Die Grenzwelt - humorvolle Fantasy (2. Kapitel)

Arathas

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Die Prüfungen waren alles andere als einfach, doch Shayne hatte sie bewältigt, ohne auch nur einen Muskel zu viel zu beanspruchen.
Shayne bewältigte jede Aufgabe, ohne dafür lernen zu müssen oder sich näher mit der Sache zu beschäftigen. Die, die nicht wußten, wer er war, munkelten, er wäre anders als alle anderen, aber auf eine schlechte Weise.
Sein Lehrmeister beobachtete ihn und fühlte sich unbehaglich unter Shaynes Blick. Der junge Elf hatte besondere Fähigkeiten. Wenn er einem in die Augen sah, konnte man beinahe fühlen, wie sein Geist einem durch die Schädeldecke drang, im Verstand herumwühlte und ganz zufällig auf die Dinge stieß, die man für gut vergraben gehalten hatte. Und er schien fähig zu sein, solche Dinge im unpassendsten Augenblick zur Sprache zu bringen. Wäre er nicht der Separator gewesen... man hätte ihn vermutlich längst entfernt.
Shayne lächelte und starrte Kovko an. "Wie war ich?"
Kovko wandte seine Augen dem Übungsraum zu. Verborgene Fallen, die jemanden das Auge hätten kosten können, lagen aufgedeckt und zerstört neben Gerätschaften, die die völlige Aufmerksamkeit und Wachsamkeit der Prüflinge beanspruchten*.(Es existierten auch Vorrichtungen, die absichtlich von den etwas verborgeneren Vorrichtungen ablenken sollten. Nicht selten lauteten die Gedanken eines Schülers, der gerade eines dieser Geräte entdeckt hatte: Hah! Diese Falle war aber leicht zu Aaaaaaaaaaaaargh!) Shayne hatte die Vorrichtungen mit der rechten Hand unschädlich gemacht, während er sich mit der Frage beschäftigte, wie er den restlichen Abend gestalten sollte. Natürlich war keines der Geräte eingestellt, die Prüflinge zu töten, doch konnten sie ihnen sehr wohl ernsthafte Verletzungen zufügen.
"Es sieht so aus... als hättest du bestanden." Kovko verzog das Gesicht.
"So wie alle anderen Prüfungen" brachte es Shayne auf den Punkt.
"Ja, ich..."
"Ist meine Ausbildung beendet?"
Kovko zuckte mit den Achseln. "Du weißt, daß sie noch nicht beendet ist. Kein Schüler verläßt diese Schule vor dem zweiundzwanzigsten Lebensjahr."
Shayne seufzte. Dies war alles so deprimierend. Irgendjemand hatte ihn mit einer Geschicklichkeit ausgestattet, die für drei Elfen gelangt hätte. Der Jemand hatte allerdings vergessen, ihm die Gebrauchsanweisung dafür zuzustecken.
Er lächelte. "Dann zeig mir etwas, das du besser beherrschst als ich."
"Oh, ich..." Kovko war entrüstet. Er hatte lange und hart gearbeitet, um eine so hohe Stellung im Tempel zu erhalten. Seine gesamte Weltanschauung begründete sich auf der Tatsache, daß Alter und Wissen Respekt verdienten. Der Junge stellte ihn hart auf die Probe.
Shayne stand auf und verharrte einige Sekunden reglos vor seinem Lehrmeister. Angst spiegelte sich in Kovkos Gedanken wieder. Furcht besitzt ein einfaches Muster, das von einem geübten Auge mühelos erkannt werden kann, auch wenn man keine telepathischen Fähigkeiten besitzt. Dabei wollte Shayne doch gar nichts Böses tun! Er hatte nicht vor, jemandem zu nahe zu treten, doch manchmal rutschten einem eben ein paar Dinge heraus, wenn alle versuchten, einen wie einen Hasen in die Ecke zu drängen. Die Lehrer merkten bald, daß dies mit Shayne nicht funktionierte: Er neigte dazu, persönlich zu werden, wenn er unter Druck gesetzt wurde. Doch er benötigte keinerlei Beleidigungen dazu. Er fing einfach an, von Dingen zu sprechen, die ein Gehirn üblicherweise verdrängte. Man vergleiche ihn in dieser Hinsicht mit einem schlechten Gewissen, das auf zwei Beinen läuft und einen Mund besitzt. *(Die meisten Leute würden sich wahrscheinlich weitaus mehr um gute Taten bemühen, wenn ihr schlechtes Gewissen dazu neigen würde, ohne Unterlaß in Zimmerlautstärke zu plaudern)
Kovko sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an und befürchtete, jeden Moment etwas über sich selbst zu erfahren, das ihm in den nächsten Nächten jeglichen Schlaf rauben würde.
Shayne öffnete den Mund. Profundes Unbehagen erfaßte den Lehrmeister und äußerte sich in weit aufgerissenen Augen. Glücklicherweise entwich Shayne lediglich ein Gähnen.
"Wenn du mir nichts mehr zu sagen hast, dann werde ich jetzt gehen."
Shayne war sich sicher, daß Kovko ihn nicht aufhalten würde. Er behielt Recht.
Die langen Gänge der altehrwürdigen Schule waren kalt. Es gab nicht viele Fenster. Ein paar kleine Gärten und der große Hof waren die einzigen Orte, von denen aus man den dunkelbraunen Himmel betrachten konnte. Die Welt roch nach Freiheit. Shayne wollte sie endlich ausleben.
Er war ein Gefangener. Die Schule sprach von sich als einen Ort, an dem seit tausenden von Jahren vielversprechende junge Dunkelelfen ausgebildet wurden. Wohin Shayne auch blickte, er konnte keinen solchen Elfen sehen.
Natürlich, er hatte Freunde. Jeder legte sich Freunde zu an einem Platz wie diesem. Wer hier keine Freunde hatte, überlebte nicht lang. Die Tage waren hart, die Nächte noch härter. Wenn die langen Stunden der Ausbildung vorbei waren, mußten Aufgaben erledigt werden, die dem Gemeinwohl dienten. Doch die Freunde, die man hier fand, waren wie Werkzeuge: Man bediente sich ihrer, wenn man sie brauchte, und legte sie ins Regal zurück, wenn man fertig mit ihnen war. Freundschaften wurden auf Zeit geschlossen.
Was konnte er tun? Die Frage bezog sich nicht ausschließlich darauf, was er innerhalb der Tempelmauern tun konnte. Sie war sogar noch relevanter, sobald er hier heraus kam. Was verdammt nochmal tat man, wenn man die Schule der Ewigen Nacht absolviert hatte? Gut, er konnte jemandem den Magen aus dem Bauch treten, während er ein mit Tassen gefülltes Tablett auf dem Arm trug - aber wieviel Gewicht hatte so etwas in einem Bewerbungsschreiben?
Das Schlimmste jedoch war etwas anderes. Es mochte für die restlichen Schüler nicht so tragisch sein, wenn sie den gigantischen Komplex nicht verlassen konnten. Sie besaßen etwas, das Shayne nur aus Erzählungen kannte, und weil er es nicht besaß, konnte er sich auch keine Vorstellung davon machen: Fantasie.
Dieses winzige Wort bedeutete, daß man seine eigene Freiheit wenigstens im Kopf finden konnte.
Es war schlimm, wenn alles, was man hatte, die Realität war...


Ein wenig abseits der Stadt Snork ragte die Zitadelle der Farben in den Himmel.
Sie war das Heim der Magiergilde und somit einer der Orte in Krotos, von denen man in der Öffentlichkeit ausschließlich ehrfürchtig und mit Hochachtung sprach* (schließlich konnte man nie wissen, ob nicht gerade einer dieser rachsüchtigen und eingebildeten Magier in der Nähe war und lauschte). Sie trug ihren sonderlich klingenden Namen deswegen, weil in ihr alle möglichen Arten der Magie praktiziert wurden. In Krotos gab es keine vorherrschende Form der Zauberei. So etwas erachtete man als primitiv. Länder wie Aradanien, in denen es heiß und schwül war und wo die Leute oft nichts am Leibe trugen außer ihrer Sonnenuhr, an solchen Orten war schwarze Magie noch verpönt.* (außerdem wußte jeder, der auch nur etwas über das Ausland wußte, daß man sich dort seltsame Krankheiten einfangen konnte, und daß die Leute dort Menschenfleisch aßen **(Natürlich gab es auch in Krotos allerlei Wesen, bei denen es als eine Delikatesse galt, wenn Menschenfleisch auf den Tisch kam - allerdings hatten sie wenigstens Tischmanieren). In der Zitadelle der Farben war alles erlaubt. Früher einmal hatte man Magie in so lächerliche Kategorien wie gut oder böse eingeteilt, doch diese Zeiten waren glücklicherweise vorbei. Wie hatte der große Magus Clemus einst gesagt: In der Nacht sind alle Magier grau. Oder jedenfalls so ähnlich. Kein Bewohner der Zitadelle konnte sich mehr an die Zeit der Gründung erinnern, doch noch immer gab es eine Statue des ehrenvollen Meisters Mandulin, die vor dem Eingang der Festung thronte. Unter ihr war, auf einem kleinen Sockel, folgendes Zitat angebracht: "Schwarze Magie? Warum sollte ich Angst vor ihr haben? Hier, nimm dieses Pulver, damit kriegst du sie wieder sauber."
Seit dieser Zeit jedenfalls durften in der Zitadelle der Farben alle Arten der Magie benutzt werden, wenn die Novizen nur darauf achteten, daß die Wände keine Flecken abbekamen. Die Jugend von heute konnte es sich einfach nicht vorstellen, was es kostet, eine Wand zu streichen.
Wenn man seinen Blick noch ein wenig umherstreifen ließ, fiel er bestimmt irgendwann auf die höchste Nadel, die aus der Zitadelle sproß: den Turm der Magier.
Die Aussicht vom Turm der Magier war außergewöhnlich. Nicht nur, daß durch die gebündelte Energie, die von dem Ort ausging, die restliche Welt wie mit einer Lupe vergrößert wurde. Auch alles andere schien von hier oben... fokussierter. Die Gedanken waren klar und rein wie die Luft, der Sauerstoff befreite das Gehirn von jeder unnützen Last.
Thamis jedoch kümmerte dies nicht. Dies war einer der wenigen Orte in der gesamten Zitadelle, an denen man auch am Nachmittag nicht befürchten mußte, vom Geschwätz einiger Novizen gestört zu werden. Ein dicker Wälzer ruhte in seinen Händen.
Manchmal übernachteten ein paar der Schüler hier oben. In einer dieser sternklaren Nächte konnte man viel über sich selbst erfahren. Man sagte, daß der Aufenthalt in einer Wüste den Geist reinigen würde. Nun, ungefähr das gleiche Ergebnis erzielte dieser Ort. Er hielt so etwas wie eine allesfüllende Leere bereit.
Doch das war es nicht, was Thamis interessierte. Es gab nicht vieles, das dem Jungen wertvoll war oder gar seine Aufmerksamkeit an sich fesseln konnte. Die höheren Magier verlangten von ihm, daß er sich kümmerte. Daß er es seinem Bruder Deacon gleich tat und nach Weisheit in der realen Welt suchte. Weisheit. Was hatte es damit auf sich? Hatte nicht ein gelehrter Mann einst gesagt, Weisheit wäre in Büchern zu finden?
Worte bedeuteten Thamis etwas. Nicht die gesprochenen, sondern geschriebene Worte. Er war fasziniert von ihnen. Man konnte ein ganzes Leben mit wenigen Worten auf ein paar Blatt Papier festhalten. Man konnte Wissen binden und es für spätere Generationen zugänglich machen. Doch nicht nur Worte waren wichtig. Thamis liebte auch Bücher. Er machte dies nicht vom Buch abhängig – in seiner Vorstellung gab es keine guten oder schlechten Werke. Er liebte die Bücher selbst.
Bücher waren der Schlüssel zum Verstand. Man mußte nur mit ihnen umzugehen wissen, und schon gaben sie die größten Geheimnisse des Universums Preis. Natürlich, es hatte oft... Probleme gegeben. Thamis war sehr bedacht darauf, daß Bücher richtig behandelt wurden. Es hatte da einmal diesen Zwischenfall gegeben, als sein Mitbewohner ein Buch kopfüber und aufgeschlagen auf seinem Bett liegen gelassen hatte. Und das, obwohl jeder wußte, daß eine solche Tat nur eine Stufe unter dem Herausreißen einer ganzen Buchseite stand. Sie war schlimmer als ein Eselsohr...
Seit diesem Vorfall wohnte Thamis alleine. Und seinem ehemaligen Mitbewohner ging es auch wieder besser * (Zumindest war er schon wieder in der Lage, feste Nahrung zu sich zu nehmen).
Es war alles so ungerecht! Niemand schien ihn zu verstehen!
Ein wenig Verständnis war alles, was Thamis sich wünschte. Vielleicht noch mehr Zeit zum lesen, ja. Aber sicherlich Verständnis. Er fragte sich, warum es so schwer sein mußte, einfach nur man selbst zu sein...


Das Innere von Merhos Hütte sah aus wie eine Bibliothek. Das schien ein wenig verwunderlich, denn von Außen hatte sie um einiges kleiner gewirkt. In ihr jedoch bekamen die Dimensionen eine ganz neue Definition.
Ein Eingeweihter hätte erkannt: Die Hütte glich einem guten Buch. Es bestand zwar nur aus aneinandergereihten Strichen und Tintenklecksen, doch in der Gesamtheit machten sie viel mehr aus, als eigentlich in das Buch hineinpassen dürfte. Ein guter Roman läßt einen nachdenken und sprengt auf diese Weise die räumlichen Vorstellungen. So ähnlich verhielt es sich mit der Hütte.
All das Wissen, das in ihr lagerte, wirkte sich auf die Wirklichkeit aus wie Wärme auf Quecksilber: Sie begann, sich auszudehnen.
Bücherstapel füllten die Gänge zwischen den Regalen, die wiederum ihrerseits mit Büchern aufgestockt waren. Ein unvorsichtig benutztes Streichholz hätte genügt, um das ganze Haus in wenigen Sekunden zu Asche zu verwandeln.
Deacon wagte einen Sprung über einen kleinen Haufen vergilbter Wälzer, die in seinem Weg lagen. Merho beobachtete ihn nachdenklich. Er hatte ein paar der Werke zu einem Stuhl umfunktioniert und saß vor einem der wenigen echten Möbelstücke in der gesamten Hütte, einem Tisch.
"Hast du all diese Bücher geschrieben?" staunte Deacon.
"Kein Mensch könnte das" sagte Merho. "Es sind Geschichtsbücher."
"Jedes einzelne?"
Verträumt nahm Merho einen Folianten in die Hand. Das Buch besaß einen roten Einband und war etwas weniger dick als der Durchschnitt. "Es sind Geschichtsbücher der besonderen Art" betonte der Alte. "In ihnen findest du... Geschichten von Geschichte."
"Ich verstehe nicht ganz..."
"Sieh her." Deacon setzte sich neben den Greis. Merho fuhr mit den Fingern am Rande des Einbands entlang, dann öffnete er vorsichtig die erste Seite. Deacon fühlte ein eigenartiges Ziehen und hielt die Luft an. Dort, wo er Worte auf den Seiten erwartet hatte, war nichts. Doch trotzdem war das alte Papier dicht... beschrieben...
... Bilder begannen, sich zu formen...
Elfen zogen in einer kilometerlangen Karawane durch eine Wüste. Ihre schlanken Körper trotzten der Hitze, doch man konnte sehen, wie sehr der Marsch sie anstrengte. Statt ihrer waldfarbenen Kleidung trugen sie Safran und Grau. Sie passten sich an. Der Sand knirschte unter ihren Füßen, der Geruch von Schweiß perlte über die Seite...
Deacon kniff die Augen zusammen, als Merho das Buch zuschlug.
"Es war... wie ein Traum" sagte er. "Ich konnte alles genau sehen... aber was war es?"
"Geschichte" lächelte der Alte. "Eingefangen in Büchern."
"Ist es... ein Trick?"
"Kein Trick. Und auch keine sonderbare Form von Magie." Merho rang mit sich, ob er dem Jungen sein Geheimnis anvertrauen sollte. Im Grunde genommen war es tatsächlich keine Magie, und auch keine Zauberei. Es war einfach, wenn man wußte, wie man es anzustellen hatte. Doch ebensogut konnte man behaupten, es wäre einfach, eine Schlange zu beschwören. Wer lange gelebt und genug Erfahrung darin hatte, mochte es schaffen, ohne daß ihn die Schlange biß. Es war lediglich eine Frage der Zeit.
"Ich bin ein Buchbinder" gab Merho Preis. "Es gibt nicht viele von uns. Wir teilen uns die Geschichte. Jeder von uns bindet einen bestimmten Teil."
"Du bindest Geschichte? Davon habe ich noch nie gehört. Was genau bedeutet das?"
"Ich bringe die Vergangenheit auf diese Seiten. Sobald die Gegenwart zur Vergangenheit wird, läßt sie sich einfangen. Sie existiert in diesem Sinne nicht mehr, denn sie ist schon längst geschehen. Es ist bloß noch die Erinnerung an die Vergangenheit vorhanden. Deswegen kann ich sie in einem Buch binden."
"Mußt du dafür zugegen sein?"
"Nicht allzu nah. Nicht allzu nah" murmelte der Greis. "Es reicht, wenn ich aus der Entfernung beobachten kann. Viele Schlachten wären mein Tod gewesen, hätte ich sie aus der Nähe miterleben müssen. Nein, es reicht, wenn ich mich nah genug heranbegebe... und alles von einem sicheren Hügel oder Berg aus binde..."
Eine Idee keimte in Deacons Kopf und ließ sich auf seiner Zunge nieder. "Kannst du sie umschreiben?"
"Wäre die Vergangenheit in Worte gekleidet, könnte man es vielleicht bewerkstelligen" sagte Merho. "Doch das ist sie nicht."
"Und hast du schon einmal... eingegriffen?"
Merhos Antlitz verfinsterte sich. Deacon bekam das Gefühl, ungewollt ein Gewitter heraufbeschworen zu haben.
"Keine Intervention!" sagte der Alte. "In die Geschichte darf nicht eingegriffen werden. Das ist das oberste Gesetz eines Buchbinders. Wenn wir uns nicht daran halten würden... nicht auszudenken!"
"Ich wollte nicht-" begann Deacon, doch dann las er den Titel eines der Bücher, auf denen er saß. Der Aufbau der Nar-Nar Brücke.
"Was ist dort vorgefallen?"
"Wo?"
"Beim Aufbau der Nar-Nar Brücke. Ich wußte nicht, daß es etwas wissenswertes darüber zu berichten gab. Etwas, daß sich in ein Buch zu binden lohnen würde."
Merho schenkte ihm einen abschätzigen Blick. "Nichts ist dort vorgefallen" gab er zur Antwort. "Und dann wiederum... alles."
Quälende Minuten der Stille vergingen, während Deacon sich fragte, welchen Fehler er gemacht hatte, um eine solche Antwort zu verdienen. "Du meinst..." sagte er schließlich. "Es spielt keine Rolle, ob jemand eine kleine Brücke baut oder eine Schlacht um ein mächtiges Königreich kämpft. Geschichte ist Geschichte."
Merhos Gesicht war eine Maske aus respektvoller Verblüffung und mißtrauischer Berechnung. Er nickte langsam. "Für die Geschichte ist jede Tat gleich viel wert" stimmte der Alte ihm zu. "Wir haben eine Redewendung bei uns: Für die Geschichte ist es nur Geschichte. Anderenfalls wäre es manchmal sehr, sehr schwer, die Arbeit zu erledigen, die ich verrichte. Doch du bist schnell von Begriff."
"Ich versuche, so viel wie möglich zu lernen."
"Du solltest lernen, daß Wissen auch von dir selbst kommen kann. Nicht nur die Frage ist wichtig - sondern auch, an wen du sie stellst."
"Doch das, was ich erfahren wollte, kannst nur du mir sagen."
"Die Schattenwelt..." murmelte Merho.
"Ja."
"Viele Dinge weiß man von ihr. Manches ist die Wahrheit. Vieles eine Lüge. Es kommt auf die Perspektive an. Nimm dieses Buch" Merho hielt Der Aufbau der Nar-Nar Brücke in den Händen. "War dieses Ereignis gut oder schlecht?"
"Die Nar-Nar Brücke schuf eine Verbindung zwischen den Ländern Nartien und Rohan. Sie brachte Fortschritt. Sie ist gut."
"Dann sieh, wieviele Tiere und Bäume dafür sterben mußten. War es aus ihrer Sicht auch gut?"
"Natürlich nicht, aber-"
"Aber?" Merho biß sich auf die Lippe. "Es gibt immer ein Aber. Aus jedem Blickwinkel. Das ist es, was ich dir über die Schattenwelt verraten kann."
"Ist das alles?"
"Hast du dir mehr erwartet?"
"Ich bin den ganzen Weg hier herauf gelaufen, um mir das anzuhören?" Ungeduld brodelte in Deacon wie Magma unter der Erde, bereit, sich einen Weg an die Oberfläche zu suchen. "Was ist nun mit der Schattenwelt? Man sagt, dort leben Monster! Stimmt das?"
"Aber ja."
Deacon wollte etwas erwidern, zögerte aber dann. "Böse... Monster?"
"Aber ja."
Wieder zögerte der Junge. "Aus welchem Blickwinkel betrachtet?"
"Ah" sagte Merho und lächelte. "Ah."
 

yyrshomool

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Gruess Dich...

Schicke Geschichte. Mir gefallen der Aufbau und die Story. Ich habe nur ein paar Minuten Zeit, also mal fix ein paar Anmerkungen zum ersten Abschnitt:

1) Du hast da einige Bandwurmsaetze eingebaut. Gleich im ersten Absatz: Die, die nicht wussten, wer er war, munkelten...
Pack das doch in zwei Saetze oder verkuerz es. Z.B. Wer ihn nicht kannte, munkelte...
oder: ... waere auf eine schlechte Weise anders als die anderen.

2) Der junge Elf hatte besondere Faehigkeiten.
Lasse diesen Satz doch weg, denn die Faehigkeiten erklaerst Du doch sehr gut. (ich frage mich, wer da Vorbild stand. :) )

3) schien faehig zu sein...
Er ist doch faehig. Vielleicht aktiver: Und er brachte solche Dinge im...

4) Shayne hatte die Vorruichtung...
Diesen Satz und den darauffolgenden wuerde ich vertauschen.

5) Kovko verzog das Gesicht... (zu einem Grinsen? zu einer Fratze?)

6) Er hatte nicht vor, jemandem zu nahe zu treten, ...
Ein sehr nettes Bild! :) Doch dreimal einem/einen in einem Satz ist zuviel.

7) Ein schlechtes Gewissen, dass auf zwei Beinen laeuft...
Super! So etwas muessten wir unseren Politikern an die Seite stellen! :))

8) Natuerlich, er hatte Freunde. Jeder...
In diesem Absatz haeufen sich die Freunde und Freundschaften. Fuenf an der Zahl!

Ich hoffe, das hilft Dir etwas. Mir hat es jedenfalls Spass gemacht, die Geschichte zu lesen.

Frohes Schaffen

Micha
 

Arathas

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es gibt, wenig, das ich mehr mag....

... als gute Kritik! Und deine ist mit Sicherheit wirklich gut, denn sie ist konstruktiv, und du hast Recht mit deinen Anmerkungen. Ich werde das ändern :)

Und schön, dass dir die Geschichte gefällt, ich hoffe, du bist auch bei weiteren Kapiteln (die sehr bald kommen) dabei... *g*

liebe Grüße
Arathas
 

yyrshomool

Mitglied
Teil 2....

Hi Arathas...

bin etwas langsam dieser Tage....

Hier noch ein paar Anregungen, startend beim zweiten Absatz:

1) Sie trug ihren sonderlich klingenden...
Damit hatte ich Probleme. Mir hat sich naemlich erst nicht erschlossen, was der Name mit der Begruendung zu tun hat. Klar, wird spaeter erklaert, aber das Fragezeichen stand erst mal.

2) Wenn man seinen Blick noch ...
Hier mein Vorschlag: Lass doch das Wenn weg und stelle den Satz etwas um. Das wird dann fluessiger:
Liess man seinen Blick noch ein wenig umherstreifen, fiel er irgendwann auf die ...

Das "Bestimmt" habe ich auch weggelassen, denn das wird ja durch den Satz schon erklaert.

3) Man sagte, dass der Aufenthalt in einer Wueste...
Du benutzt ziemlich oft "man". An manchen Stellen (hier z.B.) solltest Du spezifischer werden. Erfinde doch einfach jemanden, einen Weisen oder ein Volk, dass das eben "sagte". Der Text wird dann gleich persoenlicher (glaube ich... :) ).

4) Thamis jedoch kuemmerte...
Doch das war es nicht, was Thamis interessierte.
Dieser Thamis scheint ja ganz schoen uninteressiert zu sein. :)

5) Im naechsten Absatz kommen wieder eine ganze Menge Mans. Na ja, eigentlich sind es nur zwei. Aber beide leiten Saetze ein, die auch noch hintereinanderstehen. Stell das doch etwas um, damit es an Abwechslung gewinnt.

6) Letzter Absatz dieses Teils: Wiederholungen, diesmal von verstehen und Verstaendnis.

7) Er fragte sich, warum es so schwer sein musste...
Besser vielleicht: warum es so schwer war.

Du hast schon Teil drei hochgeladen! Fleissig, fleissig. Der wird mich beim naechsten Mittagessen unterhalten.

Viel Spass noch...

Micha

P.S. allesfuellende Leere: schickes Wortspiel! :)
 

yyrshomool

Mitglied
last part

Hi Arathas...

habe nur ganz wenig Zeit - wie immer eigentlich. Shitty Leben das! :)
Der letzte Teil hat mir am besten gefallen. Es gibt ja schon eine ganze Menge Ideen in der Fantasyliteratur, wie Geschichte "aufgeschrieben" wird.
Deine ist neu! Und gut!
Weiter so.

1) sah aus wie eine...
vielleicht: glich einer

2) Das schien...
Schien es wirklich nur, oder war es vielleicht sogar? du liebst das Woertchen "schien", ist mir aufgefallen.

3) Sekunden zu Asche zu verwandeln.
Lass es sich doch IN Asche verwandeln. Damit sparst Du das erste ZU und somit eine Wiederholung.

4) noch was Allgemeines:
"Hei", rief er.
Das Komma hinter den Gaensefuesschen laesst Du immer weg. Ist das die neue Rechtschreibung (von der habe ich naemlich noch keinen Blassen).
:)

Dann noch gutes Gelingen

Micha
 

Arathas

Mitglied
neue Rechtschreibung

Hi Micha,

wie immer - tolle Kritik!!! Wirklich gut angebracht und sofort umsetzbar :)

Das mit der Kommasetzung in der wörtlichen Rede ist nicht die neue Rechtschreibung, ich glaube, es wird noch immer so gemacht wie früher. Aber ich konnte mich noch nie damit anfreunden, irgendwie finde ich es ohne das Komma ästhetischer. Drum schreibe ich grundsätzlich Geschichten und Bücher ohne diese Kommas ;-)
 



 
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