Die Kreuzfahrt

Marc Hecht1

Mitglied
Lisi schlug die Beine übereinander, setzte sich wichtig hin, nippte am Tee – und erklärte, dass man sie engagiert hätte, und zwar auf einem Kreuzfahrtschiff.
„So?“, ich blickte überrascht auf.
„Ja", sie werde dort ein bisschen singen, sechs Konzerte in drei Wochen. Der Rest wäre Urlaub. »Und du kannst als Begleiter dabei sein«, hatte sie stolz hinzugefügt; dies hätte sie mit der Reederei in Hamburg schon alles so ausgemacht. „Aber nur, wenn du willst.“
Himmel, das kam überraschend! Ich wollte eigentlich mit ihr nach Norwegen fahren, ein bisschen auf den Spuren Hamsuns wandern, sein altes Gut Nörholm besuchen und überhaupt seine Gegend erkunden. Lisi fand das damals zauberhaft.
Doch jetzt sollte es plötzlich in die Karibik gehen, auf einem Kreuzfahrtschiff. Und es war ein Engagement, Lisi bekam dafür auch noch Geld!
„Willst du denn?“, fragte sie jetzt still und sah mich an.
Ich liebte sie sehr dafür; wenn sie so still nachfragte.
Gerade wollte ich erklären, dass ich selbstverständlich will, aber sie kam mir zuvor: „Die Sache mit Norwegen und Hamsun könnten wir doch noch einmal verschieben."
Dagegen war letztendlich nichts einzuwenden. Und es gab ja schließlich auch Schlimmeres, als sich zwischen einer Reise nach Norwegen und einer in die Karibik entscheiden zu müssen.
*​
Zwei Wochen später checkten wir ein, in Kiel. Und ich erkannte schnell, dass ich die ganze Sache unterschätzt hatte. Denn es war eines der größten und vornehmsten Kreuzfahrtschiffe auf dieser Welt. Mit ausschließlich furchtbar reichen Gästen an Bord. Und noch der letzte Deck-Kellner trug weiße Handschuhe.
Ich jedoch hatte nur einen hellen Sommeranzug eingepackt, und ein bisschen Freizeitkleidung. Aber Lisi brachte ja ihren kleinen Reisecontainer mit. Zwei Deckmatrosen mühten sich damit ab, als sie ihn in der Kabine verstauten. Und meine dunklen Anzüge, meine Jacketts, Krawatten – alles kam darin zum Vorschein, sogar der Smoking.
Ich wäre hilflos gewesen, ohne diese Garderobe, die Gäste hier zogen sich bestimmt dreimal am Tag um. Und ich war Lisi dankbar für ihre Umsicht. Immerhin, ich zahlte ja nichts, für diese pompöse Reise, ich war nur der Mann, der Lisi begleitete. Und eigentlich könnten sie dafür natürlich auch eine anständige Garderobe erwarten, im Grunde war das ja das Mindeste.
Lisis erstes Konzert an Bord war grandios, sie wurde bejubelt und musste Zugaben geben. Ganz zum Schluss setzte sie sich an den Flügel, begleitete sich selbst und jubilierte noch etwas von Johann Strauss – und danach war sie hier an Bord weltberühmt. Und ich war eigentlich nur noch der Mann, der sie begleitete. Einige vermuteten, dass ich ihr Manager wäre, und wünschten mir »weiterhin viel Glück mit dieser Künstlerin«. Einmal hatte mich sogar eine ältere Dame angesprochen, als ich an Deck saß und las.
»Sie wissen schon, dass so eine Stimme ein Geschenk Gottes ist?«
Ich hatte genickt, beflissen, ja, das wüsste ich; aber die Dame hatte mich trotzdem ermahnt, »auch wirklich alles dafür zu tun, damit diese Stimme so rein erhalten bleibt.«
Ich versprach es und stellte auch später fest, wie sehr Lisi doch die Menschen, ihr Publikum, für sich einnahm. Sie reckten sich wie die Oktopoden nach ihrer Gesellschaft. Sie wurde eingeladen, angesprochen, an den Kapitänstisch gebeten, sie war ein äußerst glänzender Mittelpunkt auf diesem Schiff. Und im Lichte ihres Glanzes wurde auch ich gefragt, was ich denn so mache und wer ich denn so wäre.
„Ich bin Schriftsteller“ hatte ich dann erklärt. Obwohl ich noch keinen einzigen Roman zuwege gebracht hatte.
Aber es reichte offenbar aus, wir waren jedenfalls schnell ein außerordentlich glamouröses Paar, die Sopranistin und der Schriftsteller.
Und ich trug also nacheinander meine Sakkos. Ein helles zum Lunch, ein dunkles zum Dinner. Und war möglichst brillant. Auf die ständige Frage, was ich denn so schreibe, erklärte ich, dass ich die Vormittage damit verbringe, ein Komma zu setzen. Und die Nachmittage, es wieder zu streichen. Und alle fanden es geistreich.
Manchmal schrieb ich nachts, wenn Lisi schlief; wir hatten eine sehr vornehme Kabine und es gab einen Schreibtisch, an dem ich sitzen konnte, wenn Lisi in dem großen Bett lag. Sie sah zauberhaft aus, wenn sie schlief und ich bedauerte, dass ich sie nicht malen konnte, wie die großen Meister.
*​
So luxuriös es alles war, diese Reise, das Schiff – irgendwann wurde es dann doch ein bisschen langweilig.
Lisi fürchtete sich zudem immer mehr, von anderen Passagieren angesteckt zu werden, fürchtete um ihre Stimme, die Klimaanlagen an Bord machten einigen Gästen schwer zu schaffen. Es musste nur jemand in Lisis Nähe husten, dann war sie schon auf der Flucht. Außerdem wurde ihr die Luft hier an Bord auch zu trocken; manchmal trug sie abends in der Kabine einen feuchten Schal vor dem Mund, wie eine Bankräuberin sah sie dann aus, sie hatte Angst, dass ihre Stimmbänder austrocknen könnten. Und auf Deck lief sie – als Einzige – mit einem Sonnenschirm umher. Sie blieb am liebsten nur in der Kabine.
Und auch ich legte bald nicht mehr viel Wert auf die Lunches und Diners.
Auch an diesem Abend hatte sich wieder ein Ehepaar an unseren Tisch gesetzt. Und sie fragten – wie immer – zuerst nach Lisis Befinden. Mich hatte im Leben noch nie jemand nach meinem Befinden gefragt; aber bei Sängerinnen war es offenbar an der Tagesordnung, immer das Erste. Und der Mann hatte sofort eine Flasche Champagner bestellt.
Aber für den Zauber der Umgebung, hier an Deck, auf hoher See, hatten sie keinen Blick; stattdessen erzählten sie, wie schön es doch im vergangenen Jahr gewesen wäre, als sie in Acapulco waren.
„Man kann irgendwie nicht mit ihnen reden“, hatte ich erklärt, abends, in der Kabine. Und Lisi nickte, runzelte ihre hübsche Stirn, zog die Augenbrauen zusammen und suchte nach dem richtigen Wort: »Ja, sie sind alle so denkfrei«, sagte sie schließlich. Und ich hatte mich sehr darüber amüsiert.
»Jedenfalls haben sie keine Ehrfurcht mehr«, sagte sie, »es ist schlimm, wenn man keine Ehrfurcht mehr hat.«
Ich nickte.
»Nächstes Jahr fahren wir zu Hamsun«, hatte Lisi erklärt und war eingeschlafen.
 
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