Ergebnis eines Treffens zum Schreiben: Der Versuch, vier Begriffe (Insel, Gender, Rosine und Kälte) in einem Text unterzubringen. Zeitvorgabe: 60 Minuten.
Rosine saß alleine im Pub. An und für sich war das nicht schlimm, wenn man zum Beispiel mit sich selbst beschäftigt war oder der Inhaber eines Pubs auf einer Robinsoninsel. Ja, sie war mit sich selbst beschäftigt. Und zwar mehr, als ihr lieb war. Denn der Pub war ihr eigener, und sie hatte seit Wochen genauso viel Publikumsverkehr wie Robinson, der auf seiner Insel sehnsüchtig auf Freitag wartete. Sie wäre viel lieber mit Gästen beschäftigt gewesen als mit ihren trüben Gedanken.
Sie seufzte. Freitag war gut. Und es war Freitag. Da kamen wenigstens ein paar Leute, die auch die Kälte nicht davon abhielt, das Haus zu verlassen und unter Leuten ein gemütliches Bier oder auch zwei zu trinken. Gemütlich war es ja, fand Rosinen, allerdings fehlten die Leute. Als die Tür sich zum dritten Mal öffnete, blickte sie gar nicht mehr aus ihrem Kummer heraus auf. Wusste sie doch sowieso, was passieren würde: Ein zunächst erstaunter, dann enttäuschter Blick ins Leere Rund der Gaststätte. Und dann kehrt Marsch raus zurück in die Kälte. Zielstrebig zu einer Kneipe, in der mehr los war.
Rosine seufzte erneut, tief und zum Erbarmen. Sollte sie sich den Gästen vor die Beine werfen, damit sie nicht gleich wieder Reißaus nahmen? Keine gute Idee. Die würden dann erst recht die Beine in die Hand nehmen. Verärgert dachte sie an ihre Freibieraktion im letzten Monat. Die Leute waren von etwa 19:00 Uhr an bis Mitternacht in Scharen gekommen. Aber fast alle einzeln oder höchstens zu zweit. Hatten angeödet ihr Bier getrunken und bald wieder das Weite gesucht. Dann war der nächste gekommen und gegangen, der nächste und so weiter und so fort. Nur einer war die ganze Zeit über geblieben, neben dem keiner sitzen wollte: der Widerling mit den fetten Pickeln im Gesicht und dem Mundgeruch von hier bis nach Dortmund. Er hatte über Stunden, wenn auch erfolglos versucht, Rosine anzubaggern. Das nagte heute noch an ihrem Selbstwertgefühl. Sie musste an jenem Abend wohl ziemlich fertig und abgetakelt ausgesehen haben, dass der Typ sich bei ihr Chancen ausgerechnet hatte.
Als die Tür erneut aufzugehen drohte, bellte sie dem potentiellen Kunden entgegen: „Heute ist Ruhetag! Steht deutlich auf dem Schild! Kannst Du nicht lesen?“
Es gab kein Schild. Rosine konnte diese blöd glotzenden Visagen und diese blöden Kommentare wie „Hier ist aber auch nichts los…“ einfach nicht mehr ertragen. Sie riss sich mit aller Gewalt vom Hocker hinter der Theke los, stampfte zum Ausgang und hängte das Schild mit der Aufschrift „Ruhetag“ ins Fenster. Und schloss ab.
Ihre Kneipe hatte einfach nicht die richtige Lage. Es hätte ihr zu denken geben können, dass sie in kürzester Zeit die dritte Inhaberin war. Wenn sie es denn gewusst hätte. Der Makler hat ihr nichts davon erzählt. Wohl wissend, dass sie dann nicht angesprungen wäre. Die wenigen Kunden hatten die Hiobsbotschaft gleich beim ersten Bier rausgehauen, dass sich an dieser Stelle in Bremen, an der Kreuzung von Dobben und Steintor, nie eine Kneipe gehalten hatte. Der Pub lag zwar in der unmittelbaren Nachbarschaft des sogenannten Viertels, aber eben nicht im Viertel. So zogen die selbsternannten Weltverbesserer, Ökos, Punks, Multikultis, Szeneschwulen und -lesben wohl an ihrer hübschen Kneipe vorbei, kehrten aber nicht bei ihr ein. Rosine sah sich um und überlegte. Was konnte sie diesem Tag eigentlich Gutes gewinnen? Ihr Blick fiel auf die Toilettentüren. Vielleicht das: Die musste sie mangels Kundschaft morgen früh nicht reinigen. Während sie wütend ihre Siebensachen zusammenpackte, versuchte sie sich mit dem Gedanken zu trösten, dass sie am nächsten Tag nicht putzen musste. Sie hatte keine Ahnung, wie drei Kerle es über einen ganzen Abend hinweg schaffen konnten, dem Herrenklo das Ambiente eines Bahnhofspissoires zu verleihen. Oder wie eine einzige Frau es nicht schaffen konnte, das Klo nicht mit Blut zuzusauen. Es sollte nur eine Toilette für alle geben. Mit dieser Schlussfolgerung im Kopf, vor der Tür stehend und den Schlüssel in der Hand erstarrte sie. Das war die Idee! Sie würde den Leuten, die in Scharen an ihren Pub vorbei ins Viertel strömten das geben, was sie im Viertel nicht fanden. Die Toilette für alle! Fröhlich die Handtasche schwenkend stöckelte Rosine auf ihren High Heels auf dem Kopfsteinpflaster nach Hause. Sie hatte soeben die ultimative Gender-Toilette gezeugt und würde sie im Rahmen einer kurzen Schwangerschaft von maximal drei Wochen zur Welt bringen.
Drei Wochen später, die Kälte draußen war immer noch dieselbe, hatte der Pub einen anderen Namen: Gender im Viertel. Die Trennwand zwischen den beiden Toilettentrakten für Männchen und Weibchen war entfernt, der Zugang zu der Örtlichkeit Rollstuhl breit und per Sensor zu öffnen. Statt der üblichen Symbole für Mann, Frau oder Rollstuhl zierten die Symbole für männlich, weiblich, männlich und weiblich (ein Kreis mit Pfeil und Kreuz) und keines von allem (ein Kreis mit nichts) die Sitzfläche einer Rollstuhlzeichnung unter dem großen Schriftzug „Eure Toilette“. Hier konnten Frauen, die Männer werden wollten, schon einmal vor der Geschlechtsumwandlung üben, wie das Urinieren in ein Pissoir geht. Und Männer, die Frauen werden wollten, konnten vor der Geschlechtsumwandlung schon einmal üben, wie man gebrauchte Tampons fachgerecht entsorgt und neue Tampons einführt. Bei Fragen gab es in der an jedem Tag der Woche rappelvollen Kneipe immer den einen oder anderen Geschlechtsumgewandelten, der auf dem WC mit Rat und Tat zur Seite stand. Ja, an jedem Tag der Woche! Denn einen Ruhetag gab es für Rosine nicht mehr. Ihr Umsatz lag so astronomisch hoch, dass sie sich sogar eine Putzfrau für die Gender-Toilette leisten konnte. 50 € pro Stunde waren das mindeste, was sie zahlen musste, damit sich jemand des Saustalls annahm. Ups, das war jetzt nicht politisch korrekt: es handelte sich um eine Putzende, die den Stall für Eber, Säue, schwule Eber, lesbische Säue und solche Schweine, die noch nicht wussten, was sie werden wollten, und trotzdem genug Dreck machten, tagtäglich aufbereitete.
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Rosine saß alleine im Pub. An und für sich war das nicht schlimm, wenn man zum Beispiel mit sich selbst beschäftigt war oder der Inhaber eines Pubs auf einer Robinsoninsel. Ja, sie war mit sich selbst beschäftigt. Und zwar mehr, als ihr lieb war. Denn der Pub war ihr eigener, und sie hatte seit Wochen genauso viel Publikumsverkehr wie Robinson, der auf seiner Insel sehnsüchtig auf Freitag wartete. Sie wäre viel lieber mit Gästen beschäftigt gewesen als mit ihren trüben Gedanken.
Sie seufzte. Freitag war gut. Und es war Freitag. Da kamen wenigstens ein paar Leute, die auch die Kälte nicht davon abhielt, das Haus zu verlassen und unter Leuten ein gemütliches Bier oder auch zwei zu trinken. Gemütlich war es ja, fand Rosinen, allerdings fehlten die Leute. Als die Tür sich zum dritten Mal öffnete, blickte sie gar nicht mehr aus ihrem Kummer heraus auf. Wusste sie doch sowieso, was passieren würde: Ein zunächst erstaunter, dann enttäuschter Blick ins Leere Rund der Gaststätte. Und dann kehrt Marsch raus zurück in die Kälte. Zielstrebig zu einer Kneipe, in der mehr los war.
Rosine seufzte erneut, tief und zum Erbarmen. Sollte sie sich den Gästen vor die Beine werfen, damit sie nicht gleich wieder Reißaus nahmen? Keine gute Idee. Die würden dann erst recht die Beine in die Hand nehmen. Verärgert dachte sie an ihre Freibieraktion im letzten Monat. Die Leute waren von etwa 19:00 Uhr an bis Mitternacht in Scharen gekommen. Aber fast alle einzeln oder höchstens zu zweit. Hatten angeödet ihr Bier getrunken und bald wieder das Weite gesucht. Dann war der nächste gekommen und gegangen, der nächste und so weiter und so fort. Nur einer war die ganze Zeit über geblieben, neben dem keiner sitzen wollte: der Widerling mit den fetten Pickeln im Gesicht und dem Mundgeruch von hier bis nach Dortmund. Er hatte über Stunden, wenn auch erfolglos versucht, Rosine anzubaggern. Das nagte heute noch an ihrem Selbstwertgefühl. Sie musste an jenem Abend wohl ziemlich fertig und abgetakelt ausgesehen haben, dass der Typ sich bei ihr Chancen ausgerechnet hatte.
Als die Tür erneut aufzugehen drohte, bellte sie dem potentiellen Kunden entgegen: „Heute ist Ruhetag! Steht deutlich auf dem Schild! Kannst Du nicht lesen?“
Es gab kein Schild. Rosine konnte diese blöd glotzenden Visagen und diese blöden Kommentare wie „Hier ist aber auch nichts los…“ einfach nicht mehr ertragen. Sie riss sich mit aller Gewalt vom Hocker hinter der Theke los, stampfte zum Ausgang und hängte das Schild mit der Aufschrift „Ruhetag“ ins Fenster. Und schloss ab.
Ihre Kneipe hatte einfach nicht die richtige Lage. Es hätte ihr zu denken geben können, dass sie in kürzester Zeit die dritte Inhaberin war. Wenn sie es denn gewusst hätte. Der Makler hat ihr nichts davon erzählt. Wohl wissend, dass sie dann nicht angesprungen wäre. Die wenigen Kunden hatten die Hiobsbotschaft gleich beim ersten Bier rausgehauen, dass sich an dieser Stelle in Bremen, an der Kreuzung von Dobben und Steintor, nie eine Kneipe gehalten hatte. Der Pub lag zwar in der unmittelbaren Nachbarschaft des sogenannten Viertels, aber eben nicht im Viertel. So zogen die selbsternannten Weltverbesserer, Ökos, Punks, Multikultis, Szeneschwulen und -lesben wohl an ihrer hübschen Kneipe vorbei, kehrten aber nicht bei ihr ein. Rosine sah sich um und überlegte. Was konnte sie diesem Tag eigentlich Gutes gewinnen? Ihr Blick fiel auf die Toilettentüren. Vielleicht das: Die musste sie mangels Kundschaft morgen früh nicht reinigen. Während sie wütend ihre Siebensachen zusammenpackte, versuchte sie sich mit dem Gedanken zu trösten, dass sie am nächsten Tag nicht putzen musste. Sie hatte keine Ahnung, wie drei Kerle es über einen ganzen Abend hinweg schaffen konnten, dem Herrenklo das Ambiente eines Bahnhofspissoires zu verleihen. Oder wie eine einzige Frau es nicht schaffen konnte, das Klo nicht mit Blut zuzusauen. Es sollte nur eine Toilette für alle geben. Mit dieser Schlussfolgerung im Kopf, vor der Tür stehend und den Schlüssel in der Hand erstarrte sie. Das war die Idee! Sie würde den Leuten, die in Scharen an ihren Pub vorbei ins Viertel strömten das geben, was sie im Viertel nicht fanden. Die Toilette für alle! Fröhlich die Handtasche schwenkend stöckelte Rosine auf ihren High Heels auf dem Kopfsteinpflaster nach Hause. Sie hatte soeben die ultimative Gender-Toilette gezeugt und würde sie im Rahmen einer kurzen Schwangerschaft von maximal drei Wochen zur Welt bringen.
Drei Wochen später, die Kälte draußen war immer noch dieselbe, hatte der Pub einen anderen Namen: Gender im Viertel. Die Trennwand zwischen den beiden Toilettentrakten für Männchen und Weibchen war entfernt, der Zugang zu der Örtlichkeit Rollstuhl breit und per Sensor zu öffnen. Statt der üblichen Symbole für Mann, Frau oder Rollstuhl zierten die Symbole für männlich, weiblich, männlich und weiblich (ein Kreis mit Pfeil und Kreuz) und keines von allem (ein Kreis mit nichts) die Sitzfläche einer Rollstuhlzeichnung unter dem großen Schriftzug „Eure Toilette“. Hier konnten Frauen, die Männer werden wollten, schon einmal vor der Geschlechtsumwandlung üben, wie das Urinieren in ein Pissoir geht. Und Männer, die Frauen werden wollten, konnten vor der Geschlechtsumwandlung schon einmal üben, wie man gebrauchte Tampons fachgerecht entsorgt und neue Tampons einführt. Bei Fragen gab es in der an jedem Tag der Woche rappelvollen Kneipe immer den einen oder anderen Geschlechtsumgewandelten, der auf dem WC mit Rat und Tat zur Seite stand. Ja, an jedem Tag der Woche! Denn einen Ruhetag gab es für Rosine nicht mehr. Ihr Umsatz lag so astronomisch hoch, dass sie sich sogar eine Putzfrau für die Gender-Toilette leisten konnte. 50 € pro Stunde waren das mindeste, was sie zahlen musste, damit sich jemand des Saustalls annahm. Ups, das war jetzt nicht politisch korrekt: es handelte sich um eine Putzende, die den Stall für Eber, Säue, schwule Eber, lesbische Säue und solche Schweine, die noch nicht wussten, was sie werden wollten, und trotzdem genug Dreck machten, tagtäglich aufbereitete.
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