Die Sendboten des Satan

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Marc Olivier

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“Schaff mir die fünf Verlierer her!”, brüllte Luzifer seinen Schergen an und die Flammen, die stets um seinen Thron loderten, züngelten bedrohlich in die Höhe.
Panisch und vor der anschwellenden, unerträglichen Hitze flüchtend, rannte der Scherge aus dem Saal. Es waren seine Dämonen Permon, Cazzmon, Qotsa, Kerqual und Brevil, denen Luzifers unbändiger Zorn galt. Es war nicht lange her, dass er sie mit dem Erwerb der Seele eines Erdenmenschen beauftragt hatte. Es ging hierbei um eine alte Frau, bei der angesichts ihres hohen Alters die Chancen, dass sie ihre Seele verkaufen würde, sehr gut standen. Luzifer hatte ihren Lebensweg mit stets wachsendem Interesse verfolgt. Aufmerksam wurde er auf sie, als sie mit sechs Jahren das Bett ihres zweieiigen Zwillingsbruders nach einem heftigen Streit ohne mit der Wimper zu zucken angezündet hatte. Die Eltern konnten den Kleinen zwar retten, aber Luzifer hatte nun stets seine Augen auf sie gerichtet. Während der zahllosen Ehen hatte sie ihre Männer betrogen so oft sie konnte. Sie hatte sich ihr Leben lang nur um ihr eigenes körperliches Wohl gesorgt und setzte hierbei ihre unbestreitbare Attraktivität ein, um sich einfach zu nehmen, was sie wollte. Letztendlich heiratete sie mit vierzig Jahren einen steinreichen und doppelt so alten Mann, den sie nach einigen Wochen mit vergiftetem Tee umbrachte, was ihr nie nachgewiesen werden konnte. Sie führte fortan ein Leben in Saus und Braus. Spätestens jetzt war es um Luzifer geschehen und an ihrem zweiundachtzigsten Geburtstag entsandte er seine fünf, wie er damals glaubte, besten Dämonen, um diese erfrischend bösartige Frau in seinen Stab zu holen. Allerdings stellten sich die fünf derart stümperhaft und dumm an, dass es jeder Beschreibung spottete. Als es darum ging, ihr gegenüberzutreten, vergaßen sie, ihre unauffälligen irdischen Erscheinungsformen anzunehmen, so, wie es für den Versucher und seine Gefolgsleute eigentlich selbstverständlich sein sollte (ein Banker, ein Arzt, ein Rechtsanwalt, eine vollbusige Krankenschwester sowie ein Immobilienmakler). Cazzmon war der Erste, der es versuchen sollte. Er stand also in seinem unförmigen, schwarz-grün-schleimigen Körper vor der Tür ihrer Villa und starrte sie aus feuerroten Augen an. Was zur Folge hatte, dass sie sofort, nachdem er das eingeübte „Na, Frau von Eckburg, was fehlt Ihnen denn heute?“ in einem höllisch tiefen und markerschütternden Grunzen geröhrt hatte, mit einem Herzschlag umfiel und auf der Stelle verstarb. Bis Cazzmon gemerkt hatte, welchen Mist er gebaut hatte und Luzifer informieren konnte, damit dieser die Seele der Frau annektieren konnte, wie er es in Notfällen zu tun pflegte, war sie schon längst im Himmel und ihr waren alle Sünden vergeben. Er hatte sie verloren.
Lange Zeit hatte er auf seinem Thron gesessen, um die wohl schlimmste Strafe in der Geschichte der Hölle zu ersinnen und nun war der Zeitpunkt gekommen, sie zu vollstrecken.
Vorsichtig wurde das Tor am anderen Ende des Saals geöffnet und Cazzmon steckte seinen Kopf hindurch.
„Kommt rein!“, polterte der Leibhaftige und wieder schlugen lodernde Flammen empor.
Die fünf Dämonen, sich ihrem jämmerlichen Versagen bewusst, trotteten langsam zu ihrem Herrn. Wie sie es hassten, in diesen riesigen Raum zu müssen. Die metallenen Wände glühten in beißendstem Rot. Luzifers Thron stand auf einem spitzen Felsen in der Mitte des Saals, der aus den Untiefen emporragte und dorthin führte nur eine schmaler Steg über das Flammenmeer, das, je nach Laune des Fürsten der Finsternis, bis an jene Wegverbindung zum Thron heranreichte. Und unerträglich heiß war es. Je näher man ihm kam, desto schlimmer.
Die Dämonen, angsterfüllt und vor Ehrfurcht erschaudernd, blieben in für sie sicher erscheinender Entfernung stehen.
„Näher!“, brüllte Luzifer sie an und die um sie herum schlagenden Flammen ließen sie dieser Aufforderung unverzüglich nachkommen. Vom Teufel gehetzt rannten sie bis auf die Felsplatte. Von hier aus erkannten sie jeden einzelnen seiner furchteinflößenden Gesichtszüge.
„Auf die Knie und senkt eure Häupter, ihr Gewürm!“ Die Dämonen spurten und fielen ihm zu Füßen. Die Hitze war unerträglich, aber keiner von ihnen wollte ein Opfer des Flammenmeeres werden, sodass sie alles machten, was er ihnen befahl.
„Ihr seid das Armseligste, das Minderwertigste, das absolut Unfähigste, was mir je unter die Augen gekommen ist. Ihr seid der Abschaum der Höllenbrut!“, begann der Höllenfürst seine Hasstirade.
Die Dämonen spürten, wie die Flammen nie gekannte Höhen erreichten. Vermutlich färbten sie bereits die felsigen Decken schwarz. Qotsa spürte mit einem gewissen Körperteil, dass er offenbar zu nah am Abhang kniete und robbte ein wenig vor.
„Unten bleiben!“
Er erstarrte sofort wieder.
„Diese Frau war das Beste, was ich seit Jahrtausenden zu sehen bekommen hatte! Und ihr habt es vermasselt!“
Satans Augen defocussierten und schauten ins Nichts.
„Was hätte ich alles mit ihr anstellen können! So viel Bösartigkeit! So viel Skrupellosigkeit! Dieser unbändige Wille, Menschen zu vernichten, um sich selbst zu bereichern. Diese beispiellose Unmoral. Ich hätte mit ihr die ganze Welt mein Eigen nennen können.“
Er hielt einen Moment inne und dachte nach.
„Ja...“, sagte er schließlich. „Ja, sie hätte sogar meine Braut werden können.... Und ihr habt’s versaut!!! Das wird nicht ungestraft bleiben. Und deswegen habe ich mir für euch etwas ganz Spezielles ausgedacht.““
Die Dämonen hörten deutlich, wie sich am Grund des Feuers einige Explosionen ereigneten.
„Zunächst einmal seid ihr nicht mehr meine besten Dämonen. Ihr seid nicht mehr am oberen Ende der Rangfolge, sondern ganz unten. Ihr seid fortan nichts mehr wert, weniger als der Dreck, durch den die Würmer über uns in der Erde kriechen. Was euch der geringste meiner Schergen befiehlt, habt ihr zu befolgen.“
Er vernahm nun das erste Mal ein leises Wimmern der Dämonen. Dies bereitete ihm Freude. Die Bestrafung erfüllte ihn mit Wohlbehagen. Genießerisch fuhr er fort.
„Doch das soll nicht alles sein. Wie ihr vielleicht schon gehört habt, habe ich Exxron, der vorher die vorletzte Stufe der Hierarchie besetzte, unter der ihr nun steht, wegen Unfähigkeit in die Qualen des ewigen Feuers gestürzt. Aber selbst Euch war er in Sachen Kompetenz noch weit überlegen. Deswegen werdet ihr nicht so einfach davonkommen. Ihr werdet nun seine Stelle neu besetzen.“
Das Wimmern steigerte sich in lautes Geheul.
„Seid still! Hört mir zu!“
Die Dämonen versuchten, ihr Entsetzen, so gut es ging, zu unterdrücken. Luzifer schaute sich das armselige Schauspiel der sich bedingungslos unterwerfenden Dämonen einen Moment an und holte dann zum ersten Schlag aus.
„Ich schicke euch wieder zu den Menschen. Aber nicht irgendwo hin....Nein!“
Um seine Untergebenen mit der Ungewissheit, in der sie sich befanden, zu quälen, hielt er wieder einen Moment inne und attackierte sie dann mit folgenden Worten:
„Ihre werdet nach Essen gehen!“
Permon fuhr auf. In seinem Gesicht stand das pure Entsetzen. „Nein, Herr! Tu uns das nicht an! Wir waren schlechte Dämonen, das wissen wir! Wir wollen uns bessern! Ehrlich! Wir nehmen jede Strafe dankbar entgegen, aber tu uns das nicht an!“
„Zurück in den Staub mit dir und schweig still!“, brüllte der Leibhaftige.
Das wirkte und Permon nahm wieder seine devote Haltung ein. Die anderen, das spürte der Höllenfürst deutlich, hatten Schwierigkeiten, still zu bleiben und das Geheul zu unterdrücken.
„Ihr werdet die Seele eines Mannes namens Dominic Bahlke erwerben. Er verfügt momentan über wenig irdischen Besitz und sollte daher eine leichte Beute sein.“
Er hatte mit dieser sachlichen Information keine Aufregung bei den Dämonen hervorgerufen und das war auch seine Absicht gewesen, da er sie in Sicherheit wiegen wollte, um sie mit der nächsten Grausamkeit furchtbar zu strafen.
„Aber ihr werdet nicht als Arzt, Banker oder Sexbombe dorthin gehen.“
Seine Lakaien wurden unruhiger.... gut so. Ein kaltes Lächeln huschte über das Gesicht des Leibhaftigen.
„Ihr werdet Kinder sein!!!“ Die Vollendung seiner Strafmaßnahmen hallte durch den Saal und die Flammen schlugen wieder hoch. Er begann, schallend und fürchterlich zu lachen. Die Körper der Dämonen erbebten. Nun brach Chaos bei den Bestraften aus. Kerqual war bereits bewusstlos auf die Seite gefallen. Qotsa stürzte sich auf die Hufe seines Herrn und küsste sie angsterfüllt. „Nein, bitte nicht! Bitte!“
Doch mit einem kraftvollen Huftritt entledigte sich der Teufel dieser Last. Wimmernd kam nun Brevil auf ihn zugekrochen, darauf bedacht, ihn bloß nicht zu berühren.
„Müssen wir auch mit anderen Kindern spielen?“ Seine Stimme war kaum zu vernehmen, brüchig und angsterfüllt. Der Teufel griente ihn mit fieser Miene an.
„Wenn es sein muss...“
Nun kannten die Dämonen keine Hemmungen mehr. Sie schrieen vor Pein, wälzten sich auf dem Boden, schlugen die Köpfe auf den harten Fels.
„Es hat keinen Sinn! Dies ist eure Strafe und ihr werdet sie ausführen!“, rief Luzifer. „Geht zu Oppfeg. Er wird euch sagen, wo und wann ihr den Kerl schnappen könnt.“

„Einen Kleinkriminellen, der Pullover klaut! Unfassbar! Der Chef ist so gnadenlos!“
Im Hinterhof eines leerstehenden, maroden Wohnhauses, das das Tor zur Hölle in dieser Stadt darstellte, äußerte Cazzmon seine Fassungslosigkeit ob der Grausamkeit des Teufels. „Und dann auch noch in aller Öffentlichkeit! Nicht auffallen, hat Oppfeg gesagt! Sonst kommen wir in den Himmel, hat er gesagt!““
„Dafür ist der Chef schließlich der Höllenfürst. Und jetzt hör auf zu jammern. Wir werden uns wieder zurückarbeiten an die Spitze, da bin ich mir ganz sicher.“ Permon spürte, dass er seinen Kollegen Mut zureden musste. Wenn sie wieder die gefürchtetsten, scheußlichsten Dämonen werden wollten, mussten sie einen klaren Kopf bewahren.
„Genau!“, pflichtete Qotsa ihm bei. „Und jetzt lasst uns uns verwandeln.“
Es herrschte zwar noch Nacht, aber der Tag brach bald an und die Metamorphose, die im Schutze der Dunkelheit vonstatten gehen musste, dauerte etwa eine Stunde.
Nachdem sie sie durchgeführt hatten und nun Kinder im Alter zwischen acht und dreizehn Jahren waren, begann es auch schon hell zu werden.
„Wann sollen wir dort sein? Um halb Neun?“, röhrte Cazzmon.
„Nein, um halb zehn.“, antwortete Permon, ein platinblondes, zehnjähriges Bübchen mit vorstimmbruchartigem Gequäke. „Und verstell gefälligst deine Stimme, du Trottel. Sonst vermasseltst du es wieder!“
„So besser?“ Cazzmon tat sein Bestes, um den feuerroten Haaren, den zahlreichen Sommersprossen und dem unschuldigen Gesichtchen mit den großen Augen die nötige Glaubwürdigkeit zu verleihen.
„Ja, so ist es gut. Etwas basslastig vielleicht, aber es geht.“
„Wieso bin ausgerechnet ich ein Mädchen?“, fauchte Qotsa entsetzt. „Es ist schon schlimm genug, in den Körper eines Kindes zu schlüpfen. In einem Erwachsenenkörper lässt es sich viel besser böse sein. Aber in dem eines Kindes und dann auch noch eines Mädchens. Da nimmt mich doch keiner ernst. Wie soll ich in dieser Aufmachung bitteschön Seelen erwerben? Das habe ich nicht verdient!“
Es stimmte, wie seine Kollegen mit einem Blick auf ihn feststellen mussten. Das strohblonde Haar, an den Seiten zu zwei Zöpfen geflochten, das winzige Näschen und die Ohrstecker in Form von Teddybären waren eindeutig. Er war ein Mädchen. Während Cazzmon begann, sich in seinem Jungenkörper vor Lachen auf dem Boden zu wälzen, platzte Permon der Kragen.
„Und ob du es verdient hast! Du hast nämlich alles noch schlimmer gemacht, als wir vor ihm auf dem Boden rumgerutscht sind und du so rumgejammert hast.“
„Das sagst gerade du?“, verteidigte sich Qotsa. „Wer hat denn angefangen zu betteln, als es hieß, wir sollen nach Essen?“
„Ich gebe zu, das war ich. Aber das habe ich auch für euch getan. Du hast ihm die Hufe geleckt. So ein Schwachsinn! Nur ein Irrer wagt sich das. Deswegen bist du ein Mädchen!“
„Weißt Du was? Du kannst mich mal! Du hältst dich hier wohl für den Obermotz, was?“
„Tu ich nicht!“
„Tust du wohl!“
„Tu ich nicht!“
Und so stritten sie sich weiter, auch Kerqual, ein freches schwarzhaariges Jüngelchen mit Lausbubengesicht und Brevil, der ein fettes Kind geworden war, bis es neun Uhr und damit Zeit zum Aufbrechen war. Ungefähr zehn Minuten Fußmarsch hatten sie vor sich, um die „Kaufstadt“, so der Name des Kaufhauses, in dem Dominic Bahlke einen Haufen Pullover stehlen würde, erreichen würden. Zumindest hatte ihnen Oppfeg das so erklärt und die genaue Wegbeschreibung gegeben. Trotzdem machten sie sich wesentlich früher auf den Weg, um auf etwaige Störungen angemessen reagieren zu können und nicht gleichzeitig ihr Opfer zu verpassen. Das war ein kluger Schachzug, wie sich nach nur kurzer Zeit herausstellen sollte, als sich ihnen das erste Hindernis in den Weg stellte – in Form eines Polizisten.
„Na, ihr Rasselbande? Solltet ihr nicht längst in der Schule sein?“, fragte er sie in väterlichem Ton.
„In der Schule?“, erwiderte Kerqual. „Da waren wir schon lange nicht mehr.“
Da ihm offensichtlich nicht klar war, was er mit diesem Satz anrichten konnte, stieß ihn Brevil mit dem Ellbogen in die Seite.
„Au!“, schrie Kerqual. „Pass doch auf, du Blödmann! Fette Qualle!“ Sie begannen, sich zu balgen, aber der Polizist gebot ihm mit einem lauten „Aufhören!“ Einhalt. Auf gebrüllte wenigsilbige Imperative reagierten sie momentan sicherheitshalber mit bedingungsloser Hörigkeit.
„So, ihr wart schon lange nicht mehr dort?“ Der Gesetzeshüter legte eine Menge „Ich weiß Bescheid“-Pathos in die Stimme. „Na, dann kommt mal mit, ihr Rabauken. Mal sehen, was eure Eltern dazu sagen.“
Die Dämonen wechselten kurze Blicke. Eins war klar. Diese Situation musste schnell bereinigt werden. Ohne ein Wort zu sagen, schnappten sie sich den Schutzmann, der natürlich nicht mit der dämonischen Kraft der Kinder gerechnet hatte, und zogen ihn in den nächsten Hauseingang. Dort schlugen und traten sie auf ihn ein, bis er bewegungslos am Boden lag. Dann fesselten sie ihn mit seinen diversen Gürteln an Armen und Beinen. Sein gebrauchtes Taschentuch diente als Knebel.
„Lasst uns ihm den Kopf abschlagen.“, schlug Qotsa vor.
„Nein, das werden wir nicht tun.“, entgegnete Permon. „Ein andermal, aber jetzt haben wir dafür keine Zeit.“
Qotsa war aber gerade in seinem Element. „Wenigstens ein Ohr abbeißen oder die Augen rausreißen? Ich mach’s auch alleine und komm dann nach.“
„Nein. Wir brauchen da draußen alles, was wir haben. Los! Mitkommen!“
Und so gingen sie wieder hinaus. Der restliche Weg verlief ohne Zwischenfälle und so bezogen sie Stellung in einer Seitengasse, von der sie den „Kaufstadt“-Eingang gut beobachten konnten.
„Wie viel Uhr ist es?“, fragte Permon. Als sich keiner der anderen angesprochen fühlte, wiederholte er seine Frage mit Nachdruck.
„Woher sollen wir das wissen, Permon? In unserem Alter kann noch lange nicht jeder die Uhr lesen. Die Zeiten sind vorbei.“, antwortete Cazzmon.
Permon schenkte sich einen Kommentar, seufzte nur und winkte ab. Er untersuchte das Straßenbild und fand unter dem Giebel eines Uhrengeschäfts das, was er brauchte. Es waren nur noch zwei Minuten, bis es passieren sollte. Er trug seinen dämonischen Kollegen noch einmal den Plan vor, der Oppfeg für sie ausgearbeitet hatte und als sie alle versichert hatten, die Anweisungen verstanden zu haben, legten sie sich gespannt auf die Lauer.


Essener Stadtanzeiger, 5.4.2004
Fünf Kinder im Alter zwischen acht bis dreizehn Jahren stellen Ladendieb
Fünf Kinder im Alter von acht bis dreizehn Jahren haben einen Ladendieb gestellt. Der Mann hatte in einem Kaufhaus versucht, aus einer Schmuckvitrine etwas zu stehlen, dabei schrillte der Alarm los.
Im Anschluss daran schnappte sich der Mann mehrere Pullover und rannte weg. Die Kinder, die das Geschehen mitbekommen hatten, verfolgten den Mann bis sie ihn kurze Zeit später stellen konnten.


Luzifer saß auf seinem Thron und starrte entsetzt auf diese Meldung. Schweigsam schüttelte er mehrmals den Kopf. Er hatte eigens einen seiner Schergen in der Hülle eines Bürokaufmannes auf die Erde entsandt, um diese Zeitung zu besorgen, nachdem er von Gott ein schadenfrohes Telegramm voller Hohn und Spott erhalten hatte, noch bevor die fünf Dämonen wieder zurück waren. In blumenreichsten Worten und episch breit hatte der Mann mit dem ewig langen, weißen Bart sein Entzücken über die Unfähigkeit seiner Untergebenen zum Ausdruck gebracht.
Permon und seine Gefolgsleute, die er bereits wieder in die ihnen mittlerweile wohlbekannte devote Stellung befohlen hatte, kannten und fürchteten dieses sogar in der Hölle spürbare eisige Schweigen. Sie wussten, was es zu bedeuten hatte. Je länger es ihm vor Entsetzen die Sprache verschlug, desto heftiger und vor allem heißer war der folgende Ausbruch unbändigen Zorns.
Der Leibhaftige blickte auf. „Was habt ihr dazu zu sagen?“, begann er in bedrohlich stoischem Tonfall. „Wie konnte es passieren, dass ihr mit leeren Händen zurückkommt?“
Permon blickte vorsichtig auf und ärgerte sich, dass er bisher immer das Kommando in dieser Gruppe an sich gerissen hatte, denn seine Nebenmänner machten keinerlei Anstalten, ihrem Herrn die Frage zu beantworten. Also musste er seine Aufgabe als Oberhaupt auch in dieser Situation nachkommen.
„Na ja“, begann er mit übergroßer Zurückhaltung.
„Lauter!“, schrie der Fürst der Finsternis und für einen Moment glaubte Permon, die augenblicklich einsetzende Hitze würde ihm das ohnehin schon entstellte Gesicht wegschmelzen.
„Na ja“, fing er wieder an, diesmal lauter, und da der Gehörnte nichts sagte oder brüllte, ging er davon aus, dass er nun laut genug war.
„Auf dem Weg zu „Kaufstadt“ waren wir einem Polizist begegnet und der hatte uns für Schulschwänzer gehalten.“
„Im Normalfalle ein Kompliment für jeden Höllenbewohner, der was auf sich hält.“, sagte der Teufel, um dann aber wiederum seine Stimme zu erheben. „Weiter! Ich höre!“
Permon war daran gelegen, seine Ausführungen so knapp wie möglich zu halten.
„Er wollte uns mit auf die Wache nehmen. Da blieb uns nichts anderes übrig, als ihn in einen Hauseingang zu schleppen und dort unschädlich zu machen.“
„Ihr habt ihn getötet?“
„Nein. Nur bewusstlos geschlagen und gefesselt. Wir waren in Zeitnot.“
„Und dann?“
„Dann lief eigentlich alles wie geschmiert. Wir verfolgten Bahlke und stellten ihn schließlich nach einer ewig langen Verfolgungsjagd in einer Sackgasse. Wir drückten ihn gegen eine Wand und sagten ihm, wer wir sind. Wir standen sehr unter Zeitdruck, denn wir konnten ja nicht wissen, ob ihm noch mehr Leute gefolgt waren. Also sagten wir: „Wir wollen deine Seele! Verkauf sie uns und die Polizei wird dich nie finden!“
„Natürlich nicht!“, bestätigte der Leibhaftige. „Ihr solltet ihn ja gleich mitbringen.“
„Das haben wir ihm ja nicht gesagt, sonst wäre alles noch schwieriger gewesen. Jedenfalls nahm er uns nicht ernst.“
„Kann ich verstehen. Ich würde eine Horde wildgewordener Kinder auch nicht ernst nehmen.“, sagte der Teufel amüsiert. Seine Strafe hatte also die beabsichtigte Wirkung gezeigt.
„Er sagte zu uns: „Ihr Drogenfritzen werdet auch immer jünger!“ Und dann...“
„Woher weiß er, dass wir mit Drogen arbeiten?“, unterbrach ihn der Antichrist. „Das hat bisher noch keiner gemerkt.“
„Er meinte nicht, dass wir als Höllenbrut unseren Nutzen aus Drogen bei Menschen ziehen, sondern er dachte, dass wir selbst abhängig wären.“
„Tatsächlich? So jung sind die heutzutage da oben? Da werde ich nachher gleich mal Nioreh drauf ansetzen, der soll sich mal schlau machen. Der Gute kriegt wohl auch nicht mehr alles mit.“
„Und schließlich“, Permon kürzte jetzt noch mehr ab, „begann der Kerl, uns zu provozieren. Er nannte uns Lückenkinder und wir sollten besser in die Kirche gehen als Polizei zu spielen. „TKKG für Arme“ hat er uns genannt.“
„He!“ Der Fürst der Finsternis war schockiert. „Ich habe halbe Ewigkeiten gebraucht, um diese Geschichten zu schreiben.“ Aber er beruhigte sich schnell wieder, da ihm mehr daran lag, zu hören, was Permon noch zu erzählen hatte. „Fahre fort!“, herrschte er ihn an.
„Schließlich“, gehorchte Permon, „hörten wir, wie sich Polizeisirenen näherten. Ich hatte keine andere Wahl, als seine Seele einfach zu nehmen. Und bevor wir uns auf den Weg zurück zu Euch machen konnten, mein ewiglich geliebter Herr und Gebieter, kamen die Polizisten um die Ecke geschossen und nahmen den Mann fest. Sie sagten noch, wir wären richtige kleine Helden und führten ihn dann ab. Und wir machten, dass wir fortkamen, denn wir sollten ja nicht auffallen.“
„Helden?“ In diesem einen Wort ballte sich all die Enttäuschung des Teufels und gleichzeitig hörten die Dämonen heraus, dass er sie aufgegeben hatte. Sie hatten endgültig versagt. Sie wussten, dass er so dachte und machten sich auf die finale Strafe gefasst.

Ein leises Klopfen. Er sah sich um und runzelte die Stirn. Hatte er sich verhört? Musste wohl, denn jeder, der herkam, bat mit lautem Getöse um Einlass. Schließlich war das hier ein heiß begehrter Ort. Aber da war es schon wieder, dieses leise Klopfen. Also ging er doch zum Tor und öffnete es. Vor ihm, er traute seinen Augen kaum, standen die fünf ehemals höchsten Dämonen der Hölle.
„Wir bitten untertänigst um Einlass. Wir haben gesündigt, das wissen wir. Aber wir wollen Buße tun. Sagt uns, was wir tun müssen, damit unsere Seelen Frieden finden können.“
Petrus starrte sie fassungslos an. „Ihr wollt hier rein?“
Keine Antwort.
„Ich habe von eurem Versagen, was für mich ja keines ist, gehört. Hat der Teufel etwa zum ersten Mal in der Geschichte der Hölle die finale Strafe verhängt?“ Er konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
Sollte Permon diese Frage wahrheitsgetreu bejahen? Schließlich hätte es Petrus wohl kaum gefallen, dass sie aufgrund einer Strafe hier waren und um Gnade bettelten.
„Wärt ihr auch gekommen, wenn es keine Strafe gewesen wäre, sondern euer Wille?“, herrschte Petrus sie an.
Zögerlich begann Permon, das einzige Argument, das ihm einfiel, zu formulieren. „Wie ihr vielleicht wisst, waren wir das letzte Mal als Kinder auf der Erde. Und Kinder kommen doch immer in den Himmel, oder?“
Petrus sah die fünf ungläubig an. Schliesslich brach er in schallendes Gelächter aus. Es war so beeindruckend laut, dass es schon luziferartig klang. Er konnte kaum aufhören. Als es ihm doch gelang, begann er, sie aufzuklären.
„Ratet mal, wer euch die Polizei geschickt hat!“ Und damit schlug er ihnen das Tor vor der Nase zu.
„Und nun?“, fragte Qotsa.
„Fegefeuer!“, antwortete Permon resigniert. „Und zwar für immer!“

Essener Stadtanzeiger, 6.4.2004
Ladendieb beisst Polizist die Nase ab
Ein Ladendieb, der vorgestern mit tatkräftiger Hilfe von fünf Kindern verhaftet wurde (wir berichteten), biss gestern, als er zum Gericht gebracht werden sollte, einem Polizisten die Nase ab. Da er steif und fest behauptete, die Kinder, die ihn gestellt hatten, seien in Wahrheit „Sendboten des Satan“ und die Polizisten die „Phalanx der göttlichen Herrlichkeit“ – er sei als Luzifers Scherge also zu dieser Tat verpflichtet gewesen – ließ ihn der Richter vorsorglich in eine psychiatrische Anstalt einweisen.
 

Vera-Lena

Mitglied
Hallo, Marc Olivier,

ich finde Deine Geschichte flüssig geschrieben, und alles, was da abgeht, kann man sich auch gut vorstellen.
Die Idee von den fünf teuflischen Dämonen gefällt mir sehr gut.

Eine schwache Stelle stört mich ein bißchen. Es geht ja darum, dass der Dieb seine Seele verkaufen soll. Dass nun einer der Dämonen die Seele einfach mitnimmt, würde ich weglassen. Dieses Detail ist nur irritierend und bringt die Handlung nicht voran. Vielleicht fällt Dir an dieser Stelle, an der die Dämonen ihr Versagen erklären sollen doch noch etwas Anderes ein. Dann sagt der Teufel schon vorher, dass sie den Ladendieb persönlich hätten mitbringen sollen. Irgendwie passt das für mich nicht so recht zusammen. Vielleicht siehst Du Dir das noch einmal an: Den Auftrag, die verunglückte Ausführung und die Ausreden. Die Fünf müssten eigentlich das Blaue vom Himmel herunterlügen, damit die Geschichta an Substanz gewinnt.
Auch die Anrede "mein ewiglich geliebter Herr und Gebieter" ist zu himmlisch. Ich denke, wenn man das Wohgefallen des Feufels erringen will, muss man ihn wohl anders anreden.

Der Schluss gefällt mir wieder großartig, dass die Fünf in den Himmel wollen, nachdem sei beim Höllenfürsten in Ungnade gefallen sind, das ist gut, ebenso die zweite Zeitungsnotiz.

Liebe Grüße Vera-Lena
 

Marc Olivier

Mitglied
Hallo Vera-Lena,

vielen Dank für Dein Feedback.
Ich hatte (was in der Story nicht so rauskommt), einfach mal vorausgesetzt, dass man jemandem erst die Seele abjagen muss, bevor man ihn mit in die Hölle nimmt. Als Luzifers Scherge geht dieser dann ja auch freiwillig mit. Ich verstehe im Nachhinein auch die Verwirrung, die das hervorrufen kann. Die Idee mit dem Lügen hatte ich auch, aber da hätte ich auch das erzählen müssen, was wirklich passiert ist, und dadurch wäre die Geschichte in meinen Augen viel zu lang geraten. Was die Anrede betrifft, hast du recht. Ich weiss allerdings nicht, ob ich die Geschichte im Moment überarbeiten darf, da sie ja Teil der Schreibaufgabe ist und die Werke bis zum 23.4. eingestellt werden sollten.
Nochmals vielen Dank und bis hoffentlich bald,
Marc
 

Vera-Lena

Mitglied
Hallo Marc,

wegen der Überarbeitung kannst Du Dich ja per Blitznachricht oder per Mail bei Zeder erkundigen. Ich weiß das nämlich auch nicht, aber wenn etwas drin ist, ist es drin, und nach meinem Gefühl kann man es bis zum letzten Augenblick ändern, aber erkundige Dich lieber mal.

Liebe Grüße von Vera-Lena
 

jimKaktus

Mitglied
Genial, aber...

Tag Marc,

die Idee mit den Dämonen ist natürlich absolut genial. Die Durchführung, wie du die Handlung inszenierst, gefällt mir auch. Aber das letzte Stück Handlung nach der zweiten Audienz bei Luzifer missfällt mir persönlich.

Als letzte Strafe fände ich die Verwandlung in eine hirnlose Popband (No Angels) oder bewegliche Action-Figur oder aber ewige Langeweile als versteinerter Wasserspeier in Essen ("Och nö. Nicht wieder Essen...") lustiger. Und statt Petrus die Polizei alarmieren zu lassen könnte auch der schon einmal verprügelte Polizist wieder aufgetaucht sein, wodurch diese Szene gewiss auch an Kontur gewonnen wäre (du hast die Verhaftung ja sehr abgekürzt).

Naja, Geschmackssache. Aber auf jeden Fall würde ich den zweiten Zeitungsartikel streichen. Da du den Ladendieb sowieso zur Nebenfigur gemacht hast, ist auch nicht von Interesse, was aus ihm wird (zumal er einfach nur klischeemäßig durchdreht, und das, obwohl er den Kindern ihre Abkunft von Satan gar nicht abgenommen hat - so schilderst du es jedenfalls in der zweiten Audienz).

LG,
jim
 



 
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