Die Python

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Simon Eric

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Die Python

Es wurden mehr und mehr. 20.000, 50.000, 130.000€ Schulden waren es irgendwann. Dies war eine Sammlung all der Fehler, die er begangen hat, eine Manifestation in Zahlen, welche seine Schuld beziffern und sein Leben langsam einschnüren. Wie eine Python, die, mit unwiderstehlicher Gewalt, sich um ihr Opfer schlingt und langsam, ganz langsam, seine Muskeln besetzt, seinen Willen bricht und schließlich seine Atmung stoppt. Und dann, wenn der Körper lasch in ihren Fängen liegt und der Geist erloschen ist, sodann beginnt ihr Mahl. Sie beginnt am Kopf, den sie langsam in sich aufnimmt, Stück für Stück und ohne Hast, und arbeitet sich vorwärts, bis zum Hals und zu den Schultern, der größten Herausforderung, bei der sie ihren Schlund besonders dehnen muss. Aber auch das gelingt ihr, selbstverständlich, und sie drückt ihn hinein in sich und ihren langen, ledrigen Körper. Und irgendwann sind nur noch Beine da, wie kleine Stummel, die ihr enthängen.

In Filmen, insbesondere in Zeichentrick, zappeln die Beine häufig noch. Sie sind verbunden noch mit einem Körper und mit einem Geist, der kämpft, der bis zum Ende seinem Gegner widersteht. Dadurch bleibt er für den Zuschauer lebendig, sein Tod ist unsichtbar, und er verschwindet bloß. Nur ein Moment und er ist weg. Fast so als ob er lediglich ein Tor durchschritten hat und auf der anderen Seite wieder auftaucht. Und dort erzählt er allen, wie er der Python gegenüber stand und tapfer kämpfte und was doch für ein Held er sei.

Die Realität jedoch sieht anders aus.

Das Opfer ist tot, die Beine werden langsam kalt und auch die Farbe ändert sich, wird fahl und ohne Ausdruck. Er ist ein Gegenstand, dessen Beseitigung ein technisches Problem darstellt. So kommt das Ende, fahl und langsam, ganz ohne Kampf und Glanz.

Aber er möchte so nicht enden.

Wir sehen, dass er in der Küche sitzt und seine Augen auf die Blätter richtet, die vor ihm ausgebreitet liegen und seinen Untergang verkünden. Er atmet noch einmal tief ein, schließt die Augen und stützt den Kopf in seine Hände. So verharrt er einige Sekunden, bis er plötzlich und mit einem Ruck, den Kopf erhebt und aufsteht. Er geht zur Küchenzeile und holt sich eine kleine Schachtel. Dann öffnet er die Tür zur Vorratskammer, und für einige Momente sehen wir ihn nicht, dann aber kommt er wieder raus, ein Gewehr in seiner Hand, und steckt genüsslich die Patrone rein und geht dabei ganz langsam, ohne Hast, zur Tür hinaus und ist verschwunden.
 

Bornstein

Mitglied
Mir hat die kleine Geschichte gefallen. Klar, deutlich geschrieben, ohne Firlefanzen. Nüchtern, so wie es sein soll. So Sachen geschehen tagtäglich. Die Metapher mit der Python ist präzis, gut ausgedrückt. Man wird also verschlungen, umschlingt von der Schlange, die überall Gegenwärtige.

Claudio
 
G

Gelöschtes Mitglied 22242

Gast
Schön geschrieben!
Das „dies“ zu Beginn des zweiten Satzes könnte auch ein einfaches „Es“ sein. Macht es knackiger. Ist aber Geschmacksache.

Besonders gut gefallen hat mir der Wechsel auf die „Wir-Perspektive“ im letzten Abschnitt!
Ich finde beim Schreiben ist es wie beim Fotografieren. Es ist total spannend immer mal wieder wieder den Winkel und den Standort zu wechseln.
 



 
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