Es war Abend. Aaron hatte mittags bei den Nachbarn gegessen. Zum Abendessen war er von selbst nach Hause gekommen, sodass Marija ihn nicht von den Kraji?s abholen musste. Zum Glück, wie sie fand. Die Zusammenkunft morgens vor der nachbarlichen Haustür war, ihr erster persönlicher Kontakt mit diesen Leuten gewesen. Dabei lebte sie schon seit acht Jahren im Dorf. Entsprechend eisig war die Begegnung ausgefallen. Natürlich hatten sie Marija den Wunsch, auf ihren Kleinen aufzupassen, nicht absprechen können. Aaron und der jüngste Kraji? waren Spielkameraden. Also hatten sie stumm mit versteinerter Miene zugestimmt und Aaron mit einer unfreundlichen Geste den Weg ins Haus gewiesen, während sein Freund Marius ein wildes Indianergeheul angestimmt und Aaron freudig in seine Kammer gezogen hatte. Die abweisende Haltung der Kraji?s war für Marija nur zu ertragen gewesen, indem sie zum Abschied „hvala lijepa!“ sagte (Kroatisch: „Danke schön.“ Auf Serbisch sagt man „????? ????“, lautsprachlich hvala lepo statt hvala lijepa). Sie musste schmunzeln, als sie sich in Erinnerung rief, wie sich die in Granit gemeißelten Gesichtszüge der Kraji?s bewegt und um einige Grad verhärtet hatten. Sie hatte es lächelnd gesagt. Und sie hatte es gerne gesagt. Und sie würde es jederzeit wieder sagen. Schon alleine dieses Schauspiels wegen.
Aaron hatte sich mit Marius und den anderen Dorfjungen müde getobt und lag nach dem Abendbrot schläfrig in Marijas Armen. Sie trug ihn zu Bett. Den zärtlichen Kuss auf die Stirn hatte er im Halbschlaf mit einem Kichern quittiert und sich grinsend auf die Seite gerollt. Ehe sie seine Kammer verlassen hatte, war er schon eingeschlafen.
Marija liebte diese Abende auf der Veranda, wenn die drückende Wärme einem sanft kühlen Wind wich. Es war so herrlich still hinter dem Haus und auf dem Anwesen. Und so friedlich. Sie reckte sich auf ihren Stuhl und tat lächelnd einen Seufzer. Bis jetzt hatte sie Attila gut zum Narren halten können. Doch wie sollte es weitergehen, fragte sie sich bange und richtete sich im Stuhl auf. Sorgenfalten zeichneten sich auf ihrer Stirn ab, während ihr Blick den letzten Sonnenstahlen hinter dem Horizont folgten und ihre Gedanken flogen.
Sie konnte nicht damit rechnen, dass Attila sie stets dann zu irgendeinem Arzt karrte, wenn sie tatsächlich blutete. Aber sie musste damit rechnen, dass er es tat. Wenn der Arzt nicht genau-so blöd war wie ihr Gatte, fiel der Trick auf. Den einen oder anderen Kurpfuscher konnte sie sicher an der Nase herumführen, aber einen Spezialisten?
Für sich genommen waren diese Untersuchungen eine einzige Zumutung, und sie wollte sich nicht Woche für Woche vor jedem dahergelaufenen Quacksalber entblößen.
Attilas war eindeutig in der Zwickmühle. Hin und hergerissen zwischen der Lust, sie zu Zeit und Unzeit mit seinem Samen besudeln zu wollen und der Unlust, sie dafür zunächst wie oft auch immer von Pontius nach Pilatus fahren zu müssen. Langfristig würde sich das alles zu ihren Gunsten entwickeln, zumal Attila nicht Schwein genug war, ihre Unpässlichkeit nicht als ein Hemmnis anzusehen. Und hatte sie nicht deutlich gespürt, dass er seine Zeit lieber woanders verbracht hätte als im Wartezimmer eines bornierten Arztes? Er war doch mit seinen Gedanken schon längst auf seinem Pferdehof gewesen und hatte sich über den Zeitverlust geärgert. Es hatte ihm überhaupt nicht in den Kram gepasst, dass er sie von Novi Sad zurück ins Dorf fahren musste. Vor dem Haus hatte er sie grob vom Kutschbock geschubst und war hineingeeilt, um seinen Reisekoffer zu holen. Ehe sie sich versah, hatte er schon wieder auf dem Bock gesessen und den Gaul angetrieben.
Nächstes Mal würde er sie wo auch immer einfach stehen lassen. Und sie konnte dann zusehen, wie sie nach Hause kam. Das war ihm doch Wurst. Zumindest solange sie für ihn nicht verfügbar oder er anderweitig beschäftigt und nicht im Dorf war. Der Kerl war so einfach zu durchschauen. Empört und bitter lachend schüttelte sie den Kopf. Sie zählte für ihn nicht mehr als ein Stück Vieh!
Dann war da noch sein Geiz. Wäre sie alt und hässlich, hätte Attila nicht im Traum daran gedacht, um ihrer Gesundheit Willen einen Arzt zu konsultieren geschweige denn einen solchen zu bezahlen. Oft würde er das nicht mitmachen.
Dabei schien er genug Geld zu haben. Und es auch gerne auszugeben. Erst vor ein paar Wochen hatte er sich schicke Schuhe und einen edlen Mantel geleistet. Letztens lagen neue teure Hemden in der Schmutzwäsche. Und der große lederne Reisekoffer, den er erst vor kurzem gegen den stinkenden Seesack eingetauscht hatte, musste ihn ein kleines Vermögen gekostet haben. Außerdem ließ er sein Geld regelmäßig beim Barbier, seit er dieses ominöse Gehöft betrieb. Kleider machen Leute. Gab es vielleicht eine andere Frau, die er mit seinem veränderten Äußeren beeindrucken wollte. Bei dem Gedanken musste Marija kurz auflachen. Nein, das war nicht möglich. So wie dieser Mann stank! Seinen Körpergeruch konnten auch die feinsten Kleider nicht filtern.
Marija rief sich zur Ordnung. Sie sollte sich nicht in Spekulationen ergehen, sondern sich auf die Tatsachen konzentrieren. Und Tatsache war, dass er mehr Geld besaß als früher. Und während er andernorts damit um sich schmiss, musste sie daheim mit jedem Para (100 ????/Para sind 1 Denar) rechnen. Solange für ihn Essen auf den Tisch stand und im Schrank saubere Wäsche lag, war alles in Ordnung. Wenn man davon absah, dass er zurzeit seiner Lieblingsbeschäftigung nicht nachgehen konnte.
Er fragte Marija auch nicht, wie sie mit Aaron über die Runden kam. Und überhaupt… Wusste er eigentlich noch, dass er einen Sohn hatte? Und wie der inzwischen aussah? Vermutlich verschwendete er an Aaron keinen Gedanken.
Und auch keinen daran, dass seine Frau eventuell ernsthaft krank war. Vielleicht klagte sie nicht genug über ihre „Leiden“. Vielleicht sollte sie das tun. Eine wirklich kranke Frau würde sicher klagen, ihrem trägen Mann Feuer unter dem Hintern machen und aus freien Stücken einen Arzt nach dem anderen aufsuchen. Warum eigentlich nicht? Warum sollte sie ihm nicht solange seine teure Zeit mit Arztbesuchen rauben, bis es ihm reichte und er sie alleine fahren ließ? Dafür musste sie natürlich mobil sein. Der geizige Kerl konnte ihr ruhig einen Einspänner kaufen. Und seine Familie neu einkleiden. Das Geld war ja offensichtlich vorhanden. War nur die Frage, wie sie ihn dazu brachte, es springen zu lassen.
Attila musste merken, dass die Dauerblutungen sie quälten und bedrückten und dass sie unbedingt „gesund“ werden wollte. So würde sie das Heft in der Hand behalten. Bei dem Gedanken, sich freiwillig halbnackt weiteren Narren auszuliefern, grauste ihr allerdings und sie verdrehte die Augen. Wie oft musste sie diese Prozedur noch über sich ergehen lassen, bis sie endlich Ruhe hatte? Drei, vier Mal vielleicht? Wenn sie es klug genug anstellte, war ein Ende abzusehen. Nur den armen Aaron immer wieder den Kraji?s auszuliefern war natürlich ein Unding.
Attilas Leben verlief immer in denselben Bahnen. Für mehr als einen Arzttermin pro Wochen hatte er keine Zeit. Vorzugsweise an einem Montag. Bis sie wieder blutete, durfte er sie auf keinem Fall zu jemanden bringen, der den Schwindel aufdeckte. Glücklicherweise kannte Attila keinen Fachmann, sonst wären sie am Vormittag woanders gewesen. Sie dachte an die wenigen Ärzte in der Nähe ihres Heimatdorfes. Dummköpfe allesamt, die mit ihrer geballten Inkompetenz schon mehr Leute krank als gesund gemacht hatten. Pfuscher, die man nur aufsuchte, wenn sowieso alle Hoffnung verloren war.
Marija lehnte sich zurück und schloss die Augen. Sie ordnete ihre Gedanken neu und fügte sie einen um den anderen zu einer wunderbaren Strategie zusammen. Sie ging ihren Plan wiederholt durch und entspannte sich von Mal zu Mal. Schließlich gähnte sie und beschloss zu Bett zu gehen.
*
„Ist damit die wichtigste Frage beantwortet?“
Attila zuckte zusammen, klappte den Wäschekorb zu und drehte sich um. Marija lehnte mit verschränkten Armen im Türrahmen und starrte ihn böse an. Attila fühlte sich ertappt. Er richtete er sich langsam auf und blickte beschämt zu Boden.
Auf diese Reaktion ihres Mannes hatte sie gehofft. Sie nutzte den Moment, den er ihrem Blick auswich und wischte sich schnell mit den Handrücken über die Augen. Die Wassertropfen mit der winzigen Menge Zwiebelsaft taten sogleich ihre Wirkung.
„Wir müssen reden, Attila!“, sagte sie unter Tränen.
Attila sah auf. Er verstand nicht recht, warum sie weinte. Es waren definitiv keine Freudentränen, die sie da vergoss. So, wie sie sich im Bett immer anstellte… da müsste sie doch froh sein, dass sie blutete.
„Du verstehst es immer noch nicht, nicht wahr?“, fragte Marija ihn schnäuzend. Kopfschüttelnd ließ sie Attila beim Wäschekorb stehen und ging in die Küche.
Attila kam sich vor wie ein Trottel, als er ihr in die Küche folgte und sie fragend anschaute.
„Die Tränen einer Frau machen auch den härtesten Stein weich“, dachte Marija grimmig und sah ihren Mann herausfordernd an.
„Du schleppst mich zum Arzt, weil du keinen Spaß mehr haben kannst. Du hast dir nie Gedanken über mich gemacht, nicht wahr? Auch jetzt noch denkst du nur an deinen Schwanz! Werde mal wach, Attila!“
Die kleinen Schweineaugen blickten immer noch verständnislos.
„Ich habe mich bei diesem Arzt auf die dreckige Pritsche gelegt, weil kraaank bin!“, sagte sie gedehnt.
„Ach so ist das“, dachte Attila und ruderte ungelenk mit den Armen. Weil er mit seinen Händen nichts anzufangen wusste, schob er sie in die Hosentaschen. Er tat einen Schnaufer, schaute kurz zur Decke hoch und wieder runter. Ihrem Blick tunlichst ausweichend fragte er leise:
„Und nun?“
„Ja, was wohl?“ fragte Marija schnippisch. „Wir fahren am Montag zu einem anderen Arzt. Kennst du einen anderen?“ Sie schaute ihn bohrend an. Ihre Lippen bebten. Hoffentlich sagte er jetzt das Richtige! Attila schwieg vielsagend.
„Das habe ich mir schon gedacht!“ höhnte sie. „Dann besuchen wir nächste Woche einem Arzt in Ilok (Kroatische Kleinstadt an der Grenze zu Serbien, ca. 26 km von Sotin enternt.) . Ich weiß, dass die Frauen aus Kovilj dorthin fahren, wenn sie nicht weiterwissen.“
Es war, als hätte sie Attila eine Ohrfeige verpasst. Er lief puterrot an und stampfte drohend auf sie zu. Einen halben Schritt vor ihr machte er Halt, stemmte die Arme in die Seiten und schnaubte abgehackt:
„Du willst … zu einem … Kroaten … gehen?“
Marija wich einen Schritt zurück, nahm dieselbe Haltung ein und zischte zurück:
„Schon vergessen, dass ich Kroatin bin? Und habe ich mich etwa darüber beschwert, dass du mich zu diesem serbischen Kurpfuscher gebracht hast?“
„Argh!“ schrie Attila wie angestochen, warf die Arme in die Luft, stampfte durch die Küche und trat mit voller Wucht gegen die Wand, dass der Putz abbröckelte.
„Mama?“ tönte es verschlafen aus Aarons Kammer.
„Alles gut, mein Schatz. Dein Vater hat sich gerade den Fuß vertreten und weh getan. Schlaf weiter, wir sind jetzt ruhig“, flötete Marija und sah ihren Mann ungerührt an.
Attila holte aus, um mit beiden Handflächen auf den Küchentisch zu hauen. Er hätte den Tisch am liebsten zu Kleinholz gemacht, bremste seine Wut aber noch rechtzeitig, sodass seine Pranken geräuschlos niedergingen. Die Hände ruhten auf dem Tisch und seine Augen auf ihr.
„Warst du da schon mal?“, fragte bedrohlich leise.
Marija hatte keine Ahnung, was diese Frage sollte und tat sie als serbische Kopfgeburt ab. Sie hatte sich längst daran gewöhnt, dass die Leute in der serbischen Festung irrational reagierten, wenn es um Kroatien im Allgemeinen oder um Kroaten im Besonderen ging.
„Solange ich Jungfrau war“, erklärte sie hämisch, „hat mich nur ein kroatischer Mann zu Gesicht bekommen. Das war der Arzt bei meiner Geburt. Aber der ist inzwischen tot. Es gibt in meinem Dorf keinen Doktor mehr, glaube ich. Jedenfalls sind die Frauen damals, als du mir die Unschuld nahmst, noch nach Ilok gefahren. Und selbst, wenn es inzwischen in Kovilj einen Arzt gäbe… Ilok ist näher, und in Kovilj können wir uns sowieso nicht blicken lassen.“ Sie wartete die Wirkung ihrer Worte ab und fuhr dann sanft und versöhnlich fort:
„Der Doktor in Ilok war nicht nur der einzige in der Nähe, sondern auch der einzige Spezialist. Meine Mutter fuhr zu ihm. Meine große Schwester auch. Und andere Frauen aus dem Dorf. Ich möchte nichts unversucht lassen und wissen, ob ich ernsthaft krank bin.“
Attila riss die Hände vom Tisch und drehte sich wutschnaubend im Kreis. Er machte Anstalten, erneut gegen die Wand zu treten und beherrschte sich mühsam.
Marija beobachtete mit Genugtuung, dass Attila wie ein Fisch an ihrem Haken zappelte und seine Gegenwehr langsam aber sicher nachließ.
„Gut! Na gut! Dann fahren wir am Montag in aller Frühe nach Ilok“, brummte er schließlich mit verkniffenem Gesicht, drehte sich um und verließ die Küche und das Haus.
„Pfuh“, atmete Marija erleichtert aus und lehnte sich erschöpft an den Küchenschrank. Sie hatte soeben eine Schlacht gewonnen, aber den Krieg noch lange nicht. Und nicht auszudenken, was ihr am Montag bevorstand! Denn bekanntlich waren die Frauen aus Kovilj damals bei großen Problemen lieber zum nächsten Vieharzt gegangen, als auch nur einen Fuß in diese Praxis in Ilok zu setzen.
Aaron hatte sich mit Marius und den anderen Dorfjungen müde getobt und lag nach dem Abendbrot schläfrig in Marijas Armen. Sie trug ihn zu Bett. Den zärtlichen Kuss auf die Stirn hatte er im Halbschlaf mit einem Kichern quittiert und sich grinsend auf die Seite gerollt. Ehe sie seine Kammer verlassen hatte, war er schon eingeschlafen.
Marija liebte diese Abende auf der Veranda, wenn die drückende Wärme einem sanft kühlen Wind wich. Es war so herrlich still hinter dem Haus und auf dem Anwesen. Und so friedlich. Sie reckte sich auf ihren Stuhl und tat lächelnd einen Seufzer. Bis jetzt hatte sie Attila gut zum Narren halten können. Doch wie sollte es weitergehen, fragte sie sich bange und richtete sich im Stuhl auf. Sorgenfalten zeichneten sich auf ihrer Stirn ab, während ihr Blick den letzten Sonnenstahlen hinter dem Horizont folgten und ihre Gedanken flogen.
Sie konnte nicht damit rechnen, dass Attila sie stets dann zu irgendeinem Arzt karrte, wenn sie tatsächlich blutete. Aber sie musste damit rechnen, dass er es tat. Wenn der Arzt nicht genau-so blöd war wie ihr Gatte, fiel der Trick auf. Den einen oder anderen Kurpfuscher konnte sie sicher an der Nase herumführen, aber einen Spezialisten?
Für sich genommen waren diese Untersuchungen eine einzige Zumutung, und sie wollte sich nicht Woche für Woche vor jedem dahergelaufenen Quacksalber entblößen.
Attilas war eindeutig in der Zwickmühle. Hin und hergerissen zwischen der Lust, sie zu Zeit und Unzeit mit seinem Samen besudeln zu wollen und der Unlust, sie dafür zunächst wie oft auch immer von Pontius nach Pilatus fahren zu müssen. Langfristig würde sich das alles zu ihren Gunsten entwickeln, zumal Attila nicht Schwein genug war, ihre Unpässlichkeit nicht als ein Hemmnis anzusehen. Und hatte sie nicht deutlich gespürt, dass er seine Zeit lieber woanders verbracht hätte als im Wartezimmer eines bornierten Arztes? Er war doch mit seinen Gedanken schon längst auf seinem Pferdehof gewesen und hatte sich über den Zeitverlust geärgert. Es hatte ihm überhaupt nicht in den Kram gepasst, dass er sie von Novi Sad zurück ins Dorf fahren musste. Vor dem Haus hatte er sie grob vom Kutschbock geschubst und war hineingeeilt, um seinen Reisekoffer zu holen. Ehe sie sich versah, hatte er schon wieder auf dem Bock gesessen und den Gaul angetrieben.
Nächstes Mal würde er sie wo auch immer einfach stehen lassen. Und sie konnte dann zusehen, wie sie nach Hause kam. Das war ihm doch Wurst. Zumindest solange sie für ihn nicht verfügbar oder er anderweitig beschäftigt und nicht im Dorf war. Der Kerl war so einfach zu durchschauen. Empört und bitter lachend schüttelte sie den Kopf. Sie zählte für ihn nicht mehr als ein Stück Vieh!
Dann war da noch sein Geiz. Wäre sie alt und hässlich, hätte Attila nicht im Traum daran gedacht, um ihrer Gesundheit Willen einen Arzt zu konsultieren geschweige denn einen solchen zu bezahlen. Oft würde er das nicht mitmachen.
Dabei schien er genug Geld zu haben. Und es auch gerne auszugeben. Erst vor ein paar Wochen hatte er sich schicke Schuhe und einen edlen Mantel geleistet. Letztens lagen neue teure Hemden in der Schmutzwäsche. Und der große lederne Reisekoffer, den er erst vor kurzem gegen den stinkenden Seesack eingetauscht hatte, musste ihn ein kleines Vermögen gekostet haben. Außerdem ließ er sein Geld regelmäßig beim Barbier, seit er dieses ominöse Gehöft betrieb. Kleider machen Leute. Gab es vielleicht eine andere Frau, die er mit seinem veränderten Äußeren beeindrucken wollte. Bei dem Gedanken musste Marija kurz auflachen. Nein, das war nicht möglich. So wie dieser Mann stank! Seinen Körpergeruch konnten auch die feinsten Kleider nicht filtern.
Marija rief sich zur Ordnung. Sie sollte sich nicht in Spekulationen ergehen, sondern sich auf die Tatsachen konzentrieren. Und Tatsache war, dass er mehr Geld besaß als früher. Und während er andernorts damit um sich schmiss, musste sie daheim mit jedem Para (100 ????/Para sind 1 Denar) rechnen. Solange für ihn Essen auf den Tisch stand und im Schrank saubere Wäsche lag, war alles in Ordnung. Wenn man davon absah, dass er zurzeit seiner Lieblingsbeschäftigung nicht nachgehen konnte.
Er fragte Marija auch nicht, wie sie mit Aaron über die Runden kam. Und überhaupt… Wusste er eigentlich noch, dass er einen Sohn hatte? Und wie der inzwischen aussah? Vermutlich verschwendete er an Aaron keinen Gedanken.
Und auch keinen daran, dass seine Frau eventuell ernsthaft krank war. Vielleicht klagte sie nicht genug über ihre „Leiden“. Vielleicht sollte sie das tun. Eine wirklich kranke Frau würde sicher klagen, ihrem trägen Mann Feuer unter dem Hintern machen und aus freien Stücken einen Arzt nach dem anderen aufsuchen. Warum eigentlich nicht? Warum sollte sie ihm nicht solange seine teure Zeit mit Arztbesuchen rauben, bis es ihm reichte und er sie alleine fahren ließ? Dafür musste sie natürlich mobil sein. Der geizige Kerl konnte ihr ruhig einen Einspänner kaufen. Und seine Familie neu einkleiden. Das Geld war ja offensichtlich vorhanden. War nur die Frage, wie sie ihn dazu brachte, es springen zu lassen.
Attila musste merken, dass die Dauerblutungen sie quälten und bedrückten und dass sie unbedingt „gesund“ werden wollte. So würde sie das Heft in der Hand behalten. Bei dem Gedanken, sich freiwillig halbnackt weiteren Narren auszuliefern, grauste ihr allerdings und sie verdrehte die Augen. Wie oft musste sie diese Prozedur noch über sich ergehen lassen, bis sie endlich Ruhe hatte? Drei, vier Mal vielleicht? Wenn sie es klug genug anstellte, war ein Ende abzusehen. Nur den armen Aaron immer wieder den Kraji?s auszuliefern war natürlich ein Unding.
Attilas Leben verlief immer in denselben Bahnen. Für mehr als einen Arzttermin pro Wochen hatte er keine Zeit. Vorzugsweise an einem Montag. Bis sie wieder blutete, durfte er sie auf keinem Fall zu jemanden bringen, der den Schwindel aufdeckte. Glücklicherweise kannte Attila keinen Fachmann, sonst wären sie am Vormittag woanders gewesen. Sie dachte an die wenigen Ärzte in der Nähe ihres Heimatdorfes. Dummköpfe allesamt, die mit ihrer geballten Inkompetenz schon mehr Leute krank als gesund gemacht hatten. Pfuscher, die man nur aufsuchte, wenn sowieso alle Hoffnung verloren war.
Marija lehnte sich zurück und schloss die Augen. Sie ordnete ihre Gedanken neu und fügte sie einen um den anderen zu einer wunderbaren Strategie zusammen. Sie ging ihren Plan wiederholt durch und entspannte sich von Mal zu Mal. Schließlich gähnte sie und beschloss zu Bett zu gehen.
*
„Ist damit die wichtigste Frage beantwortet?“
Attila zuckte zusammen, klappte den Wäschekorb zu und drehte sich um. Marija lehnte mit verschränkten Armen im Türrahmen und starrte ihn böse an. Attila fühlte sich ertappt. Er richtete er sich langsam auf und blickte beschämt zu Boden.
Auf diese Reaktion ihres Mannes hatte sie gehofft. Sie nutzte den Moment, den er ihrem Blick auswich und wischte sich schnell mit den Handrücken über die Augen. Die Wassertropfen mit der winzigen Menge Zwiebelsaft taten sogleich ihre Wirkung.
„Wir müssen reden, Attila!“, sagte sie unter Tränen.
Attila sah auf. Er verstand nicht recht, warum sie weinte. Es waren definitiv keine Freudentränen, die sie da vergoss. So, wie sie sich im Bett immer anstellte… da müsste sie doch froh sein, dass sie blutete.
„Du verstehst es immer noch nicht, nicht wahr?“, fragte Marija ihn schnäuzend. Kopfschüttelnd ließ sie Attila beim Wäschekorb stehen und ging in die Küche.
Attila kam sich vor wie ein Trottel, als er ihr in die Küche folgte und sie fragend anschaute.
„Die Tränen einer Frau machen auch den härtesten Stein weich“, dachte Marija grimmig und sah ihren Mann herausfordernd an.
„Du schleppst mich zum Arzt, weil du keinen Spaß mehr haben kannst. Du hast dir nie Gedanken über mich gemacht, nicht wahr? Auch jetzt noch denkst du nur an deinen Schwanz! Werde mal wach, Attila!“
Die kleinen Schweineaugen blickten immer noch verständnislos.
„Ich habe mich bei diesem Arzt auf die dreckige Pritsche gelegt, weil kraaank bin!“, sagte sie gedehnt.
„Ach so ist das“, dachte Attila und ruderte ungelenk mit den Armen. Weil er mit seinen Händen nichts anzufangen wusste, schob er sie in die Hosentaschen. Er tat einen Schnaufer, schaute kurz zur Decke hoch und wieder runter. Ihrem Blick tunlichst ausweichend fragte er leise:
„Und nun?“
„Ja, was wohl?“ fragte Marija schnippisch. „Wir fahren am Montag zu einem anderen Arzt. Kennst du einen anderen?“ Sie schaute ihn bohrend an. Ihre Lippen bebten. Hoffentlich sagte er jetzt das Richtige! Attila schwieg vielsagend.
„Das habe ich mir schon gedacht!“ höhnte sie. „Dann besuchen wir nächste Woche einem Arzt in Ilok (Kroatische Kleinstadt an der Grenze zu Serbien, ca. 26 km von Sotin enternt.) . Ich weiß, dass die Frauen aus Kovilj dorthin fahren, wenn sie nicht weiterwissen.“
Es war, als hätte sie Attila eine Ohrfeige verpasst. Er lief puterrot an und stampfte drohend auf sie zu. Einen halben Schritt vor ihr machte er Halt, stemmte die Arme in die Seiten und schnaubte abgehackt:
„Du willst … zu einem … Kroaten … gehen?“
Marija wich einen Schritt zurück, nahm dieselbe Haltung ein und zischte zurück:
„Schon vergessen, dass ich Kroatin bin? Und habe ich mich etwa darüber beschwert, dass du mich zu diesem serbischen Kurpfuscher gebracht hast?“
„Argh!“ schrie Attila wie angestochen, warf die Arme in die Luft, stampfte durch die Küche und trat mit voller Wucht gegen die Wand, dass der Putz abbröckelte.
„Mama?“ tönte es verschlafen aus Aarons Kammer.
„Alles gut, mein Schatz. Dein Vater hat sich gerade den Fuß vertreten und weh getan. Schlaf weiter, wir sind jetzt ruhig“, flötete Marija und sah ihren Mann ungerührt an.
Attila holte aus, um mit beiden Handflächen auf den Küchentisch zu hauen. Er hätte den Tisch am liebsten zu Kleinholz gemacht, bremste seine Wut aber noch rechtzeitig, sodass seine Pranken geräuschlos niedergingen. Die Hände ruhten auf dem Tisch und seine Augen auf ihr.
„Warst du da schon mal?“, fragte bedrohlich leise.
Marija hatte keine Ahnung, was diese Frage sollte und tat sie als serbische Kopfgeburt ab. Sie hatte sich längst daran gewöhnt, dass die Leute in der serbischen Festung irrational reagierten, wenn es um Kroatien im Allgemeinen oder um Kroaten im Besonderen ging.
„Solange ich Jungfrau war“, erklärte sie hämisch, „hat mich nur ein kroatischer Mann zu Gesicht bekommen. Das war der Arzt bei meiner Geburt. Aber der ist inzwischen tot. Es gibt in meinem Dorf keinen Doktor mehr, glaube ich. Jedenfalls sind die Frauen damals, als du mir die Unschuld nahmst, noch nach Ilok gefahren. Und selbst, wenn es inzwischen in Kovilj einen Arzt gäbe… Ilok ist näher, und in Kovilj können wir uns sowieso nicht blicken lassen.“ Sie wartete die Wirkung ihrer Worte ab und fuhr dann sanft und versöhnlich fort:
„Der Doktor in Ilok war nicht nur der einzige in der Nähe, sondern auch der einzige Spezialist. Meine Mutter fuhr zu ihm. Meine große Schwester auch. Und andere Frauen aus dem Dorf. Ich möchte nichts unversucht lassen und wissen, ob ich ernsthaft krank bin.“
Attila riss die Hände vom Tisch und drehte sich wutschnaubend im Kreis. Er machte Anstalten, erneut gegen die Wand zu treten und beherrschte sich mühsam.
Marija beobachtete mit Genugtuung, dass Attila wie ein Fisch an ihrem Haken zappelte und seine Gegenwehr langsam aber sicher nachließ.
„Gut! Na gut! Dann fahren wir am Montag in aller Frühe nach Ilok“, brummte er schließlich mit verkniffenem Gesicht, drehte sich um und verließ die Küche und das Haus.
„Pfuh“, atmete Marija erleichtert aus und lehnte sich erschöpft an den Küchenschrank. Sie hatte soeben eine Schlacht gewonnen, aber den Krieg noch lange nicht. Und nicht auszudenken, was ihr am Montag bevorstand! Denn bekanntlich waren die Frauen aus Kovilj damals bei großen Problemen lieber zum nächsten Vieharzt gegangen, als auch nur einen Fuß in diese Praxis in Ilok zu setzen.