II
Ich rief ihn am Morgen sofort an. Lui war ein Phänomen, damals wie heute. Damals ein harmloses, unbekümmertes Jungengesicht, in den Augen aber das Feuer eines Kerls, der genau wusste, was er wollte. Heute …, na ja, ihr wisst schon. Er konnte die Menschen mit seinem kindlichen Scharm umgarnen, und wenn es hart auf hart kam, bestimmte er, wo es lag ging. Er litt so authentisch mit den Leidenden, dass die Leute nicht böse wurden, wenn er sie ausnahm. Ganz im Gegenteil: Sie spielten immer wieder gerne mit ihm. Sie liebten ihn.
Er fragte, wie es mir denn so ging. Und damit kamen wir gleich zu meinem Problem. Lui kannte Ljubiša Petrovi? zwar nicht persönlich, aber so ziemlich jede Geschichte über ihn. Deshalb machte er mich erstmal zur Sau.
„Eh Scheiße, Mann! Wie konntest du nur so bescheuert sein und mit dem zocken! Da muss man sich ja schämen, dich zu kennen! Ich sollte dir die Freundschaft kündigen, du Idiot!“ Nebenbei bemerkt: Die 100 Eier kamen nie zur Sprache.
„Ja Mann, ich weiß! Aber das ist einfach Scheiße gelaufen. Und du hast ja leicht gut reden. Bist du schon mal gezwungen worden, mit einem Psychopathen zu spielen?“
„Ich lasse mich von niemandem zu irgendetwas zwingen. Das weißt du doch! Und überhaupt …“
Lui wollte weiter schimpfen, aber ich ließ ihn nicht zu Wort kommen.
„Du sucht dir deine Spielkameraden aus. Aber bei der Schabe geht das so nicht. Er sucht dich aus! Und wenn du als zockender Jugo am falschen Ort sitzt, dann bist du ihm ausgeliefert. Das Spiel ablehnen heißt ihn ablehnen. Dann ist er beleidigt und schickt dir seine Meute auf den Pelz. Gegen ihn gewinnen heißt ihm ohne Armee den Krieg zu erklären. Was sollte ich tun, Lui? Hier und da absichtlich eine fette Nummer in den Sand setzen, bis er am Ende seine Kohle zurückgewonnen hat? Junge, der Mann ist so was von krank, der spürt, wenn du nicht ehrlich gegen ihn verlierst! Verstehst du? Er will ehrlich gewinnen! Das hört sich jetzt total bescheuert an, ist aber so. Ljubiša Petrovi? ist ja auch total bescheuert. Wenn er bloß nicht so gefährlich wäre! Aber jetzt mal unter uns, unter Brüdern, und lassen wir deine Methode mal außen vor: Kannst du in einem echten Spiel absichtlich verlieren, ohne dass es auffällt? Und angenommen, du kannst es, rein theoretisch, würdest du das bringen?“
Lui schwieg. Ich grinste. Man sollte nie unvorbereitet in ein Telefongespräch gehen.
„Okay Igor, das hast du dir ja schön zurechtgelegt. Wie lange hast du dich auf diese Predigt vorbereitet?“
„Oh, äh, wie bitte?“ Hatte ich schon erwähnt, dass Lui ein Phänomen war?
„Stell dich nicht blöder als du bist! Du wolltest nie und nimmer das Territorium des Königs betreten. War das nicht jahrelang dein Reden? Du Idiot! Du hast dich selbst gefickt! Hättest da nie reingehen dürfen! Scheiß darauf, dass du pleite bist! Ich hätte dich ein oder zwei Monate durchgezogen, Mann! Nun aber Schluss damit. Denn ganz ehrlich: Ich weiß, wie das läuft, wenn man erstmal im Spiel ist. Wer kann dann bewusst verlieren? Ich kann das jedenfalls nicht, es sei denn, ich ziehe meine Nummer ab. Und angenommen, plötzliche steht unsere Birne (Spitzname Helmut Kohls, ehemaliger Bundeskanzler.) am Tisch und will mitspielen. Und hinter ihm ein Trupp der GSG 9. Dann tue ich auch alles, was Birne sagt. Wegen der GSG 9, versteht sich.“
Er wieherte sein Kinderlachen in die Muschel. Manchmal wollte ich ihn küssen.
„Also, wenn ich das jetzt richtig verstanden habe“, fuhr er fort, als er wieder bei Atem war, „willst du mit mir ein großes Ding abziehen, ja? Wen willst du denn ausnehmen?“
So kamen wir ohne Umwege zur „Methode Lui“, einem Ding, das Lui in Bork regelmäßig abzog. Zusammen mit einem Kumpel, aber nur zwei bis drei Mal im Monat, damit niemand Verdacht schöpfte. Lui selbst spielte täglich, ein weiterer Grund dafür, warum das krumme Ding nicht auffiel. Wenn er und sein Partner die Methode anwendeten, beschissen sie vier oder fünf Mitspieler pro Abend um gut 300 Mark. Nie um mehr. Immerhin handelte es sich bei den Mitspielern um Studenten der Polizeihochschule Bork. Das waren keine Großzocker, und er wollte seine Kundschaft ja auch nicht vergraulen. Die Kerle spielten doch so gerne. Sorgen, dass ihm die Kunden einmal ausgingen, musste Lui sich nicht machen. Die Spieler sorgten selbst immer wieder für frisches Blut. Und wie das bei einer Bullenschule eben so war, hagelte es sowieso jährlich neue Bullenschüler und damit neue Opfer. Die „Methode Lui“ war nichts, womit er in Bork, gerade an dieser Klientel reich werden konnte. Beim ehrlichen Zocken verdiente er weitaus mehr, aber es machte ihm einfach Spaß, die Jungbullen gelegentlich hoch zu nehmen.
Ich wollte allerdings richtig Kasse machen, aber Lui war alles andere als begeistert, als ich ihm meinen Plan im Detail steckte. Er dachte an die Risiken.
„Ach hör mal, wir wissen ja nicht, wen wir dann vor uns haben. Am Ende gibt es statt jeder Menge Kohle jede Menge Prügel. Ich mach dir einen Vorschlag. Ist ein Kompromiss, und ich mach das auch nur, weil du es bist: Einmal, damit du die 400 wieder reinkriegst, die du zum Leben brauchst. Aber nicht in Selm oder Bork und erst recht nicht in Dortmund! Okay? Das ist mein Angebot!“
Na immerhin! Ich nickte und ergänzte:
„Und nicht mit Schaben und Jugos!“
Die Sache war abgemacht. Abends fuhren wir nach Essen, weit weg von irgendwelchen bekannten Gesichtern. Dort trieben wir uns in den Kneipen rum. Wir setzten uns allein an einen Tisch, in eine Nische oder irgendwo am Rand, allerdings nicht so weit vom Schuss, dass uns niemand bemerkte. Und dann spielten wir zu zweit Siebzehnundvier und belegten uns gegenseitig mal laut, mal halblaut mit Hohn und Fluch. Das lockte andere Zocker an wie das Licht die Motten. Hatten die Mitspieler etwas in der Birne, dann spielten wir nicht lange mit ihnen und zogen eine Kneipe weiter. Trafen wir allerdings auf Deppen, dann schnappte die Falle zu: Wenn Lui das Buch hatte und der Pott voll war, dann verzockte er gegen mich. Ich kassierte den Pott. Umgekehrt lief das genauso. Und bevor unsere Spielkameraden blickten, dass sie beschissen wurden, schmiss einer von uns die Karten hin, knurrte was von „Ach leckt mich! Ich hab´ keinen Bock mehr!“ und verließ die Kneipe. Der andere schaute verdutzt hinterher, sprang auf und folgte ihm mit den Worten „Eh, warte, du Arsch! Ich komm mit!“ Weil wir unsere Getränke immer sofort bezahlten, konnten wir jederzeit weg. Ab ins Auto und in einem anderen Stadtteil, startklar zur nächsten Deppenabzocke. Wir zogen das Ding erfolgreich in sechs oder sieben Kneipen durch, und nur einmal hätten wir beinahe Schläge kassiert. Der Hammer war aber, was uns in der letzten Kneipe passierte: Dort warteten ein paar Deppen von der Sorte „reiche Vollpfosten“ schon auf uns. Die schmissen ihr Geld in einem Hinterzimmer nur so auf den Tisch. Und sie waren derart ahnungslos, dass wir die übliche „Ach-leck-mich-Nummer“ gar nicht abziehen mussten. Wir hörten auf, als die Kneipe schloss, und Lui zerfloss beim Abschied vor Mitgefühl.
„Das ist ja sooo schade, dass Ihr jetzt nicht mehr die Möglichkeit habt, wenigstens etwas zurück zu gewinnen. Aber vielleicht ein andermal. Man sieht sich!“
An einer Tankstelle auf der Strecke nach Dortmund machten wir Kassensturz und Halbe-Halbe. Wir waren jeder um rund 1000 Kröten reicher. Kapital verzwanzigfacht! Lui lachte sich halbtot und rief:
„Eh Alter, was für ein cooler Zock! Du hast einen bei mir gut!“
„Einen gut haben“ bedeutete leider nicht, dass er sich auf eine weitere Abzocke in Herdecke oder Hagen einließ. Ein Mann mit Prinzipien, der Lui. Wir wollten den Erfolg aber auf jeden Fall noch begießen, nur nicht am nächsten Tag. Da hatte Lui keine Zeit für mich, weil seine Bullenschüler auf ihn warteten.
Also ging ich Donnerstagmittag alleine auf die Piste. Ich hatte von einer Kneipe am Borsigplatz gehört, in der angeblich in einem Hinterzimmer Roulette gespielt wurde. Nicht mit Jetons, man setzte Cash. Roulette war zwar nicht mein Spiel, ich ging da trotzdem hin und checkte die Lage. Ein, zwei Cokes am Tresen, dann mal mit dem Wirt tuscheln, und Bingo! Er zeigte unauffällig auf eine schmale Tür am Ende des Tresens und nickte einem Kerl zu, der alles andere als unauffällig neben der Tür saß. Ich huschte wie ein Schatten durch den Türspalt. Ein kleiner Raum, ein großer Tisch, sechs Spieler, ein freier Platz. Auf denselben pflanzte ich mich und baute einem Stapel von 11 Heiermännern, mein Startkapital vor mit auf. Ehe ich mich versah, fragte mich einer der Spieler, der nicht wie ein Jugo aussah, auf Kroatisch, wo ich denn herkäme. Schon wieder! Ich tat so, als hätte ich ihn nicht verstanden. Er verstand, die anderen allerdings auch. „Denkbar schlechter Einstieg“, dachte ich, „aber was soll´s?“
Ich setzte auf Farben. Nur auf Farben, abwechselnd Rot und Schwarz, mal eine Serie nur Rot, mal nur Schwarz, und ich setzte gut. Nach etwa einer Stunde hatte ich rund 550 Piepen in Münzen und Scheinen vor mir liegen. Ich wurde unruhig. Genauso wie der Loser links neben mir, dem um die 500 Eier abhandengekommen waren. Ich witterte, dass mein Gewinn gerade noch im Rahmen dessen lag, was ein Fremder hier einstecken durfte, ohne Schläge einzustecken. Außerdem sprach es sich rum, wenn so ein Jugo das Volk ausgenommen und das Volk das nicht witzig gefunden hatte. Spätestens dann bekam Ljubiša davon Wind. Als König erfuhr er stets, wenn Jugos irgendwo Ärger machten. Das war nun mal so in Dortmund. Er würde sich mit den Ratenzahlungen nicht mehr zufriedengeben und eine Sondertilgung verlangen. Sondertilgung ist nicht? Regel Nr. 2? Er machte die Regeln. Leider. Also kam Regel Nr. 4 zum Zug: Verdien dein Geld geheim, dann bleibt es dein. Dummerweise hatte ich es nicht so richtig geheim verdient. Daher „Ab durch die Mitte, Igor!“
In einer Kneipe zwei Straßen weiter wollte ich eigentlich nur Zigaretten kaufen. Ich blieb dort aber hängen, weil ich am Tresen Landsleute ausgemacht hatte. Echte Landsleute, bosnische Kroaten, wie ihr Dialekt verriet. Sie waren neu in der Stadt. Großes Hallo, und dann gaben wir uns die Kante. Wollte ich nicht Jugos meiden? Egal, die waren neu hier, und der König kannte mich jetzt sowieso.
Wir hatten mehr oder weniger gesittet ein Pivo (Kroatisch: Bier) nach dem anderen gekippt, als plötzlich ein Riese, der aussah wie eine schlechte Kopie von Dolph Lundgren.
„Tach, Langer, wieder mal am Rekrutieren?“ begrüßte der Wirt ihn mürrisch. Der Lange antwortete nicht. Er hob nur lässig einen Finger zum Gruß und schaute sich um. Viel zu sehen gab es nicht, wir waren die einzigen Gäste. Also drängte er sich an die Theke und uns ein Gespräch auf. Darüber, wie man irre viel Kohle machen konnte, wenn man für seinen Boss Marty PKW nach Nordafrika überführte. Ich war der einzige, der ihn verstand, darum überließen die anderen mir den Langen, das Reden und den Job. Die Kurzfassung: Man konnte quasi im Urlaub aus 1000 Mark 4500 machen, und zwar noch in diesem Monat.
„Nicht schlecht, wenn´s denn stimmt“ dachte ich. „Da kann ich meinen Gewinn möglicherweise verdreifachen. Und nebenbei lass ich mir im Süden die Sonne auf den Pelz brennen. Wenn der Job in die Hose geht, dann ist eh alles egal und Afrika eine echte Alternative. Wenn aber alles glatt läuft, dann bleibe ich noch ein paar Tage im Land und knüpfe Kontakte für einen eigenen Autohandel. Es fühlt sich zwar scheiße an, aber ich tauch pünktlich zum Stichtag wie der Phönix aus der Asche bei Alina auf, knall der Schabe 3200 Mäuse auf die Theke, eine Stange Cowboy-Zigaretten obendrauf und dann: Leck mich, Alter!“
Die Sache war zwar mit lauter „wenns“ gespickt, aber reizvoll allemal. Als der Lange abgezogen war gaben wir uns weiter die Kante. Und wenn ich mich nicht an der Theke festhielt, dann an der Visitenkarte, die Dolph mir gegeben hatte. Ich könnte jeden Tag bis 20:00 Uhr anrufen. In diesem Sinne hinein in die Rinne!
Ich rief ihn am Morgen sofort an. Lui war ein Phänomen, damals wie heute. Damals ein harmloses, unbekümmertes Jungengesicht, in den Augen aber das Feuer eines Kerls, der genau wusste, was er wollte. Heute …, na ja, ihr wisst schon. Er konnte die Menschen mit seinem kindlichen Scharm umgarnen, und wenn es hart auf hart kam, bestimmte er, wo es lag ging. Er litt so authentisch mit den Leidenden, dass die Leute nicht böse wurden, wenn er sie ausnahm. Ganz im Gegenteil: Sie spielten immer wieder gerne mit ihm. Sie liebten ihn.
Er fragte, wie es mir denn so ging. Und damit kamen wir gleich zu meinem Problem. Lui kannte Ljubiša Petrovi? zwar nicht persönlich, aber so ziemlich jede Geschichte über ihn. Deshalb machte er mich erstmal zur Sau.
„Eh Scheiße, Mann! Wie konntest du nur so bescheuert sein und mit dem zocken! Da muss man sich ja schämen, dich zu kennen! Ich sollte dir die Freundschaft kündigen, du Idiot!“ Nebenbei bemerkt: Die 100 Eier kamen nie zur Sprache.
„Ja Mann, ich weiß! Aber das ist einfach Scheiße gelaufen. Und du hast ja leicht gut reden. Bist du schon mal gezwungen worden, mit einem Psychopathen zu spielen?“
„Ich lasse mich von niemandem zu irgendetwas zwingen. Das weißt du doch! Und überhaupt …“
Lui wollte weiter schimpfen, aber ich ließ ihn nicht zu Wort kommen.
„Du sucht dir deine Spielkameraden aus. Aber bei der Schabe geht das so nicht. Er sucht dich aus! Und wenn du als zockender Jugo am falschen Ort sitzt, dann bist du ihm ausgeliefert. Das Spiel ablehnen heißt ihn ablehnen. Dann ist er beleidigt und schickt dir seine Meute auf den Pelz. Gegen ihn gewinnen heißt ihm ohne Armee den Krieg zu erklären. Was sollte ich tun, Lui? Hier und da absichtlich eine fette Nummer in den Sand setzen, bis er am Ende seine Kohle zurückgewonnen hat? Junge, der Mann ist so was von krank, der spürt, wenn du nicht ehrlich gegen ihn verlierst! Verstehst du? Er will ehrlich gewinnen! Das hört sich jetzt total bescheuert an, ist aber so. Ljubiša Petrovi? ist ja auch total bescheuert. Wenn er bloß nicht so gefährlich wäre! Aber jetzt mal unter uns, unter Brüdern, und lassen wir deine Methode mal außen vor: Kannst du in einem echten Spiel absichtlich verlieren, ohne dass es auffällt? Und angenommen, du kannst es, rein theoretisch, würdest du das bringen?“
Lui schwieg. Ich grinste. Man sollte nie unvorbereitet in ein Telefongespräch gehen.
„Okay Igor, das hast du dir ja schön zurechtgelegt. Wie lange hast du dich auf diese Predigt vorbereitet?“
„Oh, äh, wie bitte?“ Hatte ich schon erwähnt, dass Lui ein Phänomen war?
„Stell dich nicht blöder als du bist! Du wolltest nie und nimmer das Territorium des Königs betreten. War das nicht jahrelang dein Reden? Du Idiot! Du hast dich selbst gefickt! Hättest da nie reingehen dürfen! Scheiß darauf, dass du pleite bist! Ich hätte dich ein oder zwei Monate durchgezogen, Mann! Nun aber Schluss damit. Denn ganz ehrlich: Ich weiß, wie das läuft, wenn man erstmal im Spiel ist. Wer kann dann bewusst verlieren? Ich kann das jedenfalls nicht, es sei denn, ich ziehe meine Nummer ab. Und angenommen, plötzliche steht unsere Birne (Spitzname Helmut Kohls, ehemaliger Bundeskanzler.) am Tisch und will mitspielen. Und hinter ihm ein Trupp der GSG 9. Dann tue ich auch alles, was Birne sagt. Wegen der GSG 9, versteht sich.“
Er wieherte sein Kinderlachen in die Muschel. Manchmal wollte ich ihn küssen.
„Also, wenn ich das jetzt richtig verstanden habe“, fuhr er fort, als er wieder bei Atem war, „willst du mit mir ein großes Ding abziehen, ja? Wen willst du denn ausnehmen?“
So kamen wir ohne Umwege zur „Methode Lui“, einem Ding, das Lui in Bork regelmäßig abzog. Zusammen mit einem Kumpel, aber nur zwei bis drei Mal im Monat, damit niemand Verdacht schöpfte. Lui selbst spielte täglich, ein weiterer Grund dafür, warum das krumme Ding nicht auffiel. Wenn er und sein Partner die Methode anwendeten, beschissen sie vier oder fünf Mitspieler pro Abend um gut 300 Mark. Nie um mehr. Immerhin handelte es sich bei den Mitspielern um Studenten der Polizeihochschule Bork. Das waren keine Großzocker, und er wollte seine Kundschaft ja auch nicht vergraulen. Die Kerle spielten doch so gerne. Sorgen, dass ihm die Kunden einmal ausgingen, musste Lui sich nicht machen. Die Spieler sorgten selbst immer wieder für frisches Blut. Und wie das bei einer Bullenschule eben so war, hagelte es sowieso jährlich neue Bullenschüler und damit neue Opfer. Die „Methode Lui“ war nichts, womit er in Bork, gerade an dieser Klientel reich werden konnte. Beim ehrlichen Zocken verdiente er weitaus mehr, aber es machte ihm einfach Spaß, die Jungbullen gelegentlich hoch zu nehmen.
Ich wollte allerdings richtig Kasse machen, aber Lui war alles andere als begeistert, als ich ihm meinen Plan im Detail steckte. Er dachte an die Risiken.
„Ach hör mal, wir wissen ja nicht, wen wir dann vor uns haben. Am Ende gibt es statt jeder Menge Kohle jede Menge Prügel. Ich mach dir einen Vorschlag. Ist ein Kompromiss, und ich mach das auch nur, weil du es bist: Einmal, damit du die 400 wieder reinkriegst, die du zum Leben brauchst. Aber nicht in Selm oder Bork und erst recht nicht in Dortmund! Okay? Das ist mein Angebot!“
Na immerhin! Ich nickte und ergänzte:
„Und nicht mit Schaben und Jugos!“
Die Sache war abgemacht. Abends fuhren wir nach Essen, weit weg von irgendwelchen bekannten Gesichtern. Dort trieben wir uns in den Kneipen rum. Wir setzten uns allein an einen Tisch, in eine Nische oder irgendwo am Rand, allerdings nicht so weit vom Schuss, dass uns niemand bemerkte. Und dann spielten wir zu zweit Siebzehnundvier und belegten uns gegenseitig mal laut, mal halblaut mit Hohn und Fluch. Das lockte andere Zocker an wie das Licht die Motten. Hatten die Mitspieler etwas in der Birne, dann spielten wir nicht lange mit ihnen und zogen eine Kneipe weiter. Trafen wir allerdings auf Deppen, dann schnappte die Falle zu: Wenn Lui das Buch hatte und der Pott voll war, dann verzockte er gegen mich. Ich kassierte den Pott. Umgekehrt lief das genauso. Und bevor unsere Spielkameraden blickten, dass sie beschissen wurden, schmiss einer von uns die Karten hin, knurrte was von „Ach leckt mich! Ich hab´ keinen Bock mehr!“ und verließ die Kneipe. Der andere schaute verdutzt hinterher, sprang auf und folgte ihm mit den Worten „Eh, warte, du Arsch! Ich komm mit!“ Weil wir unsere Getränke immer sofort bezahlten, konnten wir jederzeit weg. Ab ins Auto und in einem anderen Stadtteil, startklar zur nächsten Deppenabzocke. Wir zogen das Ding erfolgreich in sechs oder sieben Kneipen durch, und nur einmal hätten wir beinahe Schläge kassiert. Der Hammer war aber, was uns in der letzten Kneipe passierte: Dort warteten ein paar Deppen von der Sorte „reiche Vollpfosten“ schon auf uns. Die schmissen ihr Geld in einem Hinterzimmer nur so auf den Tisch. Und sie waren derart ahnungslos, dass wir die übliche „Ach-leck-mich-Nummer“ gar nicht abziehen mussten. Wir hörten auf, als die Kneipe schloss, und Lui zerfloss beim Abschied vor Mitgefühl.
„Das ist ja sooo schade, dass Ihr jetzt nicht mehr die Möglichkeit habt, wenigstens etwas zurück zu gewinnen. Aber vielleicht ein andermal. Man sieht sich!“
An einer Tankstelle auf der Strecke nach Dortmund machten wir Kassensturz und Halbe-Halbe. Wir waren jeder um rund 1000 Kröten reicher. Kapital verzwanzigfacht! Lui lachte sich halbtot und rief:
„Eh Alter, was für ein cooler Zock! Du hast einen bei mir gut!“
„Einen gut haben“ bedeutete leider nicht, dass er sich auf eine weitere Abzocke in Herdecke oder Hagen einließ. Ein Mann mit Prinzipien, der Lui. Wir wollten den Erfolg aber auf jeden Fall noch begießen, nur nicht am nächsten Tag. Da hatte Lui keine Zeit für mich, weil seine Bullenschüler auf ihn warteten.
Also ging ich Donnerstagmittag alleine auf die Piste. Ich hatte von einer Kneipe am Borsigplatz gehört, in der angeblich in einem Hinterzimmer Roulette gespielt wurde. Nicht mit Jetons, man setzte Cash. Roulette war zwar nicht mein Spiel, ich ging da trotzdem hin und checkte die Lage. Ein, zwei Cokes am Tresen, dann mal mit dem Wirt tuscheln, und Bingo! Er zeigte unauffällig auf eine schmale Tür am Ende des Tresens und nickte einem Kerl zu, der alles andere als unauffällig neben der Tür saß. Ich huschte wie ein Schatten durch den Türspalt. Ein kleiner Raum, ein großer Tisch, sechs Spieler, ein freier Platz. Auf denselben pflanzte ich mich und baute einem Stapel von 11 Heiermännern, mein Startkapital vor mit auf. Ehe ich mich versah, fragte mich einer der Spieler, der nicht wie ein Jugo aussah, auf Kroatisch, wo ich denn herkäme. Schon wieder! Ich tat so, als hätte ich ihn nicht verstanden. Er verstand, die anderen allerdings auch. „Denkbar schlechter Einstieg“, dachte ich, „aber was soll´s?“
Ich setzte auf Farben. Nur auf Farben, abwechselnd Rot und Schwarz, mal eine Serie nur Rot, mal nur Schwarz, und ich setzte gut. Nach etwa einer Stunde hatte ich rund 550 Piepen in Münzen und Scheinen vor mir liegen. Ich wurde unruhig. Genauso wie der Loser links neben mir, dem um die 500 Eier abhandengekommen waren. Ich witterte, dass mein Gewinn gerade noch im Rahmen dessen lag, was ein Fremder hier einstecken durfte, ohne Schläge einzustecken. Außerdem sprach es sich rum, wenn so ein Jugo das Volk ausgenommen und das Volk das nicht witzig gefunden hatte. Spätestens dann bekam Ljubiša davon Wind. Als König erfuhr er stets, wenn Jugos irgendwo Ärger machten. Das war nun mal so in Dortmund. Er würde sich mit den Ratenzahlungen nicht mehr zufriedengeben und eine Sondertilgung verlangen. Sondertilgung ist nicht? Regel Nr. 2? Er machte die Regeln. Leider. Also kam Regel Nr. 4 zum Zug: Verdien dein Geld geheim, dann bleibt es dein. Dummerweise hatte ich es nicht so richtig geheim verdient. Daher „Ab durch die Mitte, Igor!“
In einer Kneipe zwei Straßen weiter wollte ich eigentlich nur Zigaretten kaufen. Ich blieb dort aber hängen, weil ich am Tresen Landsleute ausgemacht hatte. Echte Landsleute, bosnische Kroaten, wie ihr Dialekt verriet. Sie waren neu in der Stadt. Großes Hallo, und dann gaben wir uns die Kante. Wollte ich nicht Jugos meiden? Egal, die waren neu hier, und der König kannte mich jetzt sowieso.
Wir hatten mehr oder weniger gesittet ein Pivo (Kroatisch: Bier) nach dem anderen gekippt, als plötzlich ein Riese, der aussah wie eine schlechte Kopie von Dolph Lundgren.
„Tach, Langer, wieder mal am Rekrutieren?“ begrüßte der Wirt ihn mürrisch. Der Lange antwortete nicht. Er hob nur lässig einen Finger zum Gruß und schaute sich um. Viel zu sehen gab es nicht, wir waren die einzigen Gäste. Also drängte er sich an die Theke und uns ein Gespräch auf. Darüber, wie man irre viel Kohle machen konnte, wenn man für seinen Boss Marty PKW nach Nordafrika überführte. Ich war der einzige, der ihn verstand, darum überließen die anderen mir den Langen, das Reden und den Job. Die Kurzfassung: Man konnte quasi im Urlaub aus 1000 Mark 4500 machen, und zwar noch in diesem Monat.
„Nicht schlecht, wenn´s denn stimmt“ dachte ich. „Da kann ich meinen Gewinn möglicherweise verdreifachen. Und nebenbei lass ich mir im Süden die Sonne auf den Pelz brennen. Wenn der Job in die Hose geht, dann ist eh alles egal und Afrika eine echte Alternative. Wenn aber alles glatt läuft, dann bleibe ich noch ein paar Tage im Land und knüpfe Kontakte für einen eigenen Autohandel. Es fühlt sich zwar scheiße an, aber ich tauch pünktlich zum Stichtag wie der Phönix aus der Asche bei Alina auf, knall der Schabe 3200 Mäuse auf die Theke, eine Stange Cowboy-Zigaretten obendrauf und dann: Leck mich, Alter!“
Die Sache war zwar mit lauter „wenns“ gespickt, aber reizvoll allemal. Als der Lange abgezogen war gaben wir uns weiter die Kante. Und wenn ich mich nicht an der Theke festhielt, dann an der Visitenkarte, die Dolph mir gegeben hatte. Ich könnte jeden Tag bis 20:00 Uhr anrufen. In diesem Sinne hinein in die Rinne!