Attila Petrovi? war schon ein großer Mann, bevor sie ihn den Großen Attila nannten. Ein Hüne von einem Meter neunzig mit einem leichten Fettansatz, der seiner Körpergröße wegen nicht wirklich auf- oder anders gesagt nicht ins Gewicht fiel. Ein stattlicher Kerl, dessen tellergroße Hände kräftig zuzulangen wussten, wenn man ihn ärgerte. Während andere im Dorf sich ihren Respekt durch Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit verdienen mussten, hatte man vor Attila einfach Respekt.
Obwohl ja vieles an ihm komisch war: Seine Frau Marija zum Beispiel sah man so gut wie nie im Dorf, und es hieß, dass sie als Kroatin in der serbischen Festung nicht heimisch wurde. Gelegentlich hörte man ihn im Haus brüllen, dass die Wände wackelten. Und sie wimmern. Die Leute gewöhnten sich daran und fragten nicht mehr nach, nachdem Attilas Hände einigen allzu Wissbegierigen erklärt hatten, was Privatsphäre bedeutete. Anders als üblich hatte er auch keine Hochzeit im Dorf gefeiert. Ende 1926 war Marija auf einmal wie aus dem Nichts da, und vier Monate später Aaron. Gerüchten zufolge soll Attila gar nicht um Marijas Hand angehalten, sondern sie während einer Reise durch Sotin geschwängert und bei der nächsten Durchreise fünf Monate später einfach mitgenommen haben. Ob die beiden wirklich verheiratet waren, fragte ihn der schon damals übergewichtige Pope Bojan Brnovi? nie wieder. Siehe oben.
Außerdem war Marija eine Kroatin. Als ob es in Serbien keine hübschen Frauen gab! Und sie war wesentlich jünger als Attila. Die wenigen, die sie Ende 1926 schon mal auf dem Petrovi?schen Gehöft gesehen hatten, schätzen sie damals auf Anfang 20. Attila war zu der Zeit schon ein gestandener Mann von 43 Jahren gewesen. Mit wildem rötlichen Bart und einer rot-blonden Löwenmähne, die wohl seine übergroßen Ohren, nicht aber die Knollennase zwischen den kleinen engstehenden Augen bedecken konnte. Und dann noch diese Hände! Eine imposante Erscheinung ja, aber grundhässlich. Marija dagegen war rassig, schlank, geradezu zerbrechlich und wunderschön. Es hieß, dass ihre schwarzen Augen an der Seite Attilas den Glanz verloren hätten. Hatte es denn bei ihr zuhause in Sotin keine hübschen und vor allem netten Kerle gegeben?
Da die Familie Petrovi? schon immer als eigenbrötlerisch galt, wunderte es niemanden, dass Attila 1933 die Landwirtschaft an den Nagel hing, den Großteil seines Landbesitzes verpachtete und fortan als Geschäftsmann firmierte. Was Attila im Einzelnen trieb, wollte niemand wirklich wissen. Was er im Groben trieb, wussten die Leute: Er versohlte seine Frau nach Strich und Faden, und er besaß seit kurzem ein Gestüt. In der Nähe von Kovilj , auf dem er von da an öfter nach dem Rechten schauen musste. Dies hatte er in der Schänke, die er selten aufsuchte, bei einem Schwatz beiläufig durchblicken lassen. Im Dorf löste das allgemeines Kopfschütteln aus. Attila ging doch mit seinem Kutschgaul nicht besser um als mit seiner Frau! Und dann gleich ein Gestüt? Die armen Tiere!
Während Attila ab dem Frühjahr 1933 mit Feuer und Flamme seinen Geschäften nachging, verbrannte Marija innerlich vor Heimweh und Sehnsucht nach ihrer Schwester Ana und der jährlich wachsenden Schar an Kindern: den Zwillingen Toma und Miro, deren Schwestern Edita und Helena und dem jüngsten, ihrem Patenkind Eva Marija. Zu gegenseitigen Besuchen kam es nicht, weil Anas Mann Josip sich an dem, wie er es nannte „Serbendünkel“ im Dorf störte. Außerdem konnte er Attila nicht ausstehen. Attila wiederum, der sich auch nach all den Jahren nicht in Sotin blicken lassen durfte, verbot Marija den Besuch ihres Dorfes. Zum einen, weil er es nicht akzeptieren konnte, irgendwo eine persona non grata zu sein, zum anderen, weil er nicht die Mutter seines Sohnes verlieren wollte. Sie hatte schließlich Schimpf und Schande über die Familie und das Dorf gebracht, als sie mit diesem, wie es hieß serbischen Schwein durchgebrannt war. Wer wusste schon, dass ihre Leute nicht über sie herfallen würden?
So war Marija einsam und haderte mit ihrem Schicksal, während sie auf dem Feld oder im Stall oder in der Küche schuftete und nachts für ihren groben Kerl die Beine breit machte, wenn dieser nicht auf dem Gestüt weilte.
Eines Vormittags nach einer wieder einmal fürchterlichen ehelichen Pflichterfüllung stand sie wütend mit Leibschmerzen am Herd und suchte nach einem Ausweg, während sie auf den kleinen Aaron wartete. Der Blick aus dem Fenster hoch zum Himmel lenkte ihre Gedanken in eine andere Richtung: In einer Stunde war Mittagszeit. Wenn Aaron nicht bald mit dem gewünschten Einkauf vom Fleischer zurückkam, würde Attila an einen leeren Tisch kommen. Das konnte böse für sie enden. Das waren dann die Momente, in denen im Hause Petrovi? die Wände wackelten, Marija wimmerte und Aaron sich unter den Küchentisch die Ohren zupresste und mit zugekniffenen Augen Rotz und Wasser heulte. Der Junge hatte keinen Respekt vor seinem Vater. Er fürchtete ihn. Marija wusste das. Und sie wusste auch, dass Aaron abends im Bett heulte, weil er seine Mama so gerne beschützt hätte und sich nicht traute, zwischen sie und den Vater zu treten.
Sie zwang sich, den alten Faden wieder aufzunehmen und überlegte weiter hin und her, wie sie sich Attila ein für alle Mal vom Leib halten konnte. Von Mord abgesehen viel ihr nichts Gutes ein. Wie wäre es denn mit fein geriebenem Glas im …
Das trapp, trapp, trapp ihres Sohnes schreckte sie aus ihren Fantasien, als dieser durch die Diele in die Küche rannte. Er hievte den Emaille-Topf mit der sehnlichst erwarteten Schweineleber auf den für ihn noch hohen Küchentisch. Abwesend und zärtlich zugleich nahm sie ihn in die Arme, gab sie ihm einen Kuss auf die Stirn und strich im durch die blau-schwarzen Haare, die er von ihr hatte. Aaron kicherte, und als er hochschaute, war ihr, als blickte sie in einen Spiegel. Der Kleine löste sich von ihr und rannte wieder nach draußen zu Spielen.
… im Mittagessen, das sie Attila an jenem Tag vorsetzen wollte, spann sie weiter und blickte angewidert in den Topf mit der Schweineleber. Wie eine Nachgeburt sah die Leber aus, die das Schwein so gerne fraß! Oder wie eine Fülle von Menstruationsklumpen! Ihre Menstruation! Hoffentlich kam sie bald, die rote Woche der Erlösung, in der der geile Bock sie in Frieden ließ! Vielleicht sogar früher als erwartet! Marija wollte sich in Vorfreude recken, doch ein stechender Schmerz im kleinen Becken ließ die junge Frau zusammenzucken. Sie stöhnte gekrümmt auf und musste sich mit der Rechten am Tisch abstützen, während die Linke um ihren Bauch schnellte. Ohne es zu wollen, hing ihr Gesicht über dem Topf mit dem ekeligen blutigen Etwas. Wäre das doch schon das ersehnte Blut, dachte sie. Das ersehnte Blut! Marija starrte sekundenlang in den Topf. Das war´s! Sie richtete sich langsam auf, ohne die Leber aus den Augen zu lassen, stütze sich mit beiden Händen auf die Tischplatte und grinste triumphierend in das Kochgeschirr. Dann blickte sie voller Genugtuung auf und atmete tief durch. Nein, geriebenes Glas war noch viel zu schade für Attila! Und viel zu schade für diese wunderbare Schweineleber! Attila würde nicht durch ihre Hand sterben, aber durch ihr Tun leiden. Wochen- und Monate lang! Bis er alle Lust an ihr verloren hatte und auf immer und ewig im Bett die Hosen anbehielt! Sie spürte ihren Schmerz nicht mehr, als sie in die Kammer eilte, um eine Stoffbinde zu holen.
*
„Na mein Täubchen?“, gurrte Attila seiner Frau ins Ohr, während er sich an ihrem Gesäß rieb. Er stank nach Schnaps und Schweiß, dass ihr übel wurde.
„Lass mich“, fauchte sie und sprang aus dem Bett. „Ich hab´ meine Tage, und außerdem hab´ ich noch Schmerzen von gestern!“
Attila überlegte. Lange. Er konnte nicht gut rechnen, wenn er betrunken war und zählte er die Tage zur Sicherheit mit den Fingern ab, bevor er lallte:
„Das kannich sein. Du biserst näch´se Woche dran. Komm her!“
Marija stand am Fußende des Bettes und hielt ihr Nachthemd mit beiden Händen umschlungen. Sie sah ihn bitter-spöttisch an und giftete:
„Du hast wirklich keine Ahnung von Frauen! Was denkst du denn, was in mir passiert, wenn Du mich wie ein rohes Stück Fleisch behandelst? Jetzt blute ich, und ich habe Schmerzen! Muss ich dir erst meine Binde um die Ohren hauen, damit Du mir glaubst?“
Dann setzte sie sich auf die Bettkante und murmelte:
„Also lass mich in Ruhe oder geh woanders schlafen! Es ist spät!“
*
Eine Woche später bekam sie ihre richtige Regel, und in der Kammer spielte so ziemlich dieselbe Szene ab. Am Morgen danach marschierte Attila mürrisch und misstrauisch in die Waschküche und durchwühlte den Korb mit Marijas schmutziger Wäsche. Was er sah und roch war zweifelsohne das, wonach es aussah und roch. Er hatte aber keine Zeit, um sich weiter zu ärgern. Es war Dienstag, und er musste zum Gestüt. Donnerstagnacht würde er wieder im Dorf sein und sich die Zeit bis zum Ende ihrer Blutung schon anderweitig vertreiben. „Also am nächsten Montag, mein Täubchen!“, sprach er leise wie eine Drohung. Dann musste er an seine Stuten denken, griff seinen Reisesack und verließ eilends mit dem Leiterwagen das Dorf.
Am folgenden Montag kam wieder Schweineleber auf den Tisch. Scharf angebraten mit einem Berg gerösteter Zwiebeln und Kartoffeln für Attila, roh zu Mus zerquetsch mit etwas rotem Rübensaft und klarem Ei für Marija.
Sie hatte bemerkt, dass Attila in ihren Wäschekorb geschaut hatte. Vermutlich sollte sie auch merken, dass er ihre Binden kontrollierte. Nun denn, sie hatte gebrauchte Binden aus der roten Woche mit dem Mus aufgefrischt und obenauf in den Korb gelegt. Täuschend echt sahen sie nicht aus, aber für den tumben Kerl sollte das als Beweis reichen. Marija wusste sehr wohl, dass sie mit dem Feuer spielte, aber noch kontrollierte sie den Brand. Für den Fall, dass Attila sie anfiel und ihr den Schlüpfer vom Hintern riss, trug sie die schmierige Pampe auch am Leib und spielte die von Dauerblutungen Geplagte. Woche um Woche.
Attila fuhr die Wände hoch und mit seiner Frau zu einem Arzt nach Novi Sad. Das Leben meinte es gut mit Marija. Es war die Woche, in der sie tatsächlich menstruierte.
Während Marija untersucht wurde, polterte Attila ungeduldig im Wartezimmer auf und ab. Sein fester Schritt ließ die krummen Bodendielen vibrieren und den kleinen Tisch in der Mitte des schäbigen Zimmers wackeln. Von einer Stelle an der Decke rieselte es Dreck herab. Das Mütterchen und die junge Frau, die eingeschüchtert in einer Ecke saßen, bemerkte er gar nicht. Endlich betrat der Arzt den Raum. Attila machte auf dem Fuß kehrt und schaute ihn erwartungsvoll an. Der Doktor trocknete sich mit einem Handtuch penibel die Hände ab und meinte dann schulterzuckend:
„Sie hat ihre Regel.“
„Das weiß ich auch!“ schimpfte Attila ungehalten.
„Na, wenn du das auch weißt, warum kommst du dann noch zu mir?“ fragte der Arzt böse. „Untersuchen kann ich deine Frau erst, wenn sie nicht mehr blutet. Man sieht ja nichts!“
Seine Hände waren getrocknet und er hielt die Rechte auf:
„Macht 50 Dinara.“
Attilas kleine Augen traten aus den Höhlen. Auf seiner Stirn wurden die Äderchen sichtbar. Das war doch die Höhe der Unverschämtheit! Mühevoll behielt er seine Hände bei sich und brüllte mit puterrotem Gesicht:
„Mehr hast du mir nicht zu sagen? Und für diesen Blödsinn komme ich extra von Tvr?ava Srbija hierher?“
„Bezahl, verschwinde und kreuz hier nie wieder auf!“, schnappte der Arzt und schaute von Attila zu den verängstigten Frauen und zurück. „Du machst meinen Patientinnen Angst. Und …“ - Er drehte sich um. Hinter ihm stand eine zitternde Marija. – „… deiner Frau auch.“ Mit einer Kopfbewegung wies er Attila den Ausgang.
Der wütende Riese entriss seiner Brieftasche einen Fünfziger, warf ihn zerknüllt zu Boden und stampfte drauf rum.
Dann marschierte er zur Tür und grollte ohne sich umzudrehen an Marija gerichtet:
„Los, komm endlich!“
Attila warte draußen auf dem Bock auf sie. Sie musste selbst aufsteigen, und, kaum dass sie saß trieb er seinen Gaul mit einem barschen „Hüah“ an.
Marija schrie. Weil ihr danach war, und weil sie den Lärm der Kutsche übertönen musste:
„Du hast uns bis auf die Knochen blamiert! Und nun? Willst du mich von Arzt zu Arzt schleppen? Und fragst du dich überhaupt, wie es mir dabei geht?“ Sie schaute ihn grimmig und fragend an.
Attila würdigte sie keines Blickes. Es war Dienstag, und er hatte besseres zu tun, als sich über so etwas den Kopf zu zerbrechen. Er sollte schon längst bei seinen Pferden sein. Zu dumm, dass sein Reisesack nicht hinten auf dem Wagen lag! So vergingen mit der Fahrt zurück ins Dorf kostbare Stunden und er würde erst in der Nacht im Gestüt eintreffen. Den Sack wollte er bei nächsten Mal auf jeden Fall schon morgens mitnehmen. Dann konnte er nach der Untersuchung gleich zum Gestüt weiterfahren. Und Marija konnte zusehen, wie sie von wo aus auch immer nach Hause kam. „Geschieht dir nur recht, so wie du mich behandelst!“ dachte er und wandte sich ihr finster zu:
„Das wird sich finden!“
Obwohl ja vieles an ihm komisch war: Seine Frau Marija zum Beispiel sah man so gut wie nie im Dorf, und es hieß, dass sie als Kroatin in der serbischen Festung nicht heimisch wurde. Gelegentlich hörte man ihn im Haus brüllen, dass die Wände wackelten. Und sie wimmern. Die Leute gewöhnten sich daran und fragten nicht mehr nach, nachdem Attilas Hände einigen allzu Wissbegierigen erklärt hatten, was Privatsphäre bedeutete. Anders als üblich hatte er auch keine Hochzeit im Dorf gefeiert. Ende 1926 war Marija auf einmal wie aus dem Nichts da, und vier Monate später Aaron. Gerüchten zufolge soll Attila gar nicht um Marijas Hand angehalten, sondern sie während einer Reise durch Sotin geschwängert und bei der nächsten Durchreise fünf Monate später einfach mitgenommen haben. Ob die beiden wirklich verheiratet waren, fragte ihn der schon damals übergewichtige Pope Bojan Brnovi? nie wieder. Siehe oben.
Außerdem war Marija eine Kroatin. Als ob es in Serbien keine hübschen Frauen gab! Und sie war wesentlich jünger als Attila. Die wenigen, die sie Ende 1926 schon mal auf dem Petrovi?schen Gehöft gesehen hatten, schätzen sie damals auf Anfang 20. Attila war zu der Zeit schon ein gestandener Mann von 43 Jahren gewesen. Mit wildem rötlichen Bart und einer rot-blonden Löwenmähne, die wohl seine übergroßen Ohren, nicht aber die Knollennase zwischen den kleinen engstehenden Augen bedecken konnte. Und dann noch diese Hände! Eine imposante Erscheinung ja, aber grundhässlich. Marija dagegen war rassig, schlank, geradezu zerbrechlich und wunderschön. Es hieß, dass ihre schwarzen Augen an der Seite Attilas den Glanz verloren hätten. Hatte es denn bei ihr zuhause in Sotin keine hübschen und vor allem netten Kerle gegeben?
Da die Familie Petrovi? schon immer als eigenbrötlerisch galt, wunderte es niemanden, dass Attila 1933 die Landwirtschaft an den Nagel hing, den Großteil seines Landbesitzes verpachtete und fortan als Geschäftsmann firmierte. Was Attila im Einzelnen trieb, wollte niemand wirklich wissen. Was er im Groben trieb, wussten die Leute: Er versohlte seine Frau nach Strich und Faden, und er besaß seit kurzem ein Gestüt. In der Nähe von Kovilj , auf dem er von da an öfter nach dem Rechten schauen musste. Dies hatte er in der Schänke, die er selten aufsuchte, bei einem Schwatz beiläufig durchblicken lassen. Im Dorf löste das allgemeines Kopfschütteln aus. Attila ging doch mit seinem Kutschgaul nicht besser um als mit seiner Frau! Und dann gleich ein Gestüt? Die armen Tiere!
Während Attila ab dem Frühjahr 1933 mit Feuer und Flamme seinen Geschäften nachging, verbrannte Marija innerlich vor Heimweh und Sehnsucht nach ihrer Schwester Ana und der jährlich wachsenden Schar an Kindern: den Zwillingen Toma und Miro, deren Schwestern Edita und Helena und dem jüngsten, ihrem Patenkind Eva Marija. Zu gegenseitigen Besuchen kam es nicht, weil Anas Mann Josip sich an dem, wie er es nannte „Serbendünkel“ im Dorf störte. Außerdem konnte er Attila nicht ausstehen. Attila wiederum, der sich auch nach all den Jahren nicht in Sotin blicken lassen durfte, verbot Marija den Besuch ihres Dorfes. Zum einen, weil er es nicht akzeptieren konnte, irgendwo eine persona non grata zu sein, zum anderen, weil er nicht die Mutter seines Sohnes verlieren wollte. Sie hatte schließlich Schimpf und Schande über die Familie und das Dorf gebracht, als sie mit diesem, wie es hieß serbischen Schwein durchgebrannt war. Wer wusste schon, dass ihre Leute nicht über sie herfallen würden?
So war Marija einsam und haderte mit ihrem Schicksal, während sie auf dem Feld oder im Stall oder in der Küche schuftete und nachts für ihren groben Kerl die Beine breit machte, wenn dieser nicht auf dem Gestüt weilte.
Eines Vormittags nach einer wieder einmal fürchterlichen ehelichen Pflichterfüllung stand sie wütend mit Leibschmerzen am Herd und suchte nach einem Ausweg, während sie auf den kleinen Aaron wartete. Der Blick aus dem Fenster hoch zum Himmel lenkte ihre Gedanken in eine andere Richtung: In einer Stunde war Mittagszeit. Wenn Aaron nicht bald mit dem gewünschten Einkauf vom Fleischer zurückkam, würde Attila an einen leeren Tisch kommen. Das konnte böse für sie enden. Das waren dann die Momente, in denen im Hause Petrovi? die Wände wackelten, Marija wimmerte und Aaron sich unter den Küchentisch die Ohren zupresste und mit zugekniffenen Augen Rotz und Wasser heulte. Der Junge hatte keinen Respekt vor seinem Vater. Er fürchtete ihn. Marija wusste das. Und sie wusste auch, dass Aaron abends im Bett heulte, weil er seine Mama so gerne beschützt hätte und sich nicht traute, zwischen sie und den Vater zu treten.
Sie zwang sich, den alten Faden wieder aufzunehmen und überlegte weiter hin und her, wie sie sich Attila ein für alle Mal vom Leib halten konnte. Von Mord abgesehen viel ihr nichts Gutes ein. Wie wäre es denn mit fein geriebenem Glas im …
Das trapp, trapp, trapp ihres Sohnes schreckte sie aus ihren Fantasien, als dieser durch die Diele in die Küche rannte. Er hievte den Emaille-Topf mit der sehnlichst erwarteten Schweineleber auf den für ihn noch hohen Küchentisch. Abwesend und zärtlich zugleich nahm sie ihn in die Arme, gab sie ihm einen Kuss auf die Stirn und strich im durch die blau-schwarzen Haare, die er von ihr hatte. Aaron kicherte, und als er hochschaute, war ihr, als blickte sie in einen Spiegel. Der Kleine löste sich von ihr und rannte wieder nach draußen zu Spielen.
… im Mittagessen, das sie Attila an jenem Tag vorsetzen wollte, spann sie weiter und blickte angewidert in den Topf mit der Schweineleber. Wie eine Nachgeburt sah die Leber aus, die das Schwein so gerne fraß! Oder wie eine Fülle von Menstruationsklumpen! Ihre Menstruation! Hoffentlich kam sie bald, die rote Woche der Erlösung, in der der geile Bock sie in Frieden ließ! Vielleicht sogar früher als erwartet! Marija wollte sich in Vorfreude recken, doch ein stechender Schmerz im kleinen Becken ließ die junge Frau zusammenzucken. Sie stöhnte gekrümmt auf und musste sich mit der Rechten am Tisch abstützen, während die Linke um ihren Bauch schnellte. Ohne es zu wollen, hing ihr Gesicht über dem Topf mit dem ekeligen blutigen Etwas. Wäre das doch schon das ersehnte Blut, dachte sie. Das ersehnte Blut! Marija starrte sekundenlang in den Topf. Das war´s! Sie richtete sich langsam auf, ohne die Leber aus den Augen zu lassen, stütze sich mit beiden Händen auf die Tischplatte und grinste triumphierend in das Kochgeschirr. Dann blickte sie voller Genugtuung auf und atmete tief durch. Nein, geriebenes Glas war noch viel zu schade für Attila! Und viel zu schade für diese wunderbare Schweineleber! Attila würde nicht durch ihre Hand sterben, aber durch ihr Tun leiden. Wochen- und Monate lang! Bis er alle Lust an ihr verloren hatte und auf immer und ewig im Bett die Hosen anbehielt! Sie spürte ihren Schmerz nicht mehr, als sie in die Kammer eilte, um eine Stoffbinde zu holen.
*
„Na mein Täubchen?“, gurrte Attila seiner Frau ins Ohr, während er sich an ihrem Gesäß rieb. Er stank nach Schnaps und Schweiß, dass ihr übel wurde.
„Lass mich“, fauchte sie und sprang aus dem Bett. „Ich hab´ meine Tage, und außerdem hab´ ich noch Schmerzen von gestern!“
Attila überlegte. Lange. Er konnte nicht gut rechnen, wenn er betrunken war und zählte er die Tage zur Sicherheit mit den Fingern ab, bevor er lallte:
„Das kannich sein. Du biserst näch´se Woche dran. Komm her!“
Marija stand am Fußende des Bettes und hielt ihr Nachthemd mit beiden Händen umschlungen. Sie sah ihn bitter-spöttisch an und giftete:
„Du hast wirklich keine Ahnung von Frauen! Was denkst du denn, was in mir passiert, wenn Du mich wie ein rohes Stück Fleisch behandelst? Jetzt blute ich, und ich habe Schmerzen! Muss ich dir erst meine Binde um die Ohren hauen, damit Du mir glaubst?“
Dann setzte sie sich auf die Bettkante und murmelte:
„Also lass mich in Ruhe oder geh woanders schlafen! Es ist spät!“
*
Eine Woche später bekam sie ihre richtige Regel, und in der Kammer spielte so ziemlich dieselbe Szene ab. Am Morgen danach marschierte Attila mürrisch und misstrauisch in die Waschküche und durchwühlte den Korb mit Marijas schmutziger Wäsche. Was er sah und roch war zweifelsohne das, wonach es aussah und roch. Er hatte aber keine Zeit, um sich weiter zu ärgern. Es war Dienstag, und er musste zum Gestüt. Donnerstagnacht würde er wieder im Dorf sein und sich die Zeit bis zum Ende ihrer Blutung schon anderweitig vertreiben. „Also am nächsten Montag, mein Täubchen!“, sprach er leise wie eine Drohung. Dann musste er an seine Stuten denken, griff seinen Reisesack und verließ eilends mit dem Leiterwagen das Dorf.
Am folgenden Montag kam wieder Schweineleber auf den Tisch. Scharf angebraten mit einem Berg gerösteter Zwiebeln und Kartoffeln für Attila, roh zu Mus zerquetsch mit etwas rotem Rübensaft und klarem Ei für Marija.
Sie hatte bemerkt, dass Attila in ihren Wäschekorb geschaut hatte. Vermutlich sollte sie auch merken, dass er ihre Binden kontrollierte. Nun denn, sie hatte gebrauchte Binden aus der roten Woche mit dem Mus aufgefrischt und obenauf in den Korb gelegt. Täuschend echt sahen sie nicht aus, aber für den tumben Kerl sollte das als Beweis reichen. Marija wusste sehr wohl, dass sie mit dem Feuer spielte, aber noch kontrollierte sie den Brand. Für den Fall, dass Attila sie anfiel und ihr den Schlüpfer vom Hintern riss, trug sie die schmierige Pampe auch am Leib und spielte die von Dauerblutungen Geplagte. Woche um Woche.
Attila fuhr die Wände hoch und mit seiner Frau zu einem Arzt nach Novi Sad. Das Leben meinte es gut mit Marija. Es war die Woche, in der sie tatsächlich menstruierte.
Während Marija untersucht wurde, polterte Attila ungeduldig im Wartezimmer auf und ab. Sein fester Schritt ließ die krummen Bodendielen vibrieren und den kleinen Tisch in der Mitte des schäbigen Zimmers wackeln. Von einer Stelle an der Decke rieselte es Dreck herab. Das Mütterchen und die junge Frau, die eingeschüchtert in einer Ecke saßen, bemerkte er gar nicht. Endlich betrat der Arzt den Raum. Attila machte auf dem Fuß kehrt und schaute ihn erwartungsvoll an. Der Doktor trocknete sich mit einem Handtuch penibel die Hände ab und meinte dann schulterzuckend:
„Sie hat ihre Regel.“
„Das weiß ich auch!“ schimpfte Attila ungehalten.
„Na, wenn du das auch weißt, warum kommst du dann noch zu mir?“ fragte der Arzt böse. „Untersuchen kann ich deine Frau erst, wenn sie nicht mehr blutet. Man sieht ja nichts!“
Seine Hände waren getrocknet und er hielt die Rechte auf:
„Macht 50 Dinara.“
Attilas kleine Augen traten aus den Höhlen. Auf seiner Stirn wurden die Äderchen sichtbar. Das war doch die Höhe der Unverschämtheit! Mühevoll behielt er seine Hände bei sich und brüllte mit puterrotem Gesicht:
„Mehr hast du mir nicht zu sagen? Und für diesen Blödsinn komme ich extra von Tvr?ava Srbija hierher?“
„Bezahl, verschwinde und kreuz hier nie wieder auf!“, schnappte der Arzt und schaute von Attila zu den verängstigten Frauen und zurück. „Du machst meinen Patientinnen Angst. Und …“ - Er drehte sich um. Hinter ihm stand eine zitternde Marija. – „… deiner Frau auch.“ Mit einer Kopfbewegung wies er Attila den Ausgang.
Der wütende Riese entriss seiner Brieftasche einen Fünfziger, warf ihn zerknüllt zu Boden und stampfte drauf rum.
Dann marschierte er zur Tür und grollte ohne sich umzudrehen an Marija gerichtet:
„Los, komm endlich!“
Attila warte draußen auf dem Bock auf sie. Sie musste selbst aufsteigen, und, kaum dass sie saß trieb er seinen Gaul mit einem barschen „Hüah“ an.
Marija schrie. Weil ihr danach war, und weil sie den Lärm der Kutsche übertönen musste:
„Du hast uns bis auf die Knochen blamiert! Und nun? Willst du mich von Arzt zu Arzt schleppen? Und fragst du dich überhaupt, wie es mir dabei geht?“ Sie schaute ihn grimmig und fragend an.
Attila würdigte sie keines Blickes. Es war Dienstag, und er hatte besseres zu tun, als sich über so etwas den Kopf zu zerbrechen. Er sollte schon längst bei seinen Pferden sein. Zu dumm, dass sein Reisesack nicht hinten auf dem Wagen lag! So vergingen mit der Fahrt zurück ins Dorf kostbare Stunden und er würde erst in der Nacht im Gestüt eintreffen. Den Sack wollte er bei nächsten Mal auf jeden Fall schon morgens mitnehmen. Dann konnte er nach der Untersuchung gleich zum Gestüt weiterfahren. Und Marija konnte zusehen, wie sie von wo aus auch immer nach Hause kam. „Geschieht dir nur recht, so wie du mich behandelst!“ dachte er und wandte sich ihr finster zu:
„Das wird sich finden!“