Die Ketama Connection, Kapitel 3 (Teil 1)

Peter

Mitglied
III

Der Blickfang war ein verdreckter Kühlschrank. Obendrauf eine ebensolche Kaffeemaschine und mindestens zehn benutzte Tassen. Der Boden war ringsum mit Kaffeepulver, leeren Milchtüten und den Scherben der Tassen übersät, die oben keinen Platz mehr gefunden hatten. In den Ecken stapelten sich alte Zeitungen und Automagazine. Die Tapetenreste an den Wänden waren schwarz gesprenkelt. Es roch nach Schmierstoffen und Benzin und irgendwie auch nach Moder.
Durch die Fenster drang kein Licht, weil die Löcher mit Lamellenjalousien, Spinnweben und Dreck verhangen waren. Als ich in der Tür stand, las ich über dem Türrahmen auf einem Schild die Aufschrift „BÜRO“. Das beugte allen Missverständnissen vor: Jawohl Igor, du befindest dich hier im Büro einer Kfz-Werkstatt. Ein Büro, das übelst verqualmt war.
Auf dem Weg zu dieser Miefkammer hätte ich mir fast die Beine gebrochen. Ich musste durch eine dunkle Halle stelzen, deren Boden komplett mit Schrott, Müll und Öllachen bedeckt war, und mir war klar, dass hier kein vernünftiger Mensch einen Gebrauchtwagen kaufen würde. Die Halle erinnerte mich sehr an die Scheune meines Bauern. Der alte Herr war hatte im Krieg einiges abbekommen und dafür nach dem Krieg keine Frau. Er war gehbehindert, hatte bekanntlich nur einen Arm und keine Kohle für einen Knecht. Deshalb musste er sich auf das Wesentliche beschränken, und das Aufräumen der Scheune gehörte nicht dazu. Marti dagegen war ein Kerl von Anfang 50, nicht gehbehindert mit zwei gesunden Armen, Kohle für einen blondierten Knecht, und ob er eine Frau hatte, war mir ehrlich gesagt scheißegal. Ich hätte ja dem Langen schon aus Jux und Tollerei einen Besen in die Hand gedrückt.
Ich betrat den miefigen Raum. Marty saß seitlich, ein Bein über das andere geschlagen, hinter einer zum Schreibtisch umgebauten Werkbank. Er rauchte, blickte kurz von seiner Zeitung auf und grinste stumm, um sich dann wieder seiner Zigarette und der Zeitung zu widmen. Ich lümmelte mich auf einem schäbigen Stuhl vor dem Tisch und schaute mir meinen Auftraggeber genauer an.
Ein Bär von einem Kerl. Ein Gelbbär übrigens. Seine Haut, die Haare, die Zähne beziehungsweise das, was davon noch übrig war, … alles nikotingelb. Mit Ausnahme der Finger seiner rechten Hand. Die waren braun. Einer dieser Menschen also, die auch im Schlaf rauchten. Ich unterzog Martys „Schreibtisch“ einer kritischen Prüfung. Wenn es auch keiner im eigentlichen Sinne war … auf so einem Möbelstück hatte ich jüngst einfach zu schlechte Erfahrungen gemacht, um es nicht zu inspizieren. Da standen ein speckiges Telefon und ein überquellender Aschenbecher drauf, daneben zwei angebrochene Schachteln Reval. Als einzige Lichtquelle diente eine altmodische Schreibtischlampe, die Rauchschaden aufwirbelte.
An der rechten Seite lehnte aus mir schleierhaften Gründen eine alte Käferstoßstange mit nur einem Horn. Sofort spürte ich ein Drücken in der Magengegend. Mit aller Gewalt riss ich mich aus einem Gedankenwust über mit Käferstoßstangen erschlagenen Menschen.
„Nee, Igor“, dachte ich, „Marty ist einfach nur ein unordentliches Schwein und keine Schabe. Die Stoßstange passt ins Bild, und an ihr klebt auch kein Blut.“ Mein Magen beruhigte sich.
Marty´s lichtes zurückgekämmtes Haar, die Lampe, überhaupt die ganze Szenerie erinnerte mich an den Detektiv in dieser Fielmann-Werbung, die seit Monaten immer mal wieder über die Mattscheibe flimmert. Nur das hier anders als in dem Werbespot alles pottdreckig, Marty gelb im Qualm und nicht allein. Der Lange stand hinter ihm und brachte seine Zweimeterundfünf in martialischer Pose zur Geltung: Muskel-Shirt, die Arme vor der Brust verschränkt und der Blick eines, der entschlossen war, die Welt zu vernichten.
„Also zur Sache, Mann.“ nuschelte Marty und legte gelangweilt die Zeitung zur Seite.
„Der Lange hat mir erzählt, dass´de aus Jugoslawien komms´ un´ Lust auf´en Zusatzverdiens´ has´. Stimmt´s oder hab´ ich Recht?“
Entweder hatte er einen Sprachfehler oder er war einfach nur zu faul den Mund weit aufzumachen. Ich tippte auf letztes. Der Kerl nervte mich vom ersten Moment an.
„Ja, das stimmt, und du hast Recht.“ gab ich ebenso gelangweilt zurück.
„Has´te ´nen deutschen Ausweis?“
Ich lehnte mich zurück und schaute ihn ein paar Sekunden lang stumm an, bevor ich pampig antwortete:
„Nein, hab´ ich verkauft! Ist das ein Problem?“
Marty schaute mich dämlich an. Ich atmete hörbar tief durch.
„War nur´n Witz. Ich bin eingebürgert und habe natürlich auch einen deutschen Pass.“ „Zeig ihm den Reisepass!“ durchzuckte mich ein Geistesblitz und formte sich in Windeseile zu einer genialen Idee. „Dummerweise hab´ ich nur ´nen Reisepass dabei. Hast du jetzt ein Problem?“
„Kein Problem, es sei denn, du bis´ eins. Führerschein?“
Das war der Hammer. Ich zeigte mit dem Daumen auf meine Motorradjacke.
„Was meist´e denn, womit ich hier bin?“
Völlig unbeeindruckt fuhr Marty fort:
„Zeig mir ma´ den Lapp´n, vielleicht hast´e ja nur´n jugoslawisch´n Mopedführerschein. Und dein´ Pass´ un´ die Papiere von deiner Karre auch!“
„Was soll denn das jetzt?“ maulte ich. „Bist du ein scheiß Bulle oder was?“
„Blödsinn! Will nur wiss´n, wer´de wirklich bis´ und wo´de herkomms´, Mann. Kanns´ mir ja all´n möglich´n Scheiß erzähl ´n!“
„Ist das nicht egal? Ich meine, du bekommst die Kohle bar auf die Hand, und dass ich den Transfer durchziehe, liegt ja wohl in meinem eigenen Interesse!“
Er fuhr mit seiner braunen Pranke über den Tisch.
„Pass, Lapp´n un´ Schein!“
Ich hätte auch gegen die Wand reden können.
„Wenn´s denn sein muss.“ Ich zückte meine Brieftasche und suchte darin umständlich und mit verdrehten Augen nach den gewünschten Papieren. Die Brieftasche hielt ich so, dass er nicht reinlinsen konnte und zufällig den Perso erspähte. Den Reisepass holte ich aus der Innentasche.
„Bitte sehr!“ Ich warf ihm den Lappen, den Pass und den Schein rüber. Wie einem Hund.
Marty ignorierte das mit dem Hund. Er beugte sich ein wenig vor und nahm die Papiere mit der ihm eigenen Ruhe vom Tisch. Dann lehnte er sich zurück, schlug die Beine wieder übereinander und blätterte in meinem Reiseausweis.
„Igor Iovan Mesi?, Igor unterstrich´n“ murmelte er, „gebor´n 1954 in Mostar. So, so.“
Ehe ich mich versah, flog der Pass über den Tisch, tat einen tückischen Aufsetzer und landete vor meinen Füßen. Das war wohl die Retourkutsche für den Hund.
Statt mich zu rühren, schaute ich ihn nur an. Ich hob erst die rechte, dann die linke Augenbraue und wartete auf irgendeine Reaktion dieses blöden Kerls. Fehlanzeige. Marty griff sich den KFZ-Schein.
„Brackeler Straße 3. So, so, Borsigplatz. Geile Gegend!“
brummte er. Er erwartete keine Antwort und nahm sich meinen Führerschein vor.
„Tatsächlich, Klasse Eins un´ Drei.“ Und dann unerwartet:
„Wieso kenn´ter Lange dich nich´, wenn´de dort wohn´s? Der hat da öfter zu tun!“
Wie Lui gesagt hatte! Kleiner Goldjunge! Ich streifte den Langen mit einem abschätzigen Blick und wandte mich an Marty:
„Kennt der dort jeden oder was?“ Dann beugte ich mich etwas vor und sagte langsam und beherrscht:
„Ich wohne da, und das war´s. Reiner Zufall, dass der da mich in einer Kneipe aufgegabelt hat. Ich bin nämlich kein Kneipenhänger. Aber weil du es bist, sag ich es dir, wie das war: Bin da nur rein, um Fluppen zu kaufen. Ich traf auf Landsleute und blieb dort hängen! Und auf einmal stand der Lange am Tresen.“ Demonstrativ lehnte ich mich zurück und verschränkte die Arme.
Glücklicherweise hatte ich besagte Kneipe vorher tatsächlich noch nie betreten. Das würde der Wirt bestätigen, wenn der sich mit dem Langen überhaupt auf ein Gespräch einließ.
Am Borsigplatz hatte ich übrigens nie gewohnt. Ich wollte das mal, als ich eine Tussi in der Brackeler Straße hatte. Seitdem war etwa ein Jahr vergangen. Ich hatte von Güllepfützen die Nase voll gehabt und mich mehr bei ihr als in Selm aufgehalten. Nach drei Monaten wollten wir offiziell zusammenziehen und uns die Miete teilen. Ich war morgens wegen der Ummeldung zum Amt gelatscht, ganz gegen meine Art, denn eigentlich hasste ich Behördenkram. Nur ihr zuliebe hatte ich Stunden auf dem Amt zugebracht, denn für Pia, so hieß die Süße, musste alles immer seine Ordnung haben. Als ich damit durch war und bei ihr, besser gesagt bei uns unten an der Haustür klingelte, flog ein Fenster auf und meine Klamotten raus. Die Schallplattensammlung kam gleich hinterher. Sie hatte davon Wind bekommen, dass ich zwischendurch mal was mit einer anderen Tussi am Laufen hatte. Dumm gelaufen. Ich ließ die kaputten LPs und die Klamotten auf dem Gehweg liegen - man hat schließlich seinen Stolz – und zog mit dem, was ich am Leibe trug, vorrübergehend wieder bei Karl ein. Drei Wochen später konnte ich mich bei Frau Menke einmieten. Eine Einliegerwohnung. Sie wollte, obwohl oder gerade weil sie eine schwache alte Frau war, einen kräftigen Mann als Mieter haben, der ihr gelegentlich bei Reparaturen half oder den Rasen mähte.
 



 
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