Die Halo-Clique - Ein Planet auf dem Schirm
(eine nicht-Serien-kanonische Geschichte der Jugend-Krimi-Reihe, basierend auf einem Textadventure [siehe Dokumentende])
Kapitel 1 - Die Mädchen an einem unbekannten Ort
(eine nicht-Serien-kanonische Geschichte der Jugend-Krimi-Reihe, basierend auf einem Textadventure [siehe Dokumentende])
Kapitel 1 - Die Mädchen an einem unbekannten Ort
„Ahh“, stöhnte die 14‑jährige Lena und richtete den Oberkörper langsam auf. Sie öffnete die Augen. Grelles Licht blendete sie. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie sich an die Helligkeit gewöhnt hatte und erste Umrisse erkennen konnte.
Das Mädchen saß, mit dem Rücken an eine glatte, graue Wand gelehnt, auf dem ebenso grauen Boden eines großen Raumes. Sie sah zwei Computerbildschirme - und vor einem saß eine Person, die sich bewegte!
Lena erschrak. Ihr Herz begann zu rasen.
Die Gestalt drehte sich zu ihr um. Lena wollte schon panisch aufschreien, als sie realisierte, dass es ihre Freundin Yvonne war, die gerade aufsprang und zu ihr herüberlief.
„Lena!“, rief sie mit Besorgnis in der Stimme. „Geht es dir gut? Tut dir etwas weh?“
Sie beugte sich nieder und hielt Lena sanft an der Schulter fest. Mitfühlend blickte sie die Freundin an, die sich den Kopf hielt. „Hast du Kopfschmerzen? Ich hatte mir solche Sorgen gemacht, weil du einfach nicht aufwachen wolltest.“
Lena versuchte, langsam aufzustehen. Es gelang. Schwindelig war ihr nicht. Erst als sie stand und vorsichtig Arm- und Rückenmuskeln dehnte, antwortete sie leise: „Scheint alles okay zu sein. Und bei dir?“
Yvonne, die mit 15½ die Älteste der Clique war, winkte ab. „Mir geht's gut. Ich bin seit knapp einer halben Stunde aktiv und habe ein bisschen an dem Terminal recherchiert.“
Lena blickte sich, nun vollständig wach und bei Bewusstsein, noch einmal in dem rechteckigen Raum um. Aber mehr als direkt nach dem Aufwachen sah sie nun auch nicht: Graue Wände, grauer Boden. Aus der gesamten Decke kam dieses hellweiße, diffuse Licht. Der Raum, obwohl riesig, war äußerst karg eingerichtet. Ein breiter dunkelgrauer Schreibtisch fast im Zentrum der Grundfläche, vor dem zwei schwarze Drehstühle standen. Die Tischplatte war mit zwei ebenfalls schwarzen Tastaturen bestückt, die vor zwei Röhrenmonitoren lagen, wie die Mädchen sie von den kommerziell erhältlichen Computermodellen kannten. Auf einem der Anzeigegeräte flimmerte farbiger Text, den Lena auf die Entfernung nicht lesen konnte.
In Blickrichtung über die Terminals hinweg hing an der Wand ein riesiger, ausgeschalteter Bildschirm, viele Quadratmeter groß, der fast die gesamte Breite ausfüllte. In die gegenüberliegende Wand schien eine Tür eingelassen zu sein. Zumindest konnte Lena einen schmalen senkrechten Spalt erkennen.
„Wo sind wir hier?“, fragte sie.
Yvonne warf ihren Pferdeschwanz zurück und zuckte ratlos mit den Schultern. „Das habe ich noch nicht herausgefunden. Vielleicht immer noch im Museum.“
„Museum...“, murmelte Lena bedächtig. Ihr Blick verlor kurzzeitig den Fokus und richtete sich nach innen. „Museum... Richtig, wir waren in einer Ausstellung über... über...“
Sie dachte einen Moment intensiv nach, aber es fiel ihr nicht ein. „Was war das nochmal für eine Ausstellung?“
„Wir wollten uns...“, begann Yvonne, brach aber mitten im Satz ab. Verstörung zeigte sich auf ihrem Gesicht. Nervös ging sie ein paar Schritte auf und ab. Sie grübelte. „Mist! Ich kann mich nicht daran erinnern. Und wo war die Ausstellung? Verdammt, das weiß ich auch nicht.“
„Wo sind die anderen?“, wechselte Lena das Thema.
Yvonne stoppte ihre Wanderung und hob erneut ratlos die Schultern. „Ich weiß es nicht.“
„Wie bitte?“, fuhr Lena auf. Sie trat zu ihrer Freundin und schaute sie böse an. „Du bist seit einer halben Stunde wach und hast nicht nach den Jungs gesucht?“
Yvonne versuchte, sie zu beruhigen. „Natürlich wollte ich nach Christian und Moritz suchen. Aber wo? Und wie? Wir können diesen Raum im Moment nicht verlassen. Die Tür ist verschlossen. Und noch habe ich keinen Weg zum Öffnen im Terminal gefunden.“
Lena schüttelte die Hand der Freundin ab und lief zu dem Spalt in der Wand. Etwa einen halben Meter links davon befand sich auf Brusthöhe eine Art Schalter. Darüber leuchtete eine grüne Lampe.
Entschlossen drückte Lena darauf.
Zischend schoben sich zwei Flügel einer Tür auseinander und gaben den Blick auf einen schmalen Gang frei.
„Wieso verschlossen?“, sagte das junge Mädchen. „Geht doch. Kommst du?“
Yvonnes Gesicht zeigte Verblüffung. „Ich habe es mehrfach probiert. Da passierte nichts an der Tür.“
Lena wollte gerade über die Schwelle treten, als sie ein lautes „Warte noch!“ hinter sich hörte.
Sie stoppte erschrocken. „Was ist los? Wir müssen die anderen suchen. Vielleicht wissen sie, wo wir sind.“
Yvonne nahm einen der Stühle und schob ihn zwischen die Türflügel. Dort legte sie ihn auf die Seite, so dass die Rollen in die Luft zeigten. „Sicher ist sicher. Wer weiß, ob wir die Tür wieder aufkriegen von außen.“
Dann nickte sie Lena zu. Die beiden Freundinnen traten in den Gang hinaus. Dieser war etwa einen Meter breit, doppelt so hoch und machte nach wenigen Metern einen scharfen Bogen nach links. Die Beleuchtung war, insbesondere verglichen mit der Grelle in dem Raum, aus dem sie herausgekommen waren, sehr gedämpft, nicht direkt dunkel, eher wie am Beginn einer Dämmerung am Abend. Das Licht, das auch hier aus der Decke kam, wirkte gelblich. Boden und Wände dagegen waren blassrot.
Als die beiden auf dem Gang standen, drehte sich Yvonne um. Die dunkelgrauen Türflügel begannen, sich leise zischend zu schließen. Als sie auf den Stuhl trafen, stoppten sie und fuhren zurück in die offene Stellung. Danach passierte nichts weiter. Im Gegensatz zu normalen Fahrstuhltüren, wie die Mädchen sie kannten, schien diese Tür nun dauerhaft geöffnet zu bleiben.
„Gut gemacht!“, lobte Lena.
Neben dem linken Flügel gab es auch auf dieser Seite einen Schalter, über dem aber ein blaues Licht leuchtete. Auf Blickhöhe stand das Wort: ‚Zentrale‘.
Lena machte ihre Freundin darauf aufmerksam. „Zentrale, aha. Sind wir hier etwa auf einem Schiff? War die Ausstellung, die wir besuchten, vielleicht auf einem Schiff?“
„Möglich. Ich konnte dem Computer noch nicht viel entlocken. Die Menüsteuerung ist sehr umständlich und kontraintuitiv. Bis jetzt weiß ich nur, dass es hier irgendwo eine Krankenstation gibt, einen Raum für einen Captain, und etwas, das als ‚hydroponischer Garten‘ bezeichnet wird, aber mit einem lachenden Smiley dahinter.“
Lena, die schon ein paar Schritte weitergegangen war, zeigte nach links. „Hier ist die Krankenstation. Sollen wir reingehen?“
Yvonne zögerte einen Moment. Aber ihr fiel auf die Schnelle nichts Besseres ein. Und zum Untersuchen waren sie schließlich aus der Zentrale gekommen. „Da wir kaum etwas wissen, können wir uns auch dort umschauen.“
„Oder wollen wir nicht einfach nach den Jungs rufen?“, schlug Lena vor.
„Das würde ich noch nicht tun. Wir sollten vorerst niemanden unnötig auf uns aufmerksam machen. Zu unserer eigenen Sicherheit, meine ich. Wir müssen ja irgendwie an diesen Ort gekommen sein. Vielleicht hat uns jemand hierhergebracht.“
Lena sog erschrocken die Luft ein. Sie blickte sich um. Leise sagte sie: „Du meinst, jemand beobachtet und belauscht uns? Aber warum ist derjenige noch nicht in Erscheinung getreten? Wir waren bis jetzt nicht gerade leise. Glaubst du, wir sind in Gefahr?“
„Schon möglich. Andererseits wäre eine Zentrale ein denkbar schlechtes Gefängnis. Von Seiten der potentiellen Entführer gesehen, meine ich. Dort könnten wir ja alles steuern.“
„Du machst mir Angst.“
Yvonne legte ihrer jüngeren Freundin beruhigend den Arm um die Schultern. „Das wollte ich nicht, Lena. - Also, lass uns in die Krankenstation hineinschauen. Vielleicht bringt uns das weiter.“
Sie drückte auf den Schalter neben der Tür. Die grauen Flügel, die in der roten Wand gut zu sehen waren, glitten sanft auseinander.
Die Mädchen blickten in einen eher kleinen ärztlichen Untersuchungsraum. Sie sahen eine Liege, daneben ein vollständig hergerichtetes Bett mit einem Plastiküberzug. Es gab ein paar Schränke an den Wänden und einen Computer auf einem niedrigen Tisch in einer Ecke. Niemand hielt sich in dem Raum auf.
Lena blickte ihre Freundin fragend an. Diese bedeutete ihr, zunächst noch stehen zu bleiben. Als sich die Türflügel nach wenigen Sekunden wieder zu schließen begannen, hielt Yvonne ihre Hand dazwischen. Es gab eine leichte Berührung, und die beiden Hälften schoben sich wieder auseinander. Das Licht über dem Schalter wechselte von Grün auf Blau.
„Ich glaube, die Türen gehen automatisch wieder zu, außer, sie treffen auf ein Hindernis. Dann wird die Lampe blau, und der Eingang bleibt geöffnet. Vermutlich muss man sie dann manuell schließen.“
Sie blickte kurz nach links zur Zentrale. Die Tür am Ende des Ganges war immer noch vollständig geöffnet, das Schalterlicht ebenfalls blau.
Sie nickte Lena zu. Die beiden Mädchen betraten den Raum. Sie öffneten die Schränke, fanden aber nur das Erwartete, wenn auch ungewöhnlich wenig: ein paar eingepackte Einwegspritzen, Handschuhbehälter, einige beschriftete Röhrchen mit Tabletten. Der Computer war nicht in Betrieb. Die beiden sahen auf Anhieb auch keinen Knopf zum Einschalten. Nach dieser kurzen Durchsuchung verließen sie den Raum bereits wieder.
Zurück auf dem Gang drehte sich Lena um und drückte auf den Schalter. Zischend schlossen die Türflügel den Eingang. Das Licht wechselte von Blau zu Grün. „Deine Theorie stimmt. Gut zu wissen, dass wir nicht eingesperrt werden.“
„Heh“, sagte Yvonne und deutete auf die einzige andere Tür in diesem Gangabschnitt, „hier ist der Raum des Captains. Wenn wir irgendwo etwas erfahren, dann sicher dort.“
Sie wollte schon auf den Türöffner drücken, als Lena ihr in den Arm fiel.
„Warte! Was bedeutet diese kleine, tiefrote Lampe neben dem großen Grün hier?“, wies sie auf eine Stelle an der linken Wand.
„Ich weiß nicht“, antwortete Yvonne zögernd. Außer zwei unterschiedlich großen Lampen war an der Wand über dem Schalter nichts zu erkennen. „Aber gut, dass du es bemerkt hast. Ich habe das glatt übersehen. Vielleicht ist die Tür verschlossen?“, spekulierte sie.
„Wäre es dann nicht einfacher, das Grün auf Rot zu setzen. Immerhin kann die Lampe auch Blau anzeigen?“, zweifelte Lena.
„Hm. Da hast du wohl recht. Aber wer weiß, wer das hier alles geplant hat. Machen wir sie dennoch auf?“, fragte Yvonne nachdenklich. Sie schien ein wenig Angst davor zu haben.
„Später“, entschied Lena, die merkte, dass ihre Freundin im Moment ein wenig ihre normale Distanziertheit den Dingen gegenüber verloren hatte. „Lass uns erst schauen, ob wir anderswo etwas herausfinden.“
Die zwei Teenager gingen um die Kurve nach links und fanden eine weitere Tür, diesmal mit der Aufschrift ‚Technik‘, Da sie normal grün leuchtete, betätigten sie ohne Zögern den Öffnungsmechanismus und betraten eine Art Ersatzteillager. Elektrische Werkzeuge hingen an der Wand, wie sie sie bei einem Handwerker vermuteten. Es gab ein paar metallene Schränke. An einer Werkbank war eine lange, faustdicke Eisenstange zwischen zwei Platten eingespannt. Jemand schien sie gerade bearbeitet zu haben, denn auf dem Boden lagen Eisenspäne herum. Doch auch hier befand sich keine weitere Person außer ihnen im Raum.
„Sieht so aus, als habe derjenige, der hier arbeitet, den Raum nur mal eben verlassen und wolle gleich zurückkommen“, konstatierte Lena leise. Ihre Stimme zitterte. „Du hast also recht. Hier ist noch jemand. Aber kein Hinweis auf unsere beiden Jungs.“
Sie verließen den Raum wieder und folgten dem Gang weiter. Dieser machte einen scharfen Knick nach rechts und endete dann abrupt nach wenigen Metern. Eine Tür, oder besser, ein Schott wie der Eingang zur Zentrale, versperrte den Mädchen den Weg. Über dem Öffnungsschalter blinkte die Lampe in schnellem Rot. Die Flügel waren nicht ganz geschlossen. Durch einen etwa handbreiten Spalt konnten die Mädchen sehen, dass das gelbliche Licht sich fortsetzte. Ein lautes Brummen kam von der anderen Seite.
„Scheint defekt zu sein“, murmelte Yvonne, nachdem sie den Schalter mehrfach betätigt hatte und keine Reaktion erfolgt war. „Ich denke...“
Lena, die ein paar Schritte hinter Yvonne gegangen war, pfiff leise und bedeutete der Freundin, still zu sein. Sie winkte sie zu sich, denn sie hatte mit scharfem Blick etwas entdeckt, das Yvonne im Schummerlicht des Flures entgangen war.
Lena deutete auf den Boden. Die Mädchen sahen ein paar kleine, rote Flecken, die noch feucht glänzten.
Erschrocken weiteten sich Yvonnes Augen. Sie wollte gerade eine naheliegende Vermutung aussprechen, als Lena sie zur Seite hinter die Biegung des Ganges zog und ihr ins Ohr flüsterte: „Da war eine Bewegung auf der anderen Seite des Schottes!“
Kapitel 2 - Ein seltsames Brummen
Moritz rieb sich die Augen, blinzelte mehrmals schnell hintereinander und blickte sich verwundert um. Der Schleier, der die letzten Minuten dazu geführt hatte, dass er seine Umwelt nur sehr unscharf hatte wahrnehmen können, war glücklicherweise nun verschwunden.
„Aber viel zu sehen gibt es hier ja nun nicht gerade“, kommentierte er sarkastisch die Umgebung. „Genau genommen gar nichts.“
Der rechteckige Raum war vollkommen leer. Ein paar Neonröhren an der Decke tauchten ihn in fast schmerzhafte Helligkeit.
Moritz streckte seine Glieder, die sich noch etwas steif anfühlten. Er war vor wenigen Minuten in dieser Halle aufgewacht, hatte in verkrümmter Haltung auf dem Boden gelegen und sich gefragt, wie er hierhergekommen war.
„Wo sind die anderen?“, murmelte er, stand auf und trat zur nächstgelegenen Wand. „Gerade eben waren wir noch auf dieser Ausstellung über historische Raumflugkörper in New York, die Lena unbedingt sehen wollte. Und nun dieser leere Raum. Vielleicht ein Lager für Exponate, die nun eben ausgestellt werden?“
Er hob seine Stimme, blickte ziellos zur Decke und rief, während er sich in alle Richtungen drehte: „Hallo! Hört mich jemand? Mein Name ist Moritz Riesinger. Wo bin ich hier? Und wo sind meine Freunde? Und unsere Eltern?“
Er wartete eine Weile angespannt, doch es kam keine Antwort.
Plötzlich fiel sein Blick auf einen Schalter an der Wand. Ein grünes Licht leuchtete darüber, und daneben vermeinte er, einen schmalen, dunklen Spalt zu erkennen. Moritz wunderte sich, dass er das Licht nicht schon früher wahrgenommen hatte. Aber vielleicht hatte die grelle Hintergrundbeleuchtung es in den ersten Minuten für seine Augen einfach überlagert.
Er drückte vorsichtig auf den Schalter und kam sich dabei vor wie ein Versuchskaninchen. Aber was konnte er sonst in einem leeren Raum tun?
Mit einem leisen Zischen schoben sich zwei Türflügel zur Seite.
Moritz warf einen Blick durch die Öffnung und sah einen Gang, der bestimmt breiter war, als er groß. Nach einem Moment des Zögerns trat er hinaus. Hinter ihm schloss sich die Tür. Moritz fuhr herum. Er sah einen Schalter mit grüner Leuchte, drückte ihn, und die Tür schob sich wieder auf.
„Glück gehabt“, sagte er, ein wenig erleichtert, dass seine Gedankenlosigkeit keine Konsequenzen hatte. „Andererseits: in dem Raum gab es nichts. Warum sollte ich da nochmal hineinwollen?“
Er wandte sich um. Gegenüber sah er eine weitere Tür, zu seiner rechten Hand endete der Flur nach ein paar Metern an einem großen Schott, das die gesamte Breite ausfüllte.
Auf der anderen Seite bog sich der Gang in einer Linkskurve aus seinem Blickfeld.
„Zuerst mal das naheliegendste“, entschied Moritz und öffnete die Tür ihm gegenüber. Bevor er eintrat, las er das Schild über dem Öffnungsmechanismus: ‚Rettungsboothangar‘.
Als die Flügel sich öffneten, schaltete sich in der dahinterliegenden Halle das Licht ein. Moritz sah die flackernden Neonleuchten an der Decke, deren Licht sich Röhre für Röhre stabilisierte. Nach ein paar Sekunden strahlte alles in hellem, kaltem Weiß.
Der Hangar war riesig. Bestimmt zwanzig Meter ging es in Blickrichtung weiter. Aber Moritz konnte nur einen einzigen Gegenstand sehen: eine metallene Kugel, etwa drei Meter im Durchmesser in der Mitte der Halle. Der Junge trat näher. Das Metall schien starker Belastung ausgesetzt gewesen zu sein. Es wies Kratzer auf, matte, graue Bereiche neben tiefschwarz glänzenden Flecken. Moritz ging um die Kugel herum. Vorsichtig streckte er die Finger aus und berührte das Ding. Es fühlte sich kalt an.
Er sah einen kleinen Riss in Kopfhöhe. Dieser war auch deutlich zu spüren, als er langsam seine Hand darübergleiten ließ.
Er setzte seine Inspektion fort. Eine kreisrunde Öffnung kam in sein Sichtfeld. Sie ähnelte einem Bullauge, war nur viel größer. Vielleicht ein Einstieg?
„Soviel zu Rettungsboot“, konstatierte Moritz lapidar. „Das Ding war wohl schon einmal in Benutzung und hat jemanden retten müssen. Vielleicht doch ein Ausstellungsstück? Sieht irgendwie aus wie eine Raumfahrerkapsel. Aber waren die so groß? Und warum gibt es dann hier keine anderen Besucher?“
Er blickte ins Innere der Kapsel und sah vier Sitzgelegenheiten, angeordnet in zwei Zweierreihen. Am linken Rand der Luke hing ein Astronautenanzug, daneben ein Helm.
„Ob man damit Weltraumspaziergänge durchführen kann?“, fragte sich Moritz und versuchte, den Anzug zu berühren. Er reichte gerade so mit seiner ausgestreckten Hand hin, konnte das Material mit seinen Fingerspitzen berühren, den Anzug aber nicht greifen. „Oder ist es nur ein Druckanzug für Notfälle? Und warum nur einer, wenn das Ding vier Sitze hat?“
Er überlegte, ob er in die Kapsel klettern sollte, entschied sich vorerst aber dagegen. Sonst schien die Kugel nichts weiter zu enthalten, und außerdem gab es ja noch andere Türen zu untersuchen.
Moritz verließ den Hangar wieder. Er wandte sich nach links, ging bis zum Schott am Ende des Flures und betrat einen Raum mit dem Namen ‚Nahrungsproduktion‘. Die darunter hängende handschriftliche Notiz konnte er auf die Schnelle nicht entziffern.
Die Halle, etwa zehn auf zehn Meter im Quadrat, war erfüllt von einem leisen Summton. Moritz sah einen großen quaderförmigen Automaten, der die hintere Hälfte ausfüllte. Ein Display an dessen Vorderseite zeigte an, dass die Maschine in Betrieb war und Nahrung produzierte. Eine Auswahlliste war eingeblendet, doch Moritz hütete sich, die neben Befehlen wie ‚Notstopp‘ oder ‚Parametereingabe‘ befindlichen mechanischen Tasten zu betätigen.
Am rechten Rand der Maschine trat ein armdickes Rohr aus dem Kasten. Zähflüssiger grauer Brei ergoss sich daraus in halbtransparente Plastikbehälter. Nach einer definierten Menge stoppte die Breiabfüllung kurz, der Kanister wurde auf einem Rollband weitergeführt und verschlossen. Sofort nahm ein leerer Behälter den Platz unter dem Rohr ein, während der gefüllte durch eine Klappe in der Wand verschwand.
Moritz war so von dem Anblick gefangen, dass er erschrak, als plötzlich ein Stöhnen hinter ihm erklang. Er wandte sich um. In einer Ecke des Raumes, die Moritz erst jetzt bewusst wahrnahm, setzte sich gerade eine Gestalt mit schmerzverzerrtem Gesicht auf.
„Heh, Christian!“, rief Moritz und lief zu dem Freund.
Der Angesprochene ergriff dankend die Hand, die ihm hingehalten wurde, und stand mühsam auf.
Moritz ließ ihm ein paar Minuten Zeit zur Erholung, in denen er nichts sagte.
„Hi, altes Haus“, grüßte Christian schließlich. Seine Stimme war etwas kratzig. Er räusperte sich immer wieder. „Wo sind die Mädchen?“
Die beiden tauschten ihre Erfahrungen aus, wobei Christian nicht viel beisteuern konnte. Er erinnerte sich an das Museum, daran, dass sie alle vier gerade in die Halle des Space Shuttles gegangen waren. Danach setzte seine Erinnerung aus.
„Hier ist niemand sonst“, schloss Moritz seinen kurzen Bericht. „Lass uns mal ans andere Ende des Ganges gehen. Vielleicht können wir da mehr ausrichten.“
Christian nickte. Die beiden verließen den Produktionsraum, während hinter ihnen pausenlos ein Kanister nach dem anderen mit Brei befüllt wurde und in der Wand verschwand.
Der Boden des Ganges war weich, fast wie eine Tartanbahn. Die Wände waren eintönig hellgrau, und an der Decke hing eine durchgehende, handbreite, kaltweiß strahlende Lichtleiste.
Je weiter die Jungen kamen, desto schmaler wurde der Gang. Plötzlich machte er einen scharfen Knick nach links. Von einem Moment auf den anderen hörten die beiden ein lautes Brummen. Ein paar Meter vor ihnen endete der Gang bereits. Ein Schott aus den bekannten zwei Flügeln, das ein wenig in der Mitte geöffnet war, verhinderte das Weiterkommen.
Moritz drückte auf den Schalter der Türöffnung und ging automatisch weiter. Beinahe wäre er mit dem Kopf gegen das Schottmaterial geprallt, denn die Tür öffnete sich nicht. Er trat einen Schritt zurück und sagte laut zu Christian: „Seltsam. Bisher hat alles funktioniert.“
Mit ebenso lauter Stimme antwortete der Freund: „Wo kommt das Brummen her? Man muss ja fast schreien, um sich verständlich zu machen.“
„Keine Ahnung“, rief Moritz und näherte seinen Kopf dem Spalt der Tür an. Er blickte hindurch und sah einen Gang wie denjenigen, den sie gerade entlanggekommen waren. Nur Licht und Farbe der Wände waren anders. „Hallo?“, rief er durch die schmale Öffnung. „Jemand auf der anderen Seite?“
Er lauschte einen Moment und glaubte, trotz des Brummens auf dieser Seite, an das sich seine Ohren mittlerweile ein wenig gewöhnt hatten, huschende Schritte zu hören. Schnell machte er Christian ein Zeichen und rief wieder: „Keine Angst! Wir sind nur zwei Jungs, die irgendwie die Orientierung verloren haben. Vielleicht können Sie uns helfen und uns den Weg zurück zur Ausstellung zeigen? Wir jedenfalls tun niemandem etwas.“
Er lauschte. Eine Mädchenstimme rief schrill nur ein Wort: „Namen?“
Christian antwortete in ruhigem Tonfall: „Wir sind Schüler aus Deutschland. Mein Name ist Christian Thomas, mein Freund hier mit der vorlauten Klappe ist Moritz Riesinger.“
***
Lena wollte aufspringen und die paar Meter zum Schott laufen.
„Das könnte eine Falle sein“, flüsterte Yvonne und hielt sie zurück.
„Spinnst du? Hast du die Stimmen nicht erkannt?“
„Doch, ich glaube schon. Aber da ist dieses Brummen, das sie überlagert. Absolut sicher bin ich nicht. Und außerdem kann man Stimmen auch aufnehmen und vom Band abspielen.“
Lena war nicht überzeugt. „Und warum sollte jemand so etwas tun?“
Yvonne lachte kurz und trocken auf. „Warum sollte jemand irgendetwas hier tun?“
Sie dachte einen Moment nach. „Warte. Wir testen die da drüben mal.“
Und laut setzte sie hinzu: „Beweist es!“
Für einen Moment herrschte Stille. Dann kam eine Antwort, der man die Überraschung anhörte: „Yvonne, bist du das?“
Yvonne reagierte nicht. Für sie war die Wahrscheinlichkeit einer Falle noch zu hoch. So wartete sie geduldig, neben sich Lena, die jedoch ganz hibbelig war und zum Schott wollte.
„Nun“, war die Stimme von der anderen Seite, die sie als Christian identifizieren konnte, erneut zu hören. „Beweisen? Ich habe meinen Schülerausweis bei mir, den könnte ich durch den Spalt schieben. Aber vielleicht reichen ein paar Informationen: Du, Lena, Moritz und ich, wir haben uns den Namen ‚Halo-Clique‘ gegeben. Mit unseren Eltern sind wir auf einem Amerika-Trip und haben gerade eine Ausstellung über Raumfahrt in New York besucht. Genügt das?“
Lena stieß die Freundin in die Rippen. „Sie wissen mehr als wir. Das ist gut. Dann kommen wir hier vielleicht raus.“
„Vielleicht“, murmelte Yvonne zögernd. Laut fügte sie hinzu: „Das kann man alles nachlesen. Erzählt uns irgendetwas Persönliches.“
„Jetzt reicht's aber!“, ertönte die verärgerte Stimme, die sie als Moritz identifizierte. „Yvonne, oder Yvi, klapp deine Fallkiste auf. Du und Christian hattet euer erstes Date im Eiscafé. Was ihr gegessen habt, weiß ich nicht. Lena und ich haben uns auf einer Party einer Klassenkameradin näher kennengelernt. Eine Synthi-Pop-Party, wenn du es genau wissen willst. Die gespielten Lieder kann ich aber nicht runterrattern.“
Lena sprang auf. „Das reicht mir.“
Sie lief zum Schott. „Moritz, wie geht es dir?“
„Na endlich“, antwortete die Stimme ihres Freundes von der anderen Seite. „Könnt ihr das Schott öffnen? Bei uns geht dieser dämliche Mechanismus nicht.“
„Nein“, antwortete Lena bedauernd. „Auch hier scheint was defekt zu sein.“
Moritz hatte eine Idee. „Vielleicht können wir es aufhebeln? Habt ihr Werkzeug auf eurer Seite? Bei uns hier gibt es nur ein defektes Rettungsboot und ganz viel grauen Brei.“ Er lachte sarkastisch.
Yvonne, die mittlerweile ebenfalls nähergekommen und überzeugt war, es mit ihren Freunden zu tun zu haben, schlug vor: „Wartet. Im Technikraum gibt es eine lange Eisenstange. Wir holen sie.“
Lena und sie rannten zurück. Erst jetzt fiel ihnen auf, dass alle Zimmer, die sie betraten, immer sofort beleuchtet waren. Ob das Licht nie ausging? Oder sich beim Betätigen des Öffnungsschalters automatisch und blitzschnell aktivierte?
Sie kurbelten die beiden Platten der Werkbank auseinander. Polternd fiel die Eisenstange zu Boden. Es gab ein schepperndes Geräusch.
„Klang fast wie Beton“, meinte Yvonne und hob die Stange an einem Ende hoch. „Puh. Ganz schön schwer, aber ich kann sie ja ziehen. Nimm du da drüben den blauen Koffer, der auf dem Boden steht.“
Die beiden Mädchen schleppten keuchend das Zeug, das ganz schön Gewicht hatte, zurück zum Schott, wo auf der anderen Seite ihre Freunde ungeduldig warteten.
„Christian“, rief Yvonne, „ich schiebe die Stange etwa zur Hälfte auf dem Boden durch. Wir heben sie dann auf bequeme Höhe und versuchen, einen Hebel anzusetzen. Wenn wir alle das Schott anschauen und uns gegenüber stehen, versuchen wir auf mein Kommando, die Stange nach links zu hebeln, also von oben betrachtet im Uhrzeigersinn. Alles klar?“
Nach ein wenig Justieren gab Yvonne das Startzeichen. Die zwei Mädchen auf der einen Seite des Schottes und die beiden Jungen auf der anderen Seite drehten die Stange mit dosierter, aber zunehmender Kraft.
Die Hebelidee funktionierte. Die Türflügel schoben sich immer weiter auseinander. Als ein etwa 30 Zentimeter breiter Spalt entstanden war und die Kinder fast mit der Nase an dem Schottmaterial standen, befahl Yvonne zu stoppen, aber die Stange weiter mit Druck festzuhalten.
Kraftvoll stemmte Yvonne ihre Beine in den Boden. „Lena, stell den Koffer dazwischen, damit die Hälften auseinandergehalten werden.“
Lena bückte sich und schob ächzend und stöhnend den blauen Werkzeugkoffer zwischen die Türflügel.
Moritz schlüpfte zuerst durch den Spalt und umarmte stürmisch seine Freundin Lena. Danach folgte Christian. Ein sanfter Kuss zwischen ihm und Yvonne, ein zärtlicher Händedruck, dann ließen sich alle erschöpft auf den Boden sinken.
Nach dem Austausch des bisher Erlebten schloss Lena mit den Worten: „Wir dachten schon, es wäre euer Blut, das wir auf dem Boden gesehen haben.“
Moritz blickte bestürzt auf. „Blut? Unseres? Wir waren gar nicht auf dieser Seite. Oder zumindest nicht, nachdem wir aufgewacht sind. Wo habt ihr das Blut gesehen?“
Yvonne stand auf und ging ein paar Schritte. Sie blickte konzentriert zu Boden. „Äh, hier, glaube ich. Oder, Lena?“
Ihre Freundin suchte ebenfalls, konnte aber nichts Auffälliges erkennen. „Ja, es war hier. Da bin ich mir sicher.“
„Vielleicht ist es getrocknet?“, spekulierte Christian. „Aber nein, dann müssten Rückstände da sein. Seid ihr sicher, dass es Blut gewesen ist?“
Yvonne verneinte. „Das nicht. Lena sah eine Bewegung auf eurer Seite, da hatten wir keine Zeit, es näher zu untersuchen. Wir haben uns da hinter der Biegung versteckt.“
„Und uns getestet“, sagte Moritz. Etwas Ärger schwang immer noch in seiner Stimme mit.
„Wenn du Blut gesehen hättest, und dann eine Bewegung aus den Augenwinkeln an einem Ort, an dem du aufgewacht bist und nicht weißt, wie du da hingekommen bist, dann wärst du auch vorsichtig gewesen, wenn plötzlich jemand behauptet, dein Freund zu sein“, giftete Yvonne zurück.
Die vier Freunde schwiegen einen Augenblick.
„Was machen wir nun?“, fragte Christian. „Hat jemand eine neue Idee, wie wir hier rauskommen?“
Yvonne stand auf und strich ihr T-Shirt glatt. „Lasst uns zurück in die Zentrale gehen. Wir sollten die Terminals nochmal durchforsten.“
Gerade als sie sich auf den Weg machen wollten, fiel Christian etwas auf: „Leute, das Brummen ist weg. Oder irre ich mich? Hört ihr es noch?“
Die anderen lauschten angespannt, traten an den Spalt heran. Aber niemand stieg hinüber auf die andere Seite.
Das Brummen war jedoch wirklich nicht mehr zu hören.
„Vielleicht waren es die Motoren der Tür, die so gebrummt haben?“, vermutete Lena. „Und jetzt, nachdem die Tür weiter geöffnet wurde, haben sie sich abgestellt.“
„Nein, Lena“, widersprach Yvonne bestimmt. „Die hätten wir doch auch auf unserer Seite laut hören müssen. Aber das Brummen kam nur durch den Spalt. Und Türöffnungsmotoren, die nur in einer Richtung akustisch abgeschirmt sind, machen keinen Sinn. Ich glaube vielmehr, die Umwelt verändert sich. Das sieht nach externen Eingriffen aus.“
Kapitel 3 - In der Nähe eines Planeten?
In der Zentrale setzten sich Yvonne und Christian an die beiden Tastaturen und versuchten, dem System neue Informationen zu entlocken.
Nach ein paar Minuten rief Christian: „Hier! Ich habe was.“
Seine Freunde schauten auf den Bildschirm.
Christian zeigte ihnen eine stilisierte Grafik mit dem Titel ‚Energieverbrauch‘. Sie sahen einen Grundriss. Die Räume waren mit Kürzeln versehen. Ein Raum, benannt ‚Na. Pro.‘, leuchtete in intensivem Rot. Die Angabe ‚99.999%‘ prangte darüber.
„Dieser Raum benötigt fast die gesamte Energie, die hier irgendwo produziert wird“, sagte Moritz. „Kein Wunder. Diese ganzen Behälter mit dem Brei. Das herzustellen kostet bestimmt eine Menge Power. Nur, wozu das Ganze?“
Plötzlich ertönte ein ohrenbetäubendes Heulen. Die vier Kinder erschraken bis auf die Knochen und blickten sich verstört um. Aus den Lautsprechern neben dem riesigen Bildschirm an der Stirnwand drang eine künstlich klingende weibliche Stimme.
„Kollisionsalarm! Manuelle Reaktion erforderlich!“
Gleichzeitig schaltete sich der Bildschirm ohne Zutun der Kinder ein. Der Monitor war zu gut einem Drittel ausgefüllt von einem riesigen runden Objekt, einem Planeten in den Farben Braun, Gelb und Rot. Auffallend war ein großer Fleck, der einen guten Teil des Durchmessers ausmachte.
„Ist das...“, begann Moritz und riss die Augen auf.
Lena nickte. „Ja, das ist Jupiter. Der größte Planet unseres Sonnensystems.“
„Das heißt wohl, wir stürzen gerade in den Gasplaneten und werden verglühen!"
Für einen Moment herrschte Stille. Gebannt schauten die vier auf den Monitor. Aber das Bild änderte sich nicht.
„Was machen wir?“, rief Moritz. Leichte Panik schwang in seiner Stimme mit.
Yvonne trat einen Schritt vom Monitor zurück. „Das ist doch alles Quatsch!“, sagte sie fest. „Niemand wird mit Jupiter kollidieren.“
„Ja, hast du denn die Durchsage nicht gehört?“, rief Moritz. Die ganze Situation an diesem unbekannten Ort stellte sich so seltsam dar, dass ein ganz kleiner Teil seines Verstandes diese Kollisionsmöglichkeit zumindest in Betracht zog. „Tu was! Du hast doch sonst immer so gute Ideen. Nun zeige mal, dass du die Chefin bist!“
Yvonne lächelte. „Tue ich ja gerade. Ich sage euch, das hier ist alles ein Test. Wie das verklemmte Schott, wie das nicht mehr vorhandene Blut. Außerdem: Ist euch mal aufgefallen, dass wir nicht schwerelos sind? Und das müssten wir doch sein, wenn wir die ganze Zeit im Weltall geflogen wären, oder?“
Lena und Christian wurden nachdenklich.
Moritz aber ließ sich nicht beruhigen. „Schon mal was von Gravitationsgeneratoren gehört? Oder von konstantem 1‑g-Schub? Oder rotierenden Riesenrädern?“, fragte er mit ätzendem Unterton.
Yvonne konterte im gleichen Tonfall. „Schon mal was vom Unterschied zwischen Realität und Science-Fiction gehört? Und komm mir jetzt nicht mit Aliens, die uns entführt haben. Das ist Humbug. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, irgendjemand wirft uns hier Probleme vor die Füße und schaut, wie wir mit ihnen umgehen. Also, lasst uns das tun. Das drängendste Problem ist diese angebliche Kollision. Was macht man in so einem Fall?“
Christian hatte verstanden. Er setzte sich wieder an sein Terminal und ging mit fliegenden Fingern die Menüs und Befehle weiter durch. Nun, da er wusste, wonach er suchen musste, wurde er rasch fündig. „Hier ist der Autopilot. Aktuell ist er ausgeschaltet. Ich vermute mal, der würde wissen, was bei einem Kollisionsalarm zu tun ist. Soll ich ihn aktivieren?“, fragte er und blickte in die Runde. Er hatte den Menüpunkt bereits mit den Pfeiltasten ausgewählt. Seine Hand schwebte knapp über der Enter-Taste.
Seine Freunde nickten, und Christian drückte die Taste.
Der Alarm, der nach der initialen Meldung nur mehr leise im Hintergrund vor sich hin gejault hatte, verstummte nun ganz. Aber der Befehl hatte nicht die erhoffte Wirkung. Eine Meldung erschien, die alle Hoffnung auf ein schnelles Ende ihrer Situation zunichte machte: ‚Ausführung nicht möglich. Verfügbare freie Energie nicht ausreichend. Manueller Eingriff erforderlich.‘
Moritz gab ein verächtliches Schnauben von sich. „Manueller Eingriff erforderlich! Wofür, zum Henker, ist denn dieses Ding da, wenn es nichts selbst tun kann?“
Yvonne legte Christian eine Hand auf die Schulter. „Gut gemacht. Wir sind einen Schritt weiter. Um das Kollisionsproblem zu lösen, müssen wir das Energieproblem lösen.“
„Und wie?“, fragte Lena, der der wissende Unterton in der Stimme der Freundin nicht entgangen war.
„Nun, wenn es nicht genügend verfügbare freie Energie gibt, dann machen wir halt welche verfügbar. Wir schalten Verbraucher ab. Großverbraucher, um genau zu sein.“
„Heh“, rief Moritz. „diese blöde Nahrungsmaschine. Soviel Brei kann eh keiner essen. Kommt, lasst uns das Ding ausschalten. Dort habe ich eine ‚Notstopp-Taste‘ oder so was Ähnliches gesehen. Das geht ruckzuck, und dann sind wir raus hier. Denn ich habe einigen mir noch unbekannten Leuten ganz gehörig die Meinung zu geigen!“
Kapitel 4 - Die Frage nach der Farbe
Im Raum der Nahrungsproduktion hatte sich, seitdem die Jungs ihn verlassen hatten, nichts verändert. Nach wie vor verschwanden minütlich mit Brei gefüllte Behälter in der Wand. Das leichte Summen lag ebenfalls noch in der Luft.
Irgendwie war es gespenstisch, diese automatische Anlage ohne Menschen zu sehen.
Die vier Schüler standen vor dem Display, das weiter die Moritz schon bekannten zwei Optionen anbot: ‚Notstopp‘ und ‚Parametereingabe‘.
Moritz blickte seine Freunde an. „Ich nehme mal an, dass ‚Notstopp‘ wohl zu einfach wäre, oder?“
Yvonne nickte. „Aber versuche es trotzdem. Vielleicht hilft uns die Reaktion des Automaten weiter.“
Moritz betätigte die kleine rechteckige Taste neben dem Display, die sich auf Höhe der ‚Notstopp‘-Anzeige befand.
Ein paar Sekunden lang zeigte die Maschine keine Reaktion, dann änderte sich aber die Monitoranzeige. Moritz lachte, als er den fast schon wörtlich so erwarteten Text vorlas: „Stopp nicht durchführbar. Manuelle Eingabe notwendig. - Tja, Leute, ohne uns läuft hier nix.“
Doch die Meldung blieb nur kurze Zeit auf dem Monitor, dann sprang die Anzeige wieder um zum Menü. Moritz drückte auf die ‚Parametereingabe‘-Taste. Etwas anderes konnten sie aktuell ja nicht tun.
Plötzlich schob sich ein kleines Tablett unter dem Bildschirm aus der Maschine heraus. Die Kinder erschraken und sprangen einen Schritt zurück.
Auf dem Tablett lag eine Art Computertastatur, und ein dünnes Kabel verschwand in der Produktionsanlage. Die Tasten waren sehr klein, aus blauem Gummi und nahe beieinander angeordnet. Man musste sehr genau zielen und vielleicht den kleinen Finger nehmen, um sie sauber zu treffen. Aber es war eine sehr abgespeckte Tastatur, die nur aus den 26 Buchstaben des Alphabets und ein paar Steuertasten bestand.
Als das Tablett vollständig ausgefahren war, änderte sich die Bildschirmanzeige wieder. Nun sahen die Freunde ein kleines Feld mit einem Text. Dieser ruckte sekündlich eine Position nach links, so dass der erste Buchstabe verschwand und ein anderer am rechten Rand neu hinzukam.
Darunter stand die unverständliche Aufforderung: „Stopp-Farbe in Klarnamen eingeben.“
„Was, zum Teufel, ist eine Stopp-Farbe?“, fragte Christian.
„Vielleicht rot-weiß?“, schlug Moritz mit einem Grinsen vor.
Aber zum Lachen war niemandem zu Mute.
„Lass doch mal deine blöden Witze!“, fuhr Christian ihn an.
Lena hatte die ganze Zeit auf die rollende Botschaft geschaut. „Leute, ist euch mal aufgefallen, dass der Text hier nur aus den Buchstaben A, C, G, T besteht? Keine Leerzeichen, keine Ziffern, auch keine anderen Buchstaben aus dem Alphabet. Das hat doch bestimmt etwas zu bedeuten. Wartet mal...“ Gedankenverloren starrte sie in die Luft.
Moritz zuckte ratlos mit den Schultern. „Muss ein Code sein. Oder kennt jemand eine Farbe nur aus diesen vier Buchstaben? Ich nicht.“
Auch die anderen hatten diesbezüglich keine Idee. Ratlosigkeit spiegelte sich nun auf drei Gesichtern. Nur Lena stand immer noch vor dem Display und überlegte. Sie schien eine Ahnung zu haben.
„Hm“, sagte sie schließlich. „Es gibt eine... Sprache, die nur aus diesen vier Buchstaben besteht. Erinnert ihr euch nicht?“
Moritz seufzte. „Wir haben Ferien. Auf Raten habe ich keine Lust. Wenn du uns hier rausbringen kannst, bitte, tue es einfach! Ich wäre dir für immer und ewig dankbar.“
Lena lächelte ihren Freund an. „Ja, mit Ferien liegst du gar nicht so falsch. Wir hatten das im letzten Halbjahr. Erinnert ihr euch wirklich nicht? Der genetische Code! Die Bausteine des Lebens!“
„Nur dunkel“, antwortete Moritz und gähnte. „Da war irgendwas mit Genen, Umschreiben und Eiweißproduktion oder so.“
Lena fasste ihn an der Schulter. „Genau. Und der genetische Code besteht nur aus A, C, G, T. Das sind Abkürzungen für die chemischen Grundbausteine.“
Als sie den genervten Blick ihres Freundes sah, lachte sie. „Gut, ich lasse die Namen weg.“
„Du meinst“, warf Yvonne ein, „dass dieser Text hier ein Gen darstellt? Und dass die Maschine dieses Gen in ein Protein umschreibt. Und das kostet Energie.“
Moritz ging zum Förderband. „Dieses graue Zeugs da soll Eiweiß sein? Brr!“, zweifelte er.
Die Mädchen nickten. „Ich glaube schon“, antwortete Lena.
„Aber“, fragte Christian. „Wie hilft uns dieser Text beim Abschalten? Irgendwie stehe ich auf dem Schlauch.“
„Jungs, Lena hat eine sehr gute Idee gehabt. Jedes Gen hat einen Anfang und ein Ende. Sonst wüsste die Zelle ja nicht, was sie herstellen soll. Und das End-Zeichen - oder End-Triplett, denn es sind immer Dreierblöcke, die eine Information tragen -, also das End-Zeichen wird auch Stopp genannt.“
„Genau!“, sagte Lena. „Und in der Geschichte der Biologie wurden die Stopp-Wörter entdeckt, als man Fliegenmutanten untersuchte. Die hatten andere Augenfarben als die sonstigen Fliegen. Der Grund war, dass sie ein Stopp-Wort hatten, das an bestimmte Positionen nicht hingehörte, oder irgendwie nicht richtig verstanden wurde. Das weiß ich nicht mehr so genau. Da war was mit Bernstein oder so. Wir müssen also herausbekommen, welches Stopp-Wort das Gen hier im Display hat und dann die Farbe der Fliegenaugen herausfinden. Und dann diesen Farbnamen hier eingeben.“
„Gut“, meinte Moritz. „Wie viele Stoppfarben gibt es? Und wie heißen sie?“
Lena zuckte bedauernd mit den Schultern. Und auch sonst wusste niemand eine Antwort darauf.
„Trotzdem. Wir sind etwas näher an einer Lösung des Energieproblems dran. Wir müssen zuerst mal die Gensequenz abschreiben von diesem Display. Wir brauchen also Schreibzeug. Hat jemand zufällig Bleistift und Papier bei sich?“
Das hatte niemand, und die Rucksäcke, in denen Schreibzeug verstaut war, hatte, wer auch immer hierfür verantwortlich war, ihnen nicht gelassen.
Aber Moritz konnte sich eine ironische Bemerkung nicht verkneifen. Er murmelte: „Wir können ja mit dem Brei wie Kleinkinder auf den Boden malen.“
Er hatte jedoch nicht leise genug geflüstert. Seine Freunde hatten jedes Wort verstanden und grinsten. Sogar Christian.
Yvonne ging zur Tür. „Lasst uns in den Captain's-Raum gehen. Dort waren wir noch nicht. Und wenn dies hier alles ein Test ist, dann werden wir dort Hinweise finden.“
Kapitel 5 - Moritz in Gefahr
Vor dem Schott zum Raum ‚Captain‘ in der Nähe der Zentrale leuchtete weiter das kleine rote Lämpchen neben dem großen grünen Feld.
Nach einem fragenden Blick auf ihre Freunde drückte Yvonne auf den Öffnungsmechanismus. Fast hatte sie erwartet, dass keine Reaktion erfolgen würde. Aber die Türflügel schoben sich auf, wie alle anderen auch.
Die vier wussten immer noch nicht, wozu das rote Lämpchen gut war.
Es zischte etwas, als das Schott offenstand. Sie vermeinten, einen schwachen Luftzug in das Zimmer hinein zu verspüren.
Der Raum war etwa so groß wie die Krankenstation. Und, wie alles andere an diesem Ort, recht kärglich eingerichtet. Ein Schreibtisch, auf dem ein sehr dickes Buch mit weiß-blauem Cover lag, dessen Titel man von der Tür aber nicht lesen konnte. Ein Tresor in der Wand, dessen Tür einen Spalt offenstand, eine Couch. Das war alles.
Christian schaute den Freund scharf an. „Sag's nicht, Moritz!“
„Vorsicht!“, warnte Yvonne. „Das könnte eine Falle sein. Wir sollten nicht alle reingehen. Und auf jeden Fall die Tür aufhalten.“
Als die Flügel wieder zufuhren, stellte sie einen Fuß dazwischen. Für eine Sekunde hielten alle die Luft an. Aber es geschah, was bisher immer geschehen war. Die Hälften öffneten sich wieder, und das grüne Licht wechselte zu Blau.
Moritz trat über die Schwelle, dicht gefolgt von seiner Freundin. „Dann schauen wir uns mal um.“
„Oder so“, konstatierte Christian. „Dann bleiben wir eben draußen.“
Yvonne nickte grimmig. Es gefiel ihr nicht, dass Moritz so überhastet gehandelt hatte. Neben der Tür stehend, immer noch den Fuß auf der Schwelle, blickte sie sich weiter aufmerksam im Captain's-Raum um.
„Also“, sagte Lena. „Irgendwie zieht es hier, finde ich.“
Sie trat an den Schreibtisch und betrachtete das dicke Buch. „Ein Biochemie-Kompendium.“ Sie schlug es auf. Direkt zwischen Einband und Schmutzseite lag ein Blatt Papier. Oder besser gesagt, ein halbes Blatt Papier. Lena nahm es in die Hand und blickte darauf. Sie sah nur unverständliche dreibuchstabige Wörter darauf. Aber - auch diese bestanden nur aus A, C, G, T.
„Heh, hier ist noch etwas, das mit Genen zu tun hat!“, rief sie aufgeregt. Das musste eine Spur sein.
Plötzlich ertönte ein Geräusch hinter ihr, und sie drehte sich um.
Moritz stand neben dem Tresor, hatte ebenfalls ein Stück Papier in der Hand, stützte sich aber an der Wand ab. Er atmete heftig.
„Moritz!“, rief Lena besorgt und ließ ihr Papier achtlos fallen.
Als sie mit wenigen Schritten bei ihrem Freund war, sank der gerade auf die Knie. Er röchelte. Sein Gesicht war rot. Es sah geschwollen aus.
Lena wollte sich gerade hinknien, als sie Yvonnes Schrei hörte: „Lena, raus da! Hier gibt es irgendwo ein Leck! Die Atmosphäre entweicht. Um Moritz kümmert sich Christian!“
Sie gab ihrem Freund ein Zeichen.
Der hatte schon verstanden, holte ein paar Mal tief Luft und rannte in das Zimmer. Er zerrte Lena zurück und wies mit der Hand auf den Ausgang. Er selbst griff Moritz unter die Arme und zog ihn rückwärtsgehend auf den Gang hinaus.
Das Ganze hatte nur ein paar Sekunden gedauert.
Als alle vier wieder im Gang waren, knallte Yvonne ihre Hand auf den blauen Knopf, und die Tür schloss sich.
Christian legte den Freund flach auf den Boden und versuchte, mit seinen Fingern am Hals den Puls zu fühlen. Er selbst verspürte keine Beschwerden, er war ein guter Taucher und konnte die Luft mehrere Minuten anhalten.
Lena stand mit kalkweißem Gesicht und schreckgeweiteten Augen daneben. Sie flüsterte: „Wie geht es ihm? Ist er...“
Christian legte ihr beruhigend eine Hand auf den Arm. „Nein, Lena. Er atmet selbstständig. Der Puls ist regelmäßig, aber schwach. Wir sollten ihn in die Krankenstation bringen, von der ihr erzählt habt. Vielleicht finden wir da etwas zum Stabilisieren des Kreislaufs.“
Lena verlor für einen Moment die Beherrschung. Sie blickte zur Decke und schrie voller Wut: „Ihr habt fast meinen Freund umgebracht! Das werdet ihr büßen, wer immer ihr seid!“
Yvonne versuchte, sie zu beruhigen, konnte die Freundin aber verstehen. Nach einem simplen Test sah das nun nicht mehr aus. Was wurde hier gespielt?
Nach dem Aufwachen und dem ersten Schreck über ihre Situation, hatte sie das Ganze sogar schon als sportlich-geistige Herausforderung gesehen. Aber wenn jemand von ihnen in Gefahr geriet, hörte der Spaß auf. Dies hier war eine knallharte Entführung, und dieser Vorfall eben Körperverletzung. Da hatte Lena schon recht, irgendjemand würde sich dafür verantworten müssen.
Sie trugen Moritz in die Krankenstation und legten ihn auf die Untersuchungsliege. Christian fand in einem der Schränke ein Tablettenröhrchen mit der Aufschrift: ‚zur Kreislaufstabilisierung‘. Das wäre genau das richtige.
Nur, wie sollten sie es Moritz verabreichen? Er war bewusstlos und konnte es nicht selbst trinken. Und niemand von ihnen hatte je gelernt, wie man eine Spritze setzt.
Lena war total verzweifelt. Sie hielt Moritz' Hand und murmelte immer wieder: „Hoffentlich kommt er durch. Hoffentlich.“
Nur wenige Minuten später regte sich Moritz aber plötzlich. Er hatte die letzten Worte wohl gehört und antwortete schwach: „Natürlich komme ich durch, Kleines.“
Lena umarmte ihren Freund und weinte vor Erleichterung.
Dann erhob sich Moritz langsam von der Liege und sagte: „Also, ab zur Rettungskapsel. Da gibt es einen Druckanzug. Und dann gehen wir noch einmal da rein. Im Safe lag dieses Stück Papier. Und da standen Farbnamen drauf.“
***
Christian und Yvonne rannten zum Rettungsboothanger. Yvonne hatte ihre Freunde ungern zurückgelassen. Sie hielt eine Trennung für keine gute Idee. Immerhin waren sie schon einmal auf verschiedenen Seiten eines Schotts aufgewacht. Was, wenn bei ihrer Rückkehr nun der Mittelgang plötzlich verschlossen war? Aber Moritz war noch zu schwach, um den Weg zum Hangar mitzugehen. Es gab also zur kurzzeitigen Trennung keine Alternative.
„Okay, dann wollen wir mal“, sagte Christian und ging zur Luke.
Wo Moritz mit seinen kurzen Armen gescheitert war, hatte Christian, der der Größte der Gruppe war, keine Probleme.
Vorsichtig griff er mit beiden Händen hinein und konnte den Anzug gut greifen. Er zog ihn langsam heraus und achtete aufmerksam darauf, nicht die Innenwandung der Lukenöffnung zu berühren. Wie leicht konnte dabei der so wichtige Anzug beschädigt werden!
„Ich habe ihn“, sagte Yvonne, als sie das Bekleidungsstück entgegengenommen hatte. Sie ging ein paar Schritte von der Kapsel weg und breitete den Anzug vorsichtig aus.
Christian hatte währenddessen den Helm gegriffen und ebenfalls aus dem Rettungsboot herausgeholt.
Yvonne blickte ihren Freund an und nahm seine Hand. „Ich nehme an, du willst reingehen?“
Christian nickte. „Klar. Falls das Ding hier nicht dicht ist, habe ich die besten Chancen, wieder heil rauszukommen.“ Er strich Yvonne übers Haar. „Es wird alles gut gehen. Ich weiß es. Außerdem will uns hier doch niemand schaden.“
Yvonne wischte sich verstohlen eine Träne aus den Augen. Bis zu der Sache mit Moritz hätte sie diese Aussage unterschrieben. Jetzt aber nicht mehr.
Sie hatte Angst.
***
Christian stand in Druckanzug und Helm vor der Tür zum Captain's-Raum. Seine Freunde hatten sich einige Meter entfernt versammelt. Niemand wusste, wieviel Atmosphäre noch in dem Raum war. Vielleicht würde die Luft aus dem Gang mit voller Wucht in das Vakuum einströmen?
Aber jeder wollte sehen, was geschah. Sie hofften, dass sie schnell genug reagieren konnten, falls etwas bei Christian schieflaufen sollte.
Nach einem kurzen Blick zu seinen Freunden drückte Christian auf den Öffnungsknopf. Die kleine rote Lampe hatte ihre Farbe intensiviert, zeigte wohl nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ einen Unterdruck im Raum an.
Sobald die beiden Flügel einen genügend großen Spalt bereitstellten, sprang Christian hindurch.
Er blickte an sich herunter. Nein, sein Druckanzug, der ja mit 1 bar Gangluft gefüllt war, erschien ihm nicht aufgeplustert.
Also Vakuum herrscht hier schon mal definitiv nicht, dachte er beruhigt.
Christian lies seinen Blick durch das Zimmer schweifen. Rasch fand er die zwei halben Papierstücke. Jemand schien ein Blatt auseinander gerissen zu haben, denn die beiden unregelmäßigen Seiten passten wie Puzzlestücke zusammen.
Er trat zum Tresor, an dem Moritz zusammengebrochen war. Allzuviel Zeit hatte er nicht mehr. Sein Anzug besaß keine eigene Luftversorgung. Nur das, was sich in Helm und Anzug befand, blieb ihm zum Atmen.
Er musste sich beeilen. Christians Blick fuhr Zentimeter für Zentimeter die Wand entlang.
Da! Er bemerkte ein kleines Loch. Als er seinen Finger darauflegte, schien dieser angesaugt zu werden.
Okay, dachte Christian. Das ist also das ‚Loch‘. Nichts weiter als eine Pumpe, die hier Luft heraussaugt. Wahrscheinlich sogar nur, wenn einer von uns hier drin ist. Nur, warum ist Moritz dann zusammengebrochen?
Doch diese Frage verschob er auf später.
Rasch klemmte er sich noch das Biochemie-Buch unter den Arm, griff nach einem Kugelschreiber und lief zur Tür. Wieder draußen schloss er sofort das Schott zu diesem gefährlichen Raum.
Christian riss sich den Helm vom Kopf und atmete gierig ein. Es war schon recht eng gewesen.
Kapitel 6 - Bernstein
Yvonne stand vor dem Monitor des Nahrungsautomaten und las die Buchstaben laut vor, die links herausfielen. Lena kniete auf dem Boden und schrieb alles auf eine leere Seite im Biochemie-Buch nieder. Immer sechs Buchstaben, dann ein Leerzeichen, und alles sorgfältig in mehreren Spalten angeordnet.
Yvonne hatte einen Plan entwickelt. Sie mussten zuerst die Gensequenz herausfinden. Und falls diese Nachricht immer weiterrollte, müsste sich ab einem gewissen Punkt die Buchstabenfolge wiederholen. Sie hoffte, dass dies kein ultralanges Gen war, das tausende von Stellen hatte. Dann würden sie alle noch ewig hier sitzen.
Plötzlich rief Lena: „Ich glaube, ich habe eine längere Wiederholung gefunden.“
Die vier zuletzt aufgeschriebenen 6er-Blöcke waren identisch mit den allerersten vier notierten.
Die anderen beugten sich über das Aufgeschriebene.
Yvonne nickte. „Ja, da wiederholt sich was. Warte!“
Sie lief wieder zum Display zurück und las ein paar Dutzend weitere Buchstaben vor. Lena suchte ein wenig, bis sie diese Folge gefunden hatte. Aber es passte alles zusammen. Etwa 30 Positionen hinter den vier Anfangsblöcken kam die von Yvonne vorgelesene Buchstabenfolge.
Sie hatten einen Teil der Gensequenz gefunden!
„Und wo ist jetzt dieses ominöse Stoppwort?“, fragte Moritz, der sehr wohl wusste, dass ihm das eigentlich auch hätte bekannt sein müssen. Schließlich besuchte er ja den naturwissenschaftlichen Zweig des Gymnasiums. Genau wie Yvonne.
„Wir müssen erst die richtige Startposition finden. Ignoriere Lenas Leerzeichen. Die waren nur für ihre Mustererkennung notwendig“, antwortete Yvonne und setzte sich neben die Freundin auf den Boden.
„Also, von der Wiederholungsposition zurück, bis wir den Start gefunden haben. Das Buch hat uns da viel geholfen. Suchen wir nach den Buchstabentriplett ATG. In einem 6er-Block, aber auch überlappend zum nächsten. Und, wenn ich recht habe und die Gensequenz auf dem Display immer wieder im Kreis rotiert, müsste direkt davor das Stopp-Wort sein. Also eins von den Sechsen hier auf dem zusammengesetzten Papier.“
TAG amber
TGA opal
TAA ochre
TGG mauve
TAC apricot
TCG olive
Die Mädchen suchten konzentriert. Nur wenige Minuten später hatten sie schließlich die hoffentlich richtige Sequenz: TAG ATG identifiziert. Es gab andere ATG-Stellen, aber vor diesen stand keine der obigen Stopp-Sequenzen. Sie hofften, dass es keine weiteren als diese sechs gab. Und einen Hinweis, dass es sich so verhielt, hatten sie. Im Biochemie-Lehrbuch gab es insgesamt nur drei Stopp-Wörter. Die obersten drei ihrer Liste.
„Unser Stopp wäre ‚amber‘“, sagte Lena.
Die vier stellten sich im Halbkreis vor die immer noch ausgeklappte Tastatur. Yvonne blickte sich, wie häufig an diesem Tag, fragend um. Niemand hatte Einwände, und so tippte sie: A M B E R. Und dann ‚Enter‘.
Es vergingen ein paar lange Sekunden, in denen nichts geschah. Gespannt warteten die vier Freunde.
Dann aber sahen sie, wie aus dem Rohr der Maschine immer weniger Brei tropfte. Das Förderband stoppte.
Und auf dem Display erschien die erhoffte Meldung: ‚Außer Betrieb‘.
Neben dem Förderband öffnete sich eine Tür, die so fugenlos in die Wand eingelassen war, dass keins der Kinder sie gesehen hatte.
Sie waren frei.
***
Ein paar Stunden später traten alle aus dem Büro des Museumsdirektors. Dieser hatte sich wortreich entschuldigt und versprochen, den an Moritz' Unfall Schuldigen zu finden und der Polizei zu übergeben. Allerdings hatte er den Eltern der Kinder auch auf wiederholtes Nachfragen nur ausweichende Antworten gegeben, was denn nun hier genau geschehen war und wo die vier sich die ganze Zeit befunden hatten.
Der Direktor hatte nur von einem technischen Versagen gesprochen.
Die Halo-Clique und ihre Eltern verließen die Ausstellung und gingen durch eine kleine Grünanlage zum Parkplatz. Alle waren sich einig: Museumsbesuche konnten ihnen für die nächste Zeit gestohlen bleiben.
Lena war etwas zurückgefallen, hatte sich gebückt, um ihre Turnschuhe neu zu schnüren. Unbeabsichtigt verschwand sie hinter einer Sitzbank. Da hörte sie zwei Stimmen, die sich ihr näherten. Sie erkannte den Direktor wieder. Die Frauenstimme allerdings hatte Lena noch nie zuvor gehört.
„Wer ist für diese Panne verantwortlich?“, fragte der Museumsdirektor mit schneidender Stimme.
„Keine Ahnung, wie die vier in die Testhalle gekommen sind. Ist aber auch egal. Wir haben, was wir wollten.“
Der Direktor schnaubte. „Die Eltern der Gören haben mir gerade die Hölle heiß gemacht.“
„Nun reg dich mal ab. Ja, der eigentliche Test hätte erst mit den morgigen Kandidaten durchgeführt werden sollen. Aber die vier Kinder heute werden in ein paar Stunden alles vergessen haben. Die Dosis war eben für andere Personen berechnet worden, da ist der zeitliche Verlauf der Wirkung nicht so genau vorhersagbar. Hast du den Eltern auch etwas gegeben?“
„Hältst du mich für blöd? Natürlich. Die haben alle den gespikten Kaffee getrunken. In ein paar Stunden sind wir aus dem Schneider. Dennoch: So etwas darf nicht mehr passieren.“
Die Frau winkte ab. „Aber die morgige Testgruppe kann nach unseren Extrapolationen auch nicht besser abschneiden als diese große Braunhaarige.“
Lena linste durch die Lehne der Bank hindurch und sah, wie die Frau auf einen Zettel schaute. Glücklicherweise waren die beiden nur langsam gegangen und jetzt sogar stehengeblieben. Sie wähnten sich offensichtlich alleine.
„Ja, ich weiß. Sie heißt Yvonne Ostermann. Was ist mit ihr?“
„Sie hat mit Abstand die höchste Punktzahl, die je ein Subjekt in unserem Testszenario erreicht hat.“
Der Direktor schien nachdenklich zu werden. „Hm. Ist sie geeignet?“
„Definitiv. Sie könnte das richtige Signal generieren.“
„Gut. Dann schnappt sie euch. So schnell wie möglich. Ich habe die Adresse des Hotels.“
Lena wurde weiß im Gesicht, als sie das hörte.
Ihre Freundin Yvonne war in Gefahr!
Vielleicht sogar in Lebensgefahr!
Und sie, Lena, musste Yvonne warnen, bevor sie selbst vergessen hatte, warum und weshalb.
Weiter hinter der Bank kauernd, wartete sie voller Angst, was vielleicht jede Sekunde mit ihr passieren konnte, bis die beiden Belauschten um die nächste Wegbiegung verschwunden waren.
Rasch holte sie Stift und Block aus ihrem Rucksack und schrieb eine kleine Notiz über das eben Gehörte. Wie in der Testhalle auch, setzte sie als Authentizitätsnachweis eine Information darunter, die nur sie und Moritz kannten: den genauen Ort, an dem sie sich das erste Mal geküsst hatten.
Lena atmete auf, als sie die Botschaft komplett formuliert hatte und immer noch alles wuste, was an diesem Tag geschehen war.
Der erste Schritt, den Plan der Ganoven zu stoppen, war getan.
Kapitel 7 - Yvonne wird entführt
Im Sprint sah Lena aus der Ferne gerade noch, wie Yvonne mit Christian und den Ostermanns in einen der beiden großen Wagen einstieg, welche die Gruppe der vier Jugendlichen und vier Erwachsenen für die Dauer des Amerikaaufenthaltes beim Hotel gemietet hatte.
Sie rief laut Yvonnes Namen und winkte wie verrückt, aber aufgrund des steigenden Straßenlärms, je weiter sie aus dem Park herauskam, hörte sie niemand.
Der Wagen mit ihrer Freundin fädelte sich nach kurzem Blinken in den Verkehr der mehrspurigen Straße ein und war kurz darauf in den Fahrzeugkolonnen verschwunden.
Keuchend kam Lena bei ihrem Freund und dessen Eltern an. Japsend stützte sie sich an Moritz' Schulter ab und sagte: „Yvonne ist in Gefahr!“
Herr Riesinger, der gerade den Kofferraum schloss und um den Wagen zur Fahrerseite gehen wollte, hob überrascht die Augenbrauen. „Was sagst du da, Lena?“
„Ja, es stimmt. Der Direktor will sie entführen. Wir müssen sie retten!“
Frau Riesinger griff die total aufgeregte Schülerin an den Schultern. „Beruhige dich erst einmal, Lena, und dann erzählst du in Ruhe. Wie kommst du darauf, dass Yvonne in Gefahr schwebt?“
Lena hatte vor Angst die Augen weit aufgerissen. Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus. „Ich habe den Direktor und eine Komplizin belauscht. Es ist so...“
Sie erzählte in kurzen, knappen Sätzen und unterstrich ihre Worte mit eindringlichen Gesten. Doch die Mienen von Herrn und Frau Riesinger zeigten Skepsis. Diese verringerte sich auch nicht, als Lena den von ihr zur Sicherheit beschriebenen Zettel mit der Eigenerinnerung zeigte.
Moritz aber sprang seiner Freundin zu Hilfe. „Wenn Lena das sagt, dann stimmt es auch. Lasst uns auf jeden Fall Yvonne anrufen. Wir haben ja Autotelefon.“
„Nun gut“, meinte Frau Riesinger, aber ihre Miene zeigte weiterhin an, dass sie das Ganze für pure Phantasie hielt.
Doch Lena war es egal. Die Hauptsache war, die Freundin zu warnen.
Moritz' Mutter beugte sich an der Beifahrerseite in den Wagen hinein und - tat nichts.
Nach ein paar Sekunden kam sie wieder hervor, blickte sich verwirrt um und sah den Hinweis auf die Raumfahrtausstellung am Parkeingang. „Wie sind wir denn hierher gekommen?“
Moritz schaute entgeistert. „Mama, geht es dir nicht gut?“
Auch Herr Riesinger blickte seine Frau besorgt an. Doch bevor er etwas sagen konnte, wurden seine Augen für einen Moment starr. Dann fragte er mit verlegener Stimme: „Kinder, wir wollten ja heute in die Ausstellung. Aber wer hat uns denn hierher gebracht?“
Lena hielt sich erschrocken eine Hand vor den Mund. Die andere hatte sie in Moritz' Oberarm gekrallt. „Es geht los! Die Droge wirkt! Wir werden alles vergessen! Und Yvonne...“
Wenige Sekunden später standen auch Moritz und Lena stocksteif da und wussten nicht, wie sie zur Ausstellung gekommen waren, wie lange sie schon vor dem Museum parkten, oder was sie den ganzen Tag bis jetzt getan hatten.
***
Die Ostermanns hatten den Weg zum Hotel eingeschlagen, wo die acht Urlauber beratschlagen wollten, wie es weiterging.
Die Seitenscheiben waren halb heruntergekurbelt. Der Fahrtwind kühlte ein wenig. Die Eigenvibrationen der Karosserie, gepaart mit dem vorbeirauschenden Verkehr, füllten den Innenraum mit einer lauten Hintergrundkulisse.
„Also“, begann Frau Ostermann, „ich finde, wir sollten das nicht auf sich beruhen lassen. Eine halbgare Entschuldigung für so eine Panne, das kann es doch nicht gewesen sein.“
Sie drehte sich nach hinten um und fragte besorgt: „Yvi, bist du wirklich in Ordnung? Und du, Christian, auch?“
Yvonne verzog das Gesicht, als sie den ungeliebten Spitznamen hörte, wollte sich aber in dieser Situation nicht auf ein Streitgespräch darüber einlassen. So nickte sie nur, und auch Christian bestätigte, dass alles in Ordnung war. Außer einem gehörigen Schreck war die ganze Sache glimpflich ausgegangen.
„Idiot!“, fluchte Herr Ostermann plötzlich und hupte verärgert.
Ein schwarzlackierter Wagen scherte vor ihm ein. So nahe, dass ein Auffahrunfall nur durch eine schnelle Reaktion von Yvonnes Vater hatte vermieden werden können.
Yvonne blickte auf. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass auch links neben ihnen ein dunkler Wagen fuhr. Und auch hinter ihnen.
Sie machte Christian ein Zeichen. „Fast wie eine Begleitkolonne, wenn wir VIPs wären.“
Christian grinste. „Na, vielleicht will der Direktor sicherstellen, dass auf dem Weg zum Hotel nicht noch eine Panne passiert, die er zu verantworten hat.“
Wieder fluchte Herr Ostermann. „Was soll das? Die drängen uns ab!“
Der Wagen vor ihnen bremste kontinuierlich. Zuerst verringerte sich nur der Abstand zwischen Yvonnes Fahrzeug und dem davorfahrenden, dann aber musste Herr Ostermann ebenfalls die Geschwindigkeit drosseln. Gleichzeitig schloss der Wagen von hinten auf und klemmte sie fast schon ein. Und das dritte Auto auf der linken Seite kam immer näher. Fast berührten sich die Karosserien.
Herrn Ostermann blieb nichts anderes übrig, als in die nächste Abzweigung nach rechts einzubiegen, wollte er einen Zusammenprall vermeiden.
Immer langsamer wurde das Quartett in der ruhigeren Seitenstraße, bis schließlich alle Wagen anhielten. Sofort öffneten sich die Türen der fremden Autos. Drei vermummte Gestalten sprangen heraus.
Yvonne drückte geistesgegenwärtig auf die Verriegelung der Tür im Fond und kurbelte das Fenster hoch. Laut rief sie: „Sperrt ab! Überfall oder Autodiebstahl!“
Die drei dunklen Gestalten blieben vor und neben dem Wagen der Ostermanns stehen und hielten plötzlich gefährlich aussehende Maschinenpistolen in der Hand. Wo diese herkamen, hatte Yvonne nicht gesehen. Vielleicht hatten die Angreifer diese die gesamte Zeit über getragen und sie nur gegen die dunkle Kleidung gepresst.
Einer der Bewaffneten winkte herrisch mit seiner Pistole. Yvonne glaubte nicht, dass der Wagen kugelsicher war. Sie wollte ihrem Vater schon eine entsprechende Bemerkung zuraunen, als Herr Ostermann, demonstrativ und an die Angreifer gerichtet, den Kopf schüttelte.
Daraufhin hob die Gestalt, die vor ihnen stand, die Waffe und feuerte aus kurzer Distanz mehrmals auf die Kühlerhaube. Mühelos durchschlugen die Salven das Metall.
Die Botschaft war eindeutig.
Herr Ostermann schaute seine Frau an, dann die Kinder - und drückte den Knopf für die Zentralverriegelung. Die Türen öffneten sich. Die vier stiegen aus und blieben bewegungslos direkt neben der Karosserie stehen.
Eine der Gestalten griff nach Yvonnes Oberarm und wollte sie wegziehen, doch Christian sprang dazwischen, trat dem Angreifer mit voller Wucht ans Schienbein und schmetterte ihm, als der Typ sich vor Schmerzen ein wenig nach vorne beugte, eine Faust in die Seite.
Doch der Erfolg währte nur kurz. Nur eine Sekunde später erhielt Christian einen harten Schlag mit einem schweren Gegenstand in den Rücken und fiel röchelnd zu Boden.
„Christian!“, rief Yvonne voller Angst und wollte sich losreißen, kam aber gegen den unbarmherzigen Griff nicht an. Herr Ostermann machte einen Schritt auf die Angreifer zu, doch da ertönte wieder ein Schuss. Nur eine Handbreit neben ihm schlug eine Kugel auf den Asphalt und prallte als Querschläger davon.
Auf dem Bürgersteig hatten sich die wenigen Passanten zu Boden geworfen. Niemand bewegte sich mehr. Und auch der Verkehr an sich war zum Erliegen gekommen, als die ersten bemerkt hatten, dass hier eine Schießerei im Gange war.
„Let's go! Police response time is close!“
Einer der Ganoven warf ein kleines Stück Papier auf den Boden. Eine kurze Nachricht stand darauf: „Wait in your hotel room! We'll call about Yvonne.“
Dann stießen sie Yvonne in einen der schwarzen Wagen, sprangen selbst hinein und brausten davon. Das Ganze hatte kaum mehr als zwei Minuten gedauert.
Lenas schlimmste Befürchtung hatte sich bewahrheitet.
Die Ostermanns und Christian sprangen in den Wagen und preschten in Richtung Hotel.
Niemand wunderte sich, warum das Auto nach den Schüssen überhaupt noch fuhr.
Niemand hatte den Zettel mit der Aufforderung mitgenommen. Warum auch? Sie wussten ja, was daraufstand.
Und in ihrer Angst um Tochter und Freundin dachten sie auch nicht an die Polizei, die auf dem Weg hierher war und die ihnen in dieser Situation am ehesten helfen konnte.
***
Als die Riesingers und Lena verwirrt und ohne Gedächtnis im Hotel angekommen waren, fanden sie drei nicht minder verwirrte Menschen vor. Auch Yvonnes Eltern und Christian wussten nicht, was sie die letzten Stunden getan hatten.
Lena dachte für einen Moment an eine leere Kreidetafel, so nichtssagend waren die Blicke der drei. „Christian! Was ist mit euch? Und wo ist Yvonne?“
„Lena“, sagte Herr Ostermann mit zitternder Stimme, „wir wissen es nicht. Irgendwie sind wir drei in diesem Zimmer aufgewacht. Das letzte, woran wir uns erinnern, ist das gestrige Abendessen. Aber seitdem - Leere! Und wo unsere Tochter ist? Ich weiß es nicht.“
Lena wurde bleich. Wortlos nahm sie der ebenfalls geschockten Frau Riesinger den Zettel aus der Hand, den sie selbst auf der Fahrt hierher wieder und wieder gelesen hatte. Sie hatte ihre Schrift erkannt und die Warnung an sich selbst gelesen.
Nun reichte sie diese an Yvonnes Vater. „Ich glaube, Yvonne ist vom Museumsdirektor verschleppt worden.“
Danach waren sich alle Erwachsenen einig. Es gab nur eins zu tun. Herr Ostermann hob den Telefonhörer ab und wählte 911, den amerikanischen Notruf.
Die Polizei musste her.
Kapitel 8 - Ein seltsames Funksignal
Langsam nur kämpfte sich Yvonnes Verstand aus der Ohnmacht wieder an die Oberfläche zurück. Mühsam hob sie die Lider ein wenig. Grelles weißes Licht blendete sie unerträglich.
Es dauerte ein paar Minuten, bis die bleierne Müdigkeit halbwegs zurückgedrängt worden war. Endlich konnte Yvonne darangehen, herauszufinden, was mit ihr geschehen war.
Durch wiederholtes schnelles Öffnen und Schließen hatte sie ihre Augen mittlerweile an die künstliche Beleuchtung gewöhnt. Yvonne befand sich in einem kleinen, quadratischen und fensterlosen Raum mit vielleicht vier Metern Seitenlänge.
Die Schülerin war allein. Sie saß mit ausgestreckten Beinen mitten im Raum auf einem halb zurückgeklappten Stuhl, der einer Sonnenliege glich. Vor sich, etwa zwei Meter entfernt an einer Wand, stand ein Fernsehschirm auf einem kleinen Tischchen, daneben ein Desktop-Computer.
Yvonne wollte aufstehen. Doch das gelang ihr nicht.
Da erst bemerkte sie, dass ihre Hand- und Fußgelenke an den Stuhl gefesselt waren.
Panik stieg in ihr auf. Laut schrie sie: „Was soll das? Lasst mich hier raus! Sie machen sich strafbar.“
Dann fiel ihr ein, dass sie sich ja in Amerika befand, und sie wiederholte ihren Ruf auf Englisch.
Etwa eine Minute später hörte sie ein Geräusch hinter sich und drehte den Kopf, soweit es ihre Haltung zuließ. Doch sie konnte nicht sehen, woher der Laut gekommen war.
„Ganz ruhig, Yvonne!“, sagte eine männliche Stimme auf Deutsch, aber mit starkem amerikanischen Akzent.
Die Stimme kam der Entführten irgendwie bekannt vor. Dann trat eine vermummte Gestalt in ihr Gesichtsfeld. Sie trug eine schwarze Skimaske, die kleine Löcher für Augen, Nase und Mund aufwies.
Die Panik unterdrückend, funkelte Yvonne den Mann böse an. „Lassen Sie mich gehen! Das ist Freiheitsberaubung!“
Doch der Kerl ging nicht auf ihre Worte ein, schaltete stattdessen den Computer an. „Wir brauchen deine Hilfe.“
Yvonne schnaubte. „Und Sie glauben, mit dieser Entführung kriegen Sie die?“
Der Mann nickte. „Eher, als hätte ich dich gefragt. Es ist ganz einfach. Wir zeigen dir gleich etwas und messen dabei deine Gehirnströme. Danach geben wir dir ein Medikament, das dich alles vergessen lässt, was du in den letzten 24 Stunden erlebt hast, du kommst zu deinen Eltern zurück. Und wir gehen alle unserer getrennter Wege.“
Yvonne zerrte an ihren Fesseln. Das wütende Blitzen in ihren Augen war stärker geworden, aber ihr Verstand klarer. Der Widerstandswille in ihr wurde immer größer. Yvonne hasste Situationen, in denen sie nicht die Kontrolle hatte.
Doch sie mahnte sich selbst zur Besonnenheit. Vielleicht war es besser, zum Schein auf diesen Irren einzugehen. Yvonne beschloss daher, sich vorerst ruhig zu verhalten.
Der Mann kam auf die Gefesselte zu. Er trug eine Reihe an Kabeln in seinen Händen, die er wohl aus den Schubladen unter dem Computer genommen hatte, und schauteYvonne fragend an: „Bleibst du still liegen und kooperierst? Oder muss ich dir ein muskellähmendes Mittel geben? Es würde alles verzögern. Und ich habe schon zu lange warten müssen. Außerdem würde es mir für dich Leid tun.“
Purer Hohn!, dachte Yvonne, aber sie nickte, um anzuzeigen, dass sie keine Scherereien wollte. Wenn sie erst gelähmt war, konnte sie mit Sicherheit nicht entkommen.
Der Kerl setzte ihr etwa zwei Dutzend kleine Metallplättchen an verschiedene Stellen ihres Schädels auf und zog den Computertisch, dessen Rollen Yvonne jetzt erst sah, zu sich. Der Mann verband die Kabel mit dem Rechner und justierte irgendetwas per Tastatur. Schließlich zeigte der Monitor, der nun etwa einen Meter vor Yvonne auf der linken Seite stand, einen schwarzen Hintergrund, auf dem ab und an farbige Linienstücke aufglühten und wieder verloschen. Das leise Brummen des Röhrenbildschirms mischte sich mit einem Ventilatorgeräusch.
Yvonne wusste, was das war: eine Luftkühlung für einen der neuen Prozessoren, die so schnell rechneten, dass die Abwärme nicht einfach über einen passiven Kühlergrill abgegeben werden konnte. Auch das Zuse-Gymnasium, das die Halo-Clique besuchte, besaß einen dieser Super-Rechner.
„Okay, fangen wir an!“, sagte der Entführer und klatschte in die Hände.
Wieder hörte Yvonne hinter sich ein Geräusch. Es war wohl eine Tür, die sich öffnete. Eine zweite Gestalt, ebenso vermummt, trat zu dem Mann und gab ihm ein seltsames Objekt. Doppelt so groß wie ein Topf, aber eher in Tresorform. Es glänzte anthrazitfarben.
Irgendwie unheimlich, dachte Yvonne, die das Ding aus niedergeschlagenen Augen sehen konnte. Sie wagte nicht, den Kopf zu drehen.
Nur den Kerl nicht reizen!, dachte sie.
„Schau dir das Teil mal an!“, forderte der Mann sie auf und hielt ihr den Doppeltopf entgegen. Er drückte auf einen Schalter an einem kleinen Gerät, und sofort fuhr Yvonnes Stuhl fast in die Senkrechte.
„Ein schwarzes, komisches Teil. Was ist das?“, fragte sie und war für einen Moment wirklich daran interessiert.
„Ein Artefakt aus dem Weltraum“, sagte die männliche Stimme leichthin.
„Was soll das?“, zischte die zweite Gestalt, und Yvonne war sicher, dass die, wenn auch nur geflüsterte Stimme, zu einer Frau gehörte. „Warum gibst du das preis?“
Der Mann lachte leise. „Ist doch egal, was wir ihr erzählen. Sie wird bald sowieso alles wieder vergessen haben.“
„Jaja, Weltraum“, spottete Yvonne und hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. Nicht reizen, schalt sie sich in Gedanken. „Woher wollen Sie das wissen? Oder ist das wieder so ein blöder Test wie in diesem angeblichen Raumschiff mit unserem Sturz auf den Jupiter?“
Ruckartig drehten sich die Köpfe der beiden Entführer zu ihr.
„Was weißt du darüber?“, fragte der Mann leise. Seine Stimme klang gefährlich, aber auch erstaunt.
„Wie - was weiß ich darüber? Ich war dabei. Und meine Freunde und ich, und auch ein paar Eltern, waren ja auch im Büro des Direktors der Ausstellung.“
Die beiden Gestalten traten in eine Ecke des Raumes. Doch Yvonne konnte aufgrund der Akustik, welche die beiden Ganoven nicht berücksichtigt hatten, dennoch alles, was geflüstert wurde, gut verstehen.
„Wieso weiß sie noch davon?“, fragte der Mann. „Sie hätte längst alles vergessen müssen, selbst bei nicht optimaler Dosis.“
„Das Mittel wirkt nicht“, konstatierte die Frau. „Also, halt dich zurück und erzähle ihr nicht jeden Mist, den sie nicht wissen muss!“
Ohne eine Antwort zu geben, trat der erste Entführer zu Yvonne und hielt ihr das Artefakt direkt vor die Augen. „Spürst du etwas Besonderes?“
„Nein. Aber vielleicht sollte ich es anfassen?“
So ein Quatsch!, dachte die Schülerin. Was schwafelt der da bloß?
Der Mann drückte ihr den Doppeltopf in die rechte Hand. Seine Augen blickten angespannt.
Der erwartet wirklich, dass etwas geschieht, wunderte sich Yvonne. Seine Augen flackern irre. Der steht kurz vor dem Durchdrehen.
Aber es passierte natürlich nichts.
„Binden Sie meine Hände los, damit ich es selbst richtig anfassen kann. Vielleicht merkt das Artefakt, dass ich es nicht freiwillig tue.“
Fast musste sie lachen, bei dem Blödsinn, den sie da von sich gab. Wäre die Situation nicht so ernst, sie nicht wirklich entführt, das Ganze hätte etwas Comichaftes.
Doch der Mann band sie wirklich los. Zumindest eine Hand.
Yvonne überlegte kurz, ob sie zuschlagen sollte, sah aber noch keinen Sinn darin. Sie war mit Manschetten, die einem kurzen Gürtel mit Schnalle ähnelten, an den Stuhl gefesselt. Selbst, wenn sie den Mann k.o. schlagen konnte, die Frau wäre schneller bei ihr, als sie die zweite Hand oder gar die Füße befreien konnte.
So streckte sie nur die freie Hand aus, berührte das Artefakt, hob es hoch und stellte es auf ihrem Bauch ab. Das Ding war erstaunlich leicht, das Material fühlte sich absolut hart an.
Aber wieder geschah nichts.
„Das bringt doch nichts“, sagte die Frau. „Das haben wir alles überprüft. Das Teil reagiert nur auf Funkimpulse. Nun zeig ihr endlich die Aufgabe.“
Der Mann grummelte, schien die Meinung seiner Komplizin nicht vollständig zu teilen. Dennoch tippte er auf der Computertastatur herum, bis auf dem Bildschirm ein wirres Muster aus hellen und dunklen Kacheln erschien. Farbige Punkte blitzten darin vereinzelt auf, verschwanden aber nur wenige Sekunden später wieder.
Yvonne blickte auf den Monitor und hatte keine Ahnung, was gerade geschah.
„Schau auf das Muster und entspanne deinen Geist! Deine Gehirnwellen werden gemessen und per Funk abgestrahlt. Das Artefakt analysiert diese“, sagte der Mann. „Es dauert etwa zehn Minuten, dann wissen wir, ob du uns helfen kannst.“
Yvonne enthielt sich eines Kommentars.
So lag sie die nächsten Minuten bewegungslos auf der Liege, blickte auf den Monitor, nahm aber nicht wahr, was sie da sah, sondern dachte fieberhaft darüber nach, wie sie die Verrücktheiten der beiden Entführer für ihre Zwecke ausnutzen konnte.
Währenddessen verschoben sich die Muster, verwandelten sich zu Wellen, wie man sie auch auf Oszillographen sah. Und immer wieder änderte sich das Bild für einen Bruchteil einer Sekunde radikal, um dann wieder zu dem langweiligen Muster zurückzukehren. Yvonne konnte nicht ausmachen, was da aufblitzte.
Wollen die mich hypnotisiren?, fragte sie sich. Aber wozu?
Sie verspürte jedoch keinerlei Müdigkeit. Wenn dieser Monitor sie einzulullen versuchte, so schlug sein Vorhaben fehl.
Die Minuten verstrichen, aber Yvonne fiel einfach kein Fluchtplan ein.
Doch plötzlich rief sie „Autsch!“ und ließ das Artefakt los. „Das Ding wird heiß.“
Sofort kamen die beiden Ganoven näher. Der Mann griff nach dem Artefakt, doch auch die Frau streckte den Arm danach aus. Für Yvonne sah es so aus, als kämpften die Entführer darum, wer dieses komische Ding bekommen sollte.
Und dann wurde es hektisch.
Das Artefakt sprang auf. Es hatte wohl wirklich die Funktion eines Tresors. In einem kleinen Innenraum lag ein handtellergroßes Schächtelchen. Der Mann, der näher an der Öffnung stand, stieß einen Jubelruf aus und griff danach. Gier blitzte in seinen Augen auf.
„Unsterblichkeit!“, kreischte er irre.
Da schlug die Frau so kräftig auf ihn ein, dass der Kerl stöhnend zu Boden ging. Das Kästchen entglitt ihm und rutschte in eine Ecke des Raumes. Sofort rannte die Entführerin los, hob es auf und war im nächsten Moment aus dem Raum verschwunden. Wütend und schreiend folgte ihr der Ganove.
Yvonne hatten sie völlig vergessen. Die Schülerin löste, so rasch sie konnte, die Manschetten und war frei. Zumindest konnte sie sich ungestört in diesem Raum bewegen.
Rasch öffnete sie die Tür ein wenig und blickte auf den Flur.
Leer.
Sie wollte gerade hinaushuschen, als sie Fußgetrappel hörte.
Verdammt!, fluchte Yvonne. Die haben Verstärkung gerufen!
Fieberhaft überlegte sie, was sie tun konnte. Viele Verstecke gab es nicht. So kauerte sie sich hinter den Computerschrank auf den Boden, linste aber daran vorbei. Natürlich würde man sie dort problemlos finden. Aber sie hatte ein, zwei Sekunden des Überraschungsmomentes auf ihrer Seite. Und Yvonne war entschlossen, diese zu nutzen.
Auf dem Flur knallte es plötzlich. Yvonne zuckte zusammen, da sie im ersten Moment glaubte, es wäre ein Schuss gefallen. Doch dann erkannte sie das Geräusch. Jemand hatte eine Tür eingetreten, deren Blatt innen gegen eine Wand geflogen war.
Wenige Sekunden später ertönte ein lautes und deutliches „Clear!“.
Da wusste Yvonne, dass sie ohne Sorge den Flur betreten konnte.
Sie war gerettet!
Die amerikanische Polizei - von wem auch immer gerufen - war eingetroffen!
***
Ein paar Minuten später wurde Yvonne, flankiert von zwei schwerbewaffneten Polizisten mit Schusswesten, auf denen in großen Buchstaben ‚SWAT‘ stand, aus ihrem Kurzzeit-Gefängnis herausgebracht. Die Gymnasiastin wunderte sich nicht, als sie erkannte, dass man sie ins Museum entführt hatte. Denn mittlerweile war ihr wieder eingefallen, woher sie die Stimme des männlichen Ganoven kannte.
Der Direktor des Raumfahrtmuseums hatte sie verschleppt.
Für ein Ding, das ihn seiner Meinung nach unsterblich machte.
So ein Quatsch!, dachte Yvonne wieder.
Da hörte sie aus der Ferne vielstimmig ihren Namen und blickte auf.
Alle waren da: ihre Freunde Christian, Lena und Moritz, ihre Eltern und die Riesingers.
Yvonne rannte los und fiel Christian um den Hals.
Der Tag - vollgepackt mit einer tollen Ausstellung, einem irrwitzigen Aufgabenlabyrinth, einer Entführung und zwei irren Ganoven - war endlich vorbei.
Und Yvonne hatte viel zu erzählen, war sie doch die einzige, bei der die Amnesiedroge nicht wirkte. Sie konnte sich an alles erinnern.
Das Artefakt interessierte aber niemanden. Sollten sich die Polizei oder die lokalen Wissenschaftler damit herumschlagen.
Die Halo-Clique und die sie begleitenden Erwachsenen hatten jedenfalls genug von ihrem Urlaub. Gleich am nächsten Tag ging es zurück Richtung Heimat.
ENDE
Inspirationsquellen
- das Textadventure „Ungewollt im All“ (2022), das ich für den Schneider CPC geschrieben habe: Taylor wacht in einem Raumschiff auf, das im All treibt und muss - unter Energiemangel - einen Weg zurück zur Erde finden.
- der Film „Space Camp“ (1986): Eine Gruppe von Jugendlichen wird aus Versehen mit dem Space Shuttle in einen Erdorbit geschossen und muss eine Landung managen.
- die Fernsehserie „Silverpoint“ (2022): Außerirdische Artefakte testen Gruppen von Jugendlichen auf das Vorhandensein besonderer (Team)-Fähigkeiten, um damit eine Welt retten zu können.
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