Die Käsereibe

4,50 Stern(e) 4 Bewertungen

solowasser

Mitglied
Da steht eine Käsereibe in der Küche. Ich, kaum über den Tischrand ragend, schaue die Käsereibe ratlos an. Ich stupse sie an und sie fällt auf den hellen Dielenboden. Ich greife beherzt nach ihr. Später schimpft mich meine Mama, nachdem sie mir auf jede Hand ein Pflaster geklebt hat. Ein Stück Haut geht verloren. Nein, nicht verloren. Ein Stück Haut vermischt sich mit dem hellen Dielenboden, gesellt sich zu allerlei Haar, Horn, Staub und Dreck.

Es gibt Spaghetti Bolognese und es steht eine Käsereibe auf dem Esstisch. Geduldig stehe ich über meinem Teller, die Reibe in der Hand. Das mit der Käsereibe ist lustig, ich mache es gerne. Käse fällt auf die rote Soße, die auf den gelben Nudeln liegt. Der Käse fällt so schön, dass ich gar nicht mehr aufs Reiben achte. Ein Stück Haut geht verloren. Nein, nicht verloren. Ein Stück Haut vermischt sich mit der roten Soße und den gelben Nudeln, gesellt sich zu allerlei Fleisch, Weizen, Parmesan und Wasser.

Ich betrete eine leere Wohnung. Alles riecht nach billigem Pressholz, etwas lackiert. Die Möbel sind zu weiß. In der Küche steht ein Esstisch und auf dem Esstisch steht eine Käsereibe. Es ist eine kleine Käsereibe. Behutsam stelle ich sie in den Schrank, da wo schon ein paar Teller und Schüsseln stehen. Achtlos nehme ich einen der Teller heraus und fasse in die Käsereibe. Ein Stück Haut geht verloren. Nein, nicht verloren. Ein Stück Haut vermischt sich mit den Pressholzplatten, gesellt sich zu allerlei Spießen, Lack, Nägeln und Baumresten.

Mit einem hastig zusammengepackten Rucksack stehe ich im Flur. Ich rieche nichts und schmecke nichts und höre nichts. Ich versuche ruhig zu atmen, während alles pocht und rast. Nur Zuschauer meiner Gedanken. Ohne nachzudenken, packe ich den Rucksack aus. T-Shirts, Tassen, Fotos rollen heraus. Ich greife tiefer hinein und spüre etwas spitzes. Ich ziehe die Käsereibe hervor. Ein Stück Haut geht verloren. Nein, nicht verloren. Ein Stück Haut vermischt sich mit den Rucksackresten, gesellt sich zu allerlei Stoff, Fasern, Salz und Krümeln.

Ich richte mich in meinem Bett auf und vor mir steht ein Teller mit hastig zusammengestellten Lebensmitteln. Ich erspähe eine Karotte, vielleicht Erbsen und Hühnchen. Wo ist der Käse? Ich klingele nach der Schwester. Halt! Wo ist die Käsereibe? Verwirrt schaue ich auf den Teller und sehe ein Stück Parmesan. Ich beginne zu reiben, erst behutsam dann immer fester und immer schneller. Ich fliege aus dem Bett. Alles ist weiß, so wie die Möbel in meiner ersten Wohnung. Ein bisschen was ist rot. Das Blut, die Tomatensoße. Ein Stück Haut geht verloren. Nein, nicht verloren. Ein Stück Haut vermischt sich mit dem platt gelegenen Bett, gesellt sich zu allerlei Desinfektionsmittel, Pflastern, Tabletten und Tumoren.

Ein Stück geht immer verloren, bis keines mehr da ist. Nein, nicht verloren. Das letzte Stück Haut vermischt sich mit allen letzten Resten, mit all dem Horn, all den Haaren, all dem Staub. Das Universum zuckt kurz und läuft dann über. Himmel nochmal: es geht wieder von vorne los.
 



 
Oben Unten