Die Legende von Coilte Anhán (F)

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hades

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Die Legende von Coilte Anhán
Ein Auszug aus:
Das Tinkermädchen Saoirse und die Alte Maisa
aus meinem noch unveröffentlichten Buch:
Geschichten an Irischen Torffeuern

„Lange bevor Kiltimagh entstanden ist, war das Gebiet von einem dichten Wald bedeckt. Dieser wurde regiert von einer Elfenkönigin; die Legende ihrer Schönheit hat sich bis in die heutigen Tage erhalten. Cill Aodain war der Ort, an dem diese Königin residierte. Ihr Name war Al Dórin und ihr Gebiet erstreckte sich vom heutigen Bohola über Kiltimagh bis hinunter nach Bala und von Swinford nach Clairemorris. Viele tausend Elfen waren hier Zuhause. Der einzige von ihnen nicht besiedelte Bereich waren die Berge von Kiltimagh. Diese wurden beherrscht vom Zwergenvolk Anhàn, deren König der grimmige McOnór war. Ein im Westen in den Berg gehauenes Portal führte in ihr unterirdisches Reich Coilté Anhàn, das seinerzeit die gesamte Bergkette unterhöhlte. Elfen und Zwerge mochten sich nicht, obwohl es in den mehr als viertausend Jahren ihrer Koexistenz niemals zu kriegerischen Auseinandersetzungen gekommen war. Nie hätte je ein Zwerg seinen Fuß in den Wald gesetzt, denn Zwerge hassten ihn. Sie liebten vor allem die Dunkelheit ihrer Höhlen und bei Tageslicht ist noch nie ein Zwerg außerhalb angetroffen worden. Die Elfen dagegen sind helle Wesen, die das Licht lieben. Sie hatten ihre Behausungen hoch oben in den Wipfeln der Bäume gebaut, um der Sonne möglichst nahe zu sein. Wenn ein Mensch gelegentlich den Wald durchstreifte, bemerkte er nichts von der Existenz der Elfen. Menschen kamen damals nur selten her, denn die nächstgelegene Siedlung lag weit entfernt im heutigen Castlebar. Elfen hatten die Eigenschaft, sich vollkommen still zu verhalten, zumindest für die Ohren der Menschen, denn sie hatten die Gabe, sich im gesamten Schallspektrum zu verständigen. Für Mitteilungen über viele Meilen hinweg nutzten sie Infraschall unterhalb des hörbaren Bereichs, der von Bäumen und Büschen kaum gedämpft wurde. Für Unterhaltungen mit Freunden in der Nähe setzten sie Ultraschall ein. Sie konnten sich aber, wenn sie wollten, auch im für den Menschen hörbaren Tonspektrum austauschen; sie beherrschten sogar die Sprache der Menschen. Seit Elfengedenken hatte aber keine Unterhaltung zwischen ihnen stattgefunden und niemand wusste, ob es je einen Austausch gegeben hatte. Trotzdem wurde die Sprache der Menschen gepflegt, so, als ob sie geahnt hätten, dass diese Kenntnis einmal für sie wichtig sein würde. Die Menschen damals wussten nichts von der Existenz der Elfen. Wenn sie die Wälder durchstreiften, um zu jagen, hatten sie nie einen Elf zu Gesicht bekommen oder auch nur akustisch wahrgenommen, obwohl sie die Chance dazu gehabt hätten; denn Elfen, besonders die Jungen, waren manchmal zu Scherzen aufgelegt. Übermäßig sangen sie in hellen Tönen Elfenlieder, die sich für Menschen oft nur wie Windgeheul oder Grillenzirpen anhörten. Obwohl Windgeräusche bei Windstille sehr unwahrscheinlich sind, hatten Menschen diesen Unfug nicht bemerkt; das fanden die jungen Elfen jedes Mal besonders lustig. Die Zwerge dagegen hatten raue Kehlen und waren dort, wo sie sich bewegten, auch nicht besonders leise. Sie waren handwerklich große Meister und verwandelten Edelmetalle, die in den Bergen von Kiltimagh damals noch in großen Mengen vorhanden waren, in die schönsten Ringe und Ketten. Es gab unter ihnen Baumeister sowie Schmiede für Edelmetall und Eisen. Ihr Reich war verschwenderisch mit Gold und Silber ausgestattet; Zwerge waren reich. Das edelste Metall aber war das Anhánicum, das sehr selten war und nur hier in den Bergen von Kiltimagh vorkam. Es war hart, so hart, dass ein Schwert aus diesem Metall einen stählernen Block wie Butter zerschnitt. Keine Waffe, von Menschen oder Zwergen gemacht, hätte ein Kettenhemd aus diesem Metall durchstoßen können. Dabei war das Metall leicht, so dass ein Kettenhemd kaum mehr als ein Normales wog und ein Schwert nicht so viel wie ein Bleistift. Vier Jahrzehnte hat das Zwergenvolk gegraben, um das Erz für genau ein Schwert und ein Kettenhemd zu gewinnen. Nun lag es vor ihnen, für die Statur eines Menschen geschaffen. Es gab nämlich eine Legende, die sagte: Eines Tages wird ein großer Menschenkrieger erscheinen und das Volk von Coilté Anhàn in die Berge von Donegal führen. Dort regierte damals ein starker grausamer Menschenkönig, der mit einem großen Heer von Osten über das Wasser gekommen war und Menschen und Zwerge nach Sligo, Galway und Mayo vertrieben hatte. McOnórs Bruder o’Gail ist von dort ins Exil nach Coilté Anhàn vertrieben worden; gedemütigt lebte er hier und wartete auf das Erscheinen des großen Menschenkriegers; denn Menschen und Zwerge hatten einen gemeinsamen Feind.
Doch dann kam es anders. Der Eroberer von Donegal, sein Name war Cal Brighton, mobilisierte sein Heer, um auf Raubzug ins Innere des Landes zu ziehen. Er hinterließ eine Spur der Verwüstung, niemand konnte ihm ernsthaft einen Widerstand entgegen setzen. Eines Tages stand er vor Castlebar. Nach einer erbitterten Schlacht zogen sich die Menschen von Castlebar zurück und flüchteten in Al Dórins Wald. Von hier hofften sie aus dem Hinterhalt Widerstand leisten zu können. Cal Brighton besetzte Castlebar und zog bereits am nächsten Tag weiter in Richtung des heutigen Bala. Dort schlug das Heer ein Lager auf. Cal Brighton beabsichtigte, hier eine Festung zu errichten, und von dort wollte er zunächst die Flüchtigen von Castlebar jagen. Eine Woche später begannen seine Leute den Wald zu roden.
Die Elfen hatten sich bisher aus den Streitigkeiten der Menschen heraus gehalten; denn von Kriegen unter ihnen hatten sie schon gehört und das war wirklich allein ihr Business, zwischen verschiedenen Elfenvölkern gab es keine Kriege, sie waren alle befreundet. Kaum, dass die Menschen mit der Baumfäll-Aktion begonnen hatten, meldeten Infraschall-Stimmen die Vernichtung von Elfen-Behausungen am Rande des Reiches von Al Dórin. Einen derartigen Angriff hatte es bisher noch nie gegeben und Al Dórin berief den Rat der Elfen ein. Mittlerweile hatte sich die Nachricht von der Invasion auch bis Coilté Anhàn verbreitet und McOnór rief seinen Bruder O’Gail und die Ältesten der Anhàn zu sich. „Das Heer der Agil Sachá“, so begann Al Dórin, „die Soldaten von Cal Brighton sind unbesiegbar, wenn nicht der Menschenkrieger erscheint, der Rüstung und Schwert aus Anhàn an sich nehmen kann und diese zu unserem Nutzen einsetzt.“ Sein Bruder gibt zu bedenken:
„Die Legende sagt, dass dieser Menschenkrieger kommt und uns gegen die Agil Sachá in Donegal führt. Doch jetzt fallen Cal Brightons Soldaten in unser Land ein und von diesem Menschenkrieger ist nichts zu sehen. Wir müssen darüber nachdenken, ob wir länger der Legende glauben wollen.“
Ein entrüstetes Murmeln geht durch die Reihen der alten Zwerge. Dann faucht McOnór seinen Bruder böse an:
„Nicht an die Legende glauben heißt Verrat an unserem Volke; hüte deine Zunge O’Gail oder du bist nicht mehr mein Bruder. Es ist möglich, dass wir die Legende falsch deuten, aber an ihr gibt es keinen Zweifel.“
O’Gail wagt es nicht, etwas zu erwidern. Dann meldet sich der älteste und weiseste der Anhàn zu Wort:
„Der Menschenkrieger muss bereits in unserer Nähe sein, wir haben ihn vielleicht nur nicht erkannt. Es ist vielleicht unser Fehler, dass wir auf einen Großen Krieger warten. Ein altes Sprichwort der Elfen, entschuldigt meine Kinder, aber Weisheit ist nicht das Vorrecht unserer Spezies, also das Sprichwort sagt: Suche nicht Größe nur im Großen. Vielleicht ist unser großer Krieger klein, und deshalb haben wir ihn nicht wahrgenommen.“
Stille herrscht zunächst in der Versammlungshöhle; dann tönt es wie aus einem Munde:
„El Gabriel.“ El Gabriel ist ein Menschenkind, das seit vierzehn Jahren von den Zwergen groß gezogen wird; er war ein Findelkind, das sie seinerzeit verlassen im Wald gefunden hatten. Er lebte unauffällig unter den Zwergen und war mittlerweile zu einem Goldschmiedemeister ausgebildet worden – man hatte ihn bereits als Zwerg akzeptiert. Doch El Gabriel mochte nicht, wie die Zwerge, nur das Dunkel im Innern des Berges. Er kannte die Wälder Coilté Mach und liebte sie mehr als die Berghöhlen. In seinen freien Stunden hat er sie durchstreift und eines Tages erkannt, dass der Wind heulte, obwohl kein Lüftchen sich regte. Er bemerkte, dass etwas nicht stimmte. Die Elfenkinder bemerkten sofort, dass El Gabriel anders reagierte als die anderen Menschen, die sie bisher geneckt hatten. Dieser legte sich ins Gras und schloss die Augen. Eine Stunde lag er dort ohne sich zu rühren. Die Elfenkinder wurden neugierig und wollten nachschauen, warum der Junge so regungslos dalag. Vorsichtig kletterten sie von ihrem Baum um nachzusehen. Da Elfen sich lautlos bewegten, konnte El Gabriel ihre Schritte nicht hören, aber er bemerkte ihre Stimmen. Die Elfenkinder waren noch unerfahren und wussten nur, dass Menschen Infra- und Ultraschall nicht wahrnehmen können; sie unterhielten sich daher in einem für Menschen normalerweise nicht zugänglichen Tonbereich. Was sie aber nicht wussten: Junge Menschen, also Kinder, können hohe Töne hören, die von Erwachsenen nicht mehr wahrgenommen werden. Der Junge hörte also die Elfenkinder schwätzen. Als sie sich neugierig über ihn beugten, öffnete El Gabriel plötzlich seine Augen und lachte ihnen ins Gesicht.
„Hallo“, sagte er fröhlich, „was haben wir denn hier für schöne Kinder.“ „Wir sind Elfenkinder“, antwortete das Mädchen nach einem kurzen Moment der Überraschung.
„Ich habe von euch gehört“, sagte der Junge, „ihr sollt hinterhältig und gemein sein.“
„Quatsch“, erwiderte der Elfenjunge, „so etwas behaupten nur die Zwerge.“
„Ich bin ein Zwerg“, sagte El Gabriel. „Du?“, sagte das Elfenmädchen und prustete laut los, aber in solch hohem Ultraschall, dass der Menschenjunge das Lachen nicht hören konnte.
„Du ein Zwerg? Dann bist du entweder zu lang oder zu dünn.“
„Außerdem kommen Zwerge nie in unseren Wald“, ergänzte der junge Elf. “Ich bin aber doch ein Zwerg“, sagte El Gabriel so ernst, dass die Elfen, um ihn nicht zu kränken, darauf nichts erwiderten. Sie nahmen ihn bei der Hand und führten ihn zu ihren Eltern.
Der Findeljunge war seither viele Male bei den Elfen und mit der Zeit wurde er ihr Freund; den Zwergen aber erzählte er nichts davon.
„El Gabriel“, wiederholten die Zwerge.
„Ja“, sagte McOnór, „El Gabriel muss es sein, kein anderer könnte jetzt noch die Prophezeiung der Legende erfüllen.“
Doch sein Bruder O’Gail machte ein ungläubiges Gesicht, denn er selbst war sehr Kampf erfahren und konnte sich nicht vorstellen, dass ein Junge wie El Gabriel ein großer Krieger sein sollte, doch er wagte es nicht, dem König zu widersprechen.
„Holt ihn her!“ Man schickte nach dem Jungen und wenig später stand er zum ersten Mal vor dem Zwergenkönig.
„Bringt das Hemd und das Schwert!“, befahl der König. Man brachte es, wie geheißen und zog dem Menschenjungen das metallene Hemd über den Kopf; es reichte ihm bis zu den Knien, da es ja für einen großen Menschenkrieger gemacht war. El Gabriel wusste nicht, wie ihm geschah und glaubte, nunmehr unter der Last dieses Hemdes zusammenbrechen zu müssen; zu seiner Überraschung spürte er nicht einmal das Gewicht, es war federleicht.
„Er muss kämpfen lernen“, raunte es aus der Runde und der König drückte ihm das Schwert in die Hand. Es war ebenfalls beinahe schwerelos. Wie ein Weidenstöckchen ließ El Gabriel es ein paar Mal durch die Luft sausen und es zischte. Die Zwerge aber fragten sich, wie der Junge mit dem zu langen Hemd den mächtigen Feind Cal Brighton und seine Mannen schlagen wollte. Mit großen Augen hörte er die Legende über seine Bestimmung. Der Junge war nicht der Erste, der daran zweifelte.
„Er muss sich jetzt konzentrieren und in seine Rolle schlüpfen“, sagte der König und klatschte in die Hände. In wenigen Minuten war El Gabriel allein. Wie war er nur dort hineingeraten? Noch einmal ließ er das Schwert durch die Luft zischen; wie er damit ein Heer schlagen sollte, war ihm schleierhaft. Wie so häufig in der letzten Zeit - wenn er Rat suchte – ging er in den Wald zu den Elfen. Als er ihnen schilderte, was die Zwerge von ihm erwarteten, sagte ein alter Elf:
„Die Zeit ist gekommen, dass du mit unserer Königin sprichst. Du wirst einen Tag unterwegs sein, bist du abreisebereit?“
Wenige Stunden später waren sie in Cill Aodain. Zwei weibliche Elfen führten El Gabriel in einen großen Saal, der aus den Stämmen von Eiben, ihren Kronen als Decke, dichten Haselsträuchern als Wände gebildet wurde. Der Teppich war dichtes Waldmoos. Von oben kam aus dem Nichts eine gläserne Amphore, die ein sonderbares Licht ausstrahlte. Nach wenigen Minuten teilten sich an der hinteren Wand die Büsche, so dass ein Tor entstand und durch dieses Tor schritt eine Frau, so schön, wie El Gabriel sie in seinem Leben noch nicht gesehen hatte. Gebannt schaute er auf die Elfenkönigin. Sie schien kaum älter als El Gabriel zu sein. Von ihrem Körper ging ein Fluoreszieren aus, ihr Gewand war aus schönster Elfenseide. Als sie ihn erreichte, lächelte sie, so, dass ihm das Blut ins Gesicht schoss. Sie nimmt die Hände des Jungen, und er spürt eine warme Kraft von ihr seinen Körper durchfließen.
„Du bist es also“, sagte sie, „wir haben dich schon so lange erwartet; es hängt viel von dir ab. Die Barbaren Cal Brightons sind in unser heiliges Land eingefallen und drohen es zu zerstören und seine Einwohner zu versklaven. Wir haben sichere Kunde, dass Cal Brighton in den nächsten Tagen gegen Coilté Mach vorrücken wird. Wir Elfen dürfen nicht direkt gegen die Menschen kämpfen und bisher war das auch kein Problem. Noch wissen sie nicht einmal, dass es uns gibt, und aus den Streitigkeiten der Menschen haben wir uns stets heraus gehalten. Doch nun hat sich die Situation verändert, denn die Menschen haben angefangen, unsere Häuser zu zerstören. Wir haben daher vor wenigen Tagen den großen Elfenrat zusammen gerufen und die folgenden Beschlüsse gefasst:
- Angesichts der neuen Tatsachen müssen wir unsere Neutralität einstellen und Stellung beziehen,
- es ist uns untersagt, direkt in das Kampfgeschehen einzugreifen.
Deshalb werden wir indirekt unseren Einfluss ausüben, indem wir dich mit Gaben ausstatten, die Menschen normaler Weise nicht zugänglich sind. Doch könntest du mit all diesem nichts anfangen, wenn du die wichtigste Gabe nicht selbst besitzen würdest: Du hast es gelernt – oder besser gesagt: Du hast es nicht verlernt – auf dein Herz zu hören; denn die Kräfte, mit denen wir dich ausstatten, können nur über dein Herz erreicht und eingesetzt werden.
Zunächst zu deinem Schutzhemd und dem Schwert. Die Zwerge sind hervorragende Bergleute und Handwerker. Damit ist es ihnen gelungen, dir diese außergewöhnliche Ausstattung aus Anhánicum herzustellen. Keine Waffe wird dein Panzerhemd durchdringen und dein Schwert wird andere Schwerter wie Butter durchschneiden. Doch das allein genügt nicht. Wir geben dem Hemd die Kraft, all das Böse, was der Feind in einen Schlag gegen den Träger legt, auf ihn zu reflektieren. Das Hemd wird diese Kraft behalten, solange der Nutzer keinen Groll gegen den Angreifer empfindet. Damit wird der Angreifer selbst zum Angegriffenen. Deinem Schwert geben wir die Kraft, nicht zu töten. Es soll vielmehr die Feinde, die von ihm getroffen werden, zu den Verbündeten desjenigen, dessen Hand es führt, machen, solange dieser es nicht im Hass gegen ihn richtet, sondern nur zu seiner Verteidigung verwendet. Du wirst deine Feinde also nicht mit deinen Waffen, sondern nur mit deinem Herzen besiegen können. Deshalb bist du der Auserwählte, El Gabriel, „der große Krieger des Herzens.“
Nach diesen Worten legte sie ihre Hände auf Hemd und Schwert. Mit heller Stimme sprach sie Worte in einer Sprache, die El Gabriel nicht verstand. Er spürte eine warme Welle seinen Körper durchfluten.
Sie nahm den Kopf des Jungen in beide Hände und küsste ihn auf den Mund. Flüssiges Gold strömte von dort direkt in sein Herz.
„Es ist die Liebe“, flüsterte sie ihm ins Ohr, „nur die Liebe.“
Nach diesen Worten verschwand Al Dorin durch das Haselnussportal.
El Gabriel saß benommen im weichen Moos des Empfangsaals der Elfenkönigin, in seinem Kopf schwirrte es, in seinem Bauch spürte er die Schmetterlinge. Nie würde er seine Begegnung mit Al Dorin vergessen, ihre Schönheit, ihre Worte, ihre Liebe, seine Liebe. Langsam erhob er sich, gestärkt, bereit zu dem großen Kampf gegen den Tyrannen Carl Brighton.
Die Elfenkinder begleiteten ihn zurück nach Coilte Mach bis zum Rande des Waldes. Er schwebte, sein Herz erfüllt mit Liebe zu Al Dorin, zurück nach Coilte Anhán. Kaum hatte sich die Kunde von seiner Rückkehr herum gesprochen, ließ McOnor ihn zu sich rufen.
„Es wird Zeit“, begann er zu sprechen, „dass du im Umgang mit deinem Schwert geübt wirst. Mein Bruder O’Gail ist unser größter Krieger; er erwartet dich bereits im Waffensaal, um dich zu unterrichten. El Gabriel sagte:
„Dazu wird es nicht viel Gelegenheit geben, denn die Agil Sacha werden bereits in den nächsten Tagen angreifen.“
Er berichtete was er von den Elfen erfahren hatte, erwähnte aber nicht die Begegnung Al Dorin, weil er wusste, dass der König nicht gut auf sie zu sprechen war. Es reichte schon, dass er in ihrem Wald war, denn McOnors Gesicht schwoll rot an, in ganz Coilte Anhán fürchtete man seinen Zorn.
„Kein Zwerg hat etwas im Wald der Elfen verloren“, brüllte er und lief aufgeregt im Kreis umher.
„Man kann ihnen nicht trauen, sie sind böse, verschlagen und hinterhältig, sie sind nicht unsere Freunde.“
El Gabriel ließ sich vom König nicht beeindrucken. Er ließ ihn noch ein wenig toben, doch der Zorn verflachte schnell. Dann erwiderte er:
„Ich bin doch kein Zwerg, das hast du selbst gesagt, also werde ich mich auch nicht grundsätzlich wie einer verhalten. Außerdem sind die Elfen nicht eure Feinde, auch wenn sie keine Freunde sind; in diesem Krieg sind sie auf unserer Seite, das allein sollte schon reichen, um mit ihnen zu korrespondieren; in Zeiten wie diesen, kann man nicht genug Verbündete haben. Das Wichtigste aber ist: Wenn ich, wie ihr sagt, euer Held sein soll, dann muss ich mir auch meine Freunde und Kameraden aussuchen dürfen. Euch Zwerge liebe ich, weil ihr mein Zuhause seid, die Elfen aber sind seit langem meine Freunde, und das, weil sie genau das Gegenteil von dem sind, was hier in Coilte Anhán von ihnen gesagt wird. Sie sind gut, offen und ehrlich. Eure Meinung über sie muss also falsch sein und kann nur daher rühren, dass ihr ihnen nie begegnet seid.“
Der König war über diese Worte gleichermaßen erstaunt wie El Gabriel selbst; kaum konnte er glauben, dass er es war, der diese Worte gesprochen hatte. Der König schaute den Jungen lange an und sagte kein Wort. Sein Gesicht blieb weiß wie das eines gewöhnlichen Zwerges, ein Zornesausbruch war also nicht zu erwarten. Eher schien es so, als ob er tief nachdachte, und genau das geschah.
McOnor versuchte sich zu erinnern, was genau die Legende sagte; dann erinnerte er sich an die Worte:
...
wenn schon ergreift des Feindes Hand
mit großer Macht Coilté Anhán,
die Tapfersten nicht siegen können,
die Listigsten, die List nicht kennen,
dem kleinen Volk das Ende droht
erwächst ein Held aus höchster Not.
Ein Menschenkrieger stark und fein
wird Mittler seiner Völker sein.
Mit reinem Herz und großem Mut
führt er sie in des Feindes Glut,
erstickt das Feuer, kaum entfacht,
dem Feind zerrinnt die Übermacht.
Das Böse weicht, der Schatten fällt,
verändert wird die alte Welt.
Noch Generationen werden singen,
vom Sieg, errungen in der Nacht,
doch nicht das Schwert wird ihn erzwingen,
den Ruhm bringt eine größere Macht.
Was heute gilt, ist bald nicht wahr,
ein neuer Geist entsteht im Land,
bringt Freundschaft für das Volk Anhán,
den Sieg ein reines Herz gebar.

Nach einer ganzen Weile brach der König sein Schweigen. Zu El Gabriels Überraschung sagte er:
„Ich glaube, jetzt verstehe ich. Du hast Recht, mein Junge: Du bist der Auserwählte. Gehe jetzt zu O’Gail, auch wenn wir nicht mehr viel Zeit haben, so kannst du dennoch nicht gänzlich unvorbereitet deinen Kampf führen. Ich, für meinen Teil, werde wohl noch viel lernen müssen, in der nächsten Zeit.“
Der Junge ließ den König allein und machte sich auf den Weg in die Waffenkammer. Als er eintrat, war O’Gail bereits dort und hatte seine Rüstung angezogen; er schien schon gewartet zu haben. Unfreundlich blickte er den Jungen an und raunzte ihn in ebensolcher Weise an.
„Da bist du ja, auserwählter Grünschnabel, vermeintlicher Retter unseres Volkes. Wollen wir einmal sehen, wie du uns schützen wirst; unser König und sein Volk glaubt ja an dich.“
„Tut mir leid“, erwiderte El Gabriel, „aber ich habe mir diese Rolle nicht ausgesucht, und genau wie du erfüllte ich den Wunsch unseres Königs. Lass uns das Beste daraus machen. Ich hoffe, wenn wir die Invasoren vertreiben, wirst du als erfahrener Krieger bei mir sein und den Grünschnabel seinen Feinden nicht völlig schutzlos überlassen. Wir wollen unseren König doch nicht enttäuschen.“
Wieder wundert sich der Junge über seine Worte, doch er hat das Gefühl, dass er den Bruder des Königs versteht, er achtet ihn sehr.
O’Gael mochte nicht so ganz darauf eingehen, konnte aber auch nicht in gleicher Weise fortfahren.
„Lass uns beginnen“, grummelte er“, du kannst dein Hemd anlassen, dann kann ich dich nicht verletzen und wir können hart kämpfen, so wie es wirklich sein wird. Dein Schwert aber könnte mir gefährlich werden, denn was immer ich als Waffe nutze, wird wie Butter von deinem Schwert zerstört. Wenn ich der Auserwählte wäre, mit deiner Waffe wäre es ein Leichtes für mich den Feind zu besiegen. Aber ohne deine Hilfsmittel wäre für mich kein Anreiz mit dir zu kämpfen; also los, verteidige dich so gut du kannst.“
Mit diesen Worten hieb er kraftvoll mit seinem Schwert auf El Gabriel ein. Im nächsten Moment flog er, wie von einer unsichtbaren Faust getroffen, durch den Raum; er wusste nicht, wie ihm geschah. Verdutzt rappelte er sich auf.
„Tut mir leid“, sagte El Gabriel.
„Ich habe nicht einmal gesehen, wie du mich geschlagen hast, wer hat dir das beigebracht?“
Sein Schwert umklammert schlich er auf El Gabriel zu.
„Ich werde wohl doch aufpassen müssen“, sagte er. Noch einmal würde ihn der Grünschnabel nicht überrumpeln. Ganz überraschend wollte er dieses Mal zulangen. Er war ein ziemlich ausgefuchster Kämpfer und seinen Stoß würde der Grünschnabel nicht sehen. Ohne Ansatz stieß er zu. Als er sich dieses Mal aufrappelte war er völlig benommen. Wütend schaute er auf den Jungen.
„Du hinterhältiger Sauhund“, schrie er und stürzte mit erhobenem Schwert auf El Gabriel zu. Er musste es dem Grünschnabel zeigen. Reflexartig parierte der Junge mit seinem Schwert, als o’Gaels Hand herabsauste. Die scharfe Klinge der Anhánicum- Schwertes durchstieß den Unterarm des Zwerges; die Klinge fiel ihm aus der Hand. Er blickte auf seinen Arm, er war unverletzt. Er reichte dem Jungen die Hand und sagte:
„Du kannst auf mich zählen, El Gabriel, ich werde dir folgen, treu bis in den Tod, diesen Eid leiste ich hiermit.“
Der Junge wusste, dass dies sein erster Sieg war, den er mit dem Schwert errungen hatte. Es war seine Absicht gewesen, den kämpferischen o’Gael auf seine Seite zu ziehen. Es schien, als ob das Schwert seine Wünsche erfüllt.

„Ich werde sehr bald auf deine Treue setzen müssen“, sagte er zu o’Gael, „ich erwarte in den nächsten Tagen einen Angriff der Horden. Cal Brightons, ich werde auf dich und deine Krieger dringend angewiesen sein; ich wüsste nicht, was ich ohne deine Freundschaft tun sollte.“
Er umarmte den Zwerg und klopfte ihm auf die Schulter. Am nächsten Morgen gegen vier klopfte o’Gael an seine Tür und rief ohne abzuwarten:
„Junger Herr, die Agil Sacha haben etwa zwei Meilen vor Coilte Mach ein Lager aufgeschlagen und in der Nacht Bäume geschlagen. Sie scheinen sich dort zu sammeln, und es ist damit zu rechnen, dass sie noch im Laufe des Tages angreifen.
Zehn Minuten später El Gabriel im Audienzsaal des Königs; o’Gael und seine Offiziere waren bereits dort.
„Es ist soweit, El Gabriel, so wie du vorausgesagt hast. Ein Elf hat in den frühen Morgenstunden die Wachen am Portal zu Coilte Anhán informiert. Es war das erste Mal seit vielen Generationen, dass ein Elf direkt in Kontakt zu einem Zwerg getreten ist; die Zeiten scheinen sich in der Tat zu ändern, gerade so wie die Legende sagt. Ich bitte dich ab sofort das Oberkommando über unsere Krieger zu übernehmen.“
Der Junge wandte sich an o’Gael:
„Lass deine Offiziere den Treueid leisten.“
O’Gael legte ohne Zögern sein Schwert zu El Gabriels Füßen und wiederholte seinen Treueschwur vom Vortage; seine Offiziere taten es ihm gleich. Man wurde sehr schnell darüber einig, dass sie den Angriff des Agil Sacha nicht abwarten würden. Die Offiziere erklärten, dass die Krieger bereits in den Alarmzustand versetzt seien und man in weniger als einer Stunde Aufbruch bereit sei.
Kurz vor Morgengrauen erreichten sie das Lager der Eindringlinge, sie schienen sich sicher zu fühlen, denn es waren nur wenige Wachen aufgestellt worden; sie hatten keine Chance zur Gegenwehr, als sie überrumpelt wurden. Im Lager herrschte bereits reges Treiben und es schien, als ob man auch hier kurz vor dem Aufbruch stünde. Plötzlich trat aus dem Dickicht ein hünenhafter Mann mit rotem Schopf und Bart, der ihm bis auf die Brust reichte. In kurzer Folge rasselten die Schwertscheiden der kleinen Krieger, doch der Mann erhob beschwichtigend die Hände:
„Slán, meine Freunde, ich bin Seán O’Brien von Castlebar und hier vertreten mit neunhundert Mann, um das Lager der Agil Sacha anzugreifen. Wir leben bereits seit einigen Monaten hier in den Wäldern von Coilte Mach und warten seitdem auf den Tag der Vergeltung. Die Eindringlinge sind aber in starker Überzahl; ein junger, schöner Mann mit goldenen Haaren hat uns kurz nach Mitternacht informiert; von achttausend Mann hat er gesprochen. Wir allein hätten es unmöglich mit ihnen aufnehmen können, aber der schöne Jüngling hat eure Ankunft bereits angekündigt. Ihr sollt etwa zweitausend Krieger haben, so dass wir es zusammen auf knapp dreitausend Mann bringen. Die zahlenmäßige Überlegenheit der Gegner ist immer noch überwältigend, so dass wir überlegen, ob wir den Angriff wagen sollen. Ich möchte mich diesbezüglich mit eurem Kommandanten besprechen, wer ist es übrigens?
Die Offiziere der Zwerge wiesen auf den Jungen und sagten im Chor:
„El Gabriel haben wir Treue geschworen und wir folgen ihm bis in den Tod.“
„Offensichtlich verblüfft schaute Seán O’Brien den Jungen an und sagte:
„Aber er ist doch noch fast ein Kind.“
Doch unbeeindruckt von den Worten des Hünen erwiderte der Junge:
„Hat der Elf dir nicht gesagt, dass die Zwerge von einem jungen Krieger angeführt werden?“
„Schon“, antwortete der Rotschopf, „aber ich hätte nicht gedacht, dass er so jung sein würde. Wie viele Schlachten hast du denn schon geschlagen?“
„Noch keine einzige“, erwiderte El Gabriel ohne Verlegenheit“, und ich habe auch nicht vor, nach unserem Sieg jemals eine weitere zu schlagen. Was uns angeht, so habe ich keinen Beratungsbedarf, wir werden auf jeden Fall in wenigen Minuten angreifen, damit der Überraschungseffekt auf unserer Seite bleibt; du kannst entscheiden, ob ihr mit uns gemeinsam kämpfen wollt, oder euch lieber heraushalten möchtet, wir werden die eine wie die andere Entscheidung akzeptieren.“
Beeindruckt von dem selbstbewussten Auftreten des Jungen, schien Seán seinen Einwand vergessen zu haben und gab entrüstet zurück:
„Natürlich werden wir auf eurer Seite kämpfen, auch meine Männer folgen mir, notfalls bis in den Tod. Wir sind ebenfalls angriffsbereit und sehen keine Notwendigkeit länger zu zögern.“
Die Zwerge hatten in der Zwischenzeit das Lager lückenlos eingekesselt.
„Es geht los“, sagte der Junge, „wir bilden die Hauptfront, während die um das Lager verteilten Krieger den Ring enger ziehen.
Bist du in unserer Front dabei?“, fragte er an O’Brien gerichtet.
„Sehr gerne“, antwortete dieser, möglichst weit vorne.“
Wenige Minuten später stürmten etwa zwölfhundert Mann, El Gabriel, Seán O’Brien und o’Gael an der Spitze in das Lager. Weitere Achtzehnhundert stürzten mit lautem Kampfgeschrei von allen Seiten herein. Die Feinde waren einige Sekunden starr vor Schreck, sie hatten noch keine Waffen angelegt. Es herrschte großes Wirrwarr im Lager, und viele hatten das Waffenzelt noch nicht erreicht, als sie erschlagen wurden. El Gabriel wusste, dass seine Hand nicht töten würde und er war sehr froh darum, denn auch die Gegner hatten Frauen und Kinder Zuhause, und die meisten von ihnen sind zu den Waffen gezwungen worden. Je eher dieser Kampf beendet wurde, um so weniger von ihnen mussten sterben. Blitzschnell ließ er sein Schwert kreisen und jeder, der auch nur von der Klinge berührt wurde, wandte daraufhin sein Schwert gegen seine Kameraden. So geschah es, dass die Zahl der Kämpfenden an El Gabriel Seite zunehmend wuchs. Diejenigen der Feinde, die auf ihn einschlugen, sanken schwer verletzt oder tödlich getroffen zu Boden, kaum erfassend, was mit ihnen passierte. El Gabriel versuchte so gut er konnte die Angriffe abzuwehren, weil er seinen Gegnern den Überraschungstod ersparen wollte. Seine Kameraden sahen ihn wie ein Löwe kämpfend und seine Gegner entweder in den Staub sinken oder unmittelbar nach ihrem Angriff sich auf seine Seite schlagend. Viele Soldaten Cal Brightons ergriffen die Gelegenheit und folgten ihren Beispielen, obwohl sie vom Schwert El Gabriel gar nicht getroffen worden waren. O’Briens Männer und die Zwerge wurden vom Geist des Jungen erfasst und wurden für ihre Gegner unüberwindbar. Dann geschah das Unglaubliche, Cal Brighton stand dem Jungen plötzlich persönlich gegenüber. Grimmig blickte er El Gabriel an, aus seinen Augen blitzte Mordlust. Ein Kampf auf Leben und Tod begann, wobei kurioser Weise beide nur um ein Leben kämpften, um das Cal Brightons. El Gabriel wollte den Gegner um jeden Preis schonen, und so musste er vermeiden, dass dieser ihn trafen. Wenn es ihm gelang ihn zu besiegen, wäre die Schlacht beendet – das wusste er. Wenn jemand seiner Kameraden ihm zu Hilfe eilen wollten, befahl er ihnen sich zurück zu halten. Brighton war ein erfahrener Kämpfer, so dass El Gabriel ihn mit seinem Schwert verfehlte, wenn er auf ihn einschlug. Umgekehrt gelang es dem Jungen, den Schlägen des Agil Sacha Führers auszuweichen. Beide standen sich gegenüber und belauerten sich. Dann erhob Brighton blitzschnell sein Schwert, um im nächsten Moment die Klinge herunter sausen zu lassen. Der Junge reagierte schnell und trennte mit seinem Anhánicumschwert die Klinge des Gegners vom Schaft, als wäre der Stahl eine Bananenmasse. Cal Brighton blickte verwundert auf den Rest, den er in der Hand hielt. Diesen Augenblick der Überraschung nutzte El Gabriel und stieß dem Gegner die Klinge in die Brust. Cal Brighton schaute ihm in die Augen; diese hatten jeglichen Ausdruck von Mordlust verloren. Der Junge zog ihm die Klinge aus der Brust. Einer der Offiziere der Agil Sachas eilte zu seinem Kommandanten. Als dieser sein Schwert gegen El Gabriel erhob, stoppte Brighton ihn mit den Worten:
„Lass ab, gib mir dein Schwert.“
Der Offizier glaubte, dass dieser die Aufgabe selbst erledigen wollte und überreichte ihm süffisant grinsend sein Schwert. El Gabriel stand ruhig dabei und wartete ab. Das Kampfgeschehen hatte aufgehört, alle Augen waren auf die Beiden gerichtet.
Sobald der Kommandant das Schwert empfangen hatte, kniete er vor El Gabriel nieder und legte ihm das Schwert zu Füßen.
„Hiermit schöre ich, dir mit meinen Männern treu zu dienen und werde dir auf Befehl bis in den Tod folgen.“
„Das wird nicht nötig sein“, antwortete der Junge, „ich gebe dir nur einen Befehl: Gib die besetzten Gebiete Erins frei und zieht in Frieden zurück in euer Land. Entlasse deine Krieger zu ihren Familien.“
„Wie du befiehlst, Herr, aber, wenn du mich eines Tages rufen solltest, werde ich zu dir eilen und an deiner Seite kämpfen.“
„So sei es“, sagte der Junge Held, „und nun ziehet in Frieden.“
Viele Augen sahen die Legende Anháns sich erfüllten. Die Schlacht ist als das Wunder von Coilte Anhán in die Legenden eingegangen. Bereits eine Woche später hatte Cal Brighton alle eroberten Gebiete Erins freigegeben und war mit den meisten seiner Leute in seine Heimat zurückgekehrt. Viele aber hatten sich mit den Einwohnern angefreundet und Erin zu ihrer Heimat gemacht. Die Geschichte über das Wunder von Anhán endet hier, nur eines gibt es noch zu sagen. Die schöne Al Dorin hat ihre Unsterblichkeit aufgegeben, und El Gabriel hat sie zur Frau genommen. Das ist das eigentliche Wunder. Al Dorin hat aus Liebe die Sterblichkeit gewählt, und dieses Opfer wird noch in den Legenden stehen, wenn das Wunder von Coilte Anhán schon lange bis zur Vergesslichkeit verblasst ist.“
 

Dreiauglein

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Kritik zu der Geschichte

Hallo!

Ich habe soeben deinen Auszug zuende gelesen und wage mich nun mal an eine, wie ich hoffe, konstruktive Kritik.
Zunächst einmal Respekt vor deinem Buch, aus dem die Geschichte ja anscheinend stammt. (o:
Andererseits ist das vielleicht der Grund, warum ich anfangs sehr verwirrt war. Da prasseln so viele (Orts)Namen auf einen ein, dass man nur die wenigsten behält, hinterher wird es dafür etwas besser.
Dann etwas zum allgemeinen Stil:
Er ist mir zu sehr beschreibend, du beginnst mit einer langatmigen Erzählung über die Verhältnisse zwischen Elfen, Zwergen und Menschen. Allerdings ist dieses Verhältnis typische Fantasykost und weckt deswegen nicht gerade die Neugier, alle Rassen wirken wie Stereotype. Ich kann nur diesen kleinen Auszug beurteilen, aber versuche mehr Eigenarten zu erdenken und deine Figuren individueller wirken zu lassen. Vermeide ebenso neumodische Wörter wie 'Business', 'Ultraschall' und auch 'Bananenmasse' (es sei denn, es gibt Bananen in deiner Fantasy Welt). Ein paar Zeitsprünge sind ebenfalls drin, lass am besten die Geschichte immer noch mal von jemand anderem Korrektur lesen, selber sieht man manchmal eigene Fehler nicht.
Auch wird die Vorgeschichte der eigentlichen Handlung in wenigen kurzen Sätzen abgehandelt, die nicht gerade das Interesse wecken, eben weil alles beschreibend ist. Das gibt dem Leser wenig Gelegenheit überhaupt in die Geschichte einzutauchen oder sich in eine der Figuren hineinzuversetzen. Ich hätte die Geschichte eher mit El Gabriel begonnen ohne die Vorgeschichte und alles aus seiner Sicht beschrieben. Ruhig für eine einzelne Szene auch mal Zeit lassen, schreiben was er genau denkt, fühlt, sieht, hört. Seine Zweifel, ob er seiner Aufgabe gewachsen ist hättest du noch viel stärker ausbauen können.
Überhaupt geht alles sehr reibungslos vonstatten. Zuerst lamentieren die Zwerge lange herum, zweifeln an der Legende bis ihnen plötzlich El Gabriel einfällt. Das wirkt etwas sprunghaft.
Auch hier wäre Potential für einen weiteren Konflikt. Was wäre wenn es nur einen einzigen der Zwerge gäbe, der an El Gabriel glaubt und ihn für den Menschenkrieger hält, während alle anderen ihn ablehnen und sich der Befürworter ersteinmal durchsetzen muss.
Schön ist dagegen der Zwist zwischen Gabriel und O'Gail (oder O'Gael? Achte bei Namen auf Stimmigkeit), der ihm anfangs nichts zutraut und lieber selbst der Auserwählte wäre. Aber auch hier hättest du die Emotionen mal richtig hochkochen können lassen. Deine Geschichte hat viel mehr Potential und jede dieser einzelnen Szenen hätte noch genauer ausgeschmückt werden können. Dass O'Gail so schnell Gabriel die Treue schwört fand ich auch merkwürdig und dass dann gleich die Rede von Freundschaft ist. Ich hätte das eher noch weiter hinausgezögert, O'Gail hätte ihn schlecht beim König machen können, Gabriel viele Steine in den
Weg legen können.
Übrigens hat mir das Gedicht sehr gut gefallen, es ließ sich schön vom Rhythmus und Klang lesen. (o:
Aber um noch mal auf den Hauptpunkt zu kommen: In der Geschichte ist zu wenig Konflikt, will sagen El Gabriel bewältigt alle Schwierigkeiten (sofern welche auftreten) mit Leichtigkeit. Auch Schwert und Rüstung werden nochmal von den Elfen verstärkt, damit auch ja keine Probleme auftreten. Aber Herausforderungen und Konflikte sind das, was eine Geschichte erst spannend und lesenswert machen.

Ein Logikfehler ist mir auch noch aufgefallen: Zuerst will El Gabriel seinen Gegner Cal Brighton um jeden Preis schonen und dann stößt er ihm am Ende doch das Schwert in die Brust. Warum tut er dies? Und vor allem: Warum scheint das spurlos an Cal vorbeizugehen? Bitte auch auf Schlüsigkeit bei solchen Sachen achten.
Dann der Schluß der Geschichte. Al Dorin erinnert mich doch sehr stark an Arwen aus "Der Herr der Ringe". Auch hier: Es fehlt die Individualität und diese umfassende Geschichte in zwei Sätzen zu schreiben wirkt, als hättest du es an das eigentliche Ende schnell drangehängt.

Abschließend möchte ich nur sagen, dass ich eben nur den Auszug dieses Stückes bewerten und kritisieren konnte, da ich das andere nicht kenne.
In diesem Auszug wirken Figuren, Geschichte und Stil überall sehr knapp und skizzenhaft, die Probleme zu niedrig und die Gefühle zu flach.
Zwar weisen die Anführungszeichen am Ende und Anfang darauf hin, dass es jemand im Buch selbst erzählt, aber trotzdem hättest du diese Erzählung in eine wirkliche Geschichte hinübergleiten lassen können, die den Figuren und der Handlung die Tiefe verleiht, die ihnen zusteht.

Ich weiß, das war jetzt sehr viel negative Kritik, aber ich hoffe sie hilft dir etwas weiter. Lass dich durch so etwas nicht entmutigen, nur durch üben und weiterschreiben kann man sich steigern und entwickeln.

-Dreiauglein
 

hades

Mitglied
Die Legende von Coilte Anhán

Hallo Dreiäuglein,

vielen Dank erst einmal für deine Mühe, eine solch detaillierte Kritik zu schreiben. Ich habe sie jetzt eben gelesen und kann noch nicht näher darauf eingehen. Ich bin natürlich froh über jede Kritik, da ich jetzt gerade in der Phase der Überarbeitung meines Buches bin - das macht mehr Mühe als das Schreiben. Da finde ich deine Kritik natürlich sehr wertvoll. Ich werde das Buch, wenn ich es selbst einmal überarbeitet habe, noch ein paar kritischen Leuten geben - mit Bitte um konstruktiven Verriss. Ich werde mit ihnen auch über deine Kritikpunkte diskutieren. Sicher resultieren ein paar Punkte auch aus dem Zusammenhang mit der Gesamtgeschichte. Zum Beispiel wird die Geschichte von einer Person in der heutigen Zeit erzählt - es ist nur eine kleine Nebengeschichte in einer größeren. Wenn du dir ein Bild machen möchtest, findes du die ganze Geschichte unter: http://erzaehlungen.literatur.org/. Es ist:"Das Tinkermädchen Saoirse und die Alte Maisa." Es sind sicher noch einige Stilblüten darin, denn ich habe sie noch nicht in der Tiefe überarbeitet - ich habe noch nicht den erforderlichen Abstand. Ich fände es natürlich interessant, wenn ich von dir erfahren würde, ob du all deine Kritikpunkte in der Gesamtperspektive aufrecht erhalten würdest.

Vielen Dank noch einmal für deine wertvolle Kritik

Grüße vom Hades


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Die Welt endet nicht am Horizont
 



 
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