Die Prinzessin und der Blaustrumpf

Languedoc

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Die Prinzessin und der Blaustrumpf

Es war ein milder Maientag. Die Berggipfel leuchteten weiß vom letzten Schnee des Winters. Auf den Wiesen im Tal lag ein gelber Teppich aus blühenden Löwenzahnen. Lene pflückte einen großen Strauß und setzte sich in die sonnenwarme Gartenlaube. Sie wollte sich aus den Blüten einen Kranz für ihre Haare flechten.
Da hörte sie ihre ältere Schwester rufen: „Lene, wo bist du, wo bist du denn?“
„Hier!“
Toni kam ums Hauseck gestolpert und keuchte. „Na endlich finde ich dich! Ich muss dir unbedingt was sagen“, sprudelte sie, „stell dir vor, ich weiß jetzt, wie wir miteinander reden können, ohne dass uns die anderen verstehen.“
Lene sah sie verständnislos an.
„Ich hab eine Geheimsprache herausgefunden“, verkündete Toni, aber ihre Schwester senkte bloß die langbewimperten Lider und griff sich seelenruhig einen Löwenzahn aus dem Bündel, das zu ihren Füßen aufgebreitet war.
„Hm.“ Mehr sagte sie nicht.
Sie schlitzte mit dem Daumennagel einen winzigen Spalt in den saftspritzenden Blumenstängel, durch den sie einen zweiten sachte durchschob, bis sich das Blütenköpfchen fest an das vorangehende schmiegte, gelb an gelb.
„Jetzt hör mal zu“, verlangte Toni, „ich sag dir, wie das geht. Aber du darfst es niemandem weitersagen. Nur wir zwei dürfen so reden. Nur wir zwei, hörst Du?“
Sie verstummte und wartete auf Lenes Antwort. Diese indessen schwieg und fädelte sorgfältig den nächsten Löwenzahn in die Girlande. Alles in ihrem süßen Gesichtchen strahlte vollkommene Hingabe aus. „Hm, hm“, machte sie, ohne aufzusehen.
Toni zog ihre verrutschten Kniestrümpfe hoch und pflanzte sich vor ihrer Schwester auf. „Also gut. Ich verrate dir meine Erfindung. Es ist … also, es ist eine neue Sprache. Die BABEBI-BOBU-Sprache“, erklärte sie und schwang ihre Arme im Rhythmus der rezitierten Silben wie ein Dirigent, als wollte sie ihnen damit besonderen Nachdruck verleihen. „Hab ich ganz geheim herausgekriegt. BABEBI-BOBU“, ruderte sie in die Luft.
Lene merkte endlich auf: „Eine Baby-Sprache?“, fragte sie.
„Nein! So ein Quatsch!“ Toni verdrehte die Augen. „Ich bin doch kein Baby mehr!“
Lene zupfte eine Blüte in Form: „Also, was denn jetzt.“
Toni zierte sich ein bisschen, um die Spannung auszukosten, dann platzte es aus ihr: „I-bich u-bund du-bu.“ Es folgten eine theatralische Pause, ein übertriebenes Schnaufen, und daraufhin: „Da-bas si-bind wi-bir.“ Das Mädchen deklamierte bühnenreif, obgleich es noch nie auf einer richtigen Bühne gestanden hatte, ja nicht einmal wusste, was eine richtige Bühne wohl sei.
Lene starrte sie mit aufgerissenen Augen an, deren Iris im Sonnenlicht satt und samten glänzte wie bernsteinfarbner Honig. „Was? Was soll das denn heißen? Ich versteh gar nichts. Und warum singst du so komisch auf und ab?“
„Weil das so sein muss!“, behauptete Toni. „Dann klingt es nämlich gut. Horch mal: Le-be-ne-be!“
„Lene?“
„Genau!“
„Und was heißt dann Toni?“
„Versuch's selber“, ermunterte sie die Ältere, die ihren Berufswunsch, dereinst eine berühmte Lehrerin zu werden, dahingehend ausdrückte, dass sie gegenüber gefügigen Probanden mit gnadenloser Penetranz als neunmalkluge Lehrmeisterin auftrat. Die Liebste unter den zwangsrekrutierten Schülern war ihr Lene, die Sanftmütige, die nun die Hände voller Löwenzahn in den Schoß bettete, die Stirn krauste und schräg nach oben in eine unbestimmte Ferne schaute.
„Ton-ob-tob“, stotterte sie, stockte und ließ es bleiben: „Ach, das ist bäh.“
„Nein, es ist total babyleicht. Pass auf, ich rede es dir vor. Gaaanz langsam“. Die Lehrerin in spe räusperte sich und sprach: „To-bo-ni-bi“, wobei sie jede Silbe ausdehnte, solange es der Atemstrom erlaubte, und anfing, um Lene herumzuhüpfen und ihren an sich schon schiefen Mund noch stärker mit Grimassen zu verziehen. „I-bich bi-bin die-bie To-bo-ni-bi, traball-aball-aba!“, trällerte sie, und fuhr fort: „Das ist so toll, to-boll, to-boll! Komm Lene, sing mit!“
„Ich kann das nicht. Und du nervst mich. Aber echt.“
Toni blieb unbeirrt. „Du musst einfach nur immer ein ba-be-bi-bo-bu dazwischen reintun. Ich zeig's dir mit den kleinen Wörtern“, versuchte sie erneut, ihre fantastische Entdeckung pädagogisch gekonnt anzubringen. Sie setzte sich zu ihrer Schwester und dozierte:
„Gras. Gra-bas.“
Lene sagte es ergeben nach. Fehlerfrei sprach sie es nach, wenngleich ohne wirklich erkennbare Begeisterung.
„Sehr gut“, lobte Toni. „Na siehste, geht ja! Jetzt weiter. Grün: grü-bün.“
„Gelb: ge-belb.“
„Blau: blau-bau.“
Auf einmal fand es auch Lene lustig. Sie probierte: „Weiß – weibeiss“, und begann zu kichern.
„Schwabarz“, konterte Toni und kicherte ebenfalls. Plötzlich schossen die BA-BE-BIs und BO-BUs aus heiterem Himmel kreuz und quer und pfeilgeschwind, und wahrlich, kein Erwachsener hätte dieses Vokabular verstehen können.
Irgendwann lagen die beiden Kasperle völlig aus der Puste am Boden. „Du darfst niemandem verraten, wie es geht“, beschwor Toni ihre Schwester eindringlich, als sie sich einigermaßen beruhigt hatten.
„Hm“. Lene hatte genug und hockte sich in den Schneidersitz. Sie war wieder mit Herz und Seele bei ihren Blumen und schlitzte Stängel auf.
Toni ließ nicht locker: „Wenn du niemandem was sagst, helfe ich dir beim Basteln. Versprochen?“
„Versprochen.“
Zwei Blüten fehlten noch für die Vollendung. Toni holte sich einen Löwenzahn und stach in den Stängel, wie es Lene vorgemacht hatte. „Prima. Gib her“, sagte die eine, und die andere echote: „Pribimaba.“
„Fertig“, sagte Lene, steckte überaus geschickt die üppige Girlande zum Kreis zusammen und legte sie auf den Boden. „Setz es mir auf“, bat sie.
Toni betrachtete das Werk und sagte zaudernd: „Ach, mir fällt das alles auseinander.“
„Tu einfach langsam“, meinte die Jüngere, „Dann geht es schon.“ Sie erhob sich, stand aufrecht und wartete.
Nach einigem Drucksen nahm Toni schließlich die gelbe Pracht in ihre Hände und legte sie vorsichtig auf das schwarze glatte Haar der Schwester. „Puh, geschafft. Komisch, es war gar nicht so schwer.“
„Ist die Krone auch gerade?“, fragte Lene.
„Ja, schön gerade. Es sieht schön aus.“
„Komm, wir zeigen es Ma-bama-ba!“
Die Mädchen verließen die Laube und gingen hinüber zum Haustor. „Jubuchubu, jibippibi“, rief Toni ausgelassen und wirbelte in Spiralen um Lene herum, die mit der Blumenkrone auf dem Köpfchen würdevoll geradeaus schritt. Sie, die Liebreizende, war geboren worden mit der Sprache der Prinzessinnen.
 
A

aligaga

Gast
Der Leser kämpft sich durch den einfältigen Dialog der Kinder, vor den grell bis ins letzte Detail ausgemalten Kulissen die Augen abschirmend, und wartet, sich über die umständliche, fingerschwärzende und mäßig haltbare Methode der Blumenkranzherstellung wundernd (geht doch eigentlich viel einfacher und besser, wenn man ihn flicht), das da noch irgendwas passiert.

Aber leider werden wir nur mit der "B-Sprache" konfrontiert, einer "Geheimsprache", die keineswegs vom größeren Schwesterchen der Geschichte "erfunden" wurde, sondern zum Standard der Kinderspiele der 1950er Jahre gehörte, von "Pfadfindern" gebraucht wurde und in der Comic-Literatur ihren Niederschlag gefunden hatte (Tick, Trick und Track ärgern damit ihren Onkel).

Was will uns die DichterIn mit dieser ländlichen Idylle sagen? Sollte darin etwas verborgen sein, was auf Anhieb nicht zu erkennen ist? Auch die Überschrift scheint recht an den Haaren herbeigezogen, die in dem Text reichlich vorkommen.

Oder doch nur eine Bulllerbü-Nummer, die Gähnen macht?

Heiter

aligaga
 

Languedoc

Mitglied
Nein, aligaga, eine Bullerbü-Nummer hatte ich nicht im Sinn. Aber so kann man es natürlich auch lesen.

Languedoc
 

Languedoc

Mitglied
Tut mir leid, aligaga, ich bin völlig unbegabt im Er- und Aufklären meines Schreibgewerkes und muss dies dem Leser überlassen, so er denn mag.

Ansonsten sonntägliche Grüße

Languedoc,
die einst, lang lang ist's her, in Bullerbü quasi ihren Zweitwohnsitz hatte. Da war es auch nicht weit zur Villa Kunterbunt.
 
A

aligaga

Gast
Tut mir leid, aligaga, ich bin völlig unbegabt im Er- und Aufklären meines Schreibgewerkes und muss dies dem Leser überlassen, so er denn mag.
O je - das ist jetzt ein bisserl arg dünn geraten!

Soeben hat @ali sich von Lothar Müller, einem namhaften Feuilleton-Redaktör, sagen lassen, es sei schon Kennzeichen und Spielregel eines "Literarischen Salons" im 19. Jahrhundert gewesen, dass man seine Geschmacksurteile zu begründen wusste.

Diese Uralt-Regel sieht ali nun gleich doppelt verletzt. Weder geht die AutorIn auf die ihr wohlmeinend zugedachte Kritik ein (oder bedankt sich gar!), noch kann oder mag sie ihren Text erläutern.

Solches ist man gewöhnt und können sich allenfalls leisten Stars am Literaturhimmel, die sich jedweder Kritik längst entwachsen dünken. Das mag im Einzelphalle sogar berechtigt sein - hier jedoch kann @ali keine derartigen Ansätze erkennen. Es klingt und es liest sich wie B(aby)-Sprache, die nur die Mutti selber versteht. Nicht Blaustrumpf, sondern Kindersöckchen.

Der Kritiker wiederholt die Frage nach dem Sinn einer solchen Publikation, ohne noch an einer Antwort interessiert zu sein. Sie ist nur noch rein rhetorisch.

Amüsiert

aigaga
 

Languedoc

Mitglied
Die These lautet demnach:
Languedoc ist zwar kein Star, hat aber dennoch dessen Allüren.
Das kann ich bedingt bestätigen und
grüße aus dem sonnigen Pays d'Oc.
 
A

aligaga

Gast
Wer glaubt, etwas zu sein, hat aufgehört, etwas zu werden.

Sokrates
 

Languedoc

Mitglied
Das ist schön, aligaga, aber ich schlage vor, du widmest dem geschätzten Sokrates einen eigenen Thread. Zu meiner Kindergeschichte mag er nämlich nicht recht passen. Also, wenn du Zeit und Lust hast, dann auf ins Forum Lupanum, wo sich trefflich über Sein und Werden disputieren lässt.

Liebe Grüße
Languedoc
 
A

aligaga

Gast
Der Sokrates bezog sich nicht auf deine B-Story (zu der ja schon alles gesagt worden war), sondern auf deine eindeutige Reaktion auf @alis Kritik.

Das war abschließend und endgültig.
 



 
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