Die Seele ist ein Geist, der zwischen den Knochen fliegt

4,60 Stern(e) 10 Bewertungen

ENachtigall

Mitglied
Die Seele ist ein Geist, der zwischen den Knochen fliegt

als ihr so klein wart
dass euer Gott noch oben wohnte
an Hebeln zog
auf Knopfdruck die Menschen in Bewegung setzte
und zwar genau hunderttausendmillionenmal
triebt ihr - beharrlich spielend - die Hände
in die Erde wie Wurzeln zum Begreifen des Himmels
und schenktet mir die schwarzen Bögen
unter euren Fingerspitzenpanzern

nicht unbedingt freiwillig

ich hängte sie mir unter die Augen
trug sie mal als befremdlichen Schmuck
mal stolz als erkämpfte Blessur
im Kampf um ein paar Stunden ungestörten Schlaf

denn meine Nähe war euch Währung
in den zähen Zeiten des Nesthockens und
Rockzipfelhängen eure liebste Disziplin

also bauten wir Mauern zum Balancieren
in Gelassenheit und Überspringen
ungeliebter Kapitel Geschichte
kosteten von oben dieses Gefühl der Erhabenheit

Doch die Gespenster warten
uns vor die Füße zu spucken
Feige lauern sie unter den Betten
uns einzufangen zur falschen Fahrt
in der Mitternachtsgeisterbahn

Beizeiten schlüpfen wir
in unsere abgelegten Häute
zum Tanz der Seelen

dieses Geistes, der zwischen den Knochen fliegt


© Elke Nachtigall
30. August 2006
 
B

bonanza

Gast
es fängt saustark an!
der titel könnte von meiner zwillingsschwester sein.
und ein tolles wort: "fingerspitzenpanzer".

leider wird es dann sprachlich zunehmend schwächer und
beliebig.

(der anfang kriegt eine 10. der rest eine 5.
macht nach adam riese aufgerundet noch eine 8.)


bon.
 
N

nachtlichter

Gast
Insgesamt saustark!

Hallo Elke Nachtigall,

Deine Bilder sind so intensiv und überzeugend, dass mich Dein Gedicht von der ersten bis zur letzten Zeile zu fesseln vermochte und mir eine sehr ordentliche Gänsehaut bescherte, bevor mir Deine Worte ganz tief unter die Haut gingen. Mein Geist fliegt seit fast genau 19 Jahren zwischen den Knochen herum, während die höhnischen Gespenster mit der Zeit wuchsen und meiner Geduld und Gelassenheit Höchstleistungen abverlangten. Und doch möchte ich keine dieser "Trophäen" und Narben missen. (Er ist immer noch süß, wenn er schläft).

Liebe Grüße

nachtlichter
 

agonius

Mitglied
Liebe Elke,
Dein Erzählgedicht beschreibt
in einer klaren bilderreichen Sprache
den Tanz der Seele in unserem Bewusstsein und Unbewwusstsein.
Ich finde nicht,
dass es sprachlich zunehmend schwächer wird,
sondern ich war gefesselt bis zum Schluss,
es erhält von mir 9 Pkt.
Mit Herzensgruß
agonius
 

ENachtigall

Mitglied
@ bonanza
leider wird es dann sprachlich zunehmend schwächer und
beliebig.
Ein wenig recht hast Du schon: ich habe meine Trümpfe gleich zu Anfang ausgespielt. Das ist sonst nicht unbedingt meine Art.

@ Meral
Ich freue mich, dass Du mein Gedicht gelesen hast. "Atemlos" ist eine ehrliche und schöne Anerkennung.

@ nachtlichter
danke für Deinen Kommentar, der mir zeigt, dass Du, als Mitbetroffene, um nicht zu sagen Expertin, sehr gut verstanden hat, was ich beschreiben wollte: dieser "Zustand", verantwortlich für so kleine Wesen zu sein, ist genauso einzigartig erlebnisreich wie belastend. Eben ein kleines Weltwunder.

@ agonius
Ich finde nicht,
dass es sprachlich zunehmend schwächer wird
Danke auch für diese Rückmeldung. Es ist eine Art Familienwerkstück: die starken Anfangsbilder sind von meinen Kindern (die Vorstellungen von Gott und der Seele), mitsamt dem Rest von mir bearbeitet.

@ michy
Schön, dass ich auch Dich damit erwischt habe.
Wir waren neulich mal bei einem Gedenkgottesdienst - sonst sind wir keine Kirchgänger. Danach kam natürlich die Frage, ob es Gott denn wirklich gäbe. Wie Kinder nur immer darauf kommen, dass wir alles wüssten...Jedenfalls belohnten sie mein Eingeständnis der Dummheit mit der Preisgabe ihrer frühkindlichen Fantasien: ...früher dachte ich immer...

Euch allen liebe Grüße und danke für Euer Interesse daran.

Elke
 
I

inken

Gast
ich finds einfach toll - es wird nicht schwächer am ende, nur einfach weib-alltäglicher und das finde ich gerade gut, dass nicht alles vermetaphert wird

liebe grüße inken
 

ENachtigall

Mitglied
Liebe Inken,

danke für Deinen Kommentar. Ja, ich denke auch, dass es durch den Ausklang im "Weiblich-Alltäglichen" seine Bodenhaftung gewinnt und freue mich sehr, dass es auch so nachempfunden wird.

Schönen Sonntag.

Elke
 

ENachtigall

Mitglied
die Seele ist ein Geist, der zwischen den Knochen fliegt

als ihr so klein wart
dass euer Gott noch oben wohnte
an Hebeln zog auf Knopfdruck
die Menschen in Bewegung setzte
und zwar genau
hunderttausendmillionenmal
triebt ihr - beharrlich spielend
die Hände in die Erde wie Wurzeln
zum Begreifen des Himmels
und schenktet mir die schwarzen Bögen
unter euren Fingerspitzenpanzern

nicht unbedingt freiwillig

ich hängte sie mir unter die Augen
trug sie mal als befremdlichen Schmuck
mal voller Stolz als erkämpfte Blessur
im Kampf um ein paar Stunden
ungestörten Schlafes
denn meine Nähe
war euch Währung
in den zähen Zeiten
des Nesthockens und Rockzipfelhängen
eure liebste Disziplin

also bauten wir Mauern
zum Balancieren in Gelassenheit
und Überspringen ungeliebter Kapitel
Geschichte - kosteten von oben
dieses Gefühl der Erhabenheit

doch die Gespenster warteten nur
uns vor die Füße zu spucken
feige lauerten sie unter den Betten
uns einzufangen zur falschen Fahrt
in der Mitternachtsgeisterbahn

beizeiten schlüpfen wir
in unsere abgelegten Häute
zum Tanz der Seelen
dieses Geistes
der zwischen den Knochen fliegt


© Elke Nachtigall
30. August 2006
 



 
Oben Unten