Die Medaille

steyrer

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Die Medaille

Endlich gelang ihm das Bild. Es sah fantastisch aus. Zuvor war es zu dunkel gewesen und danach hatte eine Frau mit ihrem Jungen gestört:
„Mein Großer, du bist doch klüger als Albert Einstein, also hör auf zu knipsen und nenn mich nicht Mamatschi.“
Der Junge richtete die Kamera auf sie und löste aus: „Mamatschi, ich bin nicht klüger als dein Einstein, aber nenn mich nicht mein Großer.“
Der Fotograf wartete im Flur und überprüfte die Bilder. Fast alle waren misslungen, nur das Täfelchen mit der Beschreibung war scharf: „Geduldsflasche mit Kreuzigungsszene. Schwarzwald, 19. Jahrhundert.“
„Was willst du in diesem finsteren Kasten? Es gibt draußen schönere Dinge. Außerdem gelingt dir kein Bild. Was für eine unpraktische Kamera! Wozu habe ich dir ein Smartphone geschenkt? Es ist ganz einfach, Konfuzius sagt.…“
Der Junge wandte sich ab und betrachtete das Kameradisplay: „Die Fotos mit dir sehen behindert aus.“
Die Mutter ignorierte die Bemerkung: „Mach etwas Nützliches. Wenn du für Konfuzius zu jung bist, dann magst du vielleicht Antoine de Saint-Exupéry? Da könntest du französische Vokabeln lernen.“
„Ich bin nützlich! Ich dokumentiere.“
„Das besprechen wir später, aber jetzt gehen wir: Das Kindertheater beginnt.“
„Das Kindertheater? Wieso? Ich bin zwölf!“
„Denkst du nicht an deine kleine Schwester?“ Sie wandte sich um: „Unser Großer gönnt dir keine dumme Augustine. Pfui!“
„Ich bin aber müde, Mami. Gehen wir nach Hause?“
„Mamatschi, wir brauchen keine dumme Augustine. Du bist besser.“

Die Mutter zerrte ihren Sohn aus dem Museum. Danach war es still und der Fotograf sah auf seine Uhr: „Ach nö, in zehn Minuten ist die Bude zu.“ Er wollte gehen, hielt aber verblüfft inne, als das Sonnenlicht genau auf die Geduldsflasche fiel: „Mensch, das gibt eine Medaille!“
 
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