Die Marionetten

Monika M.

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Die Marionetten


Vor nicht allzu langer Zeit zog ein alter Puppenspieler durch das Land. Er machte in allen Orten Rast, ob sie nun groß waren oder so klein, dass sie nur aus ein paar Häusern bestanden. Dann packte er seine Holzmarionetten aus seinem Koffer aus und ließ sie tanzen und springen, und die Kinder kamen und sahen ihm zu.
Er hatte nicht sehr viele Marionetten, einen König und eine Prinzessin, eine Hexe und ein altes Pferd, dessen Mähne schon schäbig wurde. Er besaß auch einen Zauberer, der trug einen dunkelblauen Umhang mit goldenen Sternen. In der rechten Hand hielt er einen kleinen Holzstab, das sollte sein Zauberstab sein.
Tagsüber ließ der alte Puppenspieler seine Marionetten tanzen und Geschichten vorführen. Es kamen nie sehr viele Zuschauer, schließlich gab es ja Fernsehen und Computer, die einem ununterbrochen unterhalten konnten. Doch die Kinder, die kamen sahen ihm gebannt zu und applaudierten begeistert.
Und dann, in der Nacht, wenn er schlief und alle Puppen in seinem großen Koffer lagen, geschah oft Seltsames und die Marionetten schüttelten ihre lästigen Fäden einfach ab.
„Ach“, seufzte dann der Zauberer, „wenn ich doch nur wirklich zaubern könnte!“ Denn das war sein größter Wunsch.
Die Prinzessin kämmte gerade ihr Haar. „Was soll am Zaubern denn so besonders sein“, meinte sie. „Ich finde wahre Schönheit viel erstrebenswerter.“ Sie betrachtete sich kritisch im Spiegel. „Dieser alte Koffer ruiniert noch meine ganze Frisur!“
„Welche Frisur denn?“, kicherte die Hexe. „Diese alten Strähnen etwa?“
„Du alte Hexe“, fauchte die Prinzessin, ganz und gar nicht mehr damenhaft.
Der Zauberer seufzte nur. Diese Streiterei gab es nur allzu oft. „Wenn ich zaubern könnte, dann hätten wir etwas Besseres, als diesen Koffer, um darin zu reisen.“
„Ja, einen Palast“, warf der König ein und strich über seinen runden Bauch. „Das wäre angemessen, einen Palast für uns alle.“
„Mir wäre ein einfacher Stall lieber“, wieherte das Pferd.
„Jedem das seine“, meinte der König. „Aber leider kann niemand von uns zaubern.“
„Ja, leider!“ Der Zauberer betrachtete wehmütig seinen Zauberstab. „Alles nur Attrappe.“
„Wie wahr“, stichelte die Hexe, aber sie blickte dabei die Prinzessin spöttisch an. Die jedoch ließ sich nicht mehr auf eine Streiterei ein.
„Zaubern müsste man können“, seufzte der Zauberer wieder. „Ach, wenn ich nur zaubern könnte!“
„Nun ja“, ließ sich da wieder das Pferd vernehmen, das eine der ältesten Puppen des Spielers war. „Früher einmal gab es eine Zeit, da konnten wir alle zaubern....“
Die Anderen schwiegen überrascht. „Was sagst du da?“, fragte der Zauberer neugierig.
„Ja, früher“, murmelte das alte Pferd und dachte an all die Aufführungen, die es schon erlebt hatte. „Früher warteten die Kinder schon sehnsüchtig auf uns. Da saßen sie auf dem Boden und schauten uns zu. Und ihre Augen, ich sage euch, ihre Augen, die leuchteten, das es eine wahre Freude war!“ Das Pferd lächelte versonnen. „Früher konnten wir noch zaubern, wir konnten alle verzaubern, die uns zusahen.“
„Ist das wirklich wahr?“, fragte der Zauberer fassungslos.
„Du erzählst doch Märchen“, rief die Hexe.
„Früher, sage ich euch...“ Das Pferd wieherte geheimnisvoll. „Das war eben eine ganz andere Zeit!“
„Und heute?“ Die Prinzessin hatte aufgehört sich um ihr Haar zu kümmern. „Heute ist wirklich alles anders?“
„Wer weiß“, meinte da das Pferd, „wer weiß das schon! Vielleicht können wir auch heute noch den einen oder anderen verzaubern? Vielleicht...“
Der Zauberer lächelte glücklich. Die Worte des alten Pferdes hatten ihm wieder Mut gemacht. Mit ganz neuen Gefühlen sah er seinen Zauberstab an. „Ich werde zaubern können“, murmelte er nur für sich. „Ich werde es morgen ganz bestimmt schaffen. Endlich wird es mir gelingen. Ich weiß, es liegt nur an mir. Früher ging es und heute auch noch! Ich kann verzaubern!“ Und glücklich wie lange nicht mehr schwang er seinen Stab hin und her.
Am anderen Morgen zog der alte Puppenspieler weiter. Er ahnte nichts vom Leben in seinem Koffer. Er zog seiner Wege, bereit im nächsten Ort seine Marionetten wieder tanzen und spielen, singen und springen zu lassen.
Er pfiff vergnügt vor sich hin. Er liebte es Puppenspieler zu sein, er liebte es die Gesichter der Kinder zu sehen, die an seinen Marionetten hingen und jede ihrer Bewegungen verfolgten. Die Kinder vergaßen dann ganz die Fäden, an denen sie hingen. Sie waren manchmal wie verzaubert von seinen Puppen und ihrem Tun. Ja, dann war es fast, als wären alle lebendig, der König und die Prinzessin, die Hexe und das alte Pferd und natürlich der Zauberer mit dem dunkelblauen Umhang und dem Zauberstab.
 



 
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