die Nixe in der Badewanne

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Hagen

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Die Nixe in der Badewanne

Irgendwann am frühen Nachmittag weckte mich ein intensives Klingeln an der Haustür. Ich wühlte mich aus dem Bett, hängte mir den Bademantel über die Schultern und ging öffnen.
„Entschuldigung, darf ich mal schnell in Ihr Badezimmer?“ Der Mann trug einen Blaumann, stellte sich kurz vor, drückte mir flüchtig die Hand, erwähnte dass er Klemp-nermeister sei und ging an mir vorbei.
„Ja, natürlich, warum auch nicht?“ murmelte ich, tappte in die Küche, Kaffee anset-zen und danach ins Badezimmer.
„So, da läuft es wieder“, der Klempnermeister schloss seinen Werkzeugkoffer und drehte den Wasserhahn an der Badewanne kurz auf, „die anderen Mieter dieses Hauses sind ja alle zur Arbeit...“ ein bohrender Blick traf mich, „sie können wieder baden.“
„Ich dusche eigentlich mehr“, sagte ich, „baden tue ich nur mal so zur Entspannung. Aber gut zu wissen, dass das jetzt wieder möglich ist.“
„Tja“, meinte der Meister und reichte mir ein Blöckchen zur Unterschrift, „irgendwo muss es verstopft gewesen sein, deshalb ist unten auch das Rohr gebrochen. Da hat die Hausverwaltung gleich richtig zugeschlagen und alles neu machen lassen.“
„Schöner Auftrag“, ich drehte den Hahn wieder zu. „Riecht irgendwie seltsam, etwas nach Meer, ein klein wenig nach Fisch...“
„Ich rieche nix“, der Meister packte seinen Werkzeugkoffer, „‘kann bei neuen Rohren schon mal passieren... lassen sie das Wasser erst mal eine halbe Stunde so laufen. – So“, er sah zur Uhr, „endlich Feierabend!“
„Na, da wünsche ich ihnen doch einen schönen Solchen. – Bei mir wird es noch ein Weilchen dauern, ich fange in zwei Stunden mit der Nachtschicht an.“
„Ach, richtig, sie fahren ja Taxi! Daher kenne ich sie! Sie sind doch der mit der klas-sischen Musik!“
„Ja, ich hab’s gern ein wenig klassisch.“
„Wir haben neulich die Toccata und Fuge gehört, auf dem Weg zum Steintor -, ich wusste gar nicht, dass es so was Schönes gibt! Wissen sie, ich hatte Ärger mit meiner Frau und wollte... Na ja, sie verstehen.“
„Ich verstehe nur zu gut.“
„Na ja, irgendwie bin ich bei dieser erhabenen Musik doch nachdenklich geworden und hab‘ gemerkt, dass es andere Möglichkeiten gibt... `hab‘ mir sogar die CD gekauft... Einen schönen Tag noch.“
Der Meister ging raus, Anna-Karenina, meine Katze, kam rein, das Werk begutach-ten.
„Was meinst Du, wollen wir heute morgen, wenn ich von der Nachtschicht komme, mal baden?“
Anna-Karenina zeigte mir die mittlere Kralle ihres rechten Pfötchens und ging ge-messenen Schrittes in die Küche. Ich folgte der Stubentigerin und reichte ihr einige Do-sen Futter zur Auswahl. Sie maulte etwas herum, daraufhin sagte ich ihr, dass ich nichts mit Eidechsen hatte. Sie entschied sich für ‘Wild‘. Das drapierte ich auf ihren Goldrandteller.
‚Eigentlich könnte ich doch mal ein Bisschen baden‘, dachte ich, zudem hatte der Meister gesagt, dass ich das Wasser ein Weilchen laufen lassen sollte. Ungewöhnliche Geräusche gaben die neuen Rohre von sich, als sich das Wasser in die Wanne ergoss -, etwa so, als sänge ein Kontertenor Arien in einer Mülltonne.
Ich ging, während die Wanne voll lief, Ham and Eggs zubereiten, die ich in der Wanne zu mir zu nehmen gedachte. Als der Speck brutzelte, kam Anna-Karenina ein wenig aufgebracht in die Küche und deutete mir gestenreich an, ihr ins Bad zu folgen. Dort saß eine junge Dame in der Wanne und ordnete sich mit den Fingern die Haare.
„Tach auch“, sagte ich, „wo kommen sie denn her?“
„Hieraus“, sie deutete auf den Wasserhahn hinter sich, „war etwas eng, aber jetzt bin ich draußen.“
„Ja, das sehe ich. - Möchten sie auch Ham and Eggs?“
„Nicht so gerne. Aber wenn sie etwas aus Algen, Muscheln oder Fischen hätten... ?“
„Ich schau‘ mal nach“, sagte ich, ging wieder in die Küche und nahm zunächst meine Ham and Eggs aus der Pfanne. Anschließend legte ich den Inhalt einer Dose Thunfisch, den ich eigentlich für Anna-Karenina vorgesehen hatte, auf ein Tellerchen, stellte alles auf ein Tablett und brachte es ins Badezimmer.
„So“, sagte ich und stellte das Tablett quer über die Badewanne, „im Moment habe ich nur Thunfisch. Ich fahre aber nachher mal schnell zum Supermarkt, mal schauen, was die so an Fischgerichten haben.“
„Ich wäre ihnen dankbar“, sagte die junge Dame in leicht singendem Tonfall. Schwarze lange Haare rahmten ein engelsgleiches Gesicht mit meerblauen Augen. Ihr schlanker Körper mit alabasterfarbener Haut, fing in Höhe des Bauchnabels an schuppig zu werden und endete in einem hell blaugrün schillernden Fischschwanz, ähnlich dem eines Dorsches. Hübsche kleine Brüste hatte sie, Größe `B´, wie ich vermutete, mit runden, schokoladenbraunen Höfen um die Knospen.
„Möchten Sie nicht zu mir in diese Senke kommen?“ lächelte sie geheimnisvoll.
„Herzlich gerne.“
Ich zog mich aus, stieg in die Wanne und sprang gleich wieder heraus. „Das Wasser ist ja eiskalt!“
„Ich möchte mal sagen: ‚Angenehm temperiert‘. Ich verstehe gar nicht, weshalb Ihr Kerle das immer so heiß haben müsst.“
„Schon haben wir das erste Problem“, murmelte ich und holte mir einen Stuhl.
Wir plauderten ein wenig beim Essen, sie sei eine Najade, hieß Nereide und war zur Zeit ein wenig auf der Walz, nachdem sie ihre Gesellenprüfung als Sängerin abgelegt hatte. Später wollte sie mal Sirene werden und mit ihrem Gesang Schiffe auf Riffe locken.
„Da haben Sie sich ja ganz schön was vorgenommen“, sagte ich kauend, „in diesen Tagen ist fast jeder Äppelkahn mit RADAR ausgerüstet, größere Schiffe hingegen verfügen zusätzlich über LORAN-Navigation und derartige Niedlichkeiten.“
„Tatsächlich?“
„In der Tat. Ihre Kolleginnen zu Zeiten des Herrn Odysseus hatten es da wesentlich leichter. – Ich fürchte, der Beruf der Sirene ist im Aussterben begriffen. Denken Sie mal an Ihre Kollegin Loreley. Die hockte zum Schluss völlig vereinsamt auf ihrem Felsen.“
„Ja, ich habe davon gehört.“
„In der Tat. Vielleicht sollten Sie mal über eine Alternative nachdenken. Man kann sich heutzutage nicht einfach auf einen Felsen setzen und drauflosgingen, Sie müssen sicher irgendein Gewerbe oder so anmelden, das darauf zielt, Gewinn zu machen.“
„Muss ich das hier auch?“
„Nein, hier nicht. Sie können aber gerne in der Badewanne sitzen bleiben und sin-gen, bis ich wieder komme.“
„Das ist aber nett von Ihnen.“
„Oh, Bitte, Bitte. – Was ich noch fragen wollte: Sind Sie eine reine Süßwassernixe?“
„Nein, ich kann auch in Ozeanen singen.“
„Ich dachte eigentlich weniger an singen, sondern mehr daran, versunkene Schiffe zu finden und zu bergen. Es sollen ja noch zahlreiche Gallonen auf dem Meeresgrund liegen, voller Gold und Edelsteinen... nicht, dass ich des Taxifahrens müde wäre; - aber bereits als kleiner Junge wollte ich Schatzsucher werden. Vielleicht könnten wir bei-den...“
„Für Schatzsuche dieser Art bin ich nicht ausgebildet. Mann und Frau können aber gemeinsam geistige Schätze heben.“
Nereide schwieg, sie lächelte geheimnisvoll und plätscherte ein wenig mit dem Wasser in dem sie saß.
„Ich stehe dem allen sehr aufgeschlossen gegenüber, aber zwischenzeitlich bin ich leider genötigt, Taxi zu fahren, um Anna-Kareninas und meinen Lebensunterhalt zu sichern“, sagte ich, während ich das Tablett mit den benutzten Tellern in die Küche trug. Ich wusch mich anschließend am Waschbecken und hätte der Nixe gerne noch einige Fragen gestellt, aber sie brachte mir gnadenlos die launische Forelle zu Gehör.
Egal. Zähne putzen, anziehen, ein paar hübsche CDs für unterwegs einstecken, auf zum Taxi.
Die folgende Nachtschicht verlief absolut normal, erst brachte ich nette Menschen nach Hause und zu später Stunde zunehmend Trunkenbolde. Zwischen zwei und fünf kam die Zeit der Ruhe, danach die ersten Pendler und ein verirrter Nachtschwärmer.
Anna-Karenina begrüßte mich, als ich in meiner Wohnung eintraf, strich mir um die Beine und bekam eine Dose Futter mit Rind. Ich zog mich aus und ging schlafen, entgegen meiner sonstigen Gewohnheit ohne zu duschen.
Irgendwann später schnurrte Anna-Karenina mich wach, stieß mich mit dem Kopf an und ging mit geschmeidigen Schritten in Richtung Küche. Etwas benommen folgte ich ihr, öffnete eine Dose Katzenfutter mit Kaninchen und legte den Inhalt auf ihren Goldrandteller.
Seltsam, vor ein paar Tagen hatte ich eine ganze Palette gemischtes Katzenfutter gekauft, sie war bereits halb leer; - die Dosen mit Thunfisch fehlten.
Herrgott, die Najade in der Badewanne!
Ich hatte versprochen, ihr ein Fischgericht mitzubringen!
Schnell ins Badezimmer. Dort wäre ich fast über eine Vielzahl leerer Dose gestol-pert; - Katzenfutter mit Thunfisch.
„Hallo, bist du endlich wach?“ Nereide plätscherte ein wenig mit dem Wasser, in dem sie saß, „Anna-Karenina hat mir ihre Nahrung gegeben, ich habe nur die Dosen geöffnet. War ganz gut, aber ich hätte doch lieber etwas mit Kabeljau.“
„Kabeljau! - Natürlich. Ich geh‘ gleich was besorgen“, sagte ich und putzte mir die Zähne während mir die Nixe in der Wanne una celebrate cantate aus ‘Tosca’ zu Gehör brachte.
Kurz waschen und zum Supermarkt; einige Fertiggerichte, Fischstäbchen, Rollmöpse und eine vakuumverpackte Forelle, sowie einige Dosen Katzenfutter mit Thunfisch wanderten in den Einkaufswagen.
Nereide zickte etwas herum, als ich ihr das Assortiment zeigte, kein Kabeljau dabei, und sie hätte gerne einen Karpfen als Kuscheltier in der Wanne gehabt, schließlich hätte ich ja Anna-Karenina, und überhaupt hätte Anna-Karenina behauptet, sie wäre dumm, weil sie immer nur in der Wanne sitzen und singen würde. Und das Buch, was sie ihr empfohlen hatte, gefiel ihr auch nicht, weil da so wenig von Fischen drin vor kommt.
„Welches Buch denn?“ fragte ich. Nereide deutete auf die Fensterbank. Dort lag Der Butt von Günter Grass.
„Anna-Karenina soll nicht immer an meine Bücher gehen. Letztens hat sie Der Pro-zess von Kafka gelesen, sich kaputt gelacht, und mich dann mit Fragen gelöchert, ob alle Menschen so dumm wären, wie der Typ in dem Buch.“
Ich versprach, ihr gelegentlich ein Bilderbuch mit Zierfischen mitzubringen, oder ein Fachbuch über Wahlfang und erklärte Anna-Karenina, dass Nereide eine Najade, volkstümlich auch Nixe wäre. Nixen sitzen nun mal auf einem Felsen und singen, das ist ihr Job. Anna-Karenina fand das schlicht und einfach ‘dumm’. Während ich die Fischstäbchen zubereitete, erklärte ich ihr, dass Nixen lediglich einen anderen Anspruch haben. Ich legte die Fischstäbchen auf drei Teller, einige Rollmöpse als Beilage für Nereide und mich dazu und trug sie ins Badezimmer.
„Warum gibt es denn keinen Seetang als Beilage?“ fragte Nereide.
„Wo soll ich denn jetzt Seetang her kriegen?“
„Kannst Du nicht mal zum Baggersee gehen und wenigstens Schilf holen?“
„Ich werde einen verdammten Scheißdreck tun! – Aber wir können morgen früh zum Frühstücken zum Baggersee fahren. Da kannst Du Karpfen streicheln, den Seetang abweiden und an den Schilfrohren knabbern.“
„Au fein“, Nereide klatschte in die Hände, „kann ich da auch auf einem Felsen sitzen, mir mit einem güldenen Kamm die Haare kämmen und dabei singen?“
„Wenn da ein Felsen ist, im Baggersee, gerne.“
„Ich hab‘ keinen güldenen Kamm! Besorgst Du mir einen?“
„Mal sehen, was sich machen lässt.“
„Au ja, das wird schön!“
„Ganz bestimmt. Du kannst auch Frösche küssen. Vielleicht ist ein verwunschener Prinz dabei. – Und nun iss bitte Deine Fischstäbchen, bevor sie kalt werden.“
Auf dem Weg zum Taxi fragte ich in diversen Fachgeschäften nach einem goldenen Kamm, erntete aber von dem qualifizierten Fachpersonal nur mitleidige Blicke und bekam Antworten, die mit: „Da müssen sie mal...“ anfingen. Schließlich kaufte ich den größten Kamm, den ich finden konnte, und eine Dose Spray; - goldmetallic.
Auf zum Bahnhof, Taxifahren.
Stehen, Musik hören, lesen, aufrücken, fahren; - irgendwann beorderte mich mein Boss per Funk zu einer jungen Dame. Die Dame war gestürzt und wollte schnell ins Krankenhaus.
„Okay, ich fahre sofort los! – Äh, Boss?“ fragte ich während ich startete.
„Ja?“
„Kann ich morgen mal das Taxi drei Stunden eher haben? Ich möchte mit einer - äh - jungen Dame picknicken.“
„Kein Problem. Viel Spaß beim Picknick. Du kannst den Wagen über Nacht mitneh-men.“
„Dank‘ Dir, Boss.“
Ein kurzer Regenschauer ging nieder als ich los fuhr. Die gestürzte Dame biss tapfer die Zähne zusammen, als ich ihr ins Taxi half und murmelte:
„Warum muss ich Schaf auch nachts Gardinen aufhängen!“
„Gute Frage. Aber was sollte man nachts auch anderes aufhängen?“
„Vielleicht Bilder, Lampen oder ein Bild unserer Bundeskanzlerin...“
„Ich denke, es genügt, wenn sie Herrn Trittin aufhängen; - selbstverständlich nur das Bild, welches sie sich von ihm gemacht haben; - möglicherweise genügt es auch, diesen - Pardon - dieses an die Wand zu stellen...“
Im Zuge des entspannten Blödelns erreichten wir die Unfallaufnahme, da saß Rudi der Zivildienstleistende und verfolgte mit bescheidenem Interesse eine Talk-Show im Fernsehen.
„Tach auch. Ich habe eine junge Dame mit, die ein wenig gestürzt ist“, sagte ich, „kann ich vielleicht mal einen Rollstuhl haben? Die Dame ist zum gegenwärtigen Zeit-punkt nicht sonderlich gut zu Fuß.“
„Greif‘ zu!“ Rudi deutete auf die fünf Rollstühle, die wartend herumstanden, „ich sag‘ schon mal Bescheid.“
Er drückte auf einige Knöpfe, während ich mir einen Rollstuhl griff, mit diesem zum Taxi eilte, der Dame aus demselben half und in den Rollstuhl hinein. Auf dem Gang kamen mir bereits zwei weißbekittelte Herren entgegengeeilt und nahmen mir die Dame ab.
Ich ging wieder zu Rudi.
„Willst ’n Kaffee?“, fragte er.
„Gerne. - Äh - Meine Freundin kann zurzeit nicht so recht gehen, wir wollen morgen mal zum Baggersee, frühstücken. Kannst du mir einen Rollstuhl leihen?“
„Sind ja genug da“, er deutete mit der Thermoskanne auf die Rollstühle vor der Auf-nahme und griff einen Becher aus dem Schrank, „aber ich weiß von nix. – Milch und Zucker?“
„Ja bitte.“
Rudi goss ein und plauderte darüber, dass Frauen hin und wieder Orgasmen vortäuschen und sah in diesem Zusammenhang Probleme darin, dass Frauen auch bei der Bundeswehr Dienst mit der Waffe ableisten dürfen. Möglicherweise - so überlegte ich derweil - wäre da ein Job für Nereide drin, als Kampfschwimmerin eventuell, aber das sagte ich ihm nicht, unter Umständen hätte Rudi daraufhin Frauen als die Wesen definiert, die ihren Daseinssinn lediglich darin sehen, vor dem Bildschirm hin und herzurennen, wenn Männer Fußball gucken wollen. Aber bei Nixen bestand diese Gefahr ja nicht.
Ich nahm mir einen Rollstuhl, Nachdem Rudi die Frage aufgeworfen hatte, warum Frauen immer dann auf die Toilette müssen, wenn man gerade auf die Autobahn gefahren ist, zuckte die Achseln, rollte den Rollstuhl zum Taxi, klappte ihn zusammen und legte ihn in den Kofferraum.
Die Nacht machte weiter. Ich diskutierte mit einigen Kollegen die Frage nach dem Sinn des Taxis und war der Ansicht, dass ein Taxi nichts mit Fortbewegung zu tun hat. Der Daseinssinn des Taxis besteht darin, sich mit möglichst vielen Artgenossen auf da-für vorgesehen Plätzen zu treffen, um den Fahrern die Möglichkeit zu geben, Lebens-weisheiten auszutauschen, wie: Du sollst die dicke Frau nicht auf den kaputten Sitz setzen!
Zwischendurch fuhr ich einige nette Menschen nach Hause, wartete, las, redete mit meinen Fahrgästen über das Wetter, über Erdbeeren, Spargel und Wühlmäuse. Ich kehrte zum Bahnhof zurück und trank mit der Wirtin der Bahnhofsgaststätte Kaffee bis die Kollegen von der Frühschicht eintrafen.
Nereide lag in der Badewanne und schlief als ich heim kam. Sie schnarchte. Das Wasser, in dem sie lag, hatte eine bräunlich-grüne Färbung angenommen und neben der Badewanne lagen die Verpackungen zweier Fertiggerichte.
Hatte ich sie nur vergessen oder verdrängt, weil sie in die Gleichförmigkeit meines Lebens gedrungen war?
‚Irgendwie stimmt das alles nicht mit dem Bild überein, das man sich normalerweise von Nixen macht‘, dachte ich, während ich den Kamm an das Balkongitter hängte, und ihn aus der Spraydose goldmetallic sprühte. Anna-Karenina kam entlang, zeigte mir die mittlere Kralle ihres rechten Pfötchens, tippte sich an die Stirn und ging wiegenden Schrittes ins Schlafzimmer. Ich kämmte ihr ein paar Knoten aus dem Fell, sie gab daraufhin die Beleidigte und zog sich irgendwohin zurück um zu schlafen.
Ich zappte noch ein wenig durch die Fernsehprogramme, und als der Mieter von Nebenan lautstark über den Flur polterte, um zur Arbeit zu gehen, ging ich schlafen und war noch etwas unausgeschlafen, als ich am frühen Nachmittag vom Gesang Nereides geweckt wurde; - etwas aus der Fledermaus.
Nereide wollte, nachdem sie geendet und sich das Echo ihrer Stimme an den geka-chelten Wänden des Badezimmers ausgetobt hatte, wissen, wann wir denn zum Bag-gersee fahren würden und drängte mir, während ich das Picknickkörbchen packte - so richtig fies mit hart gekochten Eiern, der Forelle und einer Thermoskanne Kaffee - eine elende Diskussion darüber auf, warum sie denn ein Hemd über ihrem nackten Oberkörper tragen sollte. Sie stimmte dem erst zu, nachdem wir das ausdiskutiert und ich versprochen hatte, baldmöglichst mit ihr einen Zoo oder ein Aquarium, welches auch gar muntere Pinguine beinhaltete, zu besuchen; - ob sie mal mit rein dürfte, zu den Pinguine, sollte sie selber abklären.
Ich wusch mich derweil am Waschbecken. Das Körbchen brachte ich ins Taxi, den Rollstuhl mit hoch und in meine Wohnung. Sodann hob ich Nereide aus der Wanne, trocknete sie ab, half ihr, eins meiner Hemden anzuziehen und breitete eine Wolldecke über ihren Fischschwanz, nachdem sie im Rollstuhl Platz genommen hatte.
Das Wasser in der Badewanne hatte mittlerweile eine heftige grünliche Färbung angenommen und müffelte dumpf vor sich hin, der Abluft einer Zierfischhandlung nicht unähnlich.
Ich zog den Stöpsel raus - was von Nereide mit Unmut wahrgenommen wurde - und nahm mir vor, die Wanne gründlich zu scheuern, bevor ich die Nixe erneut zu Wasser lassen würde.
Angefüllt mit freudiger Erwartung holte ich nachfolgend den Kamm vom Balkon. Der war der lieben Nereide natürlich zu klein und nicht gülden genug und überhaupt sollte ich mehr auf ihre Bedürfnisse eingehen. Anna-Karenina hätte ihr mitgeteilt, dass Menschen nur dazu da sind, für die Katzen die Dosen aufzumachen; - Entsprechendes bezog sie auf sich und Najaden im Allgemeinen. Sie hätte gerne Meerwasser in ihrer Senke, ein paar Algen, einen Streichelkarpfen, und ob ich ihr denn auch Kaviar zu der Forelle mitgebracht hätte.
„Sonst noch was?“ fragte ich.
„Ja. Anna-Karenina möchte etwas Lachs, sonst kommt sie nicht mit.“
„Können wir uns drauf einigen, dass es am Wochenende, wenn ich mal frei habe, ein Lebertran-Fondue gibt?“
Die beiden Mädels steckten die Köpfe zusammen und tuschelten ein wenig. Anna-Karenina entfernte sich sodann hoheitsvoll in Richtung Balkon.
Irgendwie hatte ich mir den Verlauf dieser Affäre anders vorgestellt, doch zunächst war ich froh, dass uns auf dem Weg zum Taxi niemand begegnete, und wir des Baggersees Ufer gänzlich leer vorfanden.
Wir absolvierten unser Frühstück und ich half Nereide ins Wasser. Sie teilte die Wo-gen und glitt singend von dannen; - eine Arie aus André Chénier von Umberto Giordano. Eine schöne Stimme hatte sie, in der Tat. Vielleicht sollte ich sie managen, oder gelegentlich mal mit ihr bei Dieter Bohlen unverbindlich reinschauen. Dazu müsste ich mir allerdings einen Tag frei nehmen und ein Auto leihen...
Na, gut. Ich packte die Frühstücksutensilien zusammen, setzte mich ans Ufer und rauchte eine Zigarette. Nachdem ich die Kippe sorgsam im Sande verbuddelt hatte, kam die Najade wieder angeschwommen.
„Ich habe Kuno kennen gelernt“, sagte sie.
„Wer ist denn Kuno?“
„Kuno ist ein Wels, er lebt am Grund des Baggersees. Kuno ist schon ganz alt und weise. Er kennt die komplette Carmina Burana in der Urfassung.“
„Das ist ja kolossal interessant! Singt Kuno auch Tenor?“
„Hör‘ auf, mich zu veralbern! – Ich denke, ich bleibe hier im Baggersee, Dein Bade-zimmer hat sowieso eine beschissene Akustik!“
„Tja, wenn Du meinst...“
„Du kannst mich hier ja mal besuchen.“
„Klar, ich bring‘ dann eine Ukulele mit, und wir singen dann gemeinsam das Dulcissime aus der Carmina Burana.“
Nereide tauchte etwas pikiert ab.
Ich räumte den Platz auf, klappte den Rollstuhl zusammen und brachte ihn Rudi wieder.
„Riecht etwas nach Fisch“, sagte Rudi, „arbeitet Deine Freundin in einer Fischbrat-küche?“
„Quatsch nicht rum.“
„Auf einem Trawler?“
„Auch nicht.“
Ich wollte ihm gerade die unliebsame Geschichte der Nixe in meiner Badewanne erzählen, bei einem Becher Kaffee versteht sich, da kam ein Herr entlang und wollte wissen, ob sein Taxi denn schon da wäre.
„Es steht bereit“, sagte ich, „bitte an Bord zu gehen.“
Als wir starteten, kam einer von der Konkurrenz in seinem Taxi entlang und zeigte mir mit erhobenem Mittelfinger das ‘internationale Zeichen für Freundschaft’. Vielleicht sollte ich ihm gelegentlich mal einen Kaffee ausgeben, aber das stellte ich mir in etwa so effektiv vor, wie dem aus der berühmten Volksweisheit bekannten Elefanten zu erklären, dass ein Porzellanladen nicht unbedingt sein natürliches Umfeld ist.
Der Herr erzählte mir während der Fahrt entzückende Anekdoten von seiner etwas zurückliegenden Gallenblasenoperation und dass er am folgenden Montag eine Darm-spiegelung über sich ergehen lassen würde. Übergangslos fragte er mich, ob ich jemanden wüsste, der noch ein Differentialgetriebe für einen Unimog hätte.
Ich bedauerte und rollte nach der Fahrt unsere Stammtankstelle an, fuhr das Taxi durch die Waschanlage, saugte es anschließend gründlich aus und tankte es voll. Öl und Luftdruck prüfen; - hinten links fehlte wieder etwas. Das sollte ich meinem Boss sagen, aber vorher war noch eine Dose Scheuerpulver für die Badewanne zu besorgen…
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
zu

erst einmal herzlich willkommen auf der leselupe.
eine hinreißende geschichte hast du hier eingestellt. die paar flüchtigkeitsfehler korrigieren und dann ab zum verlag damit!
lg
 

Hagen

Mitglied
Hallo Flammarion,
Erstmal ein herzliches Danke schön!
Mit den Verlagen ist das so eine Sache; -
ich habe einfach kein 'Händchen' zu Vermarkten.
Obwohl 'es schon ein paarmal geklappt hat' nutze ich die Zeit, die es braucht, mich mit Verlagen auseinanderzusetzen, lieber dazu, die eine oder andere Geschichte zu schreiben, oder an meinem Roman weiter zu machen.
Vielleicht wird ja mal was draus, nach dem Motto:
Nichts endet wie geplant.
Viele Grüße
Hagen
 

Haremsdame

Mitglied
Habe mich köstlich amüsiert!
Solltest aber noch die überflüssigen Trennungsstriche entfernen, den Wahlfang in einen Walfang abändern und das Nachdem nach einem Komma verkleinern...
Das wäre wirklich eine schöne Geschichte zum Veröffentlichen!
 
D

Donkys Freund

Gast
Irre Geschichte.
Ich finde allerdings, dass sie sich im Mittelteil etwas zieht (Der Krankenhaus-Einschub zum Beispiel), zum Glück ausgeglichen durch den wunderbar absurden Humor (Ich muss zugeben, dass ich etwas gescrollt habe, aber brav wieder zurückgekehrt bin).

So jetzt zur nächsten Geschichte...
 

Aina

Mitglied
Lieber Hagen,
eine klasse Geschichte!
Details zum Schmunzeln, Pantasie völlig selbstverständlich in den Alltag katapultiert. Das gefällt mir.
Die Verschwesterung zwischen der Katzendame und der anspruchsvollen Nixe gefällt mir besonders gut!
Überflüssige Bindestriche und ein paar Rechtschreibfehler schwimmen noch auf der grünlichen Brühe in der Wanne. :)
Hatte Spaß beim Lesen, vielen Dank!
Herzliche Grüße,
Aina
 

Hagen

Mitglied
Liebe Aina,
vielen Dank für die Beschäftigung mit diesem uralten Text.
Ich glaube, es war der erste, den ich bei der Leselupe eingestellt habe.
(Damals wusste ich noch nicht, das Trennungsstriche mit übernommen werden, obwohl anders formatiert wurde.)
Tja.
Ich freue mich natürlich darüber, dass Dir diese Geschichte gefallen hat, nach so langen Zeit, und Dein Lob ging mir runter wie Heidehonig.

Ich denke, wir lesen uns weiterhin!

Herzlichst
yours Hagen


__________________________
stimme niemals ein Klavier in nassem Zustand!
 

hein

Mitglied
Hallo Hagen,

ich bin mal an den Anfang deiner hier veröffentlichten Werke gescrollt.

Sterne verdient wie immer.

LG
hein
 



 
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