Die Rede

Naciye

Mitglied
Er war wie alle im Saal, schwarz gekleidet, mit weißem Hemd und gestärktem Kragen. Er war der erste Redner auf dieser Veranstaltung, der statt einer roten, eine blaue Krawatte trug. Auch war er der Einzige, der sich nicht ständig Schweißperlen von der Stirn wischen mußte. Ich war begeistert, von seiner Rede und seinem Äußeren. Ich saß an einem Tisch ziemlich weit vorne –für mich gibt es überall den besten Platz- und der Redner, der sich als Stefan Wolkenau vorgestellt hatte und der außerdem Vorsitzender des wichtigsten Vereins des Dorfes war, konnte mich sehen. Ich stellte mir zumindest vor, daß er mich die ganze Zeit aus dem Augenwinkel betrachtete. Stefan Wolkenau sprach von den schrecklichen Ereignissen der letzten Wochen, die blonde Frau neben mir nickte bei jedem Satz. Er sprach von der Gelähmtheit, die sich in einem derartigen Zustand über die Menschen ausbreite, über das Schicksal, was die Amerikaner jetzt zu tragen hätten. Immer wieder schilderte er einzelne Horrorszenen. Eine Frau, die aus dem Flugzeug ihre Mutter angerufen hatte, und ihr mitteilte jetzt in den Tod zu fliegen.

Immer wieder zieht sich mein Herz zusammen, wenn ich diese Dinge höre. Die blonde Frau neben mir ignoriert mich so auffällig, daß ich sie am liebsten fragen möchte, ob sie denke ich habe einige Milzbranderreger in der Brusttasche meiner Latzhose. Ich kann es aber nicht, ist ja auch nicht meine Art. Stefan Wolkenau schaut immer wieder verdächtig in meine Richtung. Ich glaube er hat ein gutes Herz, sonst könnte er das Puplikum mit seinen Worten nicht so weit aus der Reserve locken. Einige fangen an, sich die ersten Tränen von der Wange zu wischen. Ich habe mir abgewöhnt zu weinen.

Ob er sich nach seiner Rede vielleicht ins Puplikum setzten würde, vielleicht sogar an meine Tisch? Der ist der Beste in diesem Raum und es sind noch einige Plätze frei.
Stefan Wolkenau fordert das Puplikum auf, an einem Protestmarsch am nächsten Tag, gegen Terroismus teilzunehmen. Wir alle müssen die Gelähmtheit abschütteln, so drückte er sich aus.

Eine Träne kullert über mein Gesicht, sie kitzelt meine Wange, tropft auf den roten Nikki-Pullover den ich heute an habe. Das Gefül von einer nicht abgewischten Träne, breitet sich in meinem Körper aus. Dort wo sie lang lief, juckt es ein wenig, wegen des getrockneten Salzes. Die blonde Frau neben mir steht auf und setzt sich woanders hin. Gern würde ich es ihr nachmachen, fühle mich als säße ich auf einem mit Nägeln gespickten Stuhl.

Stefan Wolkenau schließt seine Rede mit den Worten gemeinsam sind wir stark. Viele Menschen nehmen sich in den Arm, klatschen dann laut Beifall. Ich sitze in meinem Stuhl zusammengekauert, ich schaue angestrengt auf die Uhr, die über dem Redepodest hängt. Mein Pfleger kommt erst in zehn Minuten. Er hatte mich gefragt, ob er für die länge der Veranstaltung was anderes machen könnte und dann mein einmaliges Zwinkern mit dem Augenlid wohl als ein ja verstanden. Vielleicht hatte er aber auch ganz genau gesehen, daß ich nicht zweimal gezwinkert hatte. Wer weiß das schon, er kam dann zumindest erst 30 Minuten später, schob mich zum VW Multivan, der extra für mich umgebaut wurde. Ich fragte mich warum ich ein so gutes Leben führen darf, die besten Plätze, ein für mich umgebautes Auto. Der Wind bläst in mein Gesicht, ein milder Herbstwind, der einen wundervollen Winter, mit Eisbildern an den Fensterscheiben verspricht.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
also,

was ist denn das? hat der rollstuhlfahrer einen unfall gehabt oder verdankt er das gefährt einer bombe? was soll deine geschichte sagen? ratlos guckt
 



 
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