Die Pianistin

3,50 Stern(e) 4 Bewertungen
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Klavierspielen hat eigentlich so viel mit "Gefühlen" zu tun wie Stabhochsprung (der exakten motorischen Leistung wegen) oder Schachspiel (der kombinatorischen Intelligenz wegen).

"Gefühl" ist ja auch ganz schön, aber das braucht man zum Ausführen einer Mozartsonate nicht zuzufügen, das kommt ganz von alleine - und hilft nicht so viel; vielmehr braucht es das Begreifen der antithetischen Themata in der Sonatenhauptsatzform, der Modulationsschritte in den Sequenzenleitern, die Übung der tänzerischen Leichtigkeit, und vor allem: gnädiges Geltenlassen der Fehlerchen. Scheißperfektion. Ich beneide die Pianisten und Pianistinnen nicht. Die meisten können was, was ich nicht kann, und viel mehr.
 

Tula

Mitglied
Hallo
Um die weniger gute Bewertung auch zu begründen: ich bin kein Musiker, stimme aber gern zu, dass jede Art von Kunst zur Selbstfindung beiträgt. Die Idee des Verzichts auf jede Art von Publikum kann ich in dieser Hinsicht nachvollziehen.

Dennoch liest sich die erste Strophe sehr abstrakt und technisch. Auch die Wortwahl in der zweiten finde ich wenig passend, zumindest für meine Vorstellung des im Transe und zum Teil mit geschlossen Augen spielenden und der Welt entrückten Künstlers ...

Da klingt nichts nach Leidenschaft (die neben Talent für die künstlerische Vervollkommnung unabdingbar ist), sondern stimmungsmäßig nach Weiterbildungskurs oder Anleitung zur Selbsthilfe. Der letzte Teil (sich in Vergessenheit spielen) verbleibt da als bloße Feststellung, die es auch nicht glaubwürdiger macht.

Sorry, aber man muss auch mal kritisch sein..

LG
Tula
 
G

Gelöschtes Mitglied 14616

Gast
Dennoch liest sich die erste Strophe sehr abstrakt und technisch. Auch die Wortwahl in der zweiten finde ich wenig passend, zumindest für meine Vorstellung des im Transe und zum Teil mit geschlossen Augen spielenden und der Welt entrückten Künstlers ...
Und wenn das Absicht ist? ;-)

Den Künstler, seine "Trance" etc. sehe ich erst in Teil III, und für mich ergibt das bei diesem Text auch Sinn.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Leidenschaft? Talent?
Nein, das ist fürs Klavierspielen so "wertvoll" wie für das Dichten: fast wertlos, jedenfalls bringts keine Leser.
Vielmehr ist "Leidenschaft" die abschüssige Bahn in den Selbstbetrug und "Talent" die faule Ausrede für verkannte Genies.
Man vergleiche die "genialen" Gedichte in der Leselupe mit den Zahlen ihrer Leser.
Und, bittesehr: "Leidenschaft" in den Gedichten? beim Schreiben? Gefühlsergüsse? Ich würde mich schämen.
 

Tula

Mitglied
Es ist die Leidenschaft, die den Musiker jeden Tag stundenlang üben lässt, ohne diese dabei zu verlieren.
Gibt es so etwas wie Talent? - ich denke schon, aber Talent ohne harte Arbeit kommt nicht weit

Und bei der Lyrik? - gute Frage ...

Tula
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Das Tier mit den zwei Rücken

Du hast durchaus grundsätzlich recht, Tula, -
ich bin ein Romantiker, ein Novalisschüler, ein Schellingstudent: Die Gott=Natur bricht im Genie schöpferisch hervor und bildet Blüte und Fortpflanzung des Universums durch den Menschen hindurch aus.

Aber ich neige immer mehr (seit einigen Jahren) dazu, solche Verhältnisse als zwischenmenschliche Kommunikation, als Dialogsituation, zu "begreifen".

Das bedeutet: Die Künstler müssen mit ihren Rezipienten zusammengefaßt werden, wie ein Liebespaar. Das ist das, was ich meine, wenn ich verkürze: "Der Leser macht das Gedicht". Der Hörer macht den Komponisten. Der Aufmerksame ist Hebamme der Genie-Geburt. Wie der immer junge Sokrates den steinalten Gorgias widerlegt hat. Gorgias kam zu dem Schluß, nichts sei begreiflich, und wenn doch, dann sei es nicht mitteilbar. Also führte Sokrates Dialoge, offene Fragestellungen, Untersuchungen zwischen fragenden und rückfragenden Gedankenmüttern, die ihre Ideen dadurch zur Geburt brachten. Widerlegung des Gorgias durch die Tat.

Und genauso ist es mit unseren Gedichten: genial werden sie erst durch die Aufmerksamkeit von Lesern. Nicht eigentlich durch harte Arbeit (nein, einem Mozart fließts aus der Feder, ein Wagner skizzierte fünfstündige Werke in sechs Wochen, und sogar unsere Schubladen quellen über von sagen wir mal zweihundert Gedichten pro Jahr).

Das mit der "harten Arbeit" sagen wir nur immer den Frischlingen in der Leselupe, um ihnen Achtung vor unseren überreifen Schimmelfrüchten einzuflößen. Wir wissen doch (aber nicht weitersagen!), daß das eine stolze Lüge ist. Dichten macht einen Heidenspaß. Es ist ein Liebesakt mit der lesenden Aufmerksamkeit.

Und (um das Thema zu rhematisieren) Klavierspielen entspricht dem: zum Beispiel als Liebesakt der Pianistin mit dem Komponisten. Erotisch wie mathematische Mandelbrote.

grusz, hansz
 



 
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