Die Pilgerreise
Indrayani schaute gedankenverloren auf die staubige Straße. Die Sonne stand tief, nicht mehr lange und die schwarze tropische Nacht würde alle Konturen verschlucken. Die Bretter unter ihrem Schaukelstuhl knarrten, das Hotel brauchte dringend eine Sanierung. Mit der Veranda sollten sie anfangen.
Egal, nicht ihr Problem, Konzentration. Ihre Emotionen, Vibrationen, ihr Einverständnis mit der Situation waren seit einiger Zeit nicht mehr im Gleichmaß. Wann genau das angefangen hatte, konnte sie nicht sagen.
Sie besaß keine Uhr, keinen Laptop oder Smartfon, las keine Zeitung. Der Sonnenzyklus, die Mahlzeiten und die Entleerung, die tägliche Meditation boten ausreichend Orientierung. Sie hatte dieses bewusst das Wesentliche wahrnehmende Leben in einem Ashram kennengelernt und ohne Überraschung oder Euphorie einfach zur Kenntnis genommen, dass sie angekommen war. Die Gewissheit, das Richtige zu tun, erfüllte sie mit einer tiefen Gelassenheit. Als der Guru sie fragte, ob sie bereit sei, mit ihm als seine Schülerin auf eine Pilgerreise zu gehen, sagte sie ja.
Heilige Männer und ihre Schüler, - immer nur einer, - leben unterwegs gewöhnlich von den Almosen der Gläubigen. Westliche Frauen an der Seite eines Gurus sind Gift für die Spendenbereitschaft, die Leute kennen das Währungsgefälle.
Ohnehin war Indrayani eine Existenz als Bettlerin zutiefst unangenehm, also schliefen sie in Hotels oder Ashrams und auch dort erwartete man von ihr eine Spende. Sie zahlte in jedem Fall. Der Guru nahm diese Konstellation gleichmütig hin, das sorglose Leben schien ihm zu gefallen.
In Indrayanis Wahrnehmung indes machte die Reise, je länger sie dauerte, eher den Eindruck eines ziellosen Vagabundierens. Sie als Schülerin hatte nur das Recht auf spirituelle Fragen, der Meister hatte den Plan, gab die zu erreichenden Orte vor und sie war für den Rest zuständig. Doch gelegentlich änderte er scheinbar spontan die Route und sie landeten irgendwo, so wie jetzt in dieser Kleinstadt mit dem schwer auszusprechenden Namen, mitten in der Wüste.
Er hatte sich zur Meditation in die Einsamkeit zurückgezogen, vielleicht besuchte er auch Verwandte und sie saß auf dieser Veranda in diesem knarrenden Schaukelstuhl und starrte auf die spärlich beleuchtete Straße. Die hatte sich mit Einbruch der Nacht erstaunlich belebt.
Indrayani dachte nach.
Für ihr Karma hatte sie mittlerweile definitiv genug getan, das musste reichen für das nächste Leben, das war gut. Nicht gut war die Rollenverteilung in dieser Geschichte, die bereitete ihr allmählich körperliches Unwohlsein, zudem konnte sie sich die Nummer auch einfach nicht mehr leisten. Überschlagsmäßig nachgerechnet waren die Grenzen ihres Budgets erreicht, da ging nicht mehr viel. Die objektiven Faktoren verlangten eine Entscheidung, sie brauchte jetzt dringend einen hellsichtigen Moment.
Sie wusste ja nicht mal genau, wo sie war.
Missmutig betrachtete sie das pulsierende Leben nur ein paar Meter jenseits des Geländers. War da nicht gerade ein weißes Gesicht?
Direkt vor ihr ging eine weiße Frau im militärischen Fleckzeug durch die Menge der Einheimischen. Elektrisiert sprang Indrayani auf, sprach die Fremde an und bat sie auf die Veranda.
Indrayani hieß eigentlich Hilde und kam aus Wien. Die Unbekannte im Tarnanzug war Blauhelmsoldatin, Sanitätsoffizierin eines UN – Friedenscorps aus Österreich. Die Truppe hatte ihr Lager außerhalb der Stadt errichtet und sollte den in dieser Region besonders brüchigen Frieden zwischen Moslems und Hindus moderieren. Man sprach deutsch.
Hilde konnte ihr Glück kaum fassen. Im Theater nennt man sowas wohl `Deus ex machina`, eine unrealistische Auflösung dramatischer Situationen, aber derartiges kommt vor, das gibt es tatsächlich. Hilde redete viel und schnell und lachte wie schon lange nicht mehr. Die beiden Frauen verstanden sich gut.
Sie gingen dann noch in eine Bar, die auf Blauhelmsoldaten spezialisiert war und Hilde lernte weitere Österreicher kennen. Das UN – Friedenscorps war offenbar eine lustige, lockere Truppe, die militärische Disziplin eher als notwendiges Übel ansah.
Noch in derselben Nacht packte Hilde ihre wenigen Habseligkeiten und zog um ins Lager. Von dort aus nahm sie Kontakt zur Botschaft auf und bekam einen Kredit bewilligt. Wenig später flog sie nach Hause. Den Guru sah sie nie wieder.
Indrayani schaute gedankenverloren auf die staubige Straße. Die Sonne stand tief, nicht mehr lange und die schwarze tropische Nacht würde alle Konturen verschlucken. Die Bretter unter ihrem Schaukelstuhl knarrten, das Hotel brauchte dringend eine Sanierung. Mit der Veranda sollten sie anfangen.
Egal, nicht ihr Problem, Konzentration. Ihre Emotionen, Vibrationen, ihr Einverständnis mit der Situation waren seit einiger Zeit nicht mehr im Gleichmaß. Wann genau das angefangen hatte, konnte sie nicht sagen.
Sie besaß keine Uhr, keinen Laptop oder Smartfon, las keine Zeitung. Der Sonnenzyklus, die Mahlzeiten und die Entleerung, die tägliche Meditation boten ausreichend Orientierung. Sie hatte dieses bewusst das Wesentliche wahrnehmende Leben in einem Ashram kennengelernt und ohne Überraschung oder Euphorie einfach zur Kenntnis genommen, dass sie angekommen war. Die Gewissheit, das Richtige zu tun, erfüllte sie mit einer tiefen Gelassenheit. Als der Guru sie fragte, ob sie bereit sei, mit ihm als seine Schülerin auf eine Pilgerreise zu gehen, sagte sie ja.
Heilige Männer und ihre Schüler, - immer nur einer, - leben unterwegs gewöhnlich von den Almosen der Gläubigen. Westliche Frauen an der Seite eines Gurus sind Gift für die Spendenbereitschaft, die Leute kennen das Währungsgefälle.
Ohnehin war Indrayani eine Existenz als Bettlerin zutiefst unangenehm, also schliefen sie in Hotels oder Ashrams und auch dort erwartete man von ihr eine Spende. Sie zahlte in jedem Fall. Der Guru nahm diese Konstellation gleichmütig hin, das sorglose Leben schien ihm zu gefallen.
In Indrayanis Wahrnehmung indes machte die Reise, je länger sie dauerte, eher den Eindruck eines ziellosen Vagabundierens. Sie als Schülerin hatte nur das Recht auf spirituelle Fragen, der Meister hatte den Plan, gab die zu erreichenden Orte vor und sie war für den Rest zuständig. Doch gelegentlich änderte er scheinbar spontan die Route und sie landeten irgendwo, so wie jetzt in dieser Kleinstadt mit dem schwer auszusprechenden Namen, mitten in der Wüste.
Er hatte sich zur Meditation in die Einsamkeit zurückgezogen, vielleicht besuchte er auch Verwandte und sie saß auf dieser Veranda in diesem knarrenden Schaukelstuhl und starrte auf die spärlich beleuchtete Straße. Die hatte sich mit Einbruch der Nacht erstaunlich belebt.
Indrayani dachte nach.
Für ihr Karma hatte sie mittlerweile definitiv genug getan, das musste reichen für das nächste Leben, das war gut. Nicht gut war die Rollenverteilung in dieser Geschichte, die bereitete ihr allmählich körperliches Unwohlsein, zudem konnte sie sich die Nummer auch einfach nicht mehr leisten. Überschlagsmäßig nachgerechnet waren die Grenzen ihres Budgets erreicht, da ging nicht mehr viel. Die objektiven Faktoren verlangten eine Entscheidung, sie brauchte jetzt dringend einen hellsichtigen Moment.
Sie wusste ja nicht mal genau, wo sie war.
Missmutig betrachtete sie das pulsierende Leben nur ein paar Meter jenseits des Geländers. War da nicht gerade ein weißes Gesicht?
Direkt vor ihr ging eine weiße Frau im militärischen Fleckzeug durch die Menge der Einheimischen. Elektrisiert sprang Indrayani auf, sprach die Fremde an und bat sie auf die Veranda.
Indrayani hieß eigentlich Hilde und kam aus Wien. Die Unbekannte im Tarnanzug war Blauhelmsoldatin, Sanitätsoffizierin eines UN – Friedenscorps aus Österreich. Die Truppe hatte ihr Lager außerhalb der Stadt errichtet und sollte den in dieser Region besonders brüchigen Frieden zwischen Moslems und Hindus moderieren. Man sprach deutsch.
Hilde konnte ihr Glück kaum fassen. Im Theater nennt man sowas wohl `Deus ex machina`, eine unrealistische Auflösung dramatischer Situationen, aber derartiges kommt vor, das gibt es tatsächlich. Hilde redete viel und schnell und lachte wie schon lange nicht mehr. Die beiden Frauen verstanden sich gut.
Sie gingen dann noch in eine Bar, die auf Blauhelmsoldaten spezialisiert war und Hilde lernte weitere Österreicher kennen. Das UN – Friedenscorps war offenbar eine lustige, lockere Truppe, die militärische Disziplin eher als notwendiges Übel ansah.
Noch in derselben Nacht packte Hilde ihre wenigen Habseligkeiten und zog um ins Lager. Von dort aus nahm sie Kontakt zur Botschaft auf und bekam einen Kredit bewilligt. Wenig später flog sie nach Hause. Den Guru sah sie nie wieder.