Arno Abendschön
Mitglied
Pottenstein ist das Zentrum der Fränkischen Schweiz. Rund um den Ort jede Menge Felsen. Von jedem Gasthof sieht man einen Felsen und von jedem Felsen einen Gasthof. Die einzeln stehenden Cafés heißen immer Mühle, aber außer Kaffee wird in ihnen nichts mehr gemahlen.
Wir zwei haben gerade in einer Mühle Platz genommen. Die Kellnerin fragt nach unseren Wünschen. Dabei sächselt sie stark. Wir bestellen jeder ein Stück Pflaumenkuchen und eine Tasse Kaffee. Sie wiederholt ungenau: „Zweimal Pflaumenkuchen und zweimal Kaffee.“ In mir steigt ein fürchterlicher Verdacht auf. Tatsächlich, sie bringt zwei Kännchen. Nun ist die nächste Mühle einen Kilometer entfernt – vielleicht gibt es auch dort den verdammten Kännchenzwang? Und wir wollen den Bus nehmen, der in einer knappen Stunde geht. Wir mucken also nicht auf. Und von diesem Blümchenkaffee kann ohnehin keiner eine Herzattacke bekommen. Dafür ist der Kuchen vorzüglich.
Die Kellnerin unterhält jetzt das Rentnerehepaar am Nebentisch. Ihr großes Thema ist der Diabetes mellitus; nahe liegend, wenn man in einem Café arbeitet. Sie selbst, sagt die Kellnerin, brauche unbedingt fünf Mahlzeiten am Tag, sonst bekomme sie „Unterzucker“. Das Wort – ihr sollt es lassen stahn – kommt ihr mit jedem Satz erneut über die Lippen: „Unterzucker, Unterzucker!“ schallt es durchs Café. Der alte Mann sagt: „In der Gefangenschaft haben wir fast nichts zu essen bekommen, trotzdem hatte keiner Unterzucker.“ Die Kellnerin beharrt auf ihrer Theorie der Unterzuckerung. Sie kommt ihm mit der Wissenschaft, mit Schwächegefühlen und drohendem Kollaps. Er bleibt unbeeindruckt.
Dann ist ihr Freund dran, der hat zu viel Zucker. „Ist von heute auf morgen gekommen. Musste gleich anfangen zu spritzen. Keine Tabletten, gleich Spritzen. Das ist immer so bei diesen schweren Fällen …“ Der Kuchen schmeckt nicht mehr ganz so gut. Vielleicht bin auch ich bald so ein schwerer Fall?
Wir zahlen. Bevor wir gehen, suche ich das WC. (Häufiger Harndrang ist typisch für Diabetes.) Im Flur grüßt mich der Wirt, er verschwindet sofort durch eine Tür. Ein Schild weist mir den Weg. Man muss über den Hof gehen, das WC ist auf der Rückseite des Hauses. Umso überraschter bin ich, als ich im Pissoir den Wirt vorfinde, er Igel, ich Hase. Er fühlt sich zu einer Konversation verpflichtet. Dabei hasse ich Toilettengespräche. Ich bekomme prompt eine Harnverhaltung, wie peinlich.
Er fragt: „Ihr Begleiter – es ist Ihr Vater?“ – „Nein, mein Freund – und er ist Jahre jünger als ich.“ Nun ist es ihm peinlich. Er will es gutmachen und fragt nach Woher, Wohin und Weshalb: „So, Urlaub? Eine Ferienwohnung in A …? Vier Wochen lang – ja, sagen Sie mal, wird Ihnen das nicht langweilig?“ – „Aber hören Sie, als Wirt hier dürften Sie so etwas eigentlich nicht sagen …“
Jetzt sucht er den Schaden zu begrenzen: „Es war nicht bös gemeint.“ Aber er traut mir nicht mehr und retiriert verdächtig schnell aus der Retirade. Endlich erreiche auch ich den Zweck meines Aufenthaltes dort.
„Wo hast du nur so lange gesteckt?“ fragt nachher mein Freund. Als ich ihm umständlich den Weg zu jenem Ort erkläre, fällt mir die Kellnerin ins Wort, nimmt ihn beinahe bei der Hand (als wäre er mein Enkel, fünf Jahre alt) und verschwindet mit ihm. Sie benutzen jene geheimnisvolle Tür, die sonst dem Personal vorbehalten ist.
Fränkische Schweiz, du Schlupfwinkel deutschen Gemüts, bewahre dir deine Einfalt!
Wir zwei haben gerade in einer Mühle Platz genommen. Die Kellnerin fragt nach unseren Wünschen. Dabei sächselt sie stark. Wir bestellen jeder ein Stück Pflaumenkuchen und eine Tasse Kaffee. Sie wiederholt ungenau: „Zweimal Pflaumenkuchen und zweimal Kaffee.“ In mir steigt ein fürchterlicher Verdacht auf. Tatsächlich, sie bringt zwei Kännchen. Nun ist die nächste Mühle einen Kilometer entfernt – vielleicht gibt es auch dort den verdammten Kännchenzwang? Und wir wollen den Bus nehmen, der in einer knappen Stunde geht. Wir mucken also nicht auf. Und von diesem Blümchenkaffee kann ohnehin keiner eine Herzattacke bekommen. Dafür ist der Kuchen vorzüglich.
Die Kellnerin unterhält jetzt das Rentnerehepaar am Nebentisch. Ihr großes Thema ist der Diabetes mellitus; nahe liegend, wenn man in einem Café arbeitet. Sie selbst, sagt die Kellnerin, brauche unbedingt fünf Mahlzeiten am Tag, sonst bekomme sie „Unterzucker“. Das Wort – ihr sollt es lassen stahn – kommt ihr mit jedem Satz erneut über die Lippen: „Unterzucker, Unterzucker!“ schallt es durchs Café. Der alte Mann sagt: „In der Gefangenschaft haben wir fast nichts zu essen bekommen, trotzdem hatte keiner Unterzucker.“ Die Kellnerin beharrt auf ihrer Theorie der Unterzuckerung. Sie kommt ihm mit der Wissenschaft, mit Schwächegefühlen und drohendem Kollaps. Er bleibt unbeeindruckt.
Dann ist ihr Freund dran, der hat zu viel Zucker. „Ist von heute auf morgen gekommen. Musste gleich anfangen zu spritzen. Keine Tabletten, gleich Spritzen. Das ist immer so bei diesen schweren Fällen …“ Der Kuchen schmeckt nicht mehr ganz so gut. Vielleicht bin auch ich bald so ein schwerer Fall?
Wir zahlen. Bevor wir gehen, suche ich das WC. (Häufiger Harndrang ist typisch für Diabetes.) Im Flur grüßt mich der Wirt, er verschwindet sofort durch eine Tür. Ein Schild weist mir den Weg. Man muss über den Hof gehen, das WC ist auf der Rückseite des Hauses. Umso überraschter bin ich, als ich im Pissoir den Wirt vorfinde, er Igel, ich Hase. Er fühlt sich zu einer Konversation verpflichtet. Dabei hasse ich Toilettengespräche. Ich bekomme prompt eine Harnverhaltung, wie peinlich.
Er fragt: „Ihr Begleiter – es ist Ihr Vater?“ – „Nein, mein Freund – und er ist Jahre jünger als ich.“ Nun ist es ihm peinlich. Er will es gutmachen und fragt nach Woher, Wohin und Weshalb: „So, Urlaub? Eine Ferienwohnung in A …? Vier Wochen lang – ja, sagen Sie mal, wird Ihnen das nicht langweilig?“ – „Aber hören Sie, als Wirt hier dürften Sie so etwas eigentlich nicht sagen …“
Jetzt sucht er den Schaden zu begrenzen: „Es war nicht bös gemeint.“ Aber er traut mir nicht mehr und retiriert verdächtig schnell aus der Retirade. Endlich erreiche auch ich den Zweck meines Aufenthaltes dort.
„Wo hast du nur so lange gesteckt?“ fragt nachher mein Freund. Als ich ihm umständlich den Weg zu jenem Ort erkläre, fällt mir die Kellnerin ins Wort, nimmt ihn beinahe bei der Hand (als wäre er mein Enkel, fünf Jahre alt) und verschwindet mit ihm. Sie benutzen jene geheimnisvolle Tür, die sonst dem Personal vorbehalten ist.
Fränkische Schweiz, du Schlupfwinkel deutschen Gemüts, bewahre dir deine Einfalt!