Die Muse muss ein Weib sein
Nun, jeder Mensch macht mit der Muse auf seine Weise Bekanntschaft. Oder auch nicht. Was soll eigentlich an einem Rubai so Besonderes sein? Es ist ein Reimgedicht nach bestimmten Regeln. Dass die Form aus Persien stammt, hat sie umsonst. Die erste Regel aber wäre halbwegs Verständlichkeit für den Leser. Ob wenigstens diese Bedingung erfüllt ist, da habe ich meine berechtigten Zweifel. Denn ich habe meinen Sohn gefragt: "Sag mal, verstehst du, was der Dichter uns mitteilen will?" Zuerst stolperte er über Hänschens persönliche Rechtschreibung, dann fragte er: "Muss ein Leser eigentlich ein Gedicht verstehen?" "Nein", sagte ich, "er muss es loben, damit der Dichter nicht Selbstmord begeht."
"Ach so", meinte mein Sohn, "der Leser also als hilfreicher Samariter!" "Kluges Kind", sagte ich, "und wer noch ein übriges tun will, schreibt ein paar Verse als Dank, dass der Dichter noch etwas wartet mit dem Jenseits." Mein Sohn blickte mich etwas verstört an. "Begehen eigentlich alle Dichter Selbstmord?", fragte er. "Nein. Die meisten schreiben weiter Rubais oder Sonette. Oder jedenfalls offizielle Dankadressen." "Ach so", sagte mein Sohn, "so funktioniert also Dichten?" "Genau so, mein Sohn", sagte ich. Mehr wollte ich zu diesem Thema nicht beisteuern, ich wollte ihn ja nicht verunsichern. "Aber du begehst keinen Selbstmord?" "Kann man nicht wissen", sagte ich, "vielleicht lach ich mich eines Tages noch tot", sagte ich. Daraufhin sah mich mein Sohn, wie mir schien, etwas zu prüfend an.
blackout