vorher nicht mit der nötigen Beachtung bedacht habe, dem Urteil T.´s, den echten Farn als Meisterwerk in Gottes Schöpfungsplan anzusehen, nur zustimmen könne.

Zufrieden ließ er sich, nachdem er mit einem feierlichen letzten Gruß an den Verstorbenen geendet hatte, von den Anwesenden die Hand schütteln und versicherte jeden seiner persönlichen Anteilnahme an diesem Schicksalsschlag. Die Einladung zu Kaffee und Gedenken lehnte er freundlich aber bestimmt ab und bedankte sich bei der alten Frau, die ihn in Empfang genommen hatte dafür, ihm die Möglichkeit gegeben zu haben, seinem alten Freund T. bei seinem letzten Weg zur Seite stehen zu können. Er sei sicher, dass der Verstorbene ihre so detailgetreue Umsetzung seiner Wünsche zu schätzen gewusst hätte.

Wochen später fuhr Stickel auf dem Weg zu einem Geschäftstermin noch einmal an jenem Ort vorbei, an dem er seine sonderbare Grabrede gehalten hatte und ihn plagte wegen der erhaltenen großzügigen Summe ein schlechtes Gewissen. Schon einmal in der Gegend beschloss er, dem Toten seine Aufwartung zu machen und fand das Grab so vor, wie er es nach seiner Rede verlassen hatte. Ein schlichter Hügel Muttererde; unbewachsen, aber vor nicht allzu langer Zeit frisch bewässert und von allem Unkraut befreit. Ein wenig enttäuscht wandte sich Stickel ab und wollte seinen Weg fortsetzen, als er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Die alte Dame, die ihn auf der Beisetzung begrüßt hatte, näherte sich langsam der Grabstelle. Stickel verspürte nicht die geringste Lust auf das Gespräch, in das ihn die Frau unweigerlich verwickeln würde, wenn sie seiner ansichtig würde und versteckte sich hastig hinter einem Busch. Bestimmt war sie es, die das Grab regelmäßig wässerte und mit liebevoller Gründlichkeit von anderen Pflanzen befreite. Die alte Dame blieb vor dem Grab stehen und sah sich verstohlen nach allen Seiten um. Sicher, dass niemand sie beobachtete entnahm sie ihrer mitgebrachten Tasche einen gemeinen Tüpfelfarn und pflanzte ihn sorgfältig auf das Grab. Nach getaner Arbeit warf sie einen prüfenden Blick auf das Resultat und drückte den Farn vorsichtig noch ein wenig an. Noch einmal blickte sie sich um ohne von Stickel Notiz zu nehmen, dann ging sie.
 

Val Sidal

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Hallo Blumenberg,

einige Bemerkungen und Vorschläge zum Text;
[red]Wann genau Stickels Geschichte begann ist gar nicht so leicht zu bestimmen. Für uns mag es genügen, dass[/red] [blue]– Dann lassen wir doch den Satz weg![/blue] er eines Tages seinen Briefkasten leerte und darin einen Umschlag mit unbekanntem Absender vorfand. Diesem entnahm Stickel eine etwas altmodische Büttenpapierkarte mit einem leichten Cremestich, die ihn [red]aufforderte[/red][blue](die Karte fordert auf? Ein Absender ist zum diesem Zeitpunkt nicht bekannt …)[/blue] der Beerdigung eines Herrn T. beizuwohnen und zu dem traurigen Anlass um einen Redebeitrag seinerseits [red]bat[/red]. Der Namen des Verstorbenen vertiefte die Verwirrung nur noch, ging es doch um den letzten Weg eines Mannes, bei dem er sich zunächst nicht sicher [strike][red]war gewesen[/red][/strike] war, ihm überhaupt zuvor begegnet zu sein.
- ein holpriger Einstieg ...

Der Karte lag ein Brief bei, den der Verstorbene kurz vor seinem Tod aufgesetzt hatte, mit dem Wunsch, diesen nach seinem Hinscheiden umgehend an Stickel weiterzuleiten. Darin [red]bat [/red]T. um eine Rede und [red]forderte[/red] ihn auf,
– holprige Logik: der Wunsch ist Inhalt der Karte und nicht des Briefs, zudem quasi redundant, ohne erzählerischen Beitrag; unbeholfene Wiederholung der Variation von „forderte auf“/“bat“
Abseits solcher, wie der Autor des Briefes freimütig einräumte, romantischer und sentimentaler Verstrickungen, gebe es aber noch einen handfesteren Grund. Als Farn wolle er der Gesellschaft etwas zurückgeben, da besonders die durch seine lebenslange Pendlertätigkeit verursachten Co2 Emissionen schwer auf seinem Gewissen lasten würden, ganz besonders nachdem er habe erkennen müssen, dass der Klimawandel, entgegen seiner ersten Einschätzung doch realer sei, als sich selbst ein Mann [red][strike]vom[/strike][/red] [blue]seines[/blue] Kaliber[blue]s[/blue] des Hingeschiedenen, [blue]– weil sonst Perspektivenbruch - [/blue] der in seinem Leben, das könne Stickel gerne glauben, einiges gesehen habe, auszumalen vermocht hätte.
- kein guter Stil ...
Er sei gerne zu einem Redebeitrag bereit, auch wenn ihn, das[red][strike]s[/strike][/red] mochte er nicht verhehlen
Bei letzterem, und das sei gar nicht so einfach wie es zunächst klingen könnte, sei es essentiell [blue]gewesen[/blue], Staunässe zu vermeiden,
eben kleine Summe als Aufwand[blue]sentschädigung[/blue] für die Mühe in Aussicht und die konnte Stickel gut gebrauchen.
So entschloss er sich nach [blue]langem Ringen[/blue], auf die Bitte des Verstorbenen einzugehen und kündete in einem kurzen Schreiben sein Kommen an.
– es geht wohl um den inneren Prozess, des mit sich selbst Ringens und nicht um den Sport. Das „sich“ weglassen ist keine Lösung.

Zumal der Verstorbene auch noch ausdrücklich verlangt habe, dass das Grab [red]leerzulassen[/red] sei damit nichts seine Entwicklung in ein prachtvolles Farnexemplar behindere. Erst nach der Entfaltung sei es gestattet ihm einen Gefährten hinzu zu pflanzen.
– „leer“ lassen ist wohl nicht gemeint, oder?

Fazit:
Die Idee finde ich okay. Der Stil wirkt manieristisch, der Duktus gekünstelt, die Sprache oft umständlich – die Annäherung an die Figuren wird dadurch erschwert. Die Figur der alten Frau bleibt auf der Strecke, obwohl sie bedeutende Textstellen (Anfang und Ende) markiert – unbefriedigend.

Wenn mein Kommentar nicht hilfreich war, dann – Pardon!
 

G. R. Asool

Mitglied
Hallo Blumenberg,

eigentlich fand ich deine Geschichte ganz gut, aber durch die sehr langen und verschachtelten Sätze etwas mühselig zu lesen. Dadurch wirkt Stickel auch irgendwie spießig steif, aber vielleicht war das ja auch gewollt.

Gruß
GR
 

Malkah

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Hallo Blumenberg,

ich hab den (wohl überarbeiten) Text gelesen:
Und wie weiter? Die Figur der Frau könnten nun weiter entfalltet werden...

Mich hat die Idee mit dem Farn erfreut. Und ich finde den Text flüssig zu lesen, schön ausformuliert, ich hab mich gut reinfallen lassen können – also gab es für mich keine Brüche. Nur möchte ich bitte jetzt wissen, was es mit dem heimlich gesetzten Farn auf sich hat ;-)

Schöne Grüße

Malkah
 

Blumenberg

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Hallo Malkah,

vielen Dank für die Rückmeldung. Übererbaeitet habe ich bis jetzt nur die Zeichensetzung der Geschichte.

Leider muss ich dich ein wenig enttäuschen, eine weitere Entfaltung der Figuren ist nicht angedacht, da es sich hier um eine Kurzgeschichte handelt. Deswegen habe ich mich auch für ein offenes Ende der Geschichte entschieden, die mit dem Setzen des Farns abbricht. So bleibt es dem Leser überlassen, ob er im heimlichen Setzen des Farns eine letzte liebevolle Geste der alten Frau sehen möchte, die das leere Grab nicht mehr erträgt oder einen Affront gegen den letzten Willen des Verstorbenen aus dem mangelndem Glauben heraus, dass eine solche Transformation möglich wäre.

Beste Grüße

Blumenberg
 

Blumenberg

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Hallo G.R. Asool,

besten Dank für den Hinweis. Das der Protagonist ein wenig steif und spießig wirkt ist Absicht, denn so habe ich ihn mir während des Schreibens ausgemalt. Ich werde aber mal sehen, ob ich nicht die ein oder andere zu verschachtelte Satzkonstruktion noch ein wenig auflockere.

Beste Grüße

Blumenberg
 

Blumenberg

Mitglied
Hallo Val,

entschuldige, dass meine Antwort ein wenig länger gedauert hat! Ich bin im Augenblick ziemlich viel unterwegs.

Zunächst einmal vielen Dank für deine ausführliche Beschäftigung mit dem Text. Deine Anmerkungen erscheinen mir nach nochmaliger Ansicht des Textes in vielen Fällen durchaus zutreffend.

Nicht ganz erschließt sich mir die zweite Anmerkung. Ein Schild kann jemanden auffordern, womit natürlich die Aussageinhalt des Schildes gemeint ist, nicht das Schild selbst. Warum sollte dies nicht auch eine Karte bzw. deren Aussageinhalt können?

Den Einstieg werde ich mir am Wochenende noch einmal vornehmen, da ich deine Einschätzung von Redundanz durch die zweimalige Aufforderung ebenso teile wie deine Anmerkung zum Einstiegssatz des Textes.

Die anderen von dir angesprochenen Punkte lassen sich recht einfach überarbeiten. Hier Danke ich für die Hinweise.

Was den Stil bzw.sprachlichen Duktus angeht, ist das denke ich Geschmackssache. Ich gebe dir aber recht, dass einige Sätze zu ausufernd geraten sind, dies war auch anderen bereits aufgefallen.

Bei der Figur der alten Dame muss ich dir allerdings widersprechen. Sie erfüllt, hier gebe ich dir Recht, eine wesentliche Funktion innerhalb der Geschichte. Trotzdem habe ich bewusst auf eine genauere Schilderung der Figur verzichtet um das Desinteresse des Protagonisten an ihr zu unterstreichen. Er schlägt zwei Mal - beim Begräbnis und später durch seine Flucht hinter den Busch - die Gelegenheit aus, mehr über die Dame und den Verstorbenen zu erfahren. Er agiert, bis auf einen kleinen Bruch, der ihn noch einmal an das Grab führt, auf einer rein geschäftlich professionellen Ebene und lässt tatsächliche Empathie oder ein Interesse am Verstobenen und der alten Dame vermissen. Der Protagonist macht sich nicht einmal die Mühe zu erfahren in welcher Beziehung die alte Dame zu Herrn T. steht. Als Konsequenz bleibt dies alles auch für den Leser im Dunkel.

Noch einmal Danke für die hilfreichen Anmerkungen und beste Grüße

Blumenberg
 

Val Sidal

Mitglied
Hallo Blumenberg,

Nicht ganz erschließt sich mir die zweite Anmerkung. Ein Schild kann jemanden auffordern, womit natürlich die Aussageinhalt des Schildes gemeint ist, nicht das Schild selbst. Warum sollte dies nicht auch eine Karte bzw. deren Aussageinhalt können?
– der Unterschied zwischen Schild und Karte, die beide nur Medien sind, verdeutlicht das Problem. Ein Verkehrsschild z.B. verstetigt die Kommunikation zwischen bekanntem Sender(Ordnungsbehörde) und Empfänger(Verkehrsteilnehmer). Die vermittelte Botschaft mag Hinweis-, Gebots- oder Verbotscharakter haben. Auch eine Karte könnte in dieser Kommunikation verwendet werden – z.B. eine Karte, die zum Bezahlen einer Geldbuße auffordert. In solchen Fällen wäre die Sprachfigur „die Karte forderte ihn auf“ unproblematisch. Dass eine Karte von einem dem Empfänger unbekannten Absender, zur Teilnahme an einer Beerdigung „auffordert“, wirkt auf den Leser irritierend, ist aber zunächst kein Problem – die Irritation könnte im Laufe der Geschichte als gewollt, für den Plot, die Dramaturgie oder Figur sich als notwendig herausstellen. Dem ist aber hier nicht so. Es zeigt sich, dass die Botschaft eine mit einer Bitte verknüpfte Einladung und keine Aufforderung ist.

Bei der Figur der alten Dame muss ich dir allerdings widersprechen. Sie erfüllt, hier gebe ich dir Recht, eine wesentliche Funktion innerhalb der Geschichte. Trotzdem habe ich bewusst auf eine genauere Schilderung der Figur verzichtet um das Desinteresse des Protagonisten an ihr zu unterstreichen. ... Der Protagonist macht sich nicht einmal die Mühe zu erfahren in welcher Beziehung die alte Dame zu Herrn T. steht.
Als Konsequenz bleibt dies alles auch für den Leser im Dunkel.
Naja, das habe ich mir gedacht, nur – leider bleibt nicht die Figur im Dunkeln, sondern der Leser. Denn, der Text zeichnet folgendes Bild: T. und S. haben eine (wie auch immer geartete) gemeinsame Vergangenheit, die für S. keine Aktualität hat und auch keine besondere Erinnerung hervor ruft. Das auslösende Ereignis der Story besteht darin, dass durch die „alte Dame“ T. irritierend auf den Radarschirm von S. gebracht wird. Die Bitte eine Grabrede zu halten, ist für einen Profi-Redner kein Konflikt, ist nicht die Irritation – wenn der Preis stimmt. Der Plot der Story wird erst dadurch überhaupt erzählenswert, dass S. mit einem viel tiefer liegenden Thema konfrontiert wird: dem Tod und dem Glauben an dem Leben danach. T. glaubt an seiner Transformation, an das Leben nach dem Tod, und zwar von Motiven angetrieben, die glaubhaft frei von Angst vor dem Tod und vom selbstsüchtigen Drang nach Fortbestehen zu sein scheint. Die Story zeigt, dass T.‘s Glaube S. berührt:
Stickel war hin- und hergerissen. Einerseits schien es ihm vollkommen unsinnig, überhaupt daran zu denken, tatsächlich auf eine solch abstruse Bitte einzugehen. Andererseits <…> Stickel fand sogar ein wenig Freude am abschließenden Ausformulieren der Rede, die er zu den besten zählte, die er jemals verfasst zu haben glaubte.
– zunächst hebt S. seine Irritation dadurch auf, dass er die Rede für einen "Spinner" mit dem guten Preis rechtfertigt. Doch ganz lässt ihn T.‘s Glaube an der Transformation offensichtlich nicht los:
Schon einmal in der Gegend beschloss er, dem Toten seine Aufwartung zu machen und fand das Grab so vor, wie er es nach seiner Rede verlassen hatte. Ein schlichter Hügel Muttererde; unbewachsen, aber vor nicht allzu langer Zeit frisch bewässert und von allem Unkraut befreit. Ein wenig enttäuscht wandte sich Stickel ab und wollte seinen Weg fortsetzen, als er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm.
Ab hier wird der Plot problematisch: Dass sich S. am Grab von T. der „alten Dame“ begegnen kann, deutet darauf hin, dass sie regelmäßig viel Zeit am Grab verbringt. Die Alternative, die Begegnung als Zufall anzusehen („Deus ex machina“), wäre für den Plot sehr unbefriedigend. Die „alte Dame“ hatte eine besondere Beziehung zu T. gehabt. War es eine persönliche Beziehung? Oder gehörte sie zu einer kleinen Gruppe Esoteriker, die den Glauben an „Transformation“ teilten? Oder tat sie es in T.‘s Auftrag, gegen Entgelt?

Der Abschluss zeigt, wie die Verarbeitung der Figur der „alten Dame“ den Plot beeinträchtigt:
entnahm sie ihrer mitgebrachten Tasche einen gemeinen Tüpfelfarn und pflanzte ihn sorgfältig auf das Grab.
– warum tut sie das?
Zumal der Verstorbene auch noch ausdrücklich verlangt habe, dass das Grab leerzulassen sei damit nichts seine Entwicklung in ein prachtvolles Farnexemplar behindere. Erst nach der Entfaltung sei es gestattet ihm einen Gefährten zuzupflanzen.
– hat sie keine Lust mehr, jeden Tag zu gießen? Zweifelt sie an dem Glauben an Transformation? usw.

Die Figur der „alten Dame“ bleibt nicht im Dunkeln, sondern im erzählerischen Nebel – zwar hell beleuchtet, aber mit falscher Brennweite, ohne Tiefenschärfe geknipst. Besser ausgearbeitet, könnte sie bzgl. des Plots durchaus geheimnisvoll, ungreifbar usw. bleiben. Aber in Bezug auf die Protagonisten und die Sache selbst sollte sie bestimmt sein.

Zusammengefasst: Der Kern der Story ist nicht die Grabrede, sondern der Glaube an einem Leben nach dem Tod und wie Menschen damit umgehen.
Die Figur T. ist gut entwickelt. S. ist ausreichend konturiert, aber der Text lässt viel dramaturgisches Potenzial liegen. Die Figur der „alten Dame“ ...

Wenn mein Kommentar deine Absicht nicht trifft, dann – Pardon.
 

Blumenberg

Mitglied
Die Grabrede

Als Stickel eines Tages seinen Briefkasten leerte fand er darin einen Umschlag ohne Absender. Die enthaltene Traueranzeige auf einer altmodischen Büttenpapierkarte gab den Tod eines Herrn T. bekannt, versehen mit einer handschriftlichen Notiz, in der er darum gebeten wurde der Beerdigung beizuwohnen. Der Namen des Verstorbenen vertiefte die Verwirrung nur noch, ging es doch um den letzten Weg eines Mannes bei dem er sich nicht sicher war, ihm überhaupt zuvor begegnet zu sein. Erst etwas später entsann sich Stickel eines ehemaligen Nachbarn gleichen Namens, zu dem er, außer ein paar Gesprächen über den Zaun hinweg, nie engeren Kontakt gepflegt hatte. Der Mann war ihm damals äußerst verschroben vorgekommen.

Der Karte lag ein Brief bei, den der Verstorbene kurz vor seinem Tod aufgesetzt hatte, beginnend mit dem Wunsch, diesen nach seinem Hinscheiden umgehend an Stickel weiterzuleiten. Darin bat T. um eine Rede und forderte ihn auf, ein bestimmtes Thema zu verhandeln, welches ihm, dem Verstobenen, schon länger am Herzen gelegen, sich aber im Ausgang seines Lebens mehr und mehr zum bestimmenden Inhalt entwickelt habe. Seine anstehende Transformation in das in seinen und Gottes Augen ohne Zweifel nobelste Geschöpf der Erde, einen echten Farn. Neben ihrer langen Ahnenreihe zeichne sich die Familie der Polypodiopsida vor allem durch Robustheit und Anpassungsfähigkeit aus, Eigenschaften, die den Verstorbenen, in seiner Wesensart so trefflich beschreiben würden, so dass er sich umgehend mit dem Gedanken habe anfreunden können, es müsse sich bei diesem um seine Seelenpflanze handeln. Abseits solcher, wie der Autor des Briefes freimütig einräumte, romantischer und sentimentaler Verstrickungen, gebe es aber noch einen handfesteren Grund. Als Farn wolle er der Gesellschaft etwas zurückgeben, da besonders die durch seine lebenslange Pendlertätigkeit verursachten Co2 Emissionen schwer auf seinem Gewissen lasten würden. Er habe erkennen müssen, dass der Klimawandel, entgegen seiner ersten Einschätzung doch realer sei, als sich selbst ein Mann seines Kalibers, der in seinem Leben, dass könne Stickel gerne glauben, einiges gesehen habe, auszumalen vermocht hätte.

T. habe, wie er schrieb, in den letzten Jahren seines Lebens vor allem die Sorge um das große und wunderbare Haus der Menschheit umgetrieben und er sei glücklich, dass ihm, bevor es endgültig zu spät gewesen sei, noch dieser tröstliche Ausweg aus seinen Seelenqualen offenbart wurde. Er sei fest entschlossen den nachfolgenden Generationen durch seine Transformation zu besserer Luft zu verhelfen und mittels Photosynthese wenigstens einen Teil der durch ihn verursachten Schäden zu beheben.

Er habe danach sein ganzes Leben auf den Übergang ins Pflanzliche ausgerichtet, habe sich ausschließlich von Fleisch ernährt und hoffe durch diese Tat von Beginn an die Anerkennung der neuen Gemeinschaft zu finden, da er sich um die Bekämpfung des größten Fressfeindes vegetativen Lebens verdient gemacht habe. Daneben seien vor allem die Phasen regelmäßigen Sonnens und Gießens ein bestimmender Teil seines Tagesablaufs geworden. Bei letzterem, und das sei gar nicht so einfach wie es zunächst klingen könnte, sei es essentiell gewesen, Staunässe zu vermeiden. Diese bekomme ihm mit seinen rheumatischen Beschwerden überhaupt nicht, wie er bei den ersten Versuchen der Selbstbewässerung schmerzlich habe erfahren müssen.

Stickel war hin- und hergerissen. Einerseits schien es ihm vollkommen unsinnig, überhaupt daran zu denken, tatsächlich auf eine solch abstruse Bitte einzugehen. Andererseits stellte ihm der Verschiedene am Ende des Briefes bei Annahme eine nicht eben kleine Aufwandsentschädigung für die Mühe in Aussicht und die konnte Stickel gut gebrauchen. Im Augenblick akademischer Rat auf Zeit, hangelte er sich seit Jahren von einem Zeitvertrag zum nächsten und mit jedem wurden seine Aussichten auf eine unbefristete Beschäftigung geringer. So entschloss er sich schließlich auf die Bitte des Verstorbenen einzugehen und kündete in einem kurzen Schreiben sein Kommen an. Er sei gerne zu einem Redebeitrag bereit, auch wenn ihn, das mochte er nicht verhehlen, das Anliegen von Herrn T, wegen der flüchtigen Bekanntschaft etwas überrumpelt habe.

Stickel studierte den Brief noch etliche Male und versuchte, sich der spärlichen Begegnungen mit T. zu erinnern, um ein Gefühl für den Verblichenen zu bekommen. Anschließend begann er mit der Recherche über die ihm bis dato herzlich gleichgültige Welt der Farne. Er lieh sich in der Bibliothek die einschlägigen Titel aus und mit zunehmender Dauer der Arbeit wuchs sein Ehrgeiz. Er kontaktierte einen Bekannten an der biologischen Fakultät und ließ sich bei einem Spaziergang durch die heimische Fauna im Detail die Unterscheidungsmerkmale und Eigenschaften der einzelnen Exemplare erklären. Wenn man ihn schon dafür bezahlte eine solche Rede zu halten, wollte er sich nicht nachsagen lassen, seine Aufgabe nur halbherzig oder gar lustlos erledigt zu haben. Stickel fand sogar ein wenig Freude am abschließenden Ausformulieren der Rede. Versehen mit den unterschiedlichsten Anmerkungen, von der ursprünglichen Bedeutung des Farns in der mittelalterlichen Mystik, über die Unendlichkeitssymbolik in der Spiralform junger Farnblätter, bis hin zu der ständigen Präsenz und kommerziellen Ausbeutung des ursprünglich in Neuseeland beheimateten Koru-Symbols, zählte er sie schließlich zu den besten, die er jemals verfasst hatte. Am Tag der Beerdigung holte Stickel seinen Anzug aus der Reinigung, setzte sich ins Auto und fuhr nervös die etwa zweihundert Kilometer. Er musste sich eingestehen, dass er, obwohl sonst ein geübter Redner, aufgeregt wie lange nicht mehr war.

Da eine kirchliche Beisetzung nicht in Frage kam, der Verstorbene wollte schließlich ins Pflanzliche und nicht ins Paradiesische, hatte sich die Trauergemeinde direkt am Grab versammelt. Als Stickel eintraf, drehte sich die Handvoll Gäste zu ihm und sah ihn erwartungsvoll an. Eine ältere Dame in Schwarz, das Gesicht hinter einem Schleier verborgen löste sich von der Gruppe, trat ihm entgegen und gab ihm die Hand. Sie sei sehr froh gewesen, als sie seine Zusage erhalten habe und freue sich, dass er es tatsächlich geschafft habe. Er sei schließlich der einzige vom Verblichenen gewünschte Redner und eine schweigende Beisetzung in Folge seines Fernbleibens hätte sie als grausam empfunden. Zumal der Verstorbene auch noch ausdrücklich verlangt habe, dass die Grabstelle leerzulassen sei damit nichts seine Entwicklung in ein prachtvolles Farnexemplar behindere. Erst nach der Entfaltung sei es gestattet ihm einen heimischen Gefährten zuzupflanzen.

Stickel war ein wenig betreten und beeilte sich ihr zu versichern, dass Ganze sei ihm eine außerordentliche Ehre und er hätte nicht einen Augenblick gezögert, als er den Brief seines ehemaligen Nachbarn erhalten habe. Sie lächelte hinter ihrem dünnen Schleier und teilte ihm mit, die Trauergemeinde sei mit seinem Erscheinen komplett und bereit anzufangen, wann immer er sich soweit fühle.
Stickel nickte und trat an das Grab heran, um sich neben dem Sarg aufzustellen. Er begann seine Rede mit einem Zitat aus Shakespeares Heinrich VI. und fand nach anfänglicher Nervosität schnell in seine Routine, lobte die Tugenden des Verstorbenen, und wies dabei ausdrücklich auf die augenfällige Wesensverwandtheit mit der Gattung der echten Farne, nicht der Farngewächse im Allgemeinen hin. Hier gelte es unbedingt sorgfältig zu unterscheiden. Er fand anerkennende Worte für T.´s Wunsch, der Gemeinschaft noch im Tod etwas zurückzugeben. Die Trauergäste lauschten seinen Worten mit feierlichem Ernst. Mit einer kleinen Episode am Gartenzaun gelang es ihm sogar, seiner Rede den richtigen Grad persönlicher Anteilname beizugeben, um die Anwesenden zu Tränen zu rühren. Er versäumte nicht, zu erwähnen, dass er nach dem Studium einer Pflanze, die, das gebe er zu, vorher nicht mit der nötigen Beachtung bedacht habe, dem Urteil T.´s, den echten Farn als Meisterwerk in Gottes Schöpfungsplan anzusehen, nur zustimmen könne. Den Anfang der Rede einholend schloss Stickel mit dem feierlichen letzten Gruß Wir gehen unsichtbar, denn wir haben Farnsamen bekommen.

Zufrieden ließ er sich von den Anwesenden die Hand schütteln und versicherte jeden seiner persönlichen Anteilnahme an diesem Schicksalsschlag. Die Einladung zu Kaffee und Gedenken lehnte er freundlich aber bestimmt ab und bedankte sich bei der alten Frau, die ihn in Empfang genommen hatte, dafür, ihm die Möglichkeit gegeben zu haben, seinem alten Freund T. bei seinem letzten Weg zur Seite stehen zu können. Er sei sicher, dass der Verstorbene ihre so detailgetreue Umsetzung seiner Wünsche zu schätzen gewusst hätte.

Wochen später fuhr Stickel auf dem Weg zu einer Tagung über die gesellschaftliche Konstruktion von Wahnsinn noch einmal an jenem Ort vorbei, an dem er seine sonderbare Grabrede gehalten hatte. Es war ein heiterer Frühlingstag und so beschloss er dem Toten seine Aufwartung zu machen, schien es ihm doch eine passende Einstimmung auf die anstehenden Tage voller Detaildiskussionen um die Auslegung und Aussagekraft der foucaultschen Analysen zu sein. Nach kurzer Suche fand er das Grab, gut gewählt im Schatten eines Baumes. Ein schlichter Hügel Muttererde; unbewachsen, aber vor nicht allzu langer Zeit frisch bewässert und von allem Unkraut befreit. Ein wenig enttäuscht wandte sich Stickel, der selbst nicht so recht wusste was ihn eigentlich enttäuschte, ab und wollte seinen Weg fortsetzen, da nahm er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr. Mit kleinen unsicheren Schritten kam die alte Dame, die ihn auf der Beisetzung begrüßt hatte auf ihn zugelaufen. Stickel verspürte nicht die geringste Lust auf das Gespräch, in das ihn die Frau unweigerlich verwickeln würde und versteckte sich hastig hinter einem Busch. Bestimmt war sie es, die das Grab regelmäßig wässerte und mit liebevoller Gründlichkeit von anderen Pflanzen befreite. Lange stand die gebeugte Gestalt in dem schwarzen Kleid, das bereits er von der Beisetzung kannte, still vor dem Grab. Stickel, rang mit sich, ihm tat die Alte leid. Gerade wollte er hinter dem Busch hervortreten, da straffte sie sich und hob den Schleier an. Sie sah sich verstohlen nach allen Seiten um, griff, sicher, dass niemand sie beobachtete, in ihre Tasche und holte einen jungen Tüpfelfarn hervor. Nach getaner Arbeit drückte sie den Farn vorsichtig noch ein wenig an und warf einen prüfenden Blick auf das Resultat. Ohne von Stickel Notiz zu nehmen legte sie ihren Schleier neben dem Farn ab. Dann ging sie.
 

Blumenberg

Mitglied
Hallo Val,

ein Pardon ist nicht notwendig, auch kritische Anmerkungen sind, gerade wenn sie so textnah wie deine erfolgen, immer hilfreich.

Ich habe die Geschichte nun noch einmal gründlich überarbeitet und im Detail etwas weiter ausgeführt. Dadurch hat sich auch die ein oder andere erzählerische Änderung ergeben. Die Person der alten Dame war gerade zu Beginn der Erzählung missverständlich, da durch die Dopplung der Aufforderung nicht klar war, dass der Verstorbene um die Rede bittet. Die Aufforderung zu der Rede enthält nun nur noch der Brief des Verstorbenen. Den holprigen Einstieg habe ich ebenfalls überarbeitet. Daneben habe ich die Person des protagonisten noch etwas überarbeitet.
Die Person der alten Dame lasse ich zunächst, abgesehen von ein paar kleinen Details weiterhin im Nebel. Ich glaube das würde sonst die kleine Geschichte überfrachten. Vielleicht findet sich dazu ja noch die ein oder andere Meinung dazu.

Noch einmal vielen Dank für dein konstruktives Feedback!

Blumenberg
 



 
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