Zarathustra
Mitglied
Die Greisin
Frische Luft strömte ins Zimmer und blähte die vergilbten Vorhänge wie Segel.
Es war kühle, würzige Herbstluft, in der die Greisin aufatmen konnte.
Nur kurz aufatmen.
Versunken, beinahe schon verschwunden, lag sie in ihren Kissen.
Sie war klein geworden, klein wie ein Kind.
Und sie war leicht wie eine Feder.
Weiß, bleich und wächsern war ihr Gesicht.
Die frische Luft tat ihr gut.
Ihre Atemzüge wurden wieder hörbar, rasselten pfeifend aus der Lunge, spuckten etwas von ihrem Leben aus.
Die Augen, die müden Augen, die soviel vom Leid gesehen hatten, sie starrten an die rissige Holzdecke.
Ihr Verstand war trüb geworden und verdeckte das, was sie sehen wollte.
Das Licht!
Wieder strömte frische Luft ins Zimmer
und brachte den Geruch von Laub, von Erde, von nasser Erde.
Es roch nach Verwesung, es roch nach Grab; -
trotz der frischen Luft.
Die blassroten Treibhaustulpen auf der Kommode waren schon lange verwelkt. Sie hingen leblos mit den Köpfen nach unten.
Die Greisin schien etwas zu hören
Sie freute sich; -
sie lächelte; -
lächelte ganz still und zufrieden.
Die Greisin wollte sprechen, sie wollte antworten.
Sie bewegte den Kiefer ohne den Blick von der Holzdecke zu wenden, der ihr Horizont war und ihr Himmel.
Sie bewegte die Lippen, aber ohne ein Wort zu reden.
Die Sprache hatte die Greisin schon lange verloren.
Es gibt große, tiefe, ungelöste Geheimnisse in dieser Welt. Aber irgendwann wird sie jemand kennen; -
irgendwer wird es wissen. Das Wie und das Warum,
man kann es erforschen.
Doch alle diese Geheimnisse verblassen vor dem Verstand der Greisin. Den kann niemand erforschen. Nie wird jemand erfahren, was sie dachte, als sie an die Decke starrte und ein letztes mal die frische Luft atmete.
Als später das Fenster geschlossen wurde,
brannten schon die Kerzen.
Ein Kreuz, stand auf ihrem Nachttisch.
Das Kruzifix mit dem geschundenen Heiland, warf einen großen zitternden Schatten an die Wand.
Der Schatten sah merkwürdig aus; -
er sah aus, als ob eine arme Menschenseele die Wand entlang tastet und versucht das Sterbezimmer zu verlassen.
Der Rosenkranz war um ihre dürren Hände gewickelt.
Am 21. Oktober 2004 starb meine Mutter mit 81 Jahren. Wir hatten Sie über 3 Jahre zu hause gepflegt. Sie litt an Alzheimer Demenz. Ihre letzten beiden Jahre waren vom Leiden gezeichnet: Ellebogenfraktur, Schädelfraktur, Oberschenkelhalsbruch; - geistige Umnachtung.
Sie hat viel gelitten.
Unsere Verwandten fragten, ob ihr Tod eine Erlösung war.
Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass ihr Tod schön war.
Sie sah den Himmel,in ihrer Todesstunde. Da bin ich mir sicher! Ihre Seele ist entkommen, aus ihrem geschundenen, gequälten Leib.
30. März 2005
© Hans Feil
Frische Luft strömte ins Zimmer und blähte die vergilbten Vorhänge wie Segel.
Es war kühle, würzige Herbstluft, in der die Greisin aufatmen konnte.
Nur kurz aufatmen.
Versunken, beinahe schon verschwunden, lag sie in ihren Kissen.
Sie war klein geworden, klein wie ein Kind.
Und sie war leicht wie eine Feder.
Weiß, bleich und wächsern war ihr Gesicht.
Die frische Luft tat ihr gut.
Ihre Atemzüge wurden wieder hörbar, rasselten pfeifend aus der Lunge, spuckten etwas von ihrem Leben aus.
Die Augen, die müden Augen, die soviel vom Leid gesehen hatten, sie starrten an die rissige Holzdecke.
Ihr Verstand war trüb geworden und verdeckte das, was sie sehen wollte.
Das Licht!
Wieder strömte frische Luft ins Zimmer
und brachte den Geruch von Laub, von Erde, von nasser Erde.
Es roch nach Verwesung, es roch nach Grab; -
trotz der frischen Luft.
Die blassroten Treibhaustulpen auf der Kommode waren schon lange verwelkt. Sie hingen leblos mit den Köpfen nach unten.
Die Greisin schien etwas zu hören
Sie freute sich; -
sie lächelte; -
lächelte ganz still und zufrieden.
Die Greisin wollte sprechen, sie wollte antworten.
Sie bewegte den Kiefer ohne den Blick von der Holzdecke zu wenden, der ihr Horizont war und ihr Himmel.
Sie bewegte die Lippen, aber ohne ein Wort zu reden.
Die Sprache hatte die Greisin schon lange verloren.
Es gibt große, tiefe, ungelöste Geheimnisse in dieser Welt. Aber irgendwann wird sie jemand kennen; -
irgendwer wird es wissen. Das Wie und das Warum,
man kann es erforschen.
Doch alle diese Geheimnisse verblassen vor dem Verstand der Greisin. Den kann niemand erforschen. Nie wird jemand erfahren, was sie dachte, als sie an die Decke starrte und ein letztes mal die frische Luft atmete.
****
Epilog
Als später das Fenster geschlossen wurde,
brannten schon die Kerzen.
Ein Kreuz, stand auf ihrem Nachttisch.
Das Kruzifix mit dem geschundenen Heiland, warf einen großen zitternden Schatten an die Wand.
Der Schatten sah merkwürdig aus; -
er sah aus, als ob eine arme Menschenseele die Wand entlang tastet und versucht das Sterbezimmer zu verlassen.
Der Rosenkranz war um ihre dürren Hände gewickelt.
***
Anmerkung:
Am 21. Oktober 2004 starb meine Mutter mit 81 Jahren. Wir hatten Sie über 3 Jahre zu hause gepflegt. Sie litt an Alzheimer Demenz. Ihre letzten beiden Jahre waren vom Leiden gezeichnet: Ellebogenfraktur, Schädelfraktur, Oberschenkelhalsbruch; - geistige Umnachtung.
Sie hat viel gelitten.
Unsere Verwandten fragten, ob ihr Tod eine Erlösung war.
Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass ihr Tod schön war.
Sie sah den Himmel,in ihrer Todesstunde. Da bin ich mir sicher! Ihre Seele ist entkommen, aus ihrem geschundenen, gequälten Leib.
30. März 2005
© Hans Feil