Misses Invisible
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Und da saß sie wieder. Allein und verlassen. Sie hockte mal wieder in dem Lieblingssessel in ihrer guten Stube. Weich war er und aus Samt. So ein einladender Sessel, dachte sie. Einladend und herzlich. Ein guter Zufluchtsort aus ihrem Leben. Konrad, dachte sie, Konrad hätte er gefallen. Der Sessel hatte die Farbe maigrün, es war Konrads Lieblingsfarbe gewesen. Sie lächelte immer, wenn sie sich an ihn erinnerte. Doch es war kein fröhliches Lächeln, eher eines mit einem bitteren Beigeschmack. Bevor etwas passieren konnte und sie aus ihren geordnet zu glaubenden Gedanken und Emotionen gerissen werden konnte, stand sie auf und lief zum Spiegel. Sie fing an, sich zu betrachten. Da auf der Stirn über der linken Augenbraue, dachte sie, da hatte er eine gehabt. Eine Narbe. Eine Narbe, die sich über seine ganze linke Augenbraue erstreckt hatte. Immer im Zick-Zack , nie geradlinig. Genauso wie das Leben. Mit vielen Auf und Abs. Sie begann, mit ihrem Zeigefinger an der Stelle entlangzustreifen, die Stelle immer und immer wieder nachzufahren. Immer vorsichtig und langsam, Schritt für Schritt, als wäre die Narbe das zerbrechlichste der Welt. Obwohl sie keine Narbe über der linken Augenbraue hatte, zuckte sie bei jedem Streifzug immer ein bisschen stärker zusammen. Sie fühlte auf einmal seine Präsenz, sogar stärker als je zuvor. Dieser Gedanke kam so urplötzlich, dass sie stark erschütterte. Vor lauter Überkommenheit kam sie rückwärts ins Taumeln und krachte gegen den Tisch im Flur. Sie konnte sich noch rechtzeitig mit Händen abstützen, um nicht zu fallen. Dennoch schossen ihr Tränen in die Augen und sie ließ sich auf den Boden sinken. Nun begann sie zu schluchzen und richtig zu heulen, was aber bestimmt nicht nur an dem Sturz lag. Die Narbe. Diese eine Narbe. Es gab unzählige harmlose und doch war es ausgerechnet diese eine nicht gewesen. Wegen ihr war Konrad nicht mehr da, nicht mehr der ihre. Die Narbe hatte ihr Konrad genommen. Sie hat sich einfach so in ihr Leben gedrängt, in das ihre und das von Konrad. Einfach alles umgeworfen, so wie es ihr gepasst hat. Bist du jetzt zufrieden, dachte sie, bist du jetzt zufrieden mich so zu sehen. In all ihrer Verzweiflung begann sie jetzt zu realisieren, was passiert war. Er würde nicht mehr zurückkommen. Er würde nie wieder zurückkommen. Und so saß sie da, nicht bis morgen, nicht bis übermorgen, nicht nur bis zum nächsten Monat. Sie aß dort, trank dort, wollte diesen Sessel ignorieren und sich von allem abschotten, was ml ihm gehört hatte. Wollte allein gelassen werden. Allein in ihrem Schmerz.