Die Monokultur des Luxus

Ursprünglich hatte ich an der Elbe Luft schöpfen wollen. Aber dann war mir der stürmische Nordwind dafür zu kalt und ich blieb lieber im Hamburger Stadtzentrum. Bummelte ziellos herum und stellte bald fest, wie sehr mich das langweilte, und zwar am meisten in jenem bei Touristen so beliebten Viertel zwischen Rathaus und Gänsemarkt. Was war nur wieder mit mir los?

Zu Hause versuchte ich meiner Missstimmung auf den Grund zu gelangen. Ich unternahm in Gedanken nochmals einen Streifzug durch das Viertel. Wie oft hatte ich ihn in drei Jahrzehnten schon wirklich zurückgelegt … Dabei stieß ich jetzt immer wieder auf Anziehungspunkte, die es nicht mehr gab. Ich machte mir klar, wie sehr sich die Stadt dort in den letzten fünfzehn Jahren verändert hat, zu meinem Nachteil gewiss und vielleicht auch zu ihrem eigenen.

Wie üblich begann ich am Gänsemarkt. Das große Kino-Center dort – abgerissen. Zugegeben: Seinem Filmangebot weine ich nur wenige Tränen nach. Immerhin hatten sie sogar Streifen von Fassbinder gezeigt … In der Passage daneben der kleine Buchladen – spurlos verschwunden. Zwei Schritte weiter am Jungfernstieg die Erinnerung an eine große Buchhandlung christlicher Prägung mit langer Tradition – bis auf eine Erinnerungstafel an die Hamburger Weiße Rose getilgt.

Ich drang tiefer in die schmalen Straßen hinterm Gänsemarkt ein, schlenderte auch durch weitere Passagen. Da fand ich jenes Programmkino – nicht mehr. Sehr schade drum, sie hatten lange Jahre die in meinen Augen besten Filme gezeigt, von Visconti zum Beispiel. Schräg gegenüber das Café war sonntags ein Ziel gewesen – verschwunden. Dann ein Laden, wo man die größte und beste Auswahl an Postern gefunden hatte – nicht mehr existent. Und das wirklich gute Restaurant mit der großen Glaskuppel drüber – aufgegeben.

Ich setzte meinen Gang durch das Plusquamperfekt bis zum Rathausmarkt fort und entdeckte noch die Lücken einer weiteren kleinen Buchhandlung – die mit dem anspruchsvollsten Sortiment in der Stadt – sowie ein Kellerlokal und ein Billigkaufhaus, das sich wirklich jedermann hatte leisten können. Überall Fehlanzeigen. Das große alte Warenhaus am Jungfernstieg gab es noch, doch wie verändert! Ursprünglich das breiteste Sortiment vom einfachen Gebrauchsgut bis zum teuren Artikel für den echten Genießer bietend, erschien es mir nun von Kopf bis Fuß durchgestylt und auf nur eine Käuferschicht und nur deren Vorlieben hin orientiert.

Was war da geschehen? Verdrängt worden sind vor allem Lokale und Institutionen, die geistige Bedürfnisse befriedigen (Bücher, Filme, Drucke). Sodann herkömmliche Kneipen und Restaurants. Und was hat sich an ihrer Stelle etabliert? Teure Konfektion, teure Konfektion und noch einmal teure Konfektion. Dazwischen mal ein Laden für edlen Schmuck, öfter noch für andere, natürlich teure, Accessoires, je verkrampft neckischer, desto besser. Und eine Bank. All das war vorher auch schon genügend vertreten, nun ist es vorherrschend geworden.

Wer kauft da? Wer bummelt da? Einwohner von Hamburg eher weniger. Dafür Touristen, die ein Regentag von der Küste ins Landesinnere vertrieben hat. Leute von weit her, aus Skandinavien etwa, mit viel Geld und einem großen Problem: Wie geben sie es stilvoll aus? In Köln sagte mir mal einer: Auf der Rückreise von Westerland haben wir uns noch die Hamburger Passagen angesehen, sehr elegant, wirklich. – Und einseitig bis zur Fadheit.

Seit Jahren gibt es in Hamburg einen Exodus der Intelligenz Richtung Berlin. Er ist im Verlagswesen anzutreffen und in den Künsten. Die hemmungslose Zurschaustellung eines geistlosen Luxuswarenangebots schafft letztlich ein der Kultur feindliches Klima. Dazu passt: Das Altonaer Museum mit seiner großartigen Sammlung wäre ums Haar geschlossen werden - aber die sündteure Elbphilharmonie wird in jedem Fall weitergebaut. Hamburg ist dabei, seinen Charakter und seinen Ruf in entscheidender Weise zu verändern.
 
U

USch

Gast
Hallo Arno,
ich finde es auch sehr bedauerlich was in Hamburg geschieht. Habe 50 Jahre da gewohnt und kenne das alles, was du beschreibst. Es wird immer touristischer, leider auch in sehr schönen Ecken, und kulturseichter.
Mir fiel es deshalb auch sehr viel leichter die Stadt zu verlassen und mich im Süden bei Freiburg anzusiedeln.
LG USch
 
Schön, USch, dass wir die Entwicklung mit gleichen Augen ansehen, auch wenn das Thema an sich unerfreulich ist.

Was im Text fehlt: Zentrale Teile von Berlin sind auch von dieser Tendenz erfasst. Allerdings fällt es da leichter, sich fernzuhalten (polyzentrische Struktur).

Interessant die erste Mitteilung des neuen Eigentümers von KaDeWe und Alsterhaus: Er setzt voll und in Zukunft erst recht auf die von uns beklagte Entwicklung.

Freundlichen Abendgruß
Arno Abendschön
 
U

USch

Gast
Man denke auch an den Niedergang der Theaterszene. Was waren Schauspielhaus und Thaliatheater mal für renommierte Bühnen.
 
Genau, USch. Aber ich weiß noch was Krasseres: Man vergleiche mal Hubert Fichtes Schilderung von Gänsemarkt und besonders der ABC-Straße in "Die Palette" mit dem, was da heute angesiedelt ist (Marriott usw.)- das sind zwei grundverschiedene Städte, scheinbar auch auf verschiedenen Kontinenten (oder Planeten?) angesiedelt. Nur konsequent, dass man keine Gedenktafel für Kneipe und Roman angebracht hat.

Früher war nicht alles besser, aber doch weniger tot, meine ich.

Arno Abendschön
 

achras

Mitglied
ich kann mir nicht helfen

… die wehmütige Beschreibung oder Aufzählung der aus dem Stadtbild verschwundenen, einstmals jedoch vertrauten Geschäfte, wirkt m.E. ein wenig blass, so dass dem Leser, selbst wenn er das Stadtzentrum rund um den Jungfernstieg kennt, jene vermissten Schaufenster nicht unbedingt wieder lebendig werden.

Auch springt ihre Erinnerung an unzählige Spaziergänge geographisch hin und her, ohne die abzuschreitende Wegstrecke eines solchen abendlichen Bummels wiederzugeben. Die kleine Buchhandlung mit dem möglicherweise anspruchvollsten Sortiment in Relation zur Konkurrenz befindet sich übrigens weiterhin am Neuen Wall an der Ecke zur Mellinpassage, die zu den Alsterarkaden hindurchführt.
(http://goo.gl/maps/58m0K)

Das Geschäft mit der überdurchschnittlichen Posterauswahl müsste wohl das im Kaufmannshaus (Große Bleichen) gewesen sein; das UFA-Kino ist übrigens nicht "abgerissen", das Gebäude, in dem es sich befand, ist nur grundlegend umgebaut worden, sowohl, was die Fassade betrifft, als auch, als die Innenaufteilung betrifft. Aber beispielsweise die Geschäfte und Gastronomiebetriebe, die das Foyer flankierten, müssten weitestgehend erhalten sein.

Was in den teuren Spitzenlagen auffällt, ist, dass neuerdings vor allem Drogerieketten dort größere Filialen eröffnet haben.
 
Danke, achras, für die Reaktion.

Ein räumliches Hin- und Herspringen findet nicht statt. Der Text orientiert sich am Verlauf des Straßenzugs Gerhofstraße - Poststraße (direkte Verbindung zwischen Gänsemarkt und Rathausmarkt). Dabei erfolgt der eine oder andere Abstecher in eine Passage oder eine Seitenstraße hinein, so wie das bei einem Stadtbummel üblich ist.

Dass die Fassade des UFA-Hauses immerhin noch steht, ist ein für hamburgisches Denken und Argumentieren typischer Einwand.

Was das am Text vermisste Beschwören von Stimmung, Atmosphäre oder dergleichen angeht - darum ging es mir auch nicht, sondern um eine Analyse der längerfristigen Entwicklung.

Die von Ihnen erwähnte Buchhandlung will ich demnächst mal in Augenschein nehmen. (Text ist etwa zwei Jahre alt, ich bin jetzt nur noch selten in der Hamburger Innenstadt.)

Freundlichen Gruß
Arno Abendschön
 

achras

Mitglied
Entschuldigen Sie, Herr Abendschön,

aber zum Einen gehen Sie vom Gänsemarkt aus Richtung Jungfernstieg (in der dort befindlichen Gänsemarkt-Passage befand sich übrigens in den frühen 80er Jahren auch eine kleine Buchhandlung), andererseits durch die Gerhofstraße, die beispielsweise zu Alexis de Chateauneufs "Alter Post"; welche Buchhandlung Sie dann gemeint haben (in der Gerhofstraße gab's ein gutgeführtes Antiquariat und bei der Stadtwassermühl (das ist der Abschnitt, wo das Parkhaus des Alsterhauses steht) gab es eine Buchhandlung - allerdings ohne Besonderheiten in der Sortimentsgestaltung.
Die andere ambitionierte Buchhandlung (C.Boysen) befand sich in den Großen Bleichen und ist nach Zusammenlegung mit der juristischen Fachbuchhandlung W. Mauke in den Großen Burstah umgezogen.
(http://www.hamburg.de/branchenbuch/hamburg/eintrag/10294698/)

Wie gesagt: Die Wertung, dass da eine Buchhandlung existiert habe, deren Sortimentsgestaltung derjenigen der Konkurrenz überlegen gewesen sein soll, hatte mich etwas verwundert, schließlich wäre das ein wenig ungerecht gegenüber den anderen Buchhändlern - beispielsweise der Bücherstube Stolterfoht (U-Bahn Hallerstraße http://www.abendblatt.de/kultur-live/article1130856/Eine-Arche-fuer-gute-Buecher.html) oder Samtleben (am Schwanenwik neben dem Eingang zum Literaturhaus http://www.buchhandlung-samtleben.de/)
 
achras, mein Text bezieht sich allein auf das unmittelbare Hamburger Stadtzentrum zwischen Gänsemarkt und Rathaus. Mir kreiden Sie dabei meinen kleinen Abweg in den Jungfernstieg hinein zur damaligen Buchhandlung an("zwei Schritte"). Sie selbst entfernen sich jedoch sehr viel weiter - einen Kilometer oder mehr -, bis zum Schwanenwik und zur Hallerstraße, um noch bessere Läden bezeichnen zu können. "In der Stadt" bei mir meint in der Tat nur die City, so wie man sagt: in die Stadt gehen - und das Zentrum meint.

Die von Ihnen jetzt angesprochene kleine Buchhandlung in der Gänsemarkt-Passage findet sich übrigens bereits in meinem Text (Abschnitt 3).

Freundlichen Gruß
Arno Abendschön
 

achras

Mitglied
Entschuldigung, aber die Erwähnung der anderen Buchhandlungen außerhalb der Hamburger Neustadt erfolgte nicht als "Textbezug", sondern als Tip - gewissermaßen außerhalb des durch den Spaziergang abgesteckten Areals der sich ausbreitenden Monokultur. Jene beklagte Entwicklung wäre m.E. noch deutlicher in Worte zu fassen, wenn Sie nicht nur die vermissten Anblicke vor Ort erwähnt hätten - die Nennung der Namen jener nicht mehr existierenden Lebenswerke einstiger Kaufleute hätte den Text "eindringlicher" gemacht.
Was fehlt, ist der kritischer Blick auf das, was stattdessen in Hamburgs Innenstadt zu sehen ist: Die temporären "Outlets" oder die "Flagship-Stores", die Hinwendung der zahlungsfähigen Kundschaft zu den "Brandings" und "Labels", die gerade in sind.

Ich hatte meine Kommentare gerade auch deswegen, weil ich Ihr Werk ja nicht grundsätzlich zu kritisieren beabsichtige, als "freie Assoziation" gelabelt.
 
achras, eine noch umfassendere und aktuellere Darstellung zum Thema kann ich mir, ebenso wie Sie, durchaus vorstellen. Sie übersteigt jedoch meine Möglichkeiten. Ich bin in diesem Teil der Stadt kaum noch unterwegs und habe inzwischen auch keinen Überblick mehr über die neuesten Entwicklungen. Mein Text - im Übrigen unter "Tagebuch" eingestellt - versucht nur einen Rückblick auf die vorherrschende Tendenz zwischen ca. 1980 und 2010, und zwar anhand von Einzelbeispielen.

Die Nennung von Firmennamen halte ich nicht für zweckmäßig, zumal sie den meisten Lesern hier nichts sagen dürften. Eine Ausnahme will ich machen: Bei der von mir besonders vermissten Buchhandlung handelt es sich um Von der Höh.

Freundliche Grüße
Arno Abendschön
 

achras

Mitglied
Ach, von der Höh!

In der Tat - die befand sich in Großen Bleichen, gleich im Eingang zur "Galleria" - im Obergeschoss gab's sogar 'ne hübsche Auswahl Kunst-Ansichtskarten und im Erdgeschoss eine größere Auswahl literarischer Zeitschriften. Weiter im Innern der Galleria (das benachbarte Thalia-Buchhaus wird ja jetzt auch geschlossen) betrieb von der Höh noch ein Kunstbuchantiquariat.
 



 
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