Die kluge Gärtnerstochter

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Lyrischa

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Die kluge Gärtnerstochter/ Märchen

Abseits der großen Stadt, im hügeligen Land zwischen drei stolzen Burgen betrieb ein Gärtner sein Handwerk und Gewerbe. Sein Land umfasste hundert Ar, nicht genug, um damit reich zu werden, Gemüse, Beeren, Blumen und Obst, alles, was übers Jahr gebraucht wurde und auf dem Markt verkauft werden konnte.
Er hatte eine fleißige, kluge, wunderschöne Tochter, die ihm tüchtig zur Hand ging. Sie übernahm die Anzucht und Pflege der Kräuter: Petersilie, Schnittlauch, Dill, Basilikum, Zitronenmelisse, Liebstöckel, Pfefferminze und viele mehr waren ihre Spezialität. Ihre große Liebe aber galt den Blumen von dem kleinen duftenden Veilchen bis zu Lilien und Rosen in edlen Formen und Farben. Und sie vertat den Vater an den Markttagen in der Stadt. Ihr Stand war immer gut besucht und ihre Erzeugnisse gefragt. Oft waren schon vor Marktschluss die letzten Früchte, die letzten Blumen weg.
Am Abend und an Feiertagen spielte sie auf ihrer Harfe und sang dazu mit glockenheller Stimme.
Mancher Mann kam nur, um nach der schönsten Blume, der jungen Gärtnerstochter, zu schauen. Sie besuchten den Gärtner, um ihn um die Hand seiner Tochter anzuhalten. Dem einen oder anderen von Adel oder aus reichem Hause hätte der Vater vielleicht seine Tochter gegeben, aber diese sagte immer wieder „nein“.
„Ach, Tochter sprich, wie wünschst du dir denn deinen Mann?“
“Ich nehme denjenigen zum Manne, der mir drei Fragen richtig beantwortet.“
Bald darauf kam der junge Graf von der Stolzenburg. Diese Eroberung wollte er im Handstreich erledigen.
„Nun, Graf, hier ist ein Blatt Papier.
Notiert mir bitte hier,
wie heißt das Blatt auf dem ihr schreibt,
was von eurem Leben bleibt?“
Doch er konnte weder lesen noch schreiben.
Und was sollte schon von seinem Leben bleiben?
Er konnte Kriege führen und sich duellieren.
Der stolze Burgerbe war ratlos, lief hin und her, kam zu keinem Ergebnis und musste gehen.

Der nächste Bewerber war ein Junker, der riesige Ländereien besaß. Das müsste solch ein armes Gärtnermädchen doch beeindrucken.
„Also Junker,
so nennt mir bitte jenes Feld, auf welchem alle säen,
doch wo am Ende nur bei manchem Korn, bei andern Disteln stehen.“
Der Junker grübelte, runzelte die Stirn. Er hatte weite Felder, die ließ er von Tagelöhnern bearbeiten. Die säten, was er anordnete. Er brauchte nur die Ernte zu verkaufen. Ihm stellte sich dieses Problem nicht.
Die Frau verlangte wirklich zu viel von ihm. So ging auch er seiner Wege.

Eines Tages kam ein fröhlicher Wandersmann, auf der Gitarre spielend, ein lustiges Lied auf den Lippen und stellte sich vor. Auf seinen Reisen von Ort zu Ort, von Burg zu Burg habe er von der wunderschönen, klugen Gärtnerstochter gehört und wolle sich ihrer Prüfung stellen.
„Gerne Spielmann,
hör mich an:
Auf welchem Instrument spielst du dein Leben lang?
Bringst du die Menschen wohl zum Lachen,
oder wirst du sie traurig machen?“
„Ich wandre durch die Welt mit meinem Spielen, meinem Singen,
will den Menschen Freude bringen. Ich kehre ein, um zu erfreun.
Das Instrument, nach dem du fragst, ist meine Lebenszeit. Ich nutze sie, um Menschen fröhlich und glücklich zu machen.“

„Deine Antwort gefällt mir, Wanderer.
Doch kennst du auch das Feld, auf welchem alle säen, aber nur manche Korn, die andern Disteln ernten?“
„Auch dieses Feld ist die Zeit. Die Menschen ernten alle, was sie säen. Viele überlegen nicht, was sie ernten wollen. Sie überlassen das Feld sich selbst, und Unkraut und Disteln wuchern.“
„Klug erkannt, Wandersmann. Vielleicht weißt du auch noch hier die Lösung:

Nenn mir das Blatt Papier, auf dem wir alle schreiben;
das uns am Ende zeigt, ob wir gelöscht sind oder bleiben.“

„Das Papier, das wir beschreiben, ist unsre Lebenszeit. Wenn wir gut, sauber, recht und ehrlich schreiben, werden wir unvergessen bleiben. Bosheit, Schmutz, Unrecht und Lüge wird geächtet und verworfen werden.“
„Wandersmann, du bist nicht nur ein fröhlicher und kluger, sondern auch ein geradliniger, rechtschaffener Mensch, den ich gern an meiner Seite mag.“
Der Bursche zögerte keine Sekunde, ihr Gefährte zu werden. So hatte die schöne Gärtnerstochter zwei kräftige Hände für das zu bearbeitende Feld, einen klugen Kopf für Planung und Vermarktung und für alles andere ein großes, heißes Herz gewonnen. Das Glück zog ein im Gärtnerhaus.
Nicht nur das schöne Anwesen wuchs, drei Jahre später war auch für Gärtnernachwuchs gesorgt.

Und dass sie nicht vergessen sind, dass versteht sich doch von selbst!

© Marlies Kühr/ 15.10.2012
 

Conquisator

Mitglied
Guten Abend Lyrischa,
die Zahl drei scheint, genauso wie ihre "Artgenossen" sieben und 13, häufig in Märchen vorzukommen. Bei dir ist die drei im Verbund mit den, auch märchentypischen, Scharfssinnsfragen.
Mich würde interessieren wie du genau auf die "drei" gekommen bist? Meist veranschaulichen solche Zahlen Schicksale oder haben eine religiöse Bedeutung.
 

Lyrischa

Mitglied
Hallo,

zunächst freue ich mich und danke dir für dein Interesse und das Lesen des Märchens. Was soll ich auf deine Frage antworten?
Wie du selbst schon schreibst,gehört die Zahl "drei" zu den "magischen" Zahlen und ist daher typisch für die Verwendung im Märchen. Man sagt ja auch: Aller guten Dinge sind drei.Durch die Dreifachwiederholung wird besonderer Nachdruck aufgebaut. Das steigert die Erwartungshaltung. Also habe auch ich mich dieses Stilmittels bedient,um das Anliegen des Märchens zu verdeutlichen.
Viele Grüße

Lyrischa
 



 
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