Die letzte Wette - Kapitel 5

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Kapitel 5

Als der Wetter wieder zu sich kam blickte er in das unrasierte Gesicht von Mr. Dobbs.
»Ah, da ist er ja wieder. Sir Arnold ist wieder unter den Lebenden«, tönte der Hausmeister.
Der Bankier stöhnte. Er hatte höllische Kopfschmerzen.
»Wo … Wo bin ich?«, brachte er gepresst hervor. »Wo haben Sie mich hingebracht?«
»In Ihre Bank.«
»Meine … Meine Bank?« Der Bankdirektor blinzelte und versuchte sich aufzurichten. »Wieso?«
Eine breite Gestalt schob Dobbs beiseite und beäugte den Wetter besorgt.
»Miss Bryant, so besorgen Sie doch schon ein Glas Wasser und eine Schmerztablette.«
Sir Arnold hielt sich den dröhnenden Schädel.
»Rouch?«
»Ah, sehr gut. Er erkennt mich.«
Der Wetter setzte sich auf und wischte sich die Augen. Er war in seinem Büro und befand sich auf dem Kanapee in der kleinen Sitzecke. An der Tür konnte er einen uniformierten Beamten ausmachen.
»Was ist passiert?«
»Sie sind im Haus von Dr. Bryant niedergeschlagen worden. Ich gratuliere.«
»Dazu gratulieren sie mir?« Sir Arnolds Blick war immer noch leicht getrübt. »Da frage ich mich doch wer von uns beiden den Schlag auf den Kopf bekommen hat.«
Rouch lachte vergnügt. »Sie natürlich. Aber ich gratuliere Ihnen zu dem Gewinn Ihrer Wette. Es war Mord. Und ich gratuliere zu der Überführung des Täters. Dr. Bryant hat gestanden. So ein gerissener alter Hund. Auf die Idee mit dem Stahldraht muss man erstmal kommen. Und auch wie er Sie beseitigen wollte. Alle Achtung.«
»Was hatte er mit mir vor?« Der Wetter schloss noch einmal seine Augen und lehnte seinen Kopf zurück.
»Umbringen natürlich. Hier. Damit hat er Sie niedergeschlagen.« Rouch hielt einen zerstörten Mauerstein in die Höhe. Sir Arnold blinzelte wieder. »Dann hat er Sie zum Baugerüst geschleppt und den Stein dort neben Ihnen drapiert.«
Sir Arnold schaute an sich herab. Erst jetzt bemerkte er seine feuchte und verschmutzte Kleidung.
»Ihren Kopf hat er dann in eine Pfütze gelegt. Es sollte so aussehen als wären sie von einem Trümmerteil bewusstlos geschlagen worden und dann unglücklicherweise ertrunken. Ein bedauerlicher Unfall.«
Sir Arnold fasste vorsichtig an seinen Hinterkopf. Dann war die Feuchtigkeit dort also doch kein Blut.
»Und warum lebe ich dann noch?« fragte er matt.
»Das verdanken sie Mr. Dobbs.« Sir Arnold wendete den Kopf. Dobbs stand mit breitem Grinsen an einem Kaugummi kauend mitten im Raum und wirkte sehr zufrieden mit sich. Der Inspektor fuhr fort: »Vielmehr seinem kaputten Wagen. Er lag gerade darunter als Sie zur Baustelle gezogen wurden. Als er wieder hervor kam sah er dort verdächtige Schemen und schaute nach. Er fand den Doktor und den halbtoten Direktor der Western und Somerset Bank. Ich glaube den müssten Sie ja kennen«, schmunzelte er. »Der Fall ist jedenfalls gelöst.«
Doch der Wetter schüttelte den Kopf so gut es ging.
»Nein. Das ist er nicht.«
»Aber natürlich«, hielt Rouch dagegen. »Wir haben doch das Geständnis vom Doktor. Er hat uns den Mord geschildert und sein Motiv. Bryant hat sich damals in den Trümmern der Bank nach dem Bombenangriff anstatt Erste Hilfe zu leisten an dem Inhalt des gesprengten Tresorraumes bedient und anschließend dort ein Feuer gelegt. Der verletzte Hubbard hat ihn beobachtet und wurde zum Mitwisser. Als Hubbard das nun gestehen wollte, musste der Doktor ihn umbringen.«
»Nein, Rouch. Willoughby Bryant ist kein Mörder. Anstatt sich erpressen zu lassen hätte er Hubbard schon vor Jahren umbringen können. Der Doktor ist für einen heimtückischen Mord zu weich, überdies ist er leicht beeinflussbar. Außerdem erklären sie mir mal, wie er mit seiner Gicht die Feuerleiter erklommen und einen gestandenen Kerl wie mich niedergeschlagen und allein über die Straße getragen haben soll.«
»Bei Gott«, entfuhr es Rouch. Der Wetter hatte Recht.
»Dr. Bryant ist nicht der Mörder. Er war lediglich der Komplize, der sich um die Beseitigung des Stahldrahtes kümmern musste. Und nun versucht er den wahren Täter zu decken.«
Rouch fuhr sich über das Kinn.
»Und wer ist der wahre Täter? Wissen Sie das auch, Sir Arnold? Ist es doch Reverend Molony? Er gilt seit seinem Besuch bei Hubbard als verschollen.«
»Ich weiß es«, schaltete sich Dobbs ein, was ihm sofort die Aufmerksamkeit der Anwesenden einbrachte. »Meine geschiedene Frau hat ihn umgebracht. Vanessa St. Claire.« Er kramte in seiner Tasche und förderte den Umschlag hervor, den er vor zwei Tagen in Hubbards Büro gefunden hatte. »Hier ist die Verbindung zum Doktor. Schwarz auf Weiß. Vanessa und Hubbard haben sich regelmäßig zum Liebesspiel im Haus des Doktors getroffen. Wahrscheinlich wollten sie Hubbard ausnehmen und durch die Heirat das Geld, das Hubbard vom Doc erpresst hatte, wieder zurückholen. Der Doc hat Vanessa sicherlich gut für dieses Schauspiel bezahlt. Sie ist und bleibt eine Dirne«, spie Dobbs angewidert aus.
Fragend schaute Rouch zu dem Wetter.
»Stimmt das?«
Sir Arnold schüttelte den Kopf. Dann öffnete sich die Tür und Florence trat wieder ein.
»Das Wasser für Sir Arnold.«
Rouch nahm es ihr ab.
»Wer war es dann?«
»Chefinspektor Rouch.« Der Bankdirektor schaute zu Florence. »Verhaften Sie Miss Bryant.«
»Miss Bryant?«, wiederholte Rouch ungläubig.
»Das kann doch nicht Ihr Ernst sein«, war auch die Meinung von Dobbs.
»Es ist mein voller Ernst, Mr. Dobbs. Alle Personen haben ein Alibi für die Zeit von Hubbards Fall, doch wir wissen ja jetzt, dass die Vorbereitung der Tat schon früher stattgefunden haben muss. Irgendwann zwischen dem Anruf beim Yard und der Entdeckung von Hubbard am Fenster, der – aufgrund des Nebels – sicher erst recht spät entdeckt worden ist. Ich habe also noch einmal alle Alibis überprüft und die Aufenthaltsorte von Miss St. Claire sind schlüssig von mehreren Personen unabhängig voneinander bezeugt. Zuerst war sie in ihrem Hotel, dann hat sie ein Taxi zum Theater genommen. Mr. Dobbs hat ein Rohr in der Loge des Portiers repariert und Dr. Bryant wäre körperlich nicht dazu fähig gewesen Hubbard auf den Fenstersims zu hieven. Da Mr. Hubbard klein und schmächtig war, wäre aber jeder andere dazu fähig. Auch eine normal kräftige Frau.«
»Wie Miss Bryant«, dämmerte es Dobbs. »Die sogar durchaus recht athletisch gebaut ist.«
»Genau«, bestätigte der Wetter. »Und die für den betreffenden Zeitraum kein Alibi hat. Stimmt es nicht, Miss Bryant?«
Er schaute zu Florence hinüber, doch diese schwieg.
»Was ist mit Molony«, warf der Inspektor ein.
Sir Arnold lächelte müde.
»Vergessen Sie Molony. Da hatten Sie vollkommen Recht, Rouch. Warum sollte ein Geistlicher für ein paar Spendengelder einen Mord begehen? Aber zurück zu Miss Bryant. Als es Zeit für ihre Mittagspause war, schloss sie das Vorzimmer ab um ungestört zu sein und betrat das Büro ihres Chefs. Dort schlug sie Hubbard nieder, richtete alles her und verließ den Raum über die Feuerleiter. Der Portier hat mir bestätigt, dass er sie nicht die Bank hat verlassen sehen, und die Bedienung im Restaurant hat angegeben, dass Miss Bryant etwas später als sonst dort erschienen wäre und ihr Vater bereits gewartet hätte. Das Abschließen des Vorzimmers diente ebenfalls dazu, dass nicht zufällig ein anderer Hubbard in den Tod schickte bevor ihr Vater in der Nähe der Bank war. Und in ihrer Handtasche finden sie sicher eine fetthaltige Pflegecreme, mit der sie die Klinke zusätzlich präpariert und die sie rasch abgewischt hat als sie zusammen mit uns ins Büro gegangen ist. Nur die Kratzer, die konnte sie leider nicht so einfach beseitigen.«
»Dann hat sie also Hubbard getötet um ihren Vater davor zu schützen ins Gefängnis zu gehen und das Vermögen aberkannt zu bekommen«, schloss Rouch.
Doch wieder war der Wetter anderer Meinung.
»Nein. Ich bin der festen Überzeugung, dass Dr. Bryant erst im Restaurant von der Tat seiner Tochter erfahren hatte. Die Bedienung konnte eine angeregte Diskussion der beiden beobachten. Und sie brauchte ihren Vater dazu. Wäre sie selbst zu der Leiche gestürzt wäre es sofort verdächtig gewesen. Bei einem Arzt war das natürlich etwas ganz anderes.«
»Was ist dann das Motiv?«
»Mr. Dobbs hält es in der Hand.«
Erstaunt blickte der Hausmeister auf den Umschlag.
»Ich?«
»Ja, genau sie, Mr. Dobbs«, bestätigte Sir Arnold. »Es handelt sich keineswegs um geheime Korrespondenz zwischen Mr. Hubbard und Miss St. Claire wie sie vermuteten, sondern der Adressat ist Florence Bryant. Paul Hubbard, der nie viel Glück bei Frauen hatte, hat sich sein Mitwissen um das Verbrechen des Doktors nicht mit Geld bezahlen lassen, sondern mit seiner Tochter. Irgendwann muss sich zwischen ihr und dem dominanten Hubbard eine Art dunkle Liebe entwickelt haben. Doch dann? Dann brach Paul diese Bindung ab. Für eine andere Frau. Für Vanessa St. Claire. Und dafür musste er büßen. Stimmt es nicht, Miss Bryant?«
Der Bankdirektor schaute zu der Sekretärin. Sie stand regungslos da, ihr Gesicht war eine kalte Maske.
»Jeder Herr muss für einen Treuebruch an seinen Vasallen bezahlen«, waren ihre letzten Worte. Dann ließ sie sich widerstandslos abführen.
»Puh«, atmete der Chefinspektor hörbar aus. »Was für eine arme, kranke Frau.« Sein Blick fiel auf das Glas in seiner Hand. »Ich schütte das besser weg und hole Ihnen ein frisches. Wer weiß was diese Hexe dort hinein getan hat.« Auf dem Weg zur Tür hielt er dann noch einmal inne. »Eines noch: Das war wirklich eine echt saubere Leistung, Sir Arnold. Meine Hochachtung.«
»Yeah«, stimmte auch Dobbs zu. »Sie sollten vielleicht überlegen doch wieder in den Polizeidienst zu wechseln.«
Aber der Bankdirektor schüttelte nur den Kopf.
»Ich bin jetzt schon nur knapp mit dem Leben davon gekommen. Wenn ich mich noch einmal in so eine Gefahr begebe, dann bringt meine Frau Nora mich todsicher um. Ich wette!«
 



 
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