Die Mühen der Ebene

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Mutter ist unglücklich. Nachdem der große Sohn Stephan nun die "rebellische Phase" hinter sich hat (er hat sich durchgesetzt und trägt einen fast sechzig Zentimeter langen Zopf, den er immerhin selbst flicht), ist nun Frank, der Jüngere, an der Reihe. Und der scheint sich zum Ziel gesetzt zu haben, das Ganze in jeder Hinsicht zu toppen.
Er ist in der zehnten Klasse, dünn und hoch aufgeschossen, wie sein Bruder.
Und er ist PUNK. Das ist nicht zu übersehen, denn die gesamte Erscheinung schreit das Wort förmlich der Umwelt ins Angesicht.
Seine Jeans sind einmal sauteure Qualitäts-Markenware gewesen, ebenso, wie das viel zu kleine T- Shirt und die schäbige Lederjacke, deren Ärmel nur mit Sicherheitsnadeln am Torso befestigt sind. Wenn Frank sich in einem Abfallhaufen versteckte, würden eventuelle Müllsammler wahrscheinlich alles mitnehmen, außer ihm.

"Wie sieht es denn mit dem Haareschneiden aus?", begrüßt die Mutter ihren "Trashbin", als der am Morgen aus dem Obergeschoss des kleinen Bauernhauses herabsteigt.
Er mustert sie eingehend. Dann grinst er und brummelt: "Nicht nötig! Siehst noch gut aus." Frank der Punk trägt Iro, der außerhalb der öffentlichen Auftritte einfach nach allen Seiten daher sturzelt.
"Ich werde mich nachts anschleichen und die Zotteln absensen!", droht die Mutter. "Lass sie doch einfach lang wachsen. Schau Dir mal Stephan an, das sieht doch schön aus, - zumindest anständig!"

Der Punk bleibt stehen.
"Sag mal, weißt Du eigentlich was Du willst? Meinst Du ich hätte das Theater nicht geschnallt, das es mit den langen Haaren gegeben hat? Stephan hat den Zopf, weil er Dich genau so ignoriert hat, wie ich jetzt."
Das stimmt, dagegen kann die Mutter nichts sagen. Also greift sie von einer anderen Seite an:
"Wenn Du nicht mit der Punkerei aufhörst, sperre ich dein Moped ein. Dann kannst Du zum Tanz laufen!"
Frank entgegnet nichts. Er ist im Bad, wo Mutter sein Grinsen nicht sehen kann.


Am Wochenende ist Dorftanz angesagt. Alle gehen oder fahren da hin. Nur Frank fährt nicht, denn am Schuppen, in dem sein Moped steht, ist ein dickes Vorhängeschloss aufgetaucht. Dennoch ist er bester Laune, was die Mutter hätte stutzig machen sollen.
Gegen Achtzehn Uhr brummeln Motoren vor der Gartentür. Frank, voll auf Müllkippe gestylt, kommt in die Küche.
"Hausarrest hab ich aber nicht - oder?", fragt er mit Unschuldsmine.
Mutter schüttelt den Kopf. "Nein. Hast ja nichts ausgefressen. Dein Moped ist nur ... in Beugehaft." "OK", meint der Sohn. "Ciao, dann!"

Er zieht seine Flickenjacke an und geht hinaus, wo ihn seine Kumpels erwarten. Es gibt eine kurze Abstimmung, bei wem er mitfahren wird, dann heulen die Motoren auf und der uneinsichtige Spross ist unterwegs.
Mutter jammert: "Was mach ich nur, was mach ich nur? Der hat immer irgendwo ein Schlupfloch. Ich komme mit nichts durch!"
Stephan, der auf der Treppenstufe gelesen hat, schaut auf und merkt an: "Und wenn Du einfach diesen sinnlosen Kampf aufgibst? Du hast schon bei mir keine Chance gehabt ..."

Der Rest des Wochenendes ist relativ harmonisch verlaufen. Frank hat seinen Bruder gefragt: "He, hast Du mit Mum geredet? Die scheint sich ja ein bisschen einzukriegen."
"Nein, das muss ein kläglicher Rest von Toleranz sein, wenn nicht gar Resignation ..."
Und allem Anschein nach soll Stephan Recht behalten.

Am Dienstag bringt Frank einen Brief von seinem Klassenlehrer nach Hause. Darin steht, dass er mit dem Jungen nicht zurecht kommt. "Frank missachtet die einfachsten Regeln des Anstands. Er grüßt nicht im Treppenhaus und weigert sich, auf Fragen in einem ganzen Satz zu antworten. Er erwidert einzelne Worte oder mitunter gar nichts. Bitte nehmen Sie als Eltern darauf Einfluss!"

Die Mutter schreitet (erneut) zum Verhör.
"Was hast Du dazu zu sagen?"
"Der muss sich nicht aufregen, denn wenn man den grüßt, dann antwortet er nicht. Und ich grüße niemanden, der mich ignoriert. - Also: Hand an die eigene Nase und dann mal kräftig ziehen!"
"Und das Andere?"
"Ist auch nicht anders. Gestern hat Silvia den Haucke gefragt..."
"Herrn Haucke!", fordert die Mutter.
"Egal, jedenfalls hat sie den in Mathe gefragt, wo denn die Definition eines bestimmten Lösungsweges zu finden sei. Und was hat der geantwortet?
'Mathebuch'. Wieso darf der das und die Schüler nicht?"

Mutter erkennt wieder einmal ihre rhetorische Machtlosigkeit und wird zornig.
"Mir ist egal, was Dein Lehrer macht. Du hast Dich in der Schule zu benehmen! Und damit du das lernst, wirst Du eine Woche lang Deine Freizeit zu Hause verbringen!"
Der Abfall-Revoluzzer nickt und geht in sein Zimmer.

Als er am nächsten Tag aus der Schule kommt, trägt er ein dickes Päckchen. Er holt sich aus dem Schuppen einige Krampen und den Hammer und dann legt er los. Gleichmäßige Schläge ertönen in seinem Zimmer und hallen durch das Haus: BUMM, BUMM, BUMM, ...
Nach einer Weile wird es der Mutter zu bunt, also steigt sie genervt nach oben. Was sie dort sieht, bringt sie beinahe um den Verstand.
"Sag mal, spinnst Du eigentlich?", schreit sie mit überschnappender Stimme. "Was soll denn das werden?"
Das Zimmer ist rundum mit Stacheldraht dekoriert.
Frank stellt sein Hämmern ein und antwortet gelassen:
"Ich präpariere meine Zelle. Meine Haft ist rein politischer Natur. Also musst Du mir schon zugestehen, dass ich mich auch wie im Gefängnis fühle."
Er schneidet aus schwarzem Papier eine Vogelsilhouette und klemmt die hinter den Draht. Dabei reißt sie ein.
Er deutet schweigend auf den zerfetzten Vogel und legt sich dann auf sein Bett.

Mutter geht wortlos nach unten. Sie gießt sich einen Weinbrand ein und setzt sich in ihren Sessel.
Der Kampf ist vorbei. Sie hat nicht gesiegt.
 
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DocSchneider

Foren-Redakteur
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Tja, gute Streitkultur will gelernt sein und die Pubertät beginnt, wenn die Eltern komisch werden ...

Das Thema hast du gut umgesetzt.

Nur eine Stelle leuchtet mir nicht ein:

Und damit du das lernst, bleibst Du eine Woche lang zu Hause!"
Der Abfall-Revoluzzer nickt und geht in sein Zimmer.

Als er am nächsten Tag aus der Schule kommt, trägt er ein dickes Päckchen

Die Mutter nimmt ihn eine Woche aus der Schule und am nächsten Tag geht er doch hin? Anschließend beginnt erst die "Haft"?

Sie braucht ja auch eine offizielle Begründung, um ihn nicht zum Unterricht zu schicken, schließlich gilt die allgemeine Schulpflicht.

Gruß DS
 

Aufschreiber

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@DocSchneider

Ich war der Annahme, es sei klar, dass sich der Hausarrest auf die Freizeit bezieht. Aber nun sehe ich, dass Du Recht hast. ;o)
Wird sofort geändert. Ich will ja nicht, dass man mich noch des Aufrufs zum Schwänzen bezichtigt. ;)

Die beiden Brüder sind, wer hätte das vermutet, übrigens authentisch.
 



 
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