Während Lui sich noch grunzend auf meiner Gästematraze herumwälzte und seinen Rausch ausschlief, hatte ich längst meine RD vom Borsigplatz geholt und saß bei Machmut, einem netten Marokkaner, der eine nette deutsche Frau geheiratet hatte, in einem Wohnzimmer voller orientalischem Kitsch und lies mich in bestem Deutsch über deutsch-marokkanischen Autohandel aufklären. Allein schon die Telefonnummer, die Lui mir gesteckt hatte, war die Spesen wert.
Der Hase lief nämlich so: Wer die marokkanische Grenze mit dem Auto passierte, erhielt zwei Stempel in seinen Reisepass. In lateinischer und arabischer Schrift. Der eine bescheinigte die Einreise des Passinhabers, der andere die Einfuhr eines Fahrzeugs. Wenn man seinen Wagen im Land verscheuerte und den Deal wider Erwarten problemlos abwickelte, war man wegen des Autostempels spätestens bei der Ausreise gearscht.
Zunächst einmal musste man aber überhaupt ins Land kommen, und das war eine einzige Katastrophe!
Viele, wenn nicht die meisten, die im Sommer mit dem Auto ins Land wollten, waren Auslandsmarokkaner. Sie lebten in Spanien oder Frankreich, und in der Regel waren das Menschen mit Familiensinn. Wenn sie in den Ferien zur Verwandtschaft fuhren, schleppten sie alles Mögliche mit, was die Verwandten in der Heimat gebrauchen konnten oder in Auftrag gegeben hatten. All die großen und kleinen Konsumgüter, die im Land selbst nur schwer und teuer zu erstehen waren.
Den Offiziellen war das allerdings ein Dorn im Auge. Marokkaner, die außerhalb der Staatsgrenze lebten, galten für sie an sich schon als Vaterlandsverräter. Allein die Tatsache, dass sie fern der Heimat ihr Glück suchten, drückte ihnen diesen Stempel auf. Die Obrigkeit war „not amused“ darüber, dass diese Marocs alle Jahre wieder das geschmähte Vaterland für ihren Jahresurlaub missbrauchten. Und es schlug den Staatsdienern den Boden aus dem Fass, wenn die Ausgewanderten obendrein noch alles Mögliche einführen wollten. Das machte sie in den Augen König Hassans zu Ungeziefer, zu Schädlingen, zu Schmarotzern, und genau so wurden sie an den Grenzen auch behandelt.
Hunderte Meter Stau an den Grenzen bei Melilla und Ceuta. Schlangen zum Teil schrottreifer Gefährte, deren Achsen sich unter der Last der fünf Personen im Auto und dem Gedöns auf dem Dach durchbogen. Die Einreisenden mussten ihre Fahrzeuge komplett leer- und abräumen. Dann untersuchten die Zöllner alles! Und war der Stau auch noch so lang, die Grenzer winken keinen durch, der nicht wie ein Marokkaner aussah, und Marokkaner sowieso nicht. Hatte man als Europäer zehn marokkanische Autoladungen vor sich - die erkannte man schon von weitem – dann wurde es langweilig.
Mit zunehmender Wut und als wäre es erst gestern passiert, erzählte mein Gastgeber mir, dass das Ganze nur noch von den Diskriminierungen getoppt würde, die ihm und seinen Landsleuten immer wieder im spanischen Almeria widerfuhren:
Die wirklich nicht reichen Marokkaner mussten jede Pesete umdrehen. Deshalb schlugen sie den kostenpflichtigen Service der örtlichen Reisebüros aus und bemühten sich selbst um einen Platz auf der Autofähre nach Melilla. Das bedeutete stundenlanges Warten in zwei Hallen am Strand vor dem Ableger. Die Hallen waren quasi Rohbauten ohne Toiletten und ohne Getränkeautomaten, von einer Klimaanlage ganz zu schweigen. Die Hitze war unerträglich. In Halle 1 gab es nur einem Schalter, um sich für die Fähre anzumelden. Nach einer gefühlten Ewigkeit erhielt man dort die Anmeldeformulare, mit denen man in Halle 2, einen Betonklotz mit zwei Schaltern marschierte. Dort hieß es, an Schalter 1 anstehen, um die Papiere abzugeben, die man in Halle 1 erhalten hatte. Wenn die Männer das hinter sich hatten, standen sie, Stühle oder Bänke gab es nicht, in Pulks zusammen und warteten auf einen persönlichen Aufruf von Schalter 2, der sie ermächtigte, die ersehnten Tickets abzuholen.
Der Spanier hinter Schalter 2 rotzte die marokkanischen Familiennamen der Reihe nach übellaunig in ein Mikrophon. Die Megaphon ähnlichen Lautsprecher in der Halle machten das Gespei nahezu unverständlich. Die Hitze in dem Bau stieg, und mit jedem Grad erhitzten sich auch die Gemüter der Marokkaner. Grimmig dreinschauende Polizisten lehnten an den Wänden und beobachteten den Mob.
Die „Namen“, wenn man das so nennen wollte, wurden im 30-Sekunden-Takt aufgerufen. Wer seinen Namen nicht verstand oder gerade zum Pinkeln draußen war, hatte Pech gehabt. Der nächste wurde aufgerufen, und der arme Tropf war aus dem Rennen.
Es kam auch vor, dass jemand die Schlange vor Schalter 1 verließ, sei es um zu pinkeln oder um nach seiner Familie zu schauen. Wenn seine Landsleute ihn nicht mehr zurück in die Reihe ließen, wurde gedrängelt, geschubst und geschoben, geschimpft und geschlagen, und ehe man sich versah, knüppelten die spanischen Bullen, die nur auf diese Gelegenheit gewartet hatten, wahllos auf die Männer ein. Willkürlich zogen sie Marokkaner aus der sich auflösenden Schlange und droschen sie aus der Halle. Das taten sie solange, bis die Menge klein beigab und wieder eine ordentliche Reihe bildete. Dann marschierten sie neben den Wartenden auf und ab und klatschen mit den Schlagstöcken rhythmisch in ihre Handflächen. Wer rausgeschmissen worden war, durfte sich wieder in Halle 1 anstellen. Do it again, Sam! Pech für ihn, wenn die Fähre inzwischen ausgebucht war oder schon abgelegt hatte. Das bedeutete, mit Kind und Kegel am Strand auf die nächste Fähre zu warten.
Machmut empfahl mir wärmsten, das Ganze über ein Reisebüro abzuwickeln. Dann fragte er mich, wohin ich das Auto bringen sollte, und um was für ein Auto es sich handelte.
„Al Ho... keine Ahnung wie das genau heißt. Werde ich noch erfahren. Soll ein DB 200 sein.“
„Ein /8? Dann soll der Deal wohl in Al Hoceïma ablaufen. Die Karre geht dann bestimmt nach Ketama, und das Ganze wird von Ketama aus organisiert. Das könntest du unter Umständen nicht überleben. Die Drogenbosse dort sind skrupellos. Überlege dir das gut!“ meinte er und sah mich eindringlich an.
„Rechne damit, dass du übers Ohr gehauen wirst. Und zwar nicht zufällig, sondern von vorn herein geplant. Möglicherweise schon von Deutschland aus! Du bist jung und ein harter Bursche, vielleicht schaffst du es. Du musst alles genauestens vorbereiten. Lass dir bloß in Al Hoceïma keinen Kiff andrehen, und vor allem: Fahre nicht nach Ketama! Weder allein noch mit deinem Mittelsmann. Wickel den Deal, wenn überhaupt, in Al Hoceïma ab. Nur dort hast du wirklich eine Überlebenschance!“ Klang rosig, nicht wahr?
„Ketama“, erklärte er weiter, „ist keine Stadt oder ein Dorf, sondern eine autonome Provinz. Der größte Ort dort ist Tlata Ketama und die Region ist das Hauptanbaugebiet von Haschisch für den europäischen Markt. Die Barone dort schmeißen mit dem Geld nur so um sich. Als ich das letzte Mal in Nordmarokko war, gab es in Ketama nur einen Polizisten. Der besaß ein Dienstfahrrad, und Ketama ist eine Gebirgsregion! Das wird sich in den letzten drei Jahren nicht geändert haben, weil das so, wie es ist, gewünscht ist. Die Barone zeigen dem Beamten die lange Nase, wenn sie ihn mit ihren Daimler überholen. Schrottdaimler 200/8 wohlgemerkt. Denn gemessen am Straßenverkaufswert von umgerechnet acht bis 10 Mark pro Gramm Haschisch hier in Deutschland erhalten die Großen in Ketama für ihre ‚Ware‘ einen Witzbetrag. Dennoch leben sie für marokkanische Verhältnisse in großem Luxus, und ihr alter Benz ist ein echtes Statussymbol.“
Machmut unterbrach sich und sah mich wieder bohrend an:
„Igor, ich glaube, ich mag dich. Deshalb noch einmal: Überlege dir gut, was du da tust.“
Mir helfen und für mich Kontakte vor Ort herstellen wollte Machmut nicht. Er hatte mit der Sache komplett abgeschlossen. Warum, wollte er nicht sagen. Das merkte ich und fragte nicht nach.
Er stand auf. Das Gespräch war beendet. Trauer lag in der Luft, und es kam mir vor, als hätte Machmut auch mit mir abgeschlossen. Die Begleitung zur Haustür hatte eher den Charakter von Abschiednehmen als von Auf Wiedersehen. Ich wollte aber weder von meinem Geld noch von meinem Finger Abschied nehmen. Also meldete ich mich allen Unkenrufen zum Trotz von einer Zelle aus bei Marty an und fuhr zu seiner Werkstatt nach Dortmund-Schnee.
Der Hase lief nämlich so: Wer die marokkanische Grenze mit dem Auto passierte, erhielt zwei Stempel in seinen Reisepass. In lateinischer und arabischer Schrift. Der eine bescheinigte die Einreise des Passinhabers, der andere die Einfuhr eines Fahrzeugs. Wenn man seinen Wagen im Land verscheuerte und den Deal wider Erwarten problemlos abwickelte, war man wegen des Autostempels spätestens bei der Ausreise gearscht.
Zunächst einmal musste man aber überhaupt ins Land kommen, und das war eine einzige Katastrophe!
Viele, wenn nicht die meisten, die im Sommer mit dem Auto ins Land wollten, waren Auslandsmarokkaner. Sie lebten in Spanien oder Frankreich, und in der Regel waren das Menschen mit Familiensinn. Wenn sie in den Ferien zur Verwandtschaft fuhren, schleppten sie alles Mögliche mit, was die Verwandten in der Heimat gebrauchen konnten oder in Auftrag gegeben hatten. All die großen und kleinen Konsumgüter, die im Land selbst nur schwer und teuer zu erstehen waren.
Den Offiziellen war das allerdings ein Dorn im Auge. Marokkaner, die außerhalb der Staatsgrenze lebten, galten für sie an sich schon als Vaterlandsverräter. Allein die Tatsache, dass sie fern der Heimat ihr Glück suchten, drückte ihnen diesen Stempel auf. Die Obrigkeit war „not amused“ darüber, dass diese Marocs alle Jahre wieder das geschmähte Vaterland für ihren Jahresurlaub missbrauchten. Und es schlug den Staatsdienern den Boden aus dem Fass, wenn die Ausgewanderten obendrein noch alles Mögliche einführen wollten. Das machte sie in den Augen König Hassans zu Ungeziefer, zu Schädlingen, zu Schmarotzern, und genau so wurden sie an den Grenzen auch behandelt.
Hunderte Meter Stau an den Grenzen bei Melilla und Ceuta. Schlangen zum Teil schrottreifer Gefährte, deren Achsen sich unter der Last der fünf Personen im Auto und dem Gedöns auf dem Dach durchbogen. Die Einreisenden mussten ihre Fahrzeuge komplett leer- und abräumen. Dann untersuchten die Zöllner alles! Und war der Stau auch noch so lang, die Grenzer winken keinen durch, der nicht wie ein Marokkaner aussah, und Marokkaner sowieso nicht. Hatte man als Europäer zehn marokkanische Autoladungen vor sich - die erkannte man schon von weitem – dann wurde es langweilig.
Mit zunehmender Wut und als wäre es erst gestern passiert, erzählte mein Gastgeber mir, dass das Ganze nur noch von den Diskriminierungen getoppt würde, die ihm und seinen Landsleuten immer wieder im spanischen Almeria widerfuhren:
Die wirklich nicht reichen Marokkaner mussten jede Pesete umdrehen. Deshalb schlugen sie den kostenpflichtigen Service der örtlichen Reisebüros aus und bemühten sich selbst um einen Platz auf der Autofähre nach Melilla. Das bedeutete stundenlanges Warten in zwei Hallen am Strand vor dem Ableger. Die Hallen waren quasi Rohbauten ohne Toiletten und ohne Getränkeautomaten, von einer Klimaanlage ganz zu schweigen. Die Hitze war unerträglich. In Halle 1 gab es nur einem Schalter, um sich für die Fähre anzumelden. Nach einer gefühlten Ewigkeit erhielt man dort die Anmeldeformulare, mit denen man in Halle 2, einen Betonklotz mit zwei Schaltern marschierte. Dort hieß es, an Schalter 1 anstehen, um die Papiere abzugeben, die man in Halle 1 erhalten hatte. Wenn die Männer das hinter sich hatten, standen sie, Stühle oder Bänke gab es nicht, in Pulks zusammen und warteten auf einen persönlichen Aufruf von Schalter 2, der sie ermächtigte, die ersehnten Tickets abzuholen.
Der Spanier hinter Schalter 2 rotzte die marokkanischen Familiennamen der Reihe nach übellaunig in ein Mikrophon. Die Megaphon ähnlichen Lautsprecher in der Halle machten das Gespei nahezu unverständlich. Die Hitze in dem Bau stieg, und mit jedem Grad erhitzten sich auch die Gemüter der Marokkaner. Grimmig dreinschauende Polizisten lehnten an den Wänden und beobachteten den Mob.
Die „Namen“, wenn man das so nennen wollte, wurden im 30-Sekunden-Takt aufgerufen. Wer seinen Namen nicht verstand oder gerade zum Pinkeln draußen war, hatte Pech gehabt. Der nächste wurde aufgerufen, und der arme Tropf war aus dem Rennen.
Es kam auch vor, dass jemand die Schlange vor Schalter 1 verließ, sei es um zu pinkeln oder um nach seiner Familie zu schauen. Wenn seine Landsleute ihn nicht mehr zurück in die Reihe ließen, wurde gedrängelt, geschubst und geschoben, geschimpft und geschlagen, und ehe man sich versah, knüppelten die spanischen Bullen, die nur auf diese Gelegenheit gewartet hatten, wahllos auf die Männer ein. Willkürlich zogen sie Marokkaner aus der sich auflösenden Schlange und droschen sie aus der Halle. Das taten sie solange, bis die Menge klein beigab und wieder eine ordentliche Reihe bildete. Dann marschierten sie neben den Wartenden auf und ab und klatschen mit den Schlagstöcken rhythmisch in ihre Handflächen. Wer rausgeschmissen worden war, durfte sich wieder in Halle 1 anstellen. Do it again, Sam! Pech für ihn, wenn die Fähre inzwischen ausgebucht war oder schon abgelegt hatte. Das bedeutete, mit Kind und Kegel am Strand auf die nächste Fähre zu warten.
Machmut empfahl mir wärmsten, das Ganze über ein Reisebüro abzuwickeln. Dann fragte er mich, wohin ich das Auto bringen sollte, und um was für ein Auto es sich handelte.
„Al Ho... keine Ahnung wie das genau heißt. Werde ich noch erfahren. Soll ein DB 200 sein.“
„Ein /8? Dann soll der Deal wohl in Al Hoceïma ablaufen. Die Karre geht dann bestimmt nach Ketama, und das Ganze wird von Ketama aus organisiert. Das könntest du unter Umständen nicht überleben. Die Drogenbosse dort sind skrupellos. Überlege dir das gut!“ meinte er und sah mich eindringlich an.
„Rechne damit, dass du übers Ohr gehauen wirst. Und zwar nicht zufällig, sondern von vorn herein geplant. Möglicherweise schon von Deutschland aus! Du bist jung und ein harter Bursche, vielleicht schaffst du es. Du musst alles genauestens vorbereiten. Lass dir bloß in Al Hoceïma keinen Kiff andrehen, und vor allem: Fahre nicht nach Ketama! Weder allein noch mit deinem Mittelsmann. Wickel den Deal, wenn überhaupt, in Al Hoceïma ab. Nur dort hast du wirklich eine Überlebenschance!“ Klang rosig, nicht wahr?
„Ketama“, erklärte er weiter, „ist keine Stadt oder ein Dorf, sondern eine autonome Provinz. Der größte Ort dort ist Tlata Ketama und die Region ist das Hauptanbaugebiet von Haschisch für den europäischen Markt. Die Barone dort schmeißen mit dem Geld nur so um sich. Als ich das letzte Mal in Nordmarokko war, gab es in Ketama nur einen Polizisten. Der besaß ein Dienstfahrrad, und Ketama ist eine Gebirgsregion! Das wird sich in den letzten drei Jahren nicht geändert haben, weil das so, wie es ist, gewünscht ist. Die Barone zeigen dem Beamten die lange Nase, wenn sie ihn mit ihren Daimler überholen. Schrottdaimler 200/8 wohlgemerkt. Denn gemessen am Straßenverkaufswert von umgerechnet acht bis 10 Mark pro Gramm Haschisch hier in Deutschland erhalten die Großen in Ketama für ihre ‚Ware‘ einen Witzbetrag. Dennoch leben sie für marokkanische Verhältnisse in großem Luxus, und ihr alter Benz ist ein echtes Statussymbol.“
Machmut unterbrach sich und sah mich wieder bohrend an:
„Igor, ich glaube, ich mag dich. Deshalb noch einmal: Überlege dir gut, was du da tust.“
Mir helfen und für mich Kontakte vor Ort herstellen wollte Machmut nicht. Er hatte mit der Sache komplett abgeschlossen. Warum, wollte er nicht sagen. Das merkte ich und fragte nicht nach.
Er stand auf. Das Gespräch war beendet. Trauer lag in der Luft, und es kam mir vor, als hätte Machmut auch mit mir abgeschlossen. Die Begleitung zur Haustür hatte eher den Charakter von Abschiednehmen als von Auf Wiedersehen. Ich wollte aber weder von meinem Geld noch von meinem Finger Abschied nehmen. Also meldete ich mich allen Unkenrufen zum Trotz von einer Zelle aus bei Marty an und fuhr zu seiner Werkstatt nach Dortmund-Schnee.