Die Russen kommen - Selektive Manipulation

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Es war Zufall, dass der Verfasser dieser Zeilen ausgerechnet am 9. Mai 2014 erstmals im Berliner Deutsch-Russischen Museum war. Der Besuch war lange vorgemerkt, wurde bei Schönwetter wiederholt verschoben und bei feuchtkühlem am Jahrestag der deutschen Kapitulation endlich nachgeholt. Während des dreistündigen Rundganges durch die Dauerausstellung hörte er fast nur Russisch sprechen. Als er das Haus verließ, drängte eine russische Schulklasse herein und draußen standen Reiseomnibusse mit ausländischen Kennzeichen. In Russland ist dieser Tag einer der höchsten Feiertage.

Hinterher schien ein Besuch des Sowjetischen Ehrenmals im Treptower Park als Ergänzung passend. Vom S-Bahnhof Treptower Park, entlang der Puschkinallee und erst recht auf dem Gelände des Ehrenmals herrschte sehr reges Treiben, ein ständiges Kommen und Gehen wie auch längeres Verweilen. Wie schon im Museum war auch hier Russisch die bei weitem dominierende Sprache. Ein hoher Prozentsatz der Passanten wie Parkbesucher trug das Sankt-Georgs-Band. Am Ehrenmal selbst gab es eine Reihe von rein russischen Gruppen, die dort für länger Posten bezogen zu haben schienen. Von ihnen wurde zum Teil Volksmusik dargeboten. Vereinzelt wurde auch getanzt. Und – es sei nicht verschwiegen – an einem zentralen Punkt gab es Propaganda für die Loslösung der Ostukraine, die starke Beachtung fand.

In der Berliner Abendschau, der lokalen Nachrichtensendung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, spiegelte sich das Geschehen im Treptower Park mit nur einem Satz wieder: Hunderte von Berlinern hätten am Jahrestag der Kapitulation dort Blumen niedergelegt. Mehr dazu nicht. Dass es nur ein Satz war, ist nicht das Kritikwürdige, sondern dass er den Vorgang verfälscht. Schon die Größenordnung stimmt nicht. Allein in einer einzigen Stunde am frühen Nachmittag dürfte die Anlage von gut und gerne tausend Menschen besucht worden sein. Und dann war es eben nicht der Berliner, der hier Blumen niederlegte, wie die Kurzmeldung suggerierte. Gewiss hatten auch zahlreiche deutsche Muttersprachler den Weg dorthin gefunden, aber das russische Element war so vorherrschend, dass es einer nationalen Demonstration gleichkam, zumal in der gegenwärtigen Situation. Niemand kann ermitteln, wie viele Berliner Russen darunter waren und wer eigens aus Russland angereist war. Immerhin dürfte das Treptower Ehrenmal das größte seiner Art außerhalb Russlands sein und ohnehin das mit der für geschichtsbewusste Russen größten Relevanz.

Nur ein Satz – aber man fragt sich doch: Wie objektiv sind unsere Medien? Und wie unabhängig in ihrer Arbeit? Was ist eine Nachricht wert, die die Fakten verzerrt? Dass man das Geschehen in Treptow, so wie es tatsächlich war, durchaus unterschiedlich bewerten kann, ist eine andere Geschichte. Beschämend ist jedoch, wenn eine Ethnie aus aktuellem politischem Anlass wie ein Paria behandelt wird. Bei den Gedenktagen der Franzosen, Amerikaner usw. werden die Angehörigen dieser Völker selbstverständlich nicht unerwähnt gelassen. Aber jetzt die Russen …
 

Harry Popow

Mitglied
Hallo Arno, ich habe mich sehr gefreut über Deine Zeilen zur Ukraine-Rezension, das Gleiche gilt der klaren Sicht von Fettauge. Dadurch bin ich bei Arno auf seinen Tagebucheintrag zum 9.5. aufmerksam geworden. Wie treffend Du erkannt hast, sicherlich nicht erst jetzt, dass die Medien jegliche Wahrheiten - ebenso wie die Politik - entweder kleinreden, gar nicht erwähnen oder in Lügen umwandeln. Da kann man ein Lied davon singen. Ich nenne das eine ganz bewußte Entpolitisieung. Nebenbei: Ich habe mal eine Aufstellung meiner linksgerichteten Rezensionen gemacht, 45 an der Zahl seit Herbst 2011. Nur linke online-Zeitungen veröffentlichen diese Beiträge. Viermal hatte ich sie auch den Printmedien angeboten, kostenlos, - keine Antworten. Also weiterhin - frohes Schaffen!! Gruß von Harry
 
Danke - und noch ein Lesetipp

Bei Harry Popow bedanke ich mich den Kommentar. Allerdings halte ich ein Links-Rechts-Schema nicht für sehr hilfreich (vgl. Wimmer, Todenhöfer usw.).

Mein Lesetipp: Interview der Wiener Zeitung "Der Standard" vom 9.7.14 mit dem Medienwissenschaftler Jürgen Grimm (Universität Wien, Institut für Publizistik). Grimm hatte dieses Jahr für einige Monate eine Gastprofessur in Kiew. Auf die Frage nach seinen Eindrücken dort sagte er:

"Wenn man nur westliche Medien zur Verfügung hat und plötzlich an den Ort des Geschehens kommt, stellt man fest, wie Berichte und Realität auseinanderdriften. Die westlichen Medien haben den Konflikt verschärft. Journalisten haben für die eine oder andere Seite Partei ergriffen. Beides erscheint mir nicht im Sinne des Qualitätsjournalismus." - Ferner auf die Frage nach der (vorherrschenden) Tendenz der westlichen Berichterstattung:

"Zunächst eine sehr antirussische. Es wurde alles mobilisiert, was man an moralischen, politischen und ideologischen Aspekten aufbringen kann, um hier Front zu machen. Das habe ich das letzte Mal in den frühen 1960er Jahren erlebt. Das war erschreckend."

Im Weiteren stellt Grimm die katastrophale ökonomische Lage der Ukraine und die zwangsläufige Überforderung der EU damit heraus. Eine Lösung des Konflikt sieht er so:

"Es muss einfach eine Einigung zwischen den USA, Russland und der EU geben. Das Beste wäre ein gemeinsamer Aufbauplan für die Ukraine - auf der Grundlage der Selbständigkeit und der Nichteinmischung von außen. Dann wäre das eine Chance, diesen aufkeimenden Ost-West-Konflikt mit einem Brückenstaat auf Dauer zu befrieden."

Das ist alles auch meine Auffassung.

Arno Abendschön
 

Harry Popow

Mitglied
Russen

Lieber Arno, die materielle Grundlage, um nicht zu sagen das grundlegende Motiv jeglicher politischer Aktivitäten ist in den ökonomischen, sprich privatwirtschaftlichen Interessen zu suchen, das weißt Du, darüber braucht man sich nicht zu streiten. Aber sind die Motive Obamas weitgehend bekannt, die der Republikaner, deren Militärdoktrin? Alle Achtung vor jeglichen Analysen, die dieser Erkenntnis näher kommen. Was die russischen Oligarchen betrifft, ich glaube, da wird es ebenfalls noch haarig hergehen. Noch eines: Kapitalismus ist nicht gleich Kapitalismus. Die Macht liegt vor allem in den Händen des jeweiligen militär-industrieellen Komplexes, daran führt kein Weg vorbei. Doch diese Leute gehen nie freiwillig.
Gruß Harry
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Das alles ökonomisch begründet werden könne, habe ich schon in der Schule gelernt. Ich denke aber, hier fehlt die Psychologie.
Der Tag der Befreiung war lange ein Feiertag.
Jetzt erlebe ich immer mehr antirussische Propaganda. Die russischen Bücher verschwanden bis auf Reste aus den Geschäften. Denkmals wurden abgerissen oder versetzt.
Wir sollten Freundschaft halten und nicht versuchen, Differenzen zwischen Nachbarländern durch Propaganda zu verschärfen.

Ich habe einen Traum, dass die Völker nicht mehr gegeneinander gehetzt werden, dass es nicht mehr auf die Herkunft ankommt, wie e jetzt im vereinigten Deutschland der Fall ist.

Neue Grenzen und Mauern sollen die früheren ersetzen.
 
Danke, Bernd, für die Wortmeldung. Darin gebe ich dir recht, dass die psychologische Seite stets mitbedacht sein will. Ihr Verhältnis zur ökonomischen Interessenlage ist im Einzelfall nicht immer leicht zu klären, auch nicht im vorliegenden Komplex. Hier scheint es mir sogar besonders schwierig.

Mein bescheidener Text von Mitte Mai enthält ja nur ein kleines Schlaglicht, ist aus einer Einzelbeobachtung entstanden, die mich damals befremdet hat. Umso mehr fühle ich mich durch die im September ausgesprochene scharfe Kritik des Programmbeirats an der ARD-Berichterstattung bestätigt.

Freundlichen Gruß
Arno Abendschön
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Mich erinnert die Berichterstattung an die zwischen DDR und BRD.
DDR mit umgekehrtem Vorzeichen.
Hier waren die Amerikaner der Feind, die Russen der Freund, jetzt ist es umgekehrt.

Was darf man glauben? Sobald Krieg beginnt, startet die Kunst der Verstellung.
 



 
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