Es war kurz nach Mitternacht. Die anderen Jugos hatten ihr Geld schon vor gut einer Stunde am Tisch gelassen und das Weite gesucht. Weil kein anderer einsteigen wollte, spielten wir zu zweit, und es wäre eine unauffällige Partie gewesen, wenn nicht die die königlichen Möbelstücke hinter Ihrer Dekadenz gestanden hätten, starr, die Unterlippen leicht geschürzt und vor dem gestählten Bauch die Hände in einander verschränkt.
Die Gesamtschau war ein Bild für die Götter: Dort der König mit seinem Mobiliar, auf der anderen Seite ich: Auf meinen Schoß eine heiße Tussi, die ihn provokant anschaute, während sie lasziv mein Ohrläppchen leckte und mir unter dem Hemd die Nippel hart rieb. Vor mir auf dem Tisch nicht nur meine 500 deutschen, sondern auch gut 2100 serbische Mark, und um den Tisch herum eine wachsende Zahl überwiegend deutscher Kiebitze, die sich vom König der Jugos nichts sagen ließ. Die Glatzen ragten aus der Menge. Sie standen mit dem Rücken zur Wand und konnten nichts ausrichten.
Der hässliche Vogel saß schmallippig da. Er hatte mächtig Federn gelassen. Es ging ihm längst nicht mehr ums Geld, sondern um seine Ehre. Hätte gerne gewusst, was ihn mehr nervte: die Schaulustigen und die Tatsache, dass er denen nichts befehlen konnte oder eine Tussi wie meine, die sich niemals freiwillig auf seinen Schoß setzte.
Es reichte ihm. Einer Schlange gleich beugte er sich über die Tischplatte, zeigte auf den Batzen Geld vor mir und zischte:
„????????????? ?? ?? ???? ????? ????? ???? ??? ??? ?? ?? ???? ???????. ?? ????? ??? ???????? ‚??? ??? ?????‘ ???“. (Serbisch: „Es kann doch nicht angehen, dass so ein dahergelaufener Kerl wie du mich rasiert. Ich schlage dir zwei Spiele ‚Alles oder nichts‘ vor.“)
Die paar Jugos in der Menge übersetzten die Worte des Königs flüsternd ins Deutsche. Die Worte breiteten sich wie ein Lauffeuer aus, sorgen für jede Menge Gesprächsstoff und weitere Kiebitze.
Letzten Endes war es egal, ob ich gewann oder verlor. Ich würde so oder so mit den Glatzen Bekanntschaft machen: Wer verlor, wurde registriert. Wer gewann, auch. Nur dass man dann zusätzlich vor der Tür noch einen Teil seiner Gesundheit und den Gewinn einbüßte. Absichtlich verlieren war nicht drin. Dafür gab es eine Extra-Packung, denn der König wollte sich im echten Wettkampf messen. Und natürlich gewinnen. Der Aussicht auf Prügel zum Trotz entschied ich mich fürs Gewinnen.
„Geht klar. Einmal ich das Buch, einmal du.“
Ljubiša nickt selbstgefällig. Wie auf Kommando wechselten zwei Schränke die Seite und bauten sich hinter mir auf. Einer behielt mich im Blick, der mit dem Rücken zu mir den deutschen Mob.
Ich mischte. Das Fluppen der Karten war das einzige Geräusch im Raum. Niemand sprach ein Wort. Ich hielt ihm den Stapel hin. Er winkte generös ab. Pik-Bube als Deckblatt. Ich teilte aus. Eine Karte für ihn, eine für mich, die zweite für ihn. Der König hob seine Karten an und gewährte der dritten Glatze einen Blick. Dann legte er sie wieder ab und lehnte sich zurück. Er überlegte. Der Schrank flüsterte aufgeregt auf ihn ein. Ljubiša schüttelte den Kopf und lockte mit dem Zeigefinger. Der Schrank unterdrückte einen Schrei, schlug die Hände vors Gesicht und lief zu den anderen Kahlköpfen rüber. Nun schauten mir vier Augen achtsam auf die Finger. Das Herz schlug mir bis zum Hals, die Kehle war wie zugeschnürt und staubtrocken, mein Hemd schweißnass. Ich hielt die Tussi mit der Linken und deckte mit der Rechten zittrig einen Buben auf.
„Das war´s dann wohl, Ljubiša“, dachte ich und schnipste ihm die Karte rüber. „Der hat bestimmt nicht mehr als 15 oder 16. Er wird passen, damit er nicht über die Wupper geht.“ Die Tussi bekam einen flüchtigen Kuss.
„?? ?? ?? ?????, ‚??????‘.“ (Serbisch: „Das war´s dann wohl, 'Walter'.“)
krächzte Ljubiša trocken und deckte ein Ass und eine Acht auf.
Rund um den Tisch betretenes Schweigen, dann ein Raunen. Sekunden später ein heilloses Tohuwabohu: Das Volk schrie kreuz und quer durch das Lokal, die Glatzen lagen sich lachend in den Armen und beglückwünschten ihren Boss. Irgendwelche blöden Deutschen zollten dem siegreichen Unbekannten Respekt für seinen dreisten Zock. ( Kurze Erklärung für alle, die das Spiel nicht kennen: Sieger ist, wer mehr Augen hat oder 21. Der Bube/Bauer hat einen Wert von zwei Augen. Da bereits ein Bube als Deckblatt aus dem Spiel war und Igor eine verdeckte Karte vor sich liegen hatte, befanden sich noch 28 Karten und maximal drei Bauern im Spiel. Igor hätte einen dieser Bauern haben können. Die Chancen, einen Bauern zu ziehen waren sehr gering.)
Ich saß da wie vor den Kopf geschlagen. Wie konnte die Schabe so bescheuert sein und bei 19 noch eine Karte fordern? Die Tussi gab mir einen tröstenden Kuss und drückte mich zärtlich.
Milde lächelnd blickte der König auf den ausgeflippten Mob, der ihm die Ehre gab. Mit einem leichten Kopfnicken gab er dem Volk zu verstehen, dass er dessen verspätete Huldigung annahm und ihm nichts nachtrug. Er sonnte sich kurz in seinem Triumph, bevor er auf mich zeigte. Automatisch kehrte Ruhe ein. Es folgte eine kurze Ansprache an das Volk:
„So sieht ein Verlierer aus.“
Das Volk nickte betreten. Einige murmelten so was wie „Da hat er wohl recht.“ und „Armer Kerl!“
Ich hatte mich inzwischen gefasst, dachte „Scheiß Schabe!“ und schob der königlichen Kakerlake die Kohle über den Tisch.
Ljubsiša hob gebietend die Hand. Mit Rücksicht auf seine neuen Untertanen zischte er mit seinem ganzen Schabencharme weiter auf Deutsch:
„Stop, ‚Walter‘! Lass es in der Mitte liegen. Darum spielen wir doch jetzt, nicht wahr? Ich hoffe, du bist noch flüssig. Sonst leih ich dir was.“ Er grinste hämisch.
„Hör auf, Mann!“ rief einer aus der Menge.
„Nein!“ schnarrte die Schabe gereizt. „Dieser Mann wollte zwei Spiele spielen, also spielt er auch zwei Spiele!“ Er schaute mich bohrend an.
„Nicht wahr, ‚Walter‘?“
Wie ich diese wässrigen Augen hasste!
Die Tussi kuschelte sich an mich und wisperte mir ins Ohr:
„Das musste du doch nicht tun, oder?“
„Doch, ich muss“, flüsterte ich zurück. „Er ist so was wie unser König hier in Dortmund. Wenn ich mein Wort nicht halte, dann ist das in seinen Augen ein Vertragsbruch. Schau dir die Typen hinter mir an! Weißt du, was mit mir passiert, wenn ich jetzt aussteige?“
Sie nickte und drückte mich kurz an sich. Dann stand sie auf.
„Ich geh mal kurz zur Toilette.“
Sie schob sich an den Riesen vorbei und kam nicht zurück. Ich redete mir ein, dass sie keine Lust hatte, auch über den Tisch geschoben zu werden.
Ljubiša steckte die Finger ineinander und ließ die Gelenke knacken.
„Was ist nun, 'Walter'? Hast du genug Geld dabei?“
Ich schüttelte den Kopf. Gab es in dem Laden jemanden, der mir mal eben 2600 Mark zustecken konnte? Und wollte? Natürlich nicht! Das wusste ich, und Ljubiša wusste das auch.
„Ich gebe dir Kredit… “, krähte er und grinste.
„… falls nötig.“ Er sah mich prüfend an.
„Du kennst die Regeln?“
Ich schüttelte den Kopf. Er nickte den Schränken zu. Einer von ihnen beugte sich zu mir runter und klärte mich auf. Anschließend fragte mich der König, ob ich die Regeln verstanden hätte. Ich nickte. Sie waren leicht zu behalten und lauteten in etwa so:
Regel Nr.1:
Ich zahle fünf Prozent Zinsen und habe ganze drei Tage Zeit, um komplett reinen Tisch zu machen. Wenn ich das nicht leisten kann, gilt für mich
Regel Nr.2:
Ich stottere das Geld ab, was ich auch nicht wirklich nicht leisten kann; denn der Arithmetik eines schäbigen Schabenschädels folgend zahle ich 5 Prozent an jedem Zahltag obendrauf, Rate für Rate, Monat für Monat, bis zur vollständigen Tilgung. Die 5 Prozent bleiben 5 Prozent der Gesamtsumme, und Sondertilgung ist nicht! Als Ratenzahler betriff mich auch automatisch
Regel Nr.3:
Ich schiebe der Schabe das Geld regelmäßig und pünktlich in den Arsch.
Das Kleingedruckte:
Bei Verstoß gegen Regel Nr.3 sucht mich der serbische Stoßtrupp. Der findet mich immer und bring mich zum König. Besser, ich bin gut bei Kasse, wenn ich gefunden werde. Dann tut es einfach nur weh, und ich komme „mit einem blauen Auge davon“, wie es im Volksmund so schön heißt. Ich soll mich aber nicht darauf versteifen, denn es kann auch sein, dass ich ohne Auge davonkomme!
Die letzte Klausel:
Muss die kopfkranke Kakerlake mich auch nur einmal einbestellen, darf ich am nächsten Stichtag alles auf einmal blechen. Zuzüglich der Zinsen, die die Schabe bei Ratenzahlung noch Monat um Monat eingenommen hätte. Und für den Fall, dass ich erneut nicht liefere … es gibt niemanden, der davon berichten kann.
Ich hatte nichts auf der hohen Kante. Wenn ich verlor, galt Regel Nr.2. Und wenn ich verlor, war das ganze Jahr im Arsch.
Ljubiša verlor keine Zeit. Er nahm den Stapel Karten, mischte und hielt ihn mir hin. Ich hob sicher-ist-sicher ab. Er zog eine Sieben als Deckblatt und teilte aus. Totenstille im Saal.
Ich linste mit vorgehaltener Hand unter mein Blatt. Ein Ass und ein König. „Kakerlakenkacke!“ dachte ich, ließ mir aber nichts anmerken und passte lächelnd.
Die Schabe schaute mich abschätzig an und hatte mit einem Mal alle Zeit der Welt. Er hielt die Karten still in der Hand. Sein wässriger Blick tastete mich Zentimeter um Zentimeter ab. Von meinen Augen zu meinen Händen und wieder zu meinen Augen. Ich meinte, dass er sogar meine Atemzüge zählte. Dann schüttelte er sich, als wäre er aus einem schlechten Traum aufgewacht und fixierte wie ein Raubtier vor dem Sprung die Rückseiten meiner Karten. Er lehnte sich zurück, ohne mein Blatt aus den Augen zu lassen. Dann schaute er beschwörend auf den Kartenstapel in seiner Linken, wog ihn ab, legte ihn auf den Tisch und schloss grübelnd die Augen. Er fuhr sich mit der Linken an die Stirn, als hätte er Kopfschmerzen, während er mit der rechten Handfläche einen Rhythmus auf der Tischplatte trommelte.
„Hör mit dem Voodoo auf und mich hin! Ich will hier nicht übernachten!“ schnaufte ich.
„Ich mach hin, wann ich es für richtig halte, ‚Walter‘“, schnarrte er, „und ich sage dir, du hast nur Dreck auf der Hand!“
Dann deckte er auf. Eine Dame. Und zog. Eine Zehn. „Mal gut, dass ich gepasst hatte“, dachte ich. Ljubiša zog unbeirrt weiter. Eine weitere Dame.
„Siebzehn zieht. Und Sechszehn reichen alle mal!“ (Der Geber erhält quasi einen Punkt mehr und gewinnt dadurch bei Gleichstand.) sagte er ohne mit der Wimper zu zucken und stand auf. Einfach so. Er würdigte meine verdeckten Karten keines Blickes mehr und schritt eine Glatze im Gefolge zum Ausgang.
Über die Schulter rief er mir zu:
„Klär die Formalitäten mit meinen Leuten, ‚Walter‘!“
Ich Raum entstand ein ungläubiges Raunen.
Ein Deutscher wollte mir seelischen Beistand leisten.
„Was bis´ du denn für einer?“ schrie er dem König hinterher.
„Mach hier nicht so´n Kappes! Kuck ers´mal, ob de´ überhaupt gewonn´ hast!“
Ljubiša drehte sich fragend zu den Glatzen um. Eine von ihnen deutete auf einen kleinen dicken Mann in der zweiten Reihe. Der König schaute den Schreihals sehr lange, sehr genau und sehr böse an.
„Ich bin Ljubiša Petrovi?, und dies ist serbischer Boden. Merk dir das und lass dich hier nie wieder blicken!“
Er wandte sich wieder dem Ausgang zu und durchschritt mit seinem Schrank die Gasse, die die Kiebitze sprachlos bildeten. Was für ein Abgang!
Ich war am Ende. Mit den Nerven, mit den Finanzen, mit allem und starrte wie doof auf meine beiden verdeckten Karten. Die Leute bestürmten mich mit Fragen. Was ich auf der Hand hatte und so. Ich deckte meine schrottigen 15 Augen auf und schüttelte fassungslos den Kopf. Was für ein Abgang!
„????“ (Serbisch: „Name?“) fragte einer der Kahlköpfe und zückte Block und Stift, während der andere das Geld auf dem Tisch zählte.
Die Gesamtschau war ein Bild für die Götter: Dort der König mit seinem Mobiliar, auf der anderen Seite ich: Auf meinen Schoß eine heiße Tussi, die ihn provokant anschaute, während sie lasziv mein Ohrläppchen leckte und mir unter dem Hemd die Nippel hart rieb. Vor mir auf dem Tisch nicht nur meine 500 deutschen, sondern auch gut 2100 serbische Mark, und um den Tisch herum eine wachsende Zahl überwiegend deutscher Kiebitze, die sich vom König der Jugos nichts sagen ließ. Die Glatzen ragten aus der Menge. Sie standen mit dem Rücken zur Wand und konnten nichts ausrichten.
Der hässliche Vogel saß schmallippig da. Er hatte mächtig Federn gelassen. Es ging ihm längst nicht mehr ums Geld, sondern um seine Ehre. Hätte gerne gewusst, was ihn mehr nervte: die Schaulustigen und die Tatsache, dass er denen nichts befehlen konnte oder eine Tussi wie meine, die sich niemals freiwillig auf seinen Schoß setzte.
Es reichte ihm. Einer Schlange gleich beugte er sich über die Tischplatte, zeigte auf den Batzen Geld vor mir und zischte:
„????????????? ?? ?? ???? ????? ????? ???? ??? ??? ?? ?? ???? ???????. ?? ????? ??? ???????? ‚??? ??? ?????‘ ???“. (Serbisch: „Es kann doch nicht angehen, dass so ein dahergelaufener Kerl wie du mich rasiert. Ich schlage dir zwei Spiele ‚Alles oder nichts‘ vor.“)
Die paar Jugos in der Menge übersetzten die Worte des Königs flüsternd ins Deutsche. Die Worte breiteten sich wie ein Lauffeuer aus, sorgen für jede Menge Gesprächsstoff und weitere Kiebitze.
Letzten Endes war es egal, ob ich gewann oder verlor. Ich würde so oder so mit den Glatzen Bekanntschaft machen: Wer verlor, wurde registriert. Wer gewann, auch. Nur dass man dann zusätzlich vor der Tür noch einen Teil seiner Gesundheit und den Gewinn einbüßte. Absichtlich verlieren war nicht drin. Dafür gab es eine Extra-Packung, denn der König wollte sich im echten Wettkampf messen. Und natürlich gewinnen. Der Aussicht auf Prügel zum Trotz entschied ich mich fürs Gewinnen.
„Geht klar. Einmal ich das Buch, einmal du.“
Ljubiša nickt selbstgefällig. Wie auf Kommando wechselten zwei Schränke die Seite und bauten sich hinter mir auf. Einer behielt mich im Blick, der mit dem Rücken zu mir den deutschen Mob.
Ich mischte. Das Fluppen der Karten war das einzige Geräusch im Raum. Niemand sprach ein Wort. Ich hielt ihm den Stapel hin. Er winkte generös ab. Pik-Bube als Deckblatt. Ich teilte aus. Eine Karte für ihn, eine für mich, die zweite für ihn. Der König hob seine Karten an und gewährte der dritten Glatze einen Blick. Dann legte er sie wieder ab und lehnte sich zurück. Er überlegte. Der Schrank flüsterte aufgeregt auf ihn ein. Ljubiša schüttelte den Kopf und lockte mit dem Zeigefinger. Der Schrank unterdrückte einen Schrei, schlug die Hände vors Gesicht und lief zu den anderen Kahlköpfen rüber. Nun schauten mir vier Augen achtsam auf die Finger. Das Herz schlug mir bis zum Hals, die Kehle war wie zugeschnürt und staubtrocken, mein Hemd schweißnass. Ich hielt die Tussi mit der Linken und deckte mit der Rechten zittrig einen Buben auf.
„Das war´s dann wohl, Ljubiša“, dachte ich und schnipste ihm die Karte rüber. „Der hat bestimmt nicht mehr als 15 oder 16. Er wird passen, damit er nicht über die Wupper geht.“ Die Tussi bekam einen flüchtigen Kuss.
„?? ?? ?? ?????, ‚??????‘.“ (Serbisch: „Das war´s dann wohl, 'Walter'.“)
krächzte Ljubiša trocken und deckte ein Ass und eine Acht auf.
Rund um den Tisch betretenes Schweigen, dann ein Raunen. Sekunden später ein heilloses Tohuwabohu: Das Volk schrie kreuz und quer durch das Lokal, die Glatzen lagen sich lachend in den Armen und beglückwünschten ihren Boss. Irgendwelche blöden Deutschen zollten dem siegreichen Unbekannten Respekt für seinen dreisten Zock. ( Kurze Erklärung für alle, die das Spiel nicht kennen: Sieger ist, wer mehr Augen hat oder 21. Der Bube/Bauer hat einen Wert von zwei Augen. Da bereits ein Bube als Deckblatt aus dem Spiel war und Igor eine verdeckte Karte vor sich liegen hatte, befanden sich noch 28 Karten und maximal drei Bauern im Spiel. Igor hätte einen dieser Bauern haben können. Die Chancen, einen Bauern zu ziehen waren sehr gering.)
Ich saß da wie vor den Kopf geschlagen. Wie konnte die Schabe so bescheuert sein und bei 19 noch eine Karte fordern? Die Tussi gab mir einen tröstenden Kuss und drückte mich zärtlich.
Milde lächelnd blickte der König auf den ausgeflippten Mob, der ihm die Ehre gab. Mit einem leichten Kopfnicken gab er dem Volk zu verstehen, dass er dessen verspätete Huldigung annahm und ihm nichts nachtrug. Er sonnte sich kurz in seinem Triumph, bevor er auf mich zeigte. Automatisch kehrte Ruhe ein. Es folgte eine kurze Ansprache an das Volk:
„So sieht ein Verlierer aus.“
Das Volk nickte betreten. Einige murmelten so was wie „Da hat er wohl recht.“ und „Armer Kerl!“
Ich hatte mich inzwischen gefasst, dachte „Scheiß Schabe!“ und schob der königlichen Kakerlake die Kohle über den Tisch.
Ljubsiša hob gebietend die Hand. Mit Rücksicht auf seine neuen Untertanen zischte er mit seinem ganzen Schabencharme weiter auf Deutsch:
„Stop, ‚Walter‘! Lass es in der Mitte liegen. Darum spielen wir doch jetzt, nicht wahr? Ich hoffe, du bist noch flüssig. Sonst leih ich dir was.“ Er grinste hämisch.
„Hör auf, Mann!“ rief einer aus der Menge.
„Nein!“ schnarrte die Schabe gereizt. „Dieser Mann wollte zwei Spiele spielen, also spielt er auch zwei Spiele!“ Er schaute mich bohrend an.
„Nicht wahr, ‚Walter‘?“
Wie ich diese wässrigen Augen hasste!
Die Tussi kuschelte sich an mich und wisperte mir ins Ohr:
„Das musste du doch nicht tun, oder?“
„Doch, ich muss“, flüsterte ich zurück. „Er ist so was wie unser König hier in Dortmund. Wenn ich mein Wort nicht halte, dann ist das in seinen Augen ein Vertragsbruch. Schau dir die Typen hinter mir an! Weißt du, was mit mir passiert, wenn ich jetzt aussteige?“
Sie nickte und drückte mich kurz an sich. Dann stand sie auf.
„Ich geh mal kurz zur Toilette.“
Sie schob sich an den Riesen vorbei und kam nicht zurück. Ich redete mir ein, dass sie keine Lust hatte, auch über den Tisch geschoben zu werden.
Ljubiša steckte die Finger ineinander und ließ die Gelenke knacken.
„Was ist nun, 'Walter'? Hast du genug Geld dabei?“
Ich schüttelte den Kopf. Gab es in dem Laden jemanden, der mir mal eben 2600 Mark zustecken konnte? Und wollte? Natürlich nicht! Das wusste ich, und Ljubiša wusste das auch.
„Ich gebe dir Kredit… “, krähte er und grinste.
„… falls nötig.“ Er sah mich prüfend an.
„Du kennst die Regeln?“
Ich schüttelte den Kopf. Er nickte den Schränken zu. Einer von ihnen beugte sich zu mir runter und klärte mich auf. Anschließend fragte mich der König, ob ich die Regeln verstanden hätte. Ich nickte. Sie waren leicht zu behalten und lauteten in etwa so:
Regel Nr.1:
Ich zahle fünf Prozent Zinsen und habe ganze drei Tage Zeit, um komplett reinen Tisch zu machen. Wenn ich das nicht leisten kann, gilt für mich
Regel Nr.2:
Ich stottere das Geld ab, was ich auch nicht wirklich nicht leisten kann; denn der Arithmetik eines schäbigen Schabenschädels folgend zahle ich 5 Prozent an jedem Zahltag obendrauf, Rate für Rate, Monat für Monat, bis zur vollständigen Tilgung. Die 5 Prozent bleiben 5 Prozent der Gesamtsumme, und Sondertilgung ist nicht! Als Ratenzahler betriff mich auch automatisch
Regel Nr.3:
Ich schiebe der Schabe das Geld regelmäßig und pünktlich in den Arsch.
Das Kleingedruckte:
Bei Verstoß gegen Regel Nr.3 sucht mich der serbische Stoßtrupp. Der findet mich immer und bring mich zum König. Besser, ich bin gut bei Kasse, wenn ich gefunden werde. Dann tut es einfach nur weh, und ich komme „mit einem blauen Auge davon“, wie es im Volksmund so schön heißt. Ich soll mich aber nicht darauf versteifen, denn es kann auch sein, dass ich ohne Auge davonkomme!
Die letzte Klausel:
Muss die kopfkranke Kakerlake mich auch nur einmal einbestellen, darf ich am nächsten Stichtag alles auf einmal blechen. Zuzüglich der Zinsen, die die Schabe bei Ratenzahlung noch Monat um Monat eingenommen hätte. Und für den Fall, dass ich erneut nicht liefere … es gibt niemanden, der davon berichten kann.
Ich hatte nichts auf der hohen Kante. Wenn ich verlor, galt Regel Nr.2. Und wenn ich verlor, war das ganze Jahr im Arsch.
Ljubiša verlor keine Zeit. Er nahm den Stapel Karten, mischte und hielt ihn mir hin. Ich hob sicher-ist-sicher ab. Er zog eine Sieben als Deckblatt und teilte aus. Totenstille im Saal.
Ich linste mit vorgehaltener Hand unter mein Blatt. Ein Ass und ein König. „Kakerlakenkacke!“ dachte ich, ließ mir aber nichts anmerken und passte lächelnd.
Die Schabe schaute mich abschätzig an und hatte mit einem Mal alle Zeit der Welt. Er hielt die Karten still in der Hand. Sein wässriger Blick tastete mich Zentimeter um Zentimeter ab. Von meinen Augen zu meinen Händen und wieder zu meinen Augen. Ich meinte, dass er sogar meine Atemzüge zählte. Dann schüttelte er sich, als wäre er aus einem schlechten Traum aufgewacht und fixierte wie ein Raubtier vor dem Sprung die Rückseiten meiner Karten. Er lehnte sich zurück, ohne mein Blatt aus den Augen zu lassen. Dann schaute er beschwörend auf den Kartenstapel in seiner Linken, wog ihn ab, legte ihn auf den Tisch und schloss grübelnd die Augen. Er fuhr sich mit der Linken an die Stirn, als hätte er Kopfschmerzen, während er mit der rechten Handfläche einen Rhythmus auf der Tischplatte trommelte.
„Hör mit dem Voodoo auf und mich hin! Ich will hier nicht übernachten!“ schnaufte ich.
„Ich mach hin, wann ich es für richtig halte, ‚Walter‘“, schnarrte er, „und ich sage dir, du hast nur Dreck auf der Hand!“
Dann deckte er auf. Eine Dame. Und zog. Eine Zehn. „Mal gut, dass ich gepasst hatte“, dachte ich. Ljubiša zog unbeirrt weiter. Eine weitere Dame.
„Siebzehn zieht. Und Sechszehn reichen alle mal!“ (Der Geber erhält quasi einen Punkt mehr und gewinnt dadurch bei Gleichstand.) sagte er ohne mit der Wimper zu zucken und stand auf. Einfach so. Er würdigte meine verdeckten Karten keines Blickes mehr und schritt eine Glatze im Gefolge zum Ausgang.
Über die Schulter rief er mir zu:
„Klär die Formalitäten mit meinen Leuten, ‚Walter‘!“
Ich Raum entstand ein ungläubiges Raunen.
Ein Deutscher wollte mir seelischen Beistand leisten.
„Was bis´ du denn für einer?“ schrie er dem König hinterher.
„Mach hier nicht so´n Kappes! Kuck ers´mal, ob de´ überhaupt gewonn´ hast!“
Ljubiša drehte sich fragend zu den Glatzen um. Eine von ihnen deutete auf einen kleinen dicken Mann in der zweiten Reihe. Der König schaute den Schreihals sehr lange, sehr genau und sehr böse an.
„Ich bin Ljubiša Petrovi?, und dies ist serbischer Boden. Merk dir das und lass dich hier nie wieder blicken!“
Er wandte sich wieder dem Ausgang zu und durchschritt mit seinem Schrank die Gasse, die die Kiebitze sprachlos bildeten. Was für ein Abgang!
Ich war am Ende. Mit den Nerven, mit den Finanzen, mit allem und starrte wie doof auf meine beiden verdeckten Karten. Die Leute bestürmten mich mit Fragen. Was ich auf der Hand hatte und so. Ich deckte meine schrottigen 15 Augen auf und schüttelte fassungslos den Kopf. Was für ein Abgang!
„????“ (Serbisch: „Name?“) fragte einer der Kahlköpfe und zückte Block und Stift, während der andere das Geld auf dem Tisch zählte.