Die Ketama Connection, Prolog Teil 2

Peter

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Prolog Tei 2

Den Skatabend absichtlich sausen zu lassen wog für mich schwer wie eine Todsünde. Entsprechend elend saß ich an nächsten Mittwochabend zuhause vor der Glotze. Es war zehn nach acht und ich wusste mit mir nichts anzufangen. Das Ticken der Wohnzimmeruhr hatte den Charakter strafender Hammerschläge. Um viertel nach acht klingelte das Telefon. Das war Lui, und ich nahm nicht ab. Fünf Minuten später klingelte es erneut, wenig später noch einmal und immer wieder, bis ich um halb neun den Stecker zog. Das Bier aus der Flasche schmeckte nicht, weil es mittwochs nie schmeckte. Ich kippte das Bier in den Ausguss und fing in einem Anfall von Wahnsinn an, die Wohnung zu putzen. Kurzatmig und schwitzend keuchte ich durch die Zimmer und schlug so die Zeit tot. Bis 23 Uhr musste ich durchhalten, dann konnte ich wie sonst auch am Mittwoch zu Bett gehen.
Um 22 Uhr klingelte es an der Tür. Ich wohnte im sechsten Stock und verfluchte die Baugesellschaft dafür, dass die Klingel sich nicht abstellen ließ.
„Wer ist da?“ brüllte ich in die Gegensprechanlage, weil das Klingeln nicht nachließ.
„Mach auf, du Hornochse, oder soll ich die Tür eintreten?“ schnarrte es durch das Holz.
Das war Kalle! Um diese Zeit, unfassbar! Wenn er die Klause vor Mitternacht verließ, war sie entweder abgebrannt oder es hatte einen plötzlichen Todesfall in der Familie gegeben. Aber warum kam er dann zu mir? Ich verfluchte die Baugesellschaft erneut, weil die Tür keinen Spion hatte und öffnete. Da stand Kalle mit der ganzen Bande im Schlepptau. Keine Ahnung, wer so blöd gewesen war, die unter rein zu lassen.
„Muss ich dich erst zur Seite schieben oder was?“ brummte er.
Ich schnaufte was ebenso Unverständliches wie Unfeines und gewährte der Prozession Einlass. Kalle drückte sich Bauch an Bauch mit zwei Flaschen Klaren ohne Etikett an mir vorbei, das doppelte Lottchen folgte mit einem Kasten Bier. Der Manni aus Hörde trug eine schwarze Umhängetasche, der lange Karl nichts und Lui als Schlusslicht die Verantwortung. Die Bande schlug ihr Lager im Wohnzimmer auf und verqualmte mir im Nu die Bude. Kalle hatte sich in meinen Sessel gefläzt und eine Flasche auf den Tisch, die andere neben sich auf den Boden gestellt. Die Dusi?s saßen mit den anderen auf dem Ecksofa und verteilten Bierflaschen.
„Hol Gläser, Igor!“ befahl Kalle. „Heute ist hier Klause.“ Ich kam widerwillig mit sechs Pinnchen in der einen und einem Klappstuhl in der anderen Hand aus der Küche gegrunzt und setzte mich zu ihnen.
Kalle entkorkte eine Flasche und kredenzte mir ein Gläschen. Randvoll.
„Kipp, Igor! du wirst es brauchen!“
Ich kippte es. Augenblicklich glühte mein Gesicht. Ich holte tief Luft und pustete. Das war Sliwowitz. Echter Sliwowitz. Aus Jugoslawien, schwarz gebrannt und schwindelerregend hochprozentig! So was hatte ich zuletzt in den 70ern in Mostar getrunken. Ein scharfer Blick rüber zu den Dusi?s. Die gaben sich wie die Unschuld vom Lande. Auch gut. Ich hielt Kalle das leere Glas hin und kippte nochmal, bevor böse Erinnerungen an Mostar hochkamen, und nur zur Sicherheit wiederholte ich das Ganze. Die Freunde saßen andachtsvoll da wie Hühner auf der Stange und warteten, bis ich bereit war. Denn für irgendetwas sollte ich bereit sein.
Nach einer Zigarette und einem großen Schluck Bier, das mit einem Mal schmeckte, war ich soweit.
„Ihr seid nicht zum Skat gekommen, nehme ich an.“ sagte ich in die Runde und behielt dabei Lui im Auge. Der sollte bloß nicht wieder das Grinsen anfangen!
Lui blieb ernst und meinte trocken:
„Jetzt kommt dem Manni aus Hörde sein großer Auftritt.“
Alle Augen waren auf den Manni aus Hörde gerichtet, wie er unter dem Tisch nach der schwarzen Tasche griff, sich hinstellte und mir die Tasche ehrfurchtsvoll über den Tisch reichte.
Ich wog sie in den Händen. Sie war zwei bis drei Kilo schwer und ihr Inhalt fühlte sich hart an. Mir war klar, was da drin war. Ich legte die Tasche vor mir auf den Tisch, und ehe ich etwas sagen konnte, dröhnte Kalle:
„Klappe halten, Igor! Hol das Ding raus und klapp´s auf! Und dann schalt es ein!“
Kalle hatte gut daran getan, Hochprozentigen mitzubringen. Ich kippte mir noch einen hinter die Binde und tat seltsam ruhig, wie mir geheißen wurde. Als der Laptop hochgefahren war, fuhr ich mir mit dem Handrücken über das Gesicht. Der Bildschirmhintergrund zeigte ein Foto von uns, ein Gruppenfoto in der Borussen-Klause anlässlich meines sechzigsten Geburtstags im letzten Jahr. Ich hätte heulen können, und ich wusste auch warum: Die Bande hatte mich im Sack!
Jetzt mal ehrlich: Seit ich die Klause ohne Hemd verlassen musste, hatte immer wieder an Marokko gedacht und überlegt, ob die Dusi?-Brüder und Kalle nicht vielleicht doch recht hatten. Ich hatte an die Reaktionen der Zuhörer gedacht, und in Gedanken hatte ich sogar schon angefangen, Texte zu spinnen. Und um jetzt mal ganz ehrlich zu sein: ich tue einfach nicht gerne, was andere mir sagen. Selbst wenn sie dreimal Recht haben. Wenn es nicht auf meinem Mist gewachsen ist … So bin ich eben. Meine Freunde, allen voran der grinsende Schrumpfkopf, wussten das.
Nun musste ich grinsen, und die Tränen konnte ich auch nicht mehr zurückhalten.
„Kalle, tu endlich deinen Job und füll die Gläser! Und dann hoch die Tassen!“
Während ich mir die Augen rieb und schnäuzte, sagte ich leise:
„Ihr seid verrückt!“ und dann laut:
„Prost!“

*

Die nächsten 14 Tage vergingen wie im Flug. Zwei Neffen der Dusi?s bemühten sich nach Leibeskräften, mich in das Betriebssystem und in die Textverarbeitung einzuweisen. Das Programm auf dem Rechner kann eigentlich alles außer selbst schreiben. Sie kamen immer zu zweit, weil ein Mann alleine meine Dusseligkeit nicht ertragen konnte. Unterdessen richteten die Brüder mir einen Internetzugang ein. Übrigens, den schicken Laptop hatte nicht der Manni aus Hörde besorgt. Da steckten Slatko und Slavek hinter. Von wegen „Wegen Reichtum abgesagt“! Die Burschen waren an besagtem Abend irgendwo zwischen Dortmund und Essen auf der Jagd gewesen und hatten das nagelneue Ding zu einem Spottpreis geschossen. Sie hatten aus taktischen Gründen den Manni aus Hörde zur Übergabe verpflichtet, weil sie damit rechneten, dass ich ihnen den Laptop um die Ohren haue.
Es kam anders und keiner zu Schaden, und der Laptop geht ab wie Schmitz´ Katze. Natürlich wurden da böse Zungen laut, die behaupten, das gute Teil wäre irgendwo hinter Witten von einem LKW gefallen, den armen Dusi?-Schluckern direkt in die Hände. Ihr könnt mir glauben, dass ich das gar nicht so genau wissen will.
Jetzt sitze ich in meinem Wohnzimmer an einem schmalen und extra hohen Schreibtisch, den mir der lange Karl besorgt hat und wundere mich immer wieder, was doch mit vier Fingern und einer Tastatur so alles möglich ist. Ich schreibe, wie ich rede und rede, wie ich denke. Mag sein, dass ein national gesonnener Serbe mir Geschichtsfälschung vorwirft. Mag sein, dass ein vaterlandstreuer Marokkaner die Ehre seines Landes besudelt sieht und es mag auch sein, dass mir irgendein Dortmunder Paselack vorhält, ich hätte die Örtlichkeiten dieser schönen Stadt falsch beschrieben. Ist mir egal!
Ich scheiß auf political correctness und ich schreibe ich auch keinen Städtereiseführer. Alle Personen, Orte und Charaktere sind übrigens so verfremdet, dass mir keiner was ans Zeug flicken kann Und ich bin schließlich auch nicht ich.
Ich beginne in Dortmund zu einer Zeit, als meine Figur noch die Form eines großen „Y‘ und nicht die eines kleinen „b“ hatte und ich gemeinhin noch Falco oder „der Falke“ genannt wurde. Die Zeit, in der sich West-Deutschland von Kiel bis München und von Kassel bis Bonn fest in der Hand selbsternannter jugoslawischer Könige befand. Wir schreiben 1986: Das Jahr, in dem ich nach zwölf Jahren erfolgreicher Anonymität in Dortmund zum ersten Mal dem König begegnete und mein bis dahin gutes und ruhiges Leben mit einem Schlag endete.
 



 
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