Ich durfte mich erneut ummelden. Dummerweise hatte ich bei der Ummeldung den KFZ-Schein nicht dabei. Ich hatte aber keinen Bock, noch mal auf dem Amt abzuhängen. Also fuhr weiter mit einem Dortmunder Kennzeichen rum, obwohl ich im Ennepe-Ruhr-Kreis gemeldet war. Das hatte mich bei einer Kontrolle schon mal 10 Mark gekostet. Aber die 10 Mark hatten mir nicht weh genug getan, um aktiv zu werden. Gut so, denn für Marty hauste ich nun am Borsigplatz, und nichts deutete darauf hin, dass ich quasi 1000 Meter Luftlinie von seiner Werkstatt entfernt wohnte und ihm mit einem Fernglas beim Hinternabwischen zuschauen konnte.
Marty schaute zu Dolph hoch. Der zog ein langes Gesicht.
„Warum has´te dei´n Reispass dabei un´ kei´n Perso?“
Mist! Was der alles wissen wollte. So genau war mein genialer Plan dann doch noch nicht ausgefeilt. Ich improvisierte.
„Weil ich heute eigentlich zum Reisebüro wollte. Urlaub buchen. Eine Woche Djerba. Doch gestern lernte ich den Langen kennen. Also bin ich hier statt im Reisebüro. Ob nun Tunesien oder Marokko, das ist mir eigentlich Wurscht. Aber wenn wir ins Geschäft kommen, dann wird der Urlaub nicht nur günstiger, sondern sogar lukrativ.“ kam es mir glatt über die Lippen.
Marty war noch nicht restlos überzeugt. Er zündete eine Reval an und versuchte es ein letztes Mal:
„Keine Freunde oder Verwandte in der Gegend? Kein Stammlokal?“
„Nein. Ich mag keine Kneipen, hab´ ich doch schon gesagt! Und wenn der da den Borsigplatz abläuft, bis die Sohlen durch sind – er wird mich dort in den Pinten oder Trinkhallen nicht antreffen! Normalerweise jedenfalls nicht!“ Ich warf unwillig die Hände in die Luft und schüttelte den Kopf. „Vielleicht bin ich ja nicht der Richtige für euren Job!“
Marty war immer noch nicht überzeugt. Ich ging aufs Ganze und stand auf, die Hand nach den Papieren ausgestreckt.
„Okay, Alter, gib mir meine Papiere wieder. Wenn ihr mir nicht traut, dann läuft die Sache halt nicht. Ich muss euch auch trauen und stelle keine blöden Fragen!“
Marty machte keine Anstalten, die Papiere rauszurücken. Er schaute mich an, dann den Langen, dann wieder mich.
„Also was jetzt?“ fragte ich scharf.
Marty schnaufte: „Setz dich wieder hin, Mann! Die Sache läuft!“
Ich setzte mich wieder.
„Und wie soll das bitteschön laufen?“
„Blöde Frage!“ grunzte er und drückte seine Zigarette aus.
„Du überführ´s n´ Auto. Das ha´ter Lange dir doch schon gesagt.“
„Und das war dann auch alles, was mir der Lange gesagt hat. Jetzt rede mal Tacheles!“
Marty betrachtete mich von oben bis unten. Mit zusammengekniffenen Augen holte er tief Luft und stemmte seine Pranken auf die schmierige Tischplatte. Sein massiger Oberkörper kam mir bedrohlich nahe.
„Hör zu, du Würstchen! Du kaufs´ hier´n 200/8 für 1000 Mark und überführs´ ihn nach Marokko. Ham ´n bischen Druck, nur ein Fahrer zurzeit, un´ der is´ abgesprun´n. Sin´ aber noch voll im Zeitplan. Nur, dass die Karre näch´se Woche raus muss. Nach Al Hoceïma in Nordmarokko. Unser Kontaktmann erwartet dich dort näch´se Woche. Am 10 April. Merk dir das: Freitag, 10. April, Al Hoceïma, Nordmarokko! Der Kontaktmann zahlt´ir 3500 Mark beziehungsweise´n Geg´nwert in US-Dollar. Der Abnehmer steht jetz´ schon fest, die Zahlung is´ also garantiert.“
Er machte den Versuch einer rhetorischen Pause. Ich sollte das alles auf mich wirken lassen. Mit einer kalten Reval im Maul und erhobenem Zeigefinger fuhr er grinsen fort:
„Jetz´ rechne ma´ nach! Du verdiens´ 3500 Eier un´ machs´ obendrein noch Urlaub in Nordafrika. Oder eb´n nich´, wenn´de gleich wieder abhaus´. Aber du will´s ja Urlaub mach´n. Un´ überhaupt, was soll das Gequatsche hier? Will´ste nich´ ers´mal das Auto seh´n?“
„Nee, später. Ich will wissen, wer den Sprit, die Maut und die Fähre bezahlt. Und die Rückreise natürlich. Wenn du mir das gesagt hast, dann kommen wir zum Auto.“
Der Lange starrte mich böse an. Marty gab sich gelassen. Er zündete seine Fluppe in aller Seelenruhe an, bevor er losbrummte:
„Was denk´ste dir? Spesen oder was? Nee, nee, dein´ Urlaub muss´te schon selbst bezahl´n. Mach´s billig, dann bleibt mehr für dich übrig. Kanns´ zum Beispiel ´n Diesel in Holland tank´n und´n Kofferraum mit Reservekanistern vollpack´n. Und du kanns´ auf´er Landstraße bleib´n. Dann spar´ste die Maut. Die Rückreise dann zweiter Klasse mit´er Bummelbahn. Hat dein Vorgänger Sven auch immer so gemacht. Am Ende hatte er jedes mal 3200 Mäuse in´ ner Tasche. Alles klar?“
Ich schaute ihn belustigt an. Hin- und Rückreise für lausige 300 Piepen? Plus Hotel, Maut, Fähre? Die Reise kostete mich mindestens 800! Wenn ich das durchzog, blieben 2700 für mich. Plus gut 850, die von Luis und meiner grandiosen Zocktour übriggeblieben waren. Das war gut. Das Leben in Marokko war für einen Touristen günstig, hatte Machmut gesagt. Wenn man nicht gerade ein Hotel mit europäischem Standard wählte, sondern so etwas wie eine Pension. Meinen Kühlschrank musste ich zwar nach Luis Fressattacke wieder auffüllen, aber nur mit dem üblichen Aldikram. Das passte schon. Und zwei Tage vor dem nächsten Date bei Alina kam meine Stütze. Ich hatte also etwas Luft nach oben und eine Reserve für alle Fälle. Wenn das glatt lief, kam ich auf jeden Fall vor Eingang meiner Stütze nach Dortmund zurück, konnte die Schabe ausbezahlen und hatte immer noch ein dickes Portemonnaie. Erneut stießen mir die vielen „wenns“ übel auf. Aber was hatte ich zu verlieren? Der Einsatz betrug 1800 Mark plus sonstige Kosten. Blieb ich hier, verlor ich einen Finger. Außerdem: Reichst du dem König den kleinen Finger, nimmt er vielleicht die ganze Hand. Bis jetzt schlug die Waage, besser gesagt der Kompass eindeutig in Richtung Al Hoceïma aus. Im Moment ärgerte mich nur, dass Marty mich für 300 Piepen hin und zurück reisen lassen wollte.
„Also, schon das Bahnticket für die Rückreise kostet um die 300 Mark. Dazu kommen dann noch Fähre und holländischer Diesel. Vom Hotel vor Ort ganz zu schweigen. Erzähl mir also keinen Scheiß!“
Marty, dieses altes Schwein, blies mir den Rauch seiner Reval ins Gesicht. Dann hob er bedächtig den Zeigefinger und fuhr ungerührt fort, als hätte er meinen Einwand nicht gehört:
„Ach so, und für den Marokkodeal gibt’s natürlich kein´ Vertrag. Wir mach´n `n Vertrag über´n Autokauf, mehr nich´. Das ganze is´ nämlich ´n bisschen illegal, zumindest auf marokkanischer Seite. Aber da drüben merkt ja eh keiner, was Ambach is´. Wir mach´n das Geschäft mit Al Hoceïma schon seit Jahr´n, un´ es gab noch nie Schwierigkeiten. Frag´n?“
Er blies mir wieder ins Gesicht.
„Ja. Kannst du mal aufhören, mich anzublasen? Und noch was: Wo steht der Wagen, und warum ist dieser Sven ausgestiegen?“
Diesmal lies Marty sich mit der Antwort keine Zeit.
„Ich blas an, wen ich will, den Daimler zeigt dir der Lange gleich, un´ dein Vorgänger hat sich letzt´n Winter in Ketama verliebt. Hat sich am Schwanz rumschnippeln lass´n und ´ne Berberschickse geheiratet, ´ne Nichte uns´res Mittelsmanns. Jetz´ lebt´er als braver Mohammedaner in Ketama un´ hat uns ausricht´n lass´n, wir könnt´n ihn alle mal am Arsch leck´n.“
Er bleckte seine gelben Zähne.
„Wir wiss´n, wo er wohnt un´ werd´n ihn beizeiten in denselben tret´n.“
„Kompliment Marty! Nicht schlechter gelogen als ich.“ dachte ich. Der Lange unterdrückte ein Grinsen, während Marty mir aalglatt einen vom Pferd erzählte. Ich hörte folgendes raus: Der Fahrer, hieß er nun Sven oder Hans Wurst, war in Ketama entsorgt worden, und sie wussten, wo er lag.
Meine Beisetzung war sicher auch schon geplant, dachte ich grimmig.
Jetzt juckte es mich erst recht, Marty so richtig eins zu verpassen. Weil ich ein Zocker war. Und weil ich es nicht leiden konnte, wenn mich jemand verheizen wollte. Meine Schabenschulden spielten auf einmal nur noch eine Nebenrolle. Das hier war ein neues Spiel!
Ich winkte kopfschüttelnd ab.
„Ach, ist das nicht normal, dass man sich in Ketama oder wie das heißt verliebt und sich dann kastrieren lässt? Sag dem Babysitter mal, er soll mir die Karre zeigen.“
Das Gesicht des Langen wurde hart. Er kniff die Augen zusammen und setzte sich wütend in Bewegung. In meine Richtung.
„Alter, ich klopp dir …“ Marty hob die Pranke und bremste den Langen aus, ohne mich aus den Augen zu lassen:
„Halt´n Rand, Langer!“ Dann zischte er mich an:
„Und was dich angeht, du kleines Stück Jugoslavenscheiße, ich brauch keinen Babysitter. Merk dir das ein für alle Mal! Und wenn du hier weiterhin den dicken Max markierst, dann bind ich dir die Stoßstange als Krawatte um den dreckigen Hals und jag dich vom Hof. Hast du verstanden, du Wichser?“
Deutlich in jeder Hinsicht! Wenn er wollte, dann konnte er also auch richtig sprechen.
Das mit der Stoßstange nahm ich ihm ab. Wegjagen würde er mich nicht, er brauchte mich. Ich hob entschuldigend die Hände:
„Geht klar, Marty. Nichts für ungut. Kann ich mir jetzt bitte mal das Auto ansehen?“
„Sieh´ste, geht doch.“ fiel Marty gönnerhaft ins Nuscheln zurück. Dann tauchte er unter und kramte in den Schubladen der Werkbank nach dem Autoschlüssel. Der Lange grinste wieder blöd.
„Langer, zeig ihm’n Wag´n!“ Marty hielt ihm kopfüber den Schlüssel unter die Nase. Der Lange nahm den Schlüssel und deutete mit dem Daumen nach links zu einer hinter Dreck verborgenen Seitentür. Bitte nach Ihnen, signalisierte ich, klaubte die Papiere vom Tisch und hob meinen Pass auf. Der Dolph-Lundgren-Verschnitt stampfte voraus und knallte mir die Tür direkt vor der Nase zu. Ich stand im Staub.
Marty lachte scheppernd auf:
„Hä, hä, hä! Was binnich froh, dass ihr nich´ zusamm´ nach Marokko fah´t! Da wär´ der Wag´n hin!“
Ich verließ die Dunkelkammer, spuckte und klopfte mich ab. Es war zwei Uhr nachmittags, ein Bilderbuchwetter, die Sonne lachte. Geblendet blieb ich stehen und suchte blinzelnd unter etwa 20 Autos nach dem Daimler. Marty tauchte neben mir auf, mit Sonnenbrille.
„Da steht er.“
Marty zeigte zum Ende des Hofes, etwa zwanzig Meter von uns entfernt. Der Lange hatte schon die Türen und die Hauben geöffnet. Ich ging zum Auto. Ein Mercedes Benz 200D, bestimmt fünfzehn Jahre alt. Strahlend weiß. Bei näherem Hinsehen entpuppte der Lack sich als Verkaufsanstrich. Die Banausen hatten sich nicht die Mühe gemacht, vorm Lackieren die Zierleisten zu entfernen. Nur abgeklebt, wie man an einer Stelle sehen konnte. Ich marschierte einmal um die Karre herum. Der zweite Eindruck war gut: Keine Beulen und, oberflächlich betrachtet, auch kein Rost. Reifen okay, neue Wischblätter. Und womit ich im Traum nicht gerechnet hätte: Der Wagen war innen und außen sauber!
„Warum habt den umgespritzt?“ wollte ich wissen.
„Weil die Marokkaner ´nen Spleen für Weiß hab´n", schnarrte Marty. „Wir´ste noch seh´n, wenn´ de dort bis´. Alles weiß. Is´ für die ´n Zeichen von Reinheit. Tja, wenn man schon so ´ne Rußschleuder fährt, sollte ´se wenig´sens rein ausseh´n.“
Er lachte allein. Ich schaute mir das hintere Nummernschild an.
„Der hat ja nur noch bis Mai TÜV!“ rief ich ihm zu.
Marty schlenderte gemütlich zu mir hin und meinte trocken:
„Na und? Du fährs´ im April. Schon vergess´n? Wo is´ das Problem?“
„Das Problem, Herr Kfz-Meister, ist folgendes: Diese Karre ist so keine 2000 Mark wert!“
Marty ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er nahm seine Sonnenbrille von der Nase und grinste. Richtig lieb sah er aus, wenn man ihm nicht in die kleinen kalten Schweinsaugen schaute.
„Stimmt! Die Karre is´ sogar 4500 Mark wert. Un´du kauf´s sie für 1000! Denk dran, das Schmuckstück geht in ´n Land, das weder TÜV noch son´was kennt. Selb´s Fahr´n mit defekt´n Brems´n un´ blank´n Reif´n is´ da normal.“
Defekte Bremsen? Ich zuckte zusammen.
„Hä, hä, hä!“ schepperte er wieder und klopfte mir auf die Schulter, „Hast´e jetz´Schiss? Bis´ doch nich´ so hart, wie´de immer tus´, wa? Komm, mach dir nich´ ins Hemd, Kleiner, der Wagen is´ Werkstatt geprüft. Würde so durch´n TÜV geh´n!“
„Okay, okay.“ meinte ich und drückte die Kofferraumhaube zu.
„Kann ich mal eine Probefahrt machen?“
„Klaro.“ nuschelte er. „Der Schlüss´l müss´te schon steck´n. Langer, mach ma´ vorne dicht!“ Er hielt mir wieder seine Pranke hin. „Vorher gib´ste mir aber deine Papiere!“
Der Lange schlich missmutig nach vorne und knallte die Motorhaube zu, während ich Marty meine Papiere als Pfand gab. Mit den Worten „Ich bin dann mal ´ne Stunde weg.“ verabschiedete ich mich und schwang mich hinters Steuer. Ich ließ den Motor vorglühen, startete und fuhr zur Hofeinfahrt rauf. Die Werkstatt war in den Hügel hinein gebaut, der Hof befand sich weiter unten. Es ging steil bergauf, und ich passte besonders auf, dass mir der Wagen nicht absoff. Wegen des Langen. Der sollte keinen Spaß haben.
Im Rückspiegel sah ich ihn aufgeregt vor Marty gestikulieren. Und ich sah den ersten Hügel Herdeckes, der sich hinter Marty und seinem Gorilla am Horizont zeigte. Herdecke-Ostende. Frau Menkes Häuschen stand quasi gegenüber. Ich konnte Marty wirklich mit dem Fernglas beim Hinternabwischen beobachten. Oder den Langen beim Popeln. Aber wer tat sich das schon an?
Hätten die beiden geahnt, dass ich fast sowas wie ein Nachbar war … vielleicht wäre der Lange noch auf die Idee gekommen, mich nachts zu besuchen. Nein danke, es reichte, dass die Glatzen bei mir vorfuhren.
Marty schaute zu Dolph hoch. Der zog ein langes Gesicht.
„Warum has´te dei´n Reispass dabei un´ kei´n Perso?“
Mist! Was der alles wissen wollte. So genau war mein genialer Plan dann doch noch nicht ausgefeilt. Ich improvisierte.
„Weil ich heute eigentlich zum Reisebüro wollte. Urlaub buchen. Eine Woche Djerba. Doch gestern lernte ich den Langen kennen. Also bin ich hier statt im Reisebüro. Ob nun Tunesien oder Marokko, das ist mir eigentlich Wurscht. Aber wenn wir ins Geschäft kommen, dann wird der Urlaub nicht nur günstiger, sondern sogar lukrativ.“ kam es mir glatt über die Lippen.
Marty war noch nicht restlos überzeugt. Er zündete eine Reval an und versuchte es ein letztes Mal:
„Keine Freunde oder Verwandte in der Gegend? Kein Stammlokal?“
„Nein. Ich mag keine Kneipen, hab´ ich doch schon gesagt! Und wenn der da den Borsigplatz abläuft, bis die Sohlen durch sind – er wird mich dort in den Pinten oder Trinkhallen nicht antreffen! Normalerweise jedenfalls nicht!“ Ich warf unwillig die Hände in die Luft und schüttelte den Kopf. „Vielleicht bin ich ja nicht der Richtige für euren Job!“
Marty war immer noch nicht überzeugt. Ich ging aufs Ganze und stand auf, die Hand nach den Papieren ausgestreckt.
„Okay, Alter, gib mir meine Papiere wieder. Wenn ihr mir nicht traut, dann läuft die Sache halt nicht. Ich muss euch auch trauen und stelle keine blöden Fragen!“
Marty machte keine Anstalten, die Papiere rauszurücken. Er schaute mich an, dann den Langen, dann wieder mich.
„Also was jetzt?“ fragte ich scharf.
Marty schnaufte: „Setz dich wieder hin, Mann! Die Sache läuft!“
Ich setzte mich wieder.
„Und wie soll das bitteschön laufen?“
„Blöde Frage!“ grunzte er und drückte seine Zigarette aus.
„Du überführ´s n´ Auto. Das ha´ter Lange dir doch schon gesagt.“
„Und das war dann auch alles, was mir der Lange gesagt hat. Jetzt rede mal Tacheles!“
Marty betrachtete mich von oben bis unten. Mit zusammengekniffenen Augen holte er tief Luft und stemmte seine Pranken auf die schmierige Tischplatte. Sein massiger Oberkörper kam mir bedrohlich nahe.
„Hör zu, du Würstchen! Du kaufs´ hier´n 200/8 für 1000 Mark und überführs´ ihn nach Marokko. Ham ´n bischen Druck, nur ein Fahrer zurzeit, un´ der is´ abgesprun´n. Sin´ aber noch voll im Zeitplan. Nur, dass die Karre näch´se Woche raus muss. Nach Al Hoceïma in Nordmarokko. Unser Kontaktmann erwartet dich dort näch´se Woche. Am 10 April. Merk dir das: Freitag, 10. April, Al Hoceïma, Nordmarokko! Der Kontaktmann zahlt´ir 3500 Mark beziehungsweise´n Geg´nwert in US-Dollar. Der Abnehmer steht jetz´ schon fest, die Zahlung is´ also garantiert.“
Er machte den Versuch einer rhetorischen Pause. Ich sollte das alles auf mich wirken lassen. Mit einer kalten Reval im Maul und erhobenem Zeigefinger fuhr er grinsen fort:
„Jetz´ rechne ma´ nach! Du verdiens´ 3500 Eier un´ machs´ obendrein noch Urlaub in Nordafrika. Oder eb´n nich´, wenn´de gleich wieder abhaus´. Aber du will´s ja Urlaub mach´n. Un´ überhaupt, was soll das Gequatsche hier? Will´ste nich´ ers´mal das Auto seh´n?“
„Nee, später. Ich will wissen, wer den Sprit, die Maut und die Fähre bezahlt. Und die Rückreise natürlich. Wenn du mir das gesagt hast, dann kommen wir zum Auto.“
Der Lange starrte mich böse an. Marty gab sich gelassen. Er zündete seine Fluppe in aller Seelenruhe an, bevor er losbrummte:
„Was denk´ste dir? Spesen oder was? Nee, nee, dein´ Urlaub muss´te schon selbst bezahl´n. Mach´s billig, dann bleibt mehr für dich übrig. Kanns´ zum Beispiel ´n Diesel in Holland tank´n und´n Kofferraum mit Reservekanistern vollpack´n. Und du kanns´ auf´er Landstraße bleib´n. Dann spar´ste die Maut. Die Rückreise dann zweiter Klasse mit´er Bummelbahn. Hat dein Vorgänger Sven auch immer so gemacht. Am Ende hatte er jedes mal 3200 Mäuse in´ ner Tasche. Alles klar?“
Ich schaute ihn belustigt an. Hin- und Rückreise für lausige 300 Piepen? Plus Hotel, Maut, Fähre? Die Reise kostete mich mindestens 800! Wenn ich das durchzog, blieben 2700 für mich. Plus gut 850, die von Luis und meiner grandiosen Zocktour übriggeblieben waren. Das war gut. Das Leben in Marokko war für einen Touristen günstig, hatte Machmut gesagt. Wenn man nicht gerade ein Hotel mit europäischem Standard wählte, sondern so etwas wie eine Pension. Meinen Kühlschrank musste ich zwar nach Luis Fressattacke wieder auffüllen, aber nur mit dem üblichen Aldikram. Das passte schon. Und zwei Tage vor dem nächsten Date bei Alina kam meine Stütze. Ich hatte also etwas Luft nach oben und eine Reserve für alle Fälle. Wenn das glatt lief, kam ich auf jeden Fall vor Eingang meiner Stütze nach Dortmund zurück, konnte die Schabe ausbezahlen und hatte immer noch ein dickes Portemonnaie. Erneut stießen mir die vielen „wenns“ übel auf. Aber was hatte ich zu verlieren? Der Einsatz betrug 1800 Mark plus sonstige Kosten. Blieb ich hier, verlor ich einen Finger. Außerdem: Reichst du dem König den kleinen Finger, nimmt er vielleicht die ganze Hand. Bis jetzt schlug die Waage, besser gesagt der Kompass eindeutig in Richtung Al Hoceïma aus. Im Moment ärgerte mich nur, dass Marty mich für 300 Piepen hin und zurück reisen lassen wollte.
„Also, schon das Bahnticket für die Rückreise kostet um die 300 Mark. Dazu kommen dann noch Fähre und holländischer Diesel. Vom Hotel vor Ort ganz zu schweigen. Erzähl mir also keinen Scheiß!“
Marty, dieses altes Schwein, blies mir den Rauch seiner Reval ins Gesicht. Dann hob er bedächtig den Zeigefinger und fuhr ungerührt fort, als hätte er meinen Einwand nicht gehört:
„Ach so, und für den Marokkodeal gibt’s natürlich kein´ Vertrag. Wir mach´n `n Vertrag über´n Autokauf, mehr nich´. Das ganze is´ nämlich ´n bisschen illegal, zumindest auf marokkanischer Seite. Aber da drüben merkt ja eh keiner, was Ambach is´. Wir mach´n das Geschäft mit Al Hoceïma schon seit Jahr´n, un´ es gab noch nie Schwierigkeiten. Frag´n?“
Er blies mir wieder ins Gesicht.
„Ja. Kannst du mal aufhören, mich anzublasen? Und noch was: Wo steht der Wagen, und warum ist dieser Sven ausgestiegen?“
Diesmal lies Marty sich mit der Antwort keine Zeit.
„Ich blas an, wen ich will, den Daimler zeigt dir der Lange gleich, un´ dein Vorgänger hat sich letzt´n Winter in Ketama verliebt. Hat sich am Schwanz rumschnippeln lass´n und ´ne Berberschickse geheiratet, ´ne Nichte uns´res Mittelsmanns. Jetz´ lebt´er als braver Mohammedaner in Ketama un´ hat uns ausricht´n lass´n, wir könnt´n ihn alle mal am Arsch leck´n.“
Er bleckte seine gelben Zähne.
„Wir wiss´n, wo er wohnt un´ werd´n ihn beizeiten in denselben tret´n.“
„Kompliment Marty! Nicht schlechter gelogen als ich.“ dachte ich. Der Lange unterdrückte ein Grinsen, während Marty mir aalglatt einen vom Pferd erzählte. Ich hörte folgendes raus: Der Fahrer, hieß er nun Sven oder Hans Wurst, war in Ketama entsorgt worden, und sie wussten, wo er lag.
Meine Beisetzung war sicher auch schon geplant, dachte ich grimmig.
Jetzt juckte es mich erst recht, Marty so richtig eins zu verpassen. Weil ich ein Zocker war. Und weil ich es nicht leiden konnte, wenn mich jemand verheizen wollte. Meine Schabenschulden spielten auf einmal nur noch eine Nebenrolle. Das hier war ein neues Spiel!
Ich winkte kopfschüttelnd ab.
„Ach, ist das nicht normal, dass man sich in Ketama oder wie das heißt verliebt und sich dann kastrieren lässt? Sag dem Babysitter mal, er soll mir die Karre zeigen.“
Das Gesicht des Langen wurde hart. Er kniff die Augen zusammen und setzte sich wütend in Bewegung. In meine Richtung.
„Alter, ich klopp dir …“ Marty hob die Pranke und bremste den Langen aus, ohne mich aus den Augen zu lassen:
„Halt´n Rand, Langer!“ Dann zischte er mich an:
„Und was dich angeht, du kleines Stück Jugoslavenscheiße, ich brauch keinen Babysitter. Merk dir das ein für alle Mal! Und wenn du hier weiterhin den dicken Max markierst, dann bind ich dir die Stoßstange als Krawatte um den dreckigen Hals und jag dich vom Hof. Hast du verstanden, du Wichser?“
Deutlich in jeder Hinsicht! Wenn er wollte, dann konnte er also auch richtig sprechen.
Das mit der Stoßstange nahm ich ihm ab. Wegjagen würde er mich nicht, er brauchte mich. Ich hob entschuldigend die Hände:
„Geht klar, Marty. Nichts für ungut. Kann ich mir jetzt bitte mal das Auto ansehen?“
„Sieh´ste, geht doch.“ fiel Marty gönnerhaft ins Nuscheln zurück. Dann tauchte er unter und kramte in den Schubladen der Werkbank nach dem Autoschlüssel. Der Lange grinste wieder blöd.
„Langer, zeig ihm’n Wag´n!“ Marty hielt ihm kopfüber den Schlüssel unter die Nase. Der Lange nahm den Schlüssel und deutete mit dem Daumen nach links zu einer hinter Dreck verborgenen Seitentür. Bitte nach Ihnen, signalisierte ich, klaubte die Papiere vom Tisch und hob meinen Pass auf. Der Dolph-Lundgren-Verschnitt stampfte voraus und knallte mir die Tür direkt vor der Nase zu. Ich stand im Staub.
Marty lachte scheppernd auf:
„Hä, hä, hä! Was binnich froh, dass ihr nich´ zusamm´ nach Marokko fah´t! Da wär´ der Wag´n hin!“
Ich verließ die Dunkelkammer, spuckte und klopfte mich ab. Es war zwei Uhr nachmittags, ein Bilderbuchwetter, die Sonne lachte. Geblendet blieb ich stehen und suchte blinzelnd unter etwa 20 Autos nach dem Daimler. Marty tauchte neben mir auf, mit Sonnenbrille.
„Da steht er.“
Marty zeigte zum Ende des Hofes, etwa zwanzig Meter von uns entfernt. Der Lange hatte schon die Türen und die Hauben geöffnet. Ich ging zum Auto. Ein Mercedes Benz 200D, bestimmt fünfzehn Jahre alt. Strahlend weiß. Bei näherem Hinsehen entpuppte der Lack sich als Verkaufsanstrich. Die Banausen hatten sich nicht die Mühe gemacht, vorm Lackieren die Zierleisten zu entfernen. Nur abgeklebt, wie man an einer Stelle sehen konnte. Ich marschierte einmal um die Karre herum. Der zweite Eindruck war gut: Keine Beulen und, oberflächlich betrachtet, auch kein Rost. Reifen okay, neue Wischblätter. Und womit ich im Traum nicht gerechnet hätte: Der Wagen war innen und außen sauber!
„Warum habt den umgespritzt?“ wollte ich wissen.
„Weil die Marokkaner ´nen Spleen für Weiß hab´n", schnarrte Marty. „Wir´ste noch seh´n, wenn´ de dort bis´. Alles weiß. Is´ für die ´n Zeichen von Reinheit. Tja, wenn man schon so ´ne Rußschleuder fährt, sollte ´se wenig´sens rein ausseh´n.“
Er lachte allein. Ich schaute mir das hintere Nummernschild an.
„Der hat ja nur noch bis Mai TÜV!“ rief ich ihm zu.
Marty schlenderte gemütlich zu mir hin und meinte trocken:
„Na und? Du fährs´ im April. Schon vergess´n? Wo is´ das Problem?“
„Das Problem, Herr Kfz-Meister, ist folgendes: Diese Karre ist so keine 2000 Mark wert!“
Marty ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er nahm seine Sonnenbrille von der Nase und grinste. Richtig lieb sah er aus, wenn man ihm nicht in die kleinen kalten Schweinsaugen schaute.
„Stimmt! Die Karre is´ sogar 4500 Mark wert. Un´du kauf´s sie für 1000! Denk dran, das Schmuckstück geht in ´n Land, das weder TÜV noch son´was kennt. Selb´s Fahr´n mit defekt´n Brems´n un´ blank´n Reif´n is´ da normal.“
Defekte Bremsen? Ich zuckte zusammen.
„Hä, hä, hä!“ schepperte er wieder und klopfte mir auf die Schulter, „Hast´e jetz´Schiss? Bis´ doch nich´ so hart, wie´de immer tus´, wa? Komm, mach dir nich´ ins Hemd, Kleiner, der Wagen is´ Werkstatt geprüft. Würde so durch´n TÜV geh´n!“
„Okay, okay.“ meinte ich und drückte die Kofferraumhaube zu.
„Kann ich mal eine Probefahrt machen?“
„Klaro.“ nuschelte er. „Der Schlüss´l müss´te schon steck´n. Langer, mach ma´ vorne dicht!“ Er hielt mir wieder seine Pranke hin. „Vorher gib´ste mir aber deine Papiere!“
Der Lange schlich missmutig nach vorne und knallte die Motorhaube zu, während ich Marty meine Papiere als Pfand gab. Mit den Worten „Ich bin dann mal ´ne Stunde weg.“ verabschiedete ich mich und schwang mich hinters Steuer. Ich ließ den Motor vorglühen, startete und fuhr zur Hofeinfahrt rauf. Die Werkstatt war in den Hügel hinein gebaut, der Hof befand sich weiter unten. Es ging steil bergauf, und ich passte besonders auf, dass mir der Wagen nicht absoff. Wegen des Langen. Der sollte keinen Spaß haben.
Im Rückspiegel sah ich ihn aufgeregt vor Marty gestikulieren. Und ich sah den ersten Hügel Herdeckes, der sich hinter Marty und seinem Gorilla am Horizont zeigte. Herdecke-Ostende. Frau Menkes Häuschen stand quasi gegenüber. Ich konnte Marty wirklich mit dem Fernglas beim Hinternabwischen beobachten. Oder den Langen beim Popeln. Aber wer tat sich das schon an?
Hätten die beiden geahnt, dass ich fast sowas wie ein Nachbar war … vielleicht wäre der Lange noch auf die Idee gekommen, mich nachts zu besuchen. Nein danke, es reichte, dass die Glatzen bei mir vorfuhren.