Die Grenzwelt - Kapitel 6

Arathas

Mitglied
Man mußte zugeben, daß sich die Straßen der Schattenwelt tatsächlich von denen der Lichtwelt unterschieden. Es gab zum Beispiel keinen Müll. Das durfte man nicht falsch auffassen: In Snork gehörten Müllberge zum Inventar der Stadt. Viele Wesen konnten nur deshalb überleben, weil sie sich kleine Gänge und Wohnungen in die riesigen Haufen buddelten, die die Gassen anfüllten.
Es gab hier auch nicht direkt das, was man Gassen nannte. Zu einer guten Gasse gehörten eng aneinanderstehende Häuserwände, ein wenig Schatten * (allerdings nur soviel, daß man gerade noch genügend erkennen konnte, um sich zu fürchten. Die unheimlichste Kulisse der Welt nützt nichts, wenn die Personen, die sich darin aufhalten, nichts von ihr sehen können. Dunkelheit ist nur dann wirklich gruselig, wenn es gerade noch soviel Licht gibt, daß die Fantasie sich frei entfalten kann...), und ein paar in Decken gewickelte Penner auf dem Boden. Mit einer solchen Gasse war alles in bester Ordnung.
Hier boten die Häuser einem nur ihre nackten Fassaden, als würden sie sagen wollen: Du suchst nach jämmerlichen Gestalten, die ihr Dasein in ewiger Dunkelheit fristen müssen? Nun, du darfst dich gern hinlegen und anfangen, wenn du möchtest...
Es kam nicht oft vor, daß Creeper ein Schauer über den Rücken lief. Es geschah auch jetzt nicht, aber sein Körper hatte zumindest die Möglichkeit in Betracht gezogen.
Auch mit dem Himmel schien etwas nicht zu stimmen. Kam es ihm nur so vor, oder war er tatsächlich näher als auf der anderen Seite? Man fühlte sich eigenartig beschwert, wenn man plötzlich eine große Last über sich spürte und immer, wenn man aufblickte, daran erinnert wurde, daß es der Himmel war. Die Tatsache, daß die untergehende Sonne hier alles in Braun tauchte und das Licht mehr zu Violett als zu Rot neigte, störte im Gegensatz dazu nicht weiter.
Nun, Creeper mußte sich ja nicht für immer an diesem Ort aufhalten. Er wußte, wohin er sich ungefähr wenden mußte. Notfalls konnte er immer noch einen Passanten fragen, bloß schien es von denen hier nicht allzu viele zu geben.
Das Trappeln von Schritten wurde in seinem Rücken laut. Ein kurzer Blick nach hinten gewährte ihm die Aussicht auf eine Person, die eine bestimmte Gangart anschlug. Creeper erkannte sie. Es war nicht das Geräusch von Schuhen, die auf ein bestimmtes Ziel zustrebten, sondern mehr so etwas wie eine Warnung. Es bedeutete: Ich laufe direkt hinter dir, und es hat den Anschein, als würde ich das rein zufällig tun. Allerdings lasse ich mich nicht abschütteln, und wenn du versuchst, davonzulaufen, werde auch ich anfangen zu rennen...
Eine zweite Gestalt bog um die Ecke und schloß zur ersten auf.
Die Kreuzung vor Creeper war einen Augenblick zuvor noch leer gewesen. Jetzt warteten dort zwei dunkle Figuren.
Eingekreist, dachte er und blickte zur Seite. Es gab noch eine Straße, die eine Fluchtmöglichkeit bot. Für jemanden, dem die Angst im Nacken saß, schien es der perfekte Ausweg aus der Situation. Creeper machte keine Anstalten, die Straßenseite zu wechseln oder gar schneller zu werden. Ohne Zweifel gab es auch am Ende der leeren Straße ein paar Verfolger.
Er beschloß, an dem Spiel teilzunehmen. Allerdings mußte noch etwas an den Regeln gefeilt werden.
Die beiden Figuren, die in einigem Abstand hinter ihm gegangen waren, hielten an, als er sich gegen die Wand lehnte und in die Tasche griff.
Ein Streichholz entflammte, und das Ende einer Zigarette glühte auf, als Creeper sich einen genußvollen Zug genehmigte. Rauchringe kräuselten sich in der Luft.
Die Gestalten hielten eine halbe Zigarette lang durch. Dann begannen sie, sich ihm weiter zu nähern.
Ungeduldig, dachte Creeper. Ich kenne euren Typ. Ihr seid wie die kleinen Diebe, die alten Damen die Taschen vom Arm reißen. Ihr plant nicht. Deswegen müßt ihr immer in den Tag hinein leben und kommt nie zu etwas Größerem.
Der alternde Tag malte den Fremden schwarze Schatten ins Gesicht. Doch es war gar kein Licht nötig, um sie zu identifizieren: Es waren allesamt Elfen, Dunkelelfen möglicherweise. Sie waren gertenschlank und größer als ein durchschnittlicher Mensch. Ihre Ohren waren lang und spitz, wie man es nur bei Elfen sah, deren Linie reinrassig war. Diese Personen besaßen einen Stammbaum. Creeper vertrat die Ansicht, daß dies eine Eigenschaft war, auf die man bei Hunden wert legte.
"So spät noch unterwegs, alter Mann?" fragte der Elf, der ihm am nächsten war.
"Hast dich wohl verirrt, nicht wahr?"
"Zu dumm, daß es schon dunkel wird..."
Der vierte, der sich bis jetzt mit einer Äußerung zurück gehalten hatte, bedachte Creeper mit einem verächtlichen Blick. Er war nicht abschätzig oder verletzend, sondern eher so, wie eine Putzfrau einen verrotteten Apfel betrachten würde, den sie hinter dem Schrank gefunden hatte: Er war ganz einfach ein Ärgernis, das es aus dem Weg zu schaffen galt.
"Wir haben keine zwanzig Jahre damit zugebracht, diese Stadt von Unrat rein zu halten, nur, damit du jetzt hier herumläufst und sie mit deinem Gestank verpestest" sagte er, und in seiner Stimme schwang Zorn mit. Er war ohne Zweifel der Anführer der vier* (das ließ sich unschwer erkennen. Jede Gruppe im gesamten Universum, deren Gehirnzellen gleich der Quersumme ihrer Anzahl war, akzeptierte schnell den zornigsten und reizbarsten als ihren Anführer. Es war eine Art Naturgesetz, ähnlich der Schwerkraft: Wer sich ihr widersetzte,** (zum Beispiel, indem er in dem Glauben, er könne fliegen, von einer Klippe sprang), fand keine Gelegenheit mehr, den anderen zu erzählen, ob es funktioniert hatte.)
Die Elfen warteten ab, ob ihre Worte die erwünschte Wirkung erzielten. Creeper teilte ihnen mit, daß dem nicht so war, indem er dem Anführer einen Rauchkringel in die Augen blies.
"Mutig, mutig" sagte dieser. Man konnte seine Wut förmlich spüren. Er hielt sie nur deswegen zurück, um sie auch völlig auskosten zu können, wenn er ihr freien Lauf ließ.
"Willst du gar nicht versuchen, wegzulaufen?"
"Wir sind zu viert..." raunte ein anderer.
Creeper nickte. "Ich weiß, es ist ungerecht. Aber ich habe keine Zeit, um zu warten, bis noch mehr von euch kommen."
Der Elf wirkte verwirrt.
"Sieh es einmal so" sagte Creeper, führte die Zigarette an den Mund und nahm einen kräftigen Zug. Dann schnippte er den Stummel in einem hohen Bogen in die Luft.
Ein glühender Punkt inmitten von Dunkelheit hat etwas außerordentlich Anziehendes an sich. Auch wenn das Gehirn dem Körper mitzuteilen versucht, daß er sich nicht von solchem Schickschnack ablenken zu lassen braucht - für einen winzigen Moment folgen die Augen dem Punkt dennoch.
Dieser winzige Moment war vollkommen ausreichend für Creeper.
Zwei Elfen trennten sich unfreiwillig von ihren Köpfen. Der dritte würde keine feste Nahrung mehr zu sich nehmen können, und der Anführer wünschte sich, daß Creeper nie geboren wäre *(was eine weitaus bessere Alternative darstellte, als sich zu wünschen, nie geboren worden zu sein).
Die Kippe berührte das Kopfsteinpflaster.


Tanos machte sich Gedanken. Nun, er hatte sich schon immer welche gemacht. Wenn Menschen wie Tanos damit aufhörten, sich Gedanken zu machen, waren sie nicht mehr am Leben. Selbst Nachts, wenn die eine Hälfte der Bevölkerung schlief und die andere Hälfte sich Dingen zuwandte, die eher... körperlicher Natur waren, hüpften Tanos' Gedanken in seinem Verstand herum und verknüpften Synapsen.
Es war nicht so, daß er es absichtlich tat. Es war mehr eine Art des unterbewußten Denkens, die der Körper völlig allein übernahm. Wenn Tanos eine Fliege über das Essen lief, entwickelten sich in seinem Kopf automatisch Gedankengänge wie: Über welche Mahlzeit ist sie vorher spaziert? Bleiben Reste des Essens an ihren Füßen kleben? Weiß die Fliege, daß ihre Lebenserwartung die einer Daunenfeder bei einem Zimmerbrand beträgt, wenn sie sich auf den Speisen von Leuten niederläßt? Und, wenn ja, empfindet sie Schmerz? Aber wenn eine Fliege Schmerz empfindet, muß sie auch Freude empfinden können. Und jedes Lebewesen, das glücklich sein kann, will diesen Zustand so lange wie möglich aufrecht erhalten. Die Fliege aber tut sich an meinen Würstchen gütlich und wird ergo nicht mehr lange glücklich sein, woraus sich der Schluß ziehen läßt, daß sie entweder nicht intelligent genug ist, zu begreifen, was sie da eigentlich tut, oder daß der Geschmack eines Bratwürstchens für eine Fliege den Tod rechtfertigen kann…
Und so weiter und so fort. Es gab viele Dinge auf der Welt, über die man sich Gedanken machen konnte.
Gerade eben dachte Tanos über ein sehr besonderes junges Mädchen nach. Sie war nicht für ihn sehr besonders, obwohl es viele Männer im mittleren Alter geben mochte, deren Glitzern in den Augen zunahm, je weiter das Alter der Frauen abnahm.
Nein, das Mädchen, das Tanos beschäftigte, war an sich etwas besonderes. Sie war kein normaler Mensch* (aber, alles in allem, wer konnte das schon von sich behaupten?). Ihre Geburt war einigermaßen unüblich gewesen. Sie war keine Waise, hatte aber ihre Eltern nie kennengelernt. Sie besaß einen völlig normalen bürglichen Namen, doch es war nicht der ihre.
Überdies wußte sie nichts von alledem.
Tanos hatte ihren Werdegang aus dem Hintergrund verfolgt, seit er sie ihren Pflegeeltern übergeben hatte. Er war schon immer sehr daran interessiert gewesen, was aus ihr wurde. Ihre Eltern hatte er mit Bedacht ausgewählt: Sie durften nicht zu arm sein, denn sonst hätte vielleicht Gefahr für das Mädchen bestanden. Doch auch eine zu wohlhabende Familie wäre der falsche Weg gewesen. Sie hatte auf sich allein gestellt aufwachsen müssen. Sie wußte nicht, wieviel ihr Leben bedeutete, aber sie mußte in der Lage sein, darauf acht zu geben.
Es war bedauerlich, daß Tanos ihren Eltern nie die Wahrheit über sie hatte sagen dürfen. Das Risiko wäre zu hoch gewesen. Der Magier zweifelte nicht an der Loyalität des alten, gutmütigen Paares. Doch er wußte, daß die Liebe zu einem Kind jede Loyalität übersteigen konnte. Früher oder später hätten sie es ihr gesagt, und damit wäre vielleicht alles verloren gewesen.
Aber wie sollte er es ihr jetzt sagen? Sie lebte ihr eigenes Leben, sie war inzwischen zu einer jungen Frau herangereift, die sich von niemandem mehr Befehle erteilen ließ. Es war eine harte Entscheidung, aber er hatte sie treffen müssen. Er durfte ihre Gesundheit nicht aufs Spiel setzen. Der junge Thamis war bereits gestorben. Möglicherweise war sie die einzige Rettung, die diese Welt noch besaß.
Wenn der Mörder Deacon fand und zur Strecke brachte, war sie der letzte Separator.
Und Tanos war der einzige, der davon wußte.


Das Wort Rassismus war den meisten Bewohnern der Stadt Snork fremd* (wenn auch nur deswegen, weil sie zu arm waren, um sich ein Wörterbuch zu leisten). Wenn man seine Heilkräuter bei den Kobolden, die Nahrung von den Menschen, die Geschicklichkeit im Konstruieren und Bauen bei den Elfen, den Schmuck aus Juwelen und Gold bei den Zwergen und die rohe Arbeitskraft bei den Orks bekam, blieben einem nicht mehr viele Auswahlmöglichkeiten, um rassistisch zu sein. * (natürlich gab es immer wieder Einzelfälle, doch die erledigten sich nach kurzer Zeit von selbst. Wenn man zwei Wochen lang am Hungertuch nagt, überlegt man es sich irgendwann dreimal, ob man diese kindischen Gedanken nicht doch einfach über Bord werfen sollte. Schließlich sind wir ja alle Freunde...)
Auch Creeper, der in Snork aufgewachsen war, konnte mit einer solchen Weltanschauung nichts anfangen. Nach seiner Erfahrung machte es keinen Unterschied, welcher Rasse ein Lebewesen angehörte - wichtig war, man konnte es umbringen. Seiner Ansicht nach gab es nur zwei Kategorien, in die es Personen einzuteilen lohnte: Die Auftraggeber, und die Kunden. Alles weitere waren nur unbedeutende Kleinigkeiten, beispielsweise die Hautfarbe: Creeper hatte in seinem Leben schon tausende von Skeletten gesehen – und jetzt versuch einmal zu sagen, wie deren Hautfarbe aussah. Er hatte mehrere Male die Worte Subspezies oder niedere Wesen aufgeschnappt, dabei aber immer nur an Fische gedacht.
Die Elfen der Schattenwelt hingegen schienen den Gedanken eigenartig anziehend zu finden. In Vidanos - der Grenzer hatte diese Stadt so genannt - wimmelte es geradezu von ihnen. Sie waren erpicht darauf, die einzigen intelligenten Bewohner zu sein* (Obwohl man bei manchen von ihnen den Maßstab ziemlich tief anlegen mußte, da ihnen sonst die Nutztiere ausgegangen wären). Creeper erachtete diese Einstellung als dumm: Ein Wald, in dem es nur eine einzige Baumsorte gab, war anfällig. Es brauchte nur einen kleinen Sturm, oder einen holzfressenden Käfer, der sich auf genau diese Gattung spezialisiert hatte, und schon kamen die Bäume auf den Boden der Tatsachen zurück, und zwar meist horizontal.
Creeper war zwar nicht der Käfer, der sich in Vidanos eingenistet hatte, aber man konnte ihn durchaus als Förster sehen: Er achtete darauf, daß der Bestand an Elfen nicht zu groß wurde. Außerdem gab es keinen Förster, der seine Arbeit nicht auch aus Leidenschaft verrichtete...
Im Moment kauerte er hinter einer Säule und inspizierte den Tempel, dessen aufragende Mauern in der dunklen Sonne wie unüberwindbare Hindernisse wirkten. Das mochte durchaus stimmen, doch Creeper beabsichtigte nicht, über sie zu klettern. So etwas gebührte sich vielleicht für Diebe, und Creeper haßte es, mit ihnen in eine Schublade gesteckt zu werden. Für einen Dieb war es wichtig, schnell und leise zu sein und soviel Beute wie möglich zu ergattern. Für einen Mörder galten die ersten beiden Sachverhalte ebenfalls, und die Beute, die man nahm, bestand im Leben einer Person. Allerdings kann man sich als Mörder sicher sein, daß der Beraubte einem nicht die Hunde auf den Hals hetzt, wenn man durch den Garten davonrennt...
Zwei Wächter standen vor dem Eingang des Tempels. Eine Stadt, die ausschließlich von Dunkelelfen bewohnt wird, ist ungefähr so sicher wie eine Sandburg während der Flut.
Creeper hob einen Stein auf und schleuderte ihn so zu Boden, daß er ein paar Zentimeter aus seinem Versteck herausrollte. Vier Augen suchten die möglichen Orte ab, von denen aus jemand einen solchen Stein geworfen haben konnte, während Creeper den Schutz der Säule verließ.
Elfen sind keineswegs dumme Geschöpfe, doch vor einem Ort wie dem Tempel jahrelang aufmerksam zu sein kommt der Bewachung eines Museums für überholte Lernmittel gleich. Ebensogut könnte man aufpassen, daß keiner die Sonne stiehlt.
Als er längst im Gebäude war, starrten die beiden Wächter noch immer Löcher in die Luft. Es wäre eine Leichtigkeit gewesen, sie zu töten, doch so etwas hielt Creeper für unnötig. Es kam ihm nicht so sehr darauf an, keine Unschuldigen mit in eine Sache hineinzuziehen, sondern eher, daß es Aufmerksamkeit erregte, wenn plötzlich zwei Elfen ihren Posten verließen und unauffindbar waren.


Es war ein winziger, nur spärlich beleuchteter Hinterhof, der zwischen den aufragenden Wänden der größeren Häuser lag. Ein kleiner Pfad führte durch den Garten in den versteckten Teil eines Ladens. Hierher kamen nur Personen, die genau wußten, wohin sie wollten. Man verirrte sich nicht an diesen Ort. Der Laden kam ohne Werbung aus, und von vorne betrachtet, wenn man vor der Häuserfront stand und keine Ahnung hatte, daß es auch einen Hintereingang gab... dann mochten sich Gedanken an ein unschuldiges Geschäft aufdrängen. Aber dann gehörte man nicht zum Kreis der Eingeweihten. Wer einmal herkam, der kam wieder. Es war so etwas wie ein ungeschriebenes Gesetz. Und wenn er wiederkam, dann brachte er Freunde mit. Nicht unbedingt während seines Besuches, aber indirekt. Solche Dinge wurden hinter vorgehaltener Hand getuschelt, denn man konnte sich nie sicher sein, ob die andere Person es nicht falsch auffassen würde, was man ihr erzählte.
An diesem Ort herrschte immer rege Betriebsamkeit. Es kam vor, daß sich hier Leute trafen, die sich ein Leben lang kannten und glaubten, bereits alles vom anderen zu wissen. Sie hätten ihren rechten Arm verwettet in dem ehrbaren Glauben, daß die andere Person niemals an einen solchen Platz kommen würde - ja, ihn nicht einmal kannte.
Und wenn der anfängliche Schock erst einmal überwunden war, dann konnte die Freundschaft durch dieses Erlebnis nur noch tiefer werden.
Jede Stadt besaß eine solche Lokalität, die meisten sogar mehrere.
Tanos stand vor der Hintertür und ließ den Klopfer dezent an das Holz krachen.
Ein kleines, grauhaariges Männchen öffnete ihm.
"Guten Tag, Herr Nachtschatten" grüßte Tanos und trat ein. Seine Augen brauchten eine Weile, um sich an das Dunkel zu gewöhnen, doch eine entflammende Kerze machte es ihm leicht, sich zu orientieren.
"Wie geht es deiner Frau?" erkundigte sich der Magier.
Das schmächtige Männlein lächelte und brachte eine kleine Teekanne zum Vorschein. Tanos war sich nicht sicher, wie er es anstellte, daß der Tee immer heiß war, wenn er kam, doch das war eben eines der kleinen Geheimnisse dieses Ortes. Service und Diskretion hießen die Zauberworte, von denen sich potentielle Kunden eines solchen Geschäftes anlocken ließen wie Wasser von einem Staudamm.
Herr Nachtschatten nickte freundlich. "Gut. Auch das Geschäft läuft gut. Wir können uns nicht beklagen."
Herr und Frau Nachtschatten betrieben einen sehr speziellen, sehr... besonderen Club. Hier trafen sich Leute, die außerordentlich offen für neue Erfahrungen waren, insbesondere in Beziehung auf... nun, Beziehungen.
Wenn man der Aufschrift des Schildes, das über dem kleinen Laden in der Binsengasse hing, Glauben schenken durfte, dann fand man im Innern des Geschäftes das Spielzeugland für kleine Leute. Es gab sogar einen niedlichen hölzernen Bären vor der Eingangstür, dessen erhobene Pranke feststellte, ob man von der Größe her noch als echtes Kind durchging und somit einen Lutscher geschenkt bekam.
Vom hinteren Bereich des Ladens konnte ebenfalls zu Recht behauptet werden, daß es ein Spielzeugland war. Allerdings richtete es sich an eine etwas andere Zielgruppe. Das Ehepaar Nachtschatten sorgte dafür, daß immer die neuesten Erfindungen und Spielzeuge aus ganz Krotos vorrätig waren. Sie besaßen, als das einzige Geschäft in Snork, einen eigenen Kurier, der halbjährlich ins Inland reiste und mit einem großen Karren voller Waren wieder zurückkehrte. Der Karren war sogar vor den hiesigen Wegelagerern sicher, denn auch sie zählten bereits zur Stammkundschaft * (Es hatte einmal einen Vorfall gegeben, bei dem zwei Räuber sich des Inhaltes des Transportes bemächtigt hatten. Nur wenige Tage später fanden sie sich bei Herr und Frau Nachtschatten ein, brachten ihnen unaufgefordert die gestohlene Ware zurück und kauften sogar eine ganz spezielle Salbe, welche, auf wunde Stellen aufgetragen, wahre Wunder vollbrachte).
Tanos leerte seine Tasse und lehnte sich im Sessel zurück. Er hatte das alte Ehepaar schon seit fast einem Jahr nicht mehr besucht, doch er war ein gern gesehener Gast, wenn er auch nicht aus dem selben Antrieb hier auftauchte, wie die meisten anderen.
"Ich... müßte mit deiner Tochter sprechen."
Der Mann nickte langsam. "Ich wußte, daß dieser Tag kommen würde" murmelte er. Zum ersten Mal erblickte Tanos in seinem Gesicht etwas, das ihn alt aussehen ließ. "Jane ist ein gutes Mädchen."
"Ich weiß."
"Wir haben sie mit Liebe großgezogen."
"Ich weiß."
"Wir haben ihr nie gesagt, daß sie nicht unser eigenes Kind ist."
"Ich weiß."
Trauer spiegelte sich im Gesicht des alten Mannes wie ein Schatten auf einem tiefen See. Tanos zog seine Lippen in die Breite. "Du brauchst keine Angst um sie zu haben."
"Weißt du, meine Frau und ich, wir... waren immer anständige Menschen. Wir führen ein anständiges Leben."
"Niemand würde es je wagen, dies zu bezweifeln."
"Ich meine, natürlich, wir haben dieses Geschäft... aber es dient dazu, die Leute glücklich zu machen, und deswegen kann es doch nichts schlechtes sein..."
Tanos fühlte sich dazu gedrängt, ihm die Sorgen von den Schultern zu nehmen. Es gab Plätze, an denen sie besser aufgehoben waren.
"Ich werde sie euch nicht wegnehmen. Keiner kann das. Es herrschen zur Zeit nur... extrem schwierige Umstände, und ich möchte auf Jane aufpassen, damit ihr nichts zustößt."
"Du wirst mit ihr fortgehen, nicht wahr?"
Der Magier wollte den Alten nicht anlügen. Er nickte.
"Ich schätze, das ist eben so, mh? Irgendwann verlassen sie einen... und man will es nicht wahr haben, bis es dann soweit ist. Ich liebe sie als wäre sie mein eigenes Kind."
"Ich bin mir sicher, daß kein Vater seine Tochter mehr lieben könnte, als du es tust."
"Nun, dann will ich dir nicht länger im Weg stehen, Tanos." Herr Nachtschatten erhob sich und deutete zur Treppe. "Sie ist oben."
Bevor Tanos die Stufen hinaufsteigen konnte, entrichtete er auch Frau Nachtschatten noch seinen Gruß.
Es konnte, rein äußerlich gesehen, kein ungleicheres Paar geben: Er war so schmächtig und dünn wie eine Bohnenstange, und wenn er lief, hielt man instinktiv den Atem an, aus Angst, er könnte durch den Luftzug weggeweht werden. Sie dagegen war korpulent und kräftig, zwei Köpfe größer als er und erinnerte an die Hausdrachen in Kindermärchen, die den ganzen Tag ausschließlich damit beschäftigt waren, anderen das Leben schwer zu machen. Bis auf die Statur hatte Frau Nachtschatten jedoch keine Gemeinsamkeiten mit einer solchen Person: Sie war, wenn überhaupt möglich, noch gutmütiger als ihr Gatte und trug immer ein weites Kleid und ein Lächeln auf dem Gesicht.
Hätte man die beiden zusammen auf der Straße gesehen, dann wäre ein bestimmtes Wort mit drei Buchstaben einem nicht einmal dann in den Sinn gekommen, wenn die beiden es auf einem Schild um den Hals getragen hätten.
Wie so oft beglückwünschte sich Tanos erneut zu der Tat, Jane in ihre Obhut gegeben zu haben.
 

yyrshomool

Mitglied
Gruess Dich, Arathas...

ja, es hat diesmal eine Weile gedauert, aber hier sind meine Anmerkungen.

Diesmal sind es leider etwas mehr Korrekturen geworden. Speziell am Anfang Deines Textes. Spaeter, wenn Du Dich in der Schattenwelt bewegst, liest es sich fluessiger als der Anfang.

Aber siehe selber:

1) Man musste zugeben...
Der Anfang gefaellt mir nicht. Man ist so unspezifisch. Unter Man kann ich mir nichts vorstellen. Ausserdem ein Kapitelanfang mit Man... hmmmm.... wuerde ich umstellen. Eigentlich kannst Du das sogar weglassen, das Man musste zugeben, meine ich.

2) konnten nur deshal ueberleben -> ueberlebten nur deshalb

3) ... die die Gassen anfuellten
finde ich nicht so schick. Vielleicht "verstopften" anstelle von "anfuellten"? Oder: ... in die riesigen, die Gassen verstopfenden Haufen...

4) Penner
Das ist ein harsches Wort. Passt vielleicht besser in einen Dialog als zum Erzaehler...

5) wuerden sie sagen wollen : als wollten sie sagen
Suche mal nach den ganzen WUERDENs. Die meisten kannst Du eleganter ausdruecken.

6) ... Dasein in ewiger Dunkelheit fristen muessen.
MUESSEN weg. Du benutzt "muessen", "musste" etc genauso gerne und oft wie "man". ;)

6a) Nun, du darfst dich gerne...
Der ganze Satz ist irgendwie seltsam.

7) Kam es ihm nur so vor, oder war er...
Das WAR ist zu unspezifisch. Lass den Himmel doch tiefer "haengen" oder auf der Erde "lasten" oder etwas in der Art.
8) Man fuehlte sich... , wenn man...
Man man man... :) Hier geht es doch um Creeper.

9) tauchte...
Komma hinter "tauchte"

10) ... wenden musste.
Da isses wieder. ;)

11) Das Trappeln von Schritten... laut.
Das stelle ich mir so lustig vor: erklingt es wirklich IN dem Ruecken? Oder eher hinter ihm?

12) Der alternde Tag malte...
Eines dieser schoenen Wortbilder. Schick.

13) Creeper vertrat die Ansicht...
Der ganze Satz ist so kompliziert. Warum nicht> Creeper legte auf diese Eigenschaft allenfalls bei Hunden wert. (dann hast Du auch wieder ein MAN gespart) ;)

14) Gehirnzellen gleich der Quersumme...
Ich verstehe was Du meinst, aber das musst Du umformulieren. Vielleicht etwas in der Richtung: deren Summe der Gehirnzellen gleich dieser der Quersumme ihrer Anzahl war. (oder so was in der Art).

15) ... bis noch mehr von euch kommen.
Ersetze das KOMMEN durch ein staerkeres Verb.

16) Sie war nicht fuer ihn sehr besonders.
Fuer ihn war sie nichts Besonderes.

17) im mittleren Alter...
mittleren Alters....

18) deren Glitzern in den Augen zunahm, je weiter das Alter der Frauen abnahm.
Hmmm.... die Frauen werden doch nicht wirklich juenger, oder?

19) Die Auftraggeber und die Kunden.
Komma hinter Auftraggeber weg. Und die Kunden? Die Kunden sind doch die Auftraggeber, oder? Die anderen sind die Opfer, Ziele Objekte...

Das war es auch schon. Der Text wird nach hinten hin immer besser. Und jetzt will ich aber wissen, was die Seperatoren sind! :)

Weiter, heiter, auf der Leiter!
Schreiben macht uns all' gescheiter.

(ruettelschuettel)

Micha
 



 
Oben Unten