Die Schafe/Fabel

Lyrischa

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Die Schafe /Fabel

Die Schafe

Eines Tages hatten es die Schafe satt, Jahr für Jahr zweimal kahl geschoren zu werden bis auf die nackte Haut. Selbst die Mich, welche sie für ihre Lämmer produzierten, wurde ihnen bis auf den letzten Tropfen abgenommen. Das würden sie sich nicht mehr gefallen lassen. Von jetzt an wollten sie selbstbestimmt leben.

"Wir werden unsere Wolle nicht mehr hergeben für diese Ausbeuter."
"Aber dann werden wir kein Futter mehr bekommen."
"Das holen wir uns selbst in Feld und Flur." Sie verließen das Gehege und verschwanden im Freien.
Doch bald war der Sommer vorüber, der Herbst bot ihnen die letzten dürren Halme. Dann kam der Winter und kein Hälmchen wuchs mehr unter dem Himmel. Sie berieten, was sie tun sollten, damit sie nicht verhungerten.

Sie blökten und schrien ööh-äääh über ihre Lage. Das hörte ein Maultier, das aus dem Nachbarland kam. Dem klagten sie ihr Leid. Es versprach, ihnen zu helfen, ihr Leben auf eine eigene, bessere Basis zu stellen. Es sei weit in der Welt herumgekommen, könne sie in ein paradiesisches Leben führen. Sie müssten ihm nur folgen, in seiner Sprache reden. Das wollten sie tun.
"Wozu braucht ihr neues Futter?", rief es. "Ihr habt doch Reserven. Ich zeige euch, wie es geht. Schließlich seid ihr Wiederkäuer. Ich gebe vor, ihr käut einfach wieder!"
So wollten sie es machen. In der Hoffnung auf eine paradiesische Zeit käuten sie wieder, was der Neue ihnen vorgekaut hatte. Immer wieder blökten sie: "Ööhö, öääh, j-ööää."
Dabei verlernten und vergaßen sie, selbst für Nahrung zu sorgen.
Alles wurde durchgekaut. Aber der Hunger und die Unzufriedenheit waren nicht zu stillen, wurden von Tag zu Tag stärker.
Bald erkannten sie, dieser Weg ins Paradies - nur wiederzukäuen, was andere vorgekaut hatten - war ein Irrweg.
"Du Großmaulesel hast uns belogen und betrogen! Jetzt geht es uns schlechter als bei den früheren Herren. Scher dich zum Teufel!", riefen sie und jagten den Vorsprecher aus dem Land.

Sie würden keinem mehr hinterher laufen und ließen sich nichts mehr vorkauen!
Aber der Hunger nahm ständig zu. Sie begannen, sich um die spärlichen verdorrten und vereisten Halme Steppengras zu streiten, gingen aufeinander los, und die Böcke schlugen mit ihren starken Hörnern aufeinander ein. Jedes Schaf war des anderen Feind. Sie konnten nicht mehr miteinander reden, fanden kein gemeinsames Ziel.
So fristeten sie weiter - jedes für sich allein - ihr jämmerliches Dasein, indem sie dürre Steppenhalme rupften und immer magerer und schwächer wurden.

Nur der Mensch holte sich bei Bedarf immer wieder die kräftigsten Tiere, fütterte sie mit Korn und frischem Heu, schor ihre gute Wolle, nahm ihnen die Milch und nach Lust und Appetit ihr Leben .
 



 
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