Die Sammlerin

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Wir spielten damals alle ein bisschen 18. Jahrhundert. D. aus München war eine der farbigsten Figuren unter uns, groß, kräftig, gut aussehend, extrovertiert und eitel. Er war Bildender Künstler und auf seinem Spezialgebiet im Inland seinerzeit führend. Ich hatte ihn vor einem Rückflug von New York zufällig auf dem Kennedy-Airport getroffen. In den Staaten hatte er seinen Lover besucht und sich in Atlanta, Georgia, eine Polizeiuniform gekauft. D. war Uniformfetischist und stolzierte bei seinem nächsten Berlin-Besuch drei Tage und Nächte lang in der schmucken (und echten!) Montur herum. Er wohnte bei mir, wir tranken nachts unterwegs viel und wenn wir im Morgengrauen heimgingen, sang er lauthals Arien aus „Rheingold“.
Er fuhr an einem Sonntag zurück und ließ sich morgens von P. mit dem Wagen abholen. Wenn D. sozusagen Hochbarock war, so vertrat der stille, schmale P. einen anderen Zeitabschnitt – die Empfindsamkeit. Er war Franzose und sagte: „Nein, ich esse kein Gemüse, nie, mit Ausnahme von Zuckererbsen.“ So distinguiert war er. Sie nahmen mich auf dem Weg zur Autobahn mit ins Berlin-Museum, der sonntägliche Brunch dort war damals sehr beliebt.
D. wollte dann immer noch nicht nach München zurück. „Arno soll erst Vera kennen lernen, die ist wirklich einmalig. Ich ruf sie gleich an, halte mal an der Ecke.“ Er war ihr vor Jahren auf einem Trödelmarkt begegnet und sagte über ihre Sammlung: „Ein Händler hat sie auf zwei Millionen geschätzt.“
Vera war eine verstiegene ältere Dame – gewissermaßen reinstes Rokoko. Wenn Sie Glenn Close als Marquise de Merteuil in „Gefährliche Liebschaften“ gesehen haben und sich die Film-Marquise vereinsamt und sehr gealtert vorstellen – ungefähr so … Sie bewohnte allein eine Riesenaltbauwohnung in einem der letzten Häuser aus den 1870er Jahren, nicht weit vom Tiergarten, in Walter Benjamins Altem Westen. In –zig Vitrinen und Schränken verwahrte sie die vermutlich größte private Kitschsammlung der Stadt, wenn nicht Deutschlands. Viele Tausende von Figürchen und sonstigen Objekten, auch viel Kunsthandwerk und nicht wenige echte Kunstgegenstände darunter, alles unsystematisch untergebracht, überbordende Fülle auf jeweils gedrängtestem Raum.
Vera empfing uns freundlich und führte uns gleich durch alle Räume Sie nahm vieles von den Seltsamkeiten, Raritäten und fürchterlichen Geschmacklosigkeiten in die Hand und sagte immer wieder: „Ist es nicht herrlich?“ Sie gab sich neckisch, kokettierte mit ihrer eigenen Verrücktheit, lächelte kindlich-boshaft und zugleich mit dem deutlichen Bewusstsein davon. Ihre einzige Gesellschaft in diesem Museum der Verstiegenheit waren eine träge Katze und ein bösartiges Hündchen. Und über allem lag ein penetranter Geruch nach Katzenpisse.
Sie servierte uns in schmutzigen Tassen schlechten Instantkaffee und dazu gab es echten Cognac und widerwärtig schmeckenden Fertigkuchen. All diese Genüsse wurden uns mit engelhaft-diabolischem Lächeln angeboten: „Ist es nicht herrlich? Ja, grauenhaft, ja?“ Und dann freute sie sich über unsere Reaktionen. D. verkehrte als Künstler mit ihr von gleich zu gleich, doch P. und ich waren sehr befangen.
Wir standen wieder auf der Straße und fuhren im Auto rasch weg. Plötzlich pressierte es den beiden mit der Heimfahrt nach München. Sie ließen mich an einer roten Ampel aussteigen, nicht weit von meiner Wohnung. Ich war also wieder im späten 20. Jahrhundert angekommen, wenigstens dem äußeren Anschein nach.
 



 
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